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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wundmanagement



wischmopp
15.01.2016, 07:26
Ich bin ja in der Weiterbildung Allgemeinmedizin in einem Großen MVZ. Und habe hier natürlich auch immer wieder Patienten mit verschiedenen Wunden, wo mir aber schlicht die Erfahrung fehlt und ich noch oft einen Kollegen dazu hole (was aber zeitlich oft eher ungünstig ist).

Meine Fragestellungen:
- Platzwunden (wann nähen, wann Steristrips, wann beides? wann kleben?)
- wann irgendwas abtragen mit scharfem Löffel etc.
- Ulcus cruris etc.
- welcher Verband (Urgotül, Urgostart und wie sie alle heißen)
- wie oft VW
- Verbrennungen (wann Blasen eröffnen?)
- nach Abszeßausräumung: wie lange Tamponade?

Irgendwie ist bei jedem Patienten wieder alles anders und mir erschließt sich bisher noch wenig Systematik.
Was kann ich tun, um hier mehr Sicherheit zu bekommen? Hilft da ein Buch weiter? (Tipps wären super!) Macht eine Fortbildung Sinn? Hat vielleicht jemand sogar einen sinnvollen Link?

Danke schon mal :-)

juke5489
15.01.2016, 15:10
- Verbrennungen (wann Blasen eröffnen?)

ich mach mal den anfang.
bin zwar noch student (letztes pj tertial), habe aber viel in der plastischen chirurgie famuliert, dort pj gemacht und auch schon in einem großen verbrennungszentrum mit entsprechendem klientel gearbeitet.

blasen wurden dort immer eröffnet. jegliches totes gewebe entfernt, weil potentiell toller nährboden für keime aller art. (achtung auf ausreichende analgesie)
tiefere verbrennungen (drittgradig, zum teil auch 2b gradig) müssen debridiert und dann im zweifelsfall auch gedeckt werden und sind deshalb beim hausarzt falsch und sollten zum passenden facharzt.
ist es oberflächlicher kenne ich als verband: polyhexanid creme, fettgaze (jelonet, nicht atrauman - ersteres ist einfach 'fettiger'), kompressen zum abdecken und dann mit mit verbandsmull wickeln.
akute verbrennungen und verbrühungen sollten initial im 24h takt erneut gesehen werden. der befund kann 'nachbrennen' und das ausmaß der gewebeschädigung daher im verlauf noch zunehmen. so kann auch ein initial nicht operationswürdiger befund noch operationswürdig werden. um zu vermeiden, dass das übersehen wird und das ganze letztlich überschießende narbenbildung, kontrakturen, etc nach sich zieht, ist hier eine gewisse sorgfalt geboten.


unabhängig von verbrennungen muss man bei wunden halt immer zusehen, dass man saubere wundverhältnisse schafft, die gut heilen. dem entgegen steht natürlich reichlich avitales gewebe, was entsprechend entfernt werden sollte (ob das nun mit dem scharfen löffel oder mit pinzette und skalpell erfolgt oder stumpf mithilfe einer feuchten kompresse ist situationsabhängig), eine eventuelle wundinfektion oder spannung/mechanische reizung.
dem muss man entgegenwirken.

nachdem zwar nicht ganz unerfahren bin, aber eben auf noch kein fertiger arzt, möchte ich mich nicht zu weit aus dem fenster lehnen, aber was die wundauflagen angeht sollte man sich nicht von den zehntausenden verschiedenen produkten verwirren lassen.
offene wunden benötigen logischerweise, damit es nicht zu verklebungen und konsekutivem immerwiederaufreißen der wunde beim vw kommt, eine wundauflage, die eben nicht verklebt. ob es da nun teure high-tech beläge wie urgotül und co sein müssen, ist die frage, wenn es mit fettgaze auch gute güstige alternativen gibt. in verbindung mit antiseptika wie polyhexanid creme/gel hat man so schonmal eine gute grundlage. dann braucht es noch eine komponente, die wundsekret aufsaugen kann (kompressen, evtl sogar saugkompressen) und eine lösung um das alles zu befestigen. man kann das dann mit (elastischen) mullbinden anwickeln, somit hat man auch keinen pflasterkontakt an der haut, was gerade bei älteren patienten mit dünner und angegriffener haut oft ein vorteil sein kann oder man benutzt eben doch 'tapete' oder relativ hautschonende folienverbände.

vw so oft wie nötig. offene, frische und vor allem sezernierende wunden können zum teil mehrere vw am tag benötigen, auf jeden fall aber täglich. ist eine wunde trocken und unkompliziert reicht es vielleich auch aus (natürlich auch von verhalten und compliance des patienten abhängig), wenn ärztliche verbandswechsel einmal wöchentlich vorgenommen werden und der patient selbst alle zwei tage ein pflaster wechselt.

jo, soviel dazu. alle angaben wie immer ohne gewähr und basierend auf eigenen erfahrungen.

*milkakuh*
15.01.2016, 15:18
Verbände fand ich in der Ausbildung auch schon immer super schwierig. Einige Patienten müssten auch mit einer Wundtherapieempfehlung aus der Klinik kommen, oder? Ansonsten würde ich mir generell mal anschauen welche Verbandsmaterialien du in der Praxis zur Verfügung hast und die Infomaterialien vom Hersteller anfordern - die sind meistens eigentlich ganz gut. Ansonsten mal die Augen offen halten nach "Wundtagen", das gab es bei uns in der Klinik einmal im Jahr und man konnte sich ein umfassendes Bild machen.

In der Ausbildung habe ich gelernt, dass kleinere Nekrosen abgetragen werden sollten. Gesundes Gewebe sollte unbedingt erhalten werden. Wenn man etwas Feuchtes in die Wundtaschen einlegt sollte man unbedingt darauf achten, dass es nicht über den Wundrand hinausragt und das umliegende Gewebe "auflöst". Verbandswechsel bei chronischen Wunden alle 2-3 Tage.

Kackbratze
15.01.2016, 16:02
Als Allgemeinarzt wäre die Zusatzbezeichnung "Wundmanager ICW" sinnvoll. Der Kurs deckt genau die Wundproblematik ab und man hat noch zusätzlich einen schicken Titel.
Hab ich auch und man kann endlich seine Wundentscheidungen besser begründen.

Du bist ja scheinbar in München, falls Du mal im Norden bist, kannst Du gerne mal bei mir vorbeischauen (sept. Chirurgie), wir haben das alles bei uns liegen. Oder Du schaust mal bei Dir in der Gegend für einen oder 2 Tage bei einer Wundambulanz vorbei.

chipirón
15.01.2016, 17:40
Gebe mal meinen Senf aus bisher kurzer chir. Erfahrung hinzu.

- Platzwunden: Wenn sich die Wunde mit den Fingern klaffend auseinanderziehen lässt, zunähen. ist meistens erst der Fall, wenn man sozusagen das Subkutangewebe sieht. Die Übergänge zu Steri-strips sind fließend, ich hab schon öfter Fingerschnittwunden zugenäht, mit denen ich selbst nicht in die NA gegangen wäre. Also häufig auch Geschmackssache. Nicht zu enge Nähte, der Sinn ist eine Hautadaptation und nicht das ganze fest wie Beton zu verschnüren!

- wann irgendwas abtragen mit scharfem Löffel: Wundbeläge an chron. Wunden/ Dekubiti die sich durch abkratzen mit dem Löffel lösen lassen, sind ebendies: Beläge, die dort nicht hingehören (Fibrin, Nekrosen, infizierte Nekrosen...). Tut normalerweise kaum weh, da das Gewebe ja abgestorben ist

- wie oft VW: Wie oben beschrieben, je nach Compliance des Patienten. Wenn dieser gar nix hinkriegt, muss täglich eine Schwester nen Hausbesuch machen zum VW. Ärztliche Kontrolle dann z.B. einmal die Woche. Wenn der Patient klar im Kopf ist, kann er sich ja einfach das Material holen und selbst wechseln.

- Verbrennungen : bin kein Experte. Aber wenn die Blase sehr dünnwandig ist, wird sie halt schnell entlastet. Bei beginnenden/ kleinen Blasen mit richtig Haut drüber...ich würde mir nicht reinschneiden lassen. komplizierte Verbrennungen sind natürlich Facharzt-Sache.

- nach Abszeßausräumung: wie lange Tamponade: 24 Stunden. Dann Entfernen, und offen lassen, nur eine Kompresse oder Einlage (perirpokt. Abszesse...) davor. Der Patient muss die Dinger MEHRMALS täglich ausspülen (dass heißt z.B. mit dem Duschkopf ausduschen). Wieder eine Sache, die sehr von der Compliance abhängt.

Folgendes Buch hab ich mir reingezogen, auch wenn es eher keine Standard-Lehre ist, aber ich denke ziemlich aufschlussreich für den Anfänger:

http://www.amazon.de/ambulanten-Chirurgie-Qualit%C3%A4tsstandards-Wirtschaftlichkeit/dp/3865414389/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1452879616&sr=8-1&keywords=schellong+ambulante+chirurgie

anignu
16.01.2016, 01:35
die Erfahrung fehlt
Erfahrung sammeln! Sei froh dass du in einem MVZ arbeitest. Da kannst deine eigenen Wunden wenigstens immer wieder einbestellen. Als Chirurg in der Notaufnahme geht das nicht. Da sieht man die Patienten meist einmal und gibt irgendwelche Empfehlungen ab... ;-)
Bestell dir die Patienten doch einfach mal am Anfang eher öfter ein und probier einfach ein wenig auf welche Zeitintervalle sinnvoll sind.

Schwierige Verbände sind Erfahrungs- und Glaubenssache. Es gibt Leute die schwören voll auf Kalzium-Alginat-Verbände, andere schmieren kiloweise Polihexanidgel rein. Wechsel alle 1-7 Tage je nach Glaubensrichtung.

In der Ausbildung habe ich gelernt, dass kleinere Nekrosen abgetragen werden sollten. Gesundes Gewebe sollte unbedingt erhalten werden.
Dem stimme ich nicht zu!
Grundsätzlich sollte man sich zunächst Gedanken machen woher die Nekrose kommt bevor man reinschneidet. Nekrosen können Ursachen haben wie pAVK -> dann sollte dringend DAVOR eine Revaskularisierung erfolgen, oder Vaskulitiden oder Diabetes oder Calciphylaxie oder "reiner Dekubitus ohne Gefäßbeteiligung"... auf jeden Fall zuvor Gedanken machen "warum ist da eine Nekrose" und dann erst in die Nekrose reinschneiden.
Und wenn schneiden dann gilt der Grundsatz "bis IN gesundes Gewebe".
Und man kann Nekrosen auch manchmal komplett belassen und einfach warten bis sie abgefallen sind.

Und zu zwei Themen wollte ich noch spezieller was sagen:
- Ulcus cruris: Ursache beseitigen oder therapieren und nicht "Wunde konservieren". Beim Ulcus cruris venosum Kompressionstherapie und Varizensanierung erwägen, beim Ulcus cruris arteriosum eine Revaskularisierung machen etc. Außer das wurde alles schon zuvor gemacht. Dann je nach Größe decken oder nicht...
- Platzwunden: ich mach es z.B. von der Größe abhängig, von der Körperstelle und vom Alter der Patienten. Steristrips mach ich nur bei winzigen Wunden, ich steh eigentlich ziemlich auf Nähen weils einfach richtig schön wird und gut zusammen hält. Kleben mach ich vor allem bei Kindern, die haben weichere Haut und reißen die Wunden nicht so leicht wieder auf. Sehr stark zum Nähen tendiere ich bei Wunden im Bereich von Bewegungssegmenten eher zu Steristrips bei glatten Wunden im Bereich von "Nicht-Bewegungssegmenten" also z.B. am Unterarm.

wischmopp
16.01.2016, 10:44
Vielen Dank für Eure Antworten!

Da war wirklich in jeder Einzigen für mich sinnvoller Input enthalten, worauf ich weiter aufbauen kann.

@kackbratze: Tolles Angebot, danke! Bin zwar eher selten im Norden, aber wenn, würde ich glatt nochmal nachfragen, ob Dein Angebot noch steht, wirklich sehr verlockend und nett von Dir!

wischmopp
19.01.2016, 18:09
Darf ich noch eine Frage hinterherschieben?

Was haltet ihr von Narbencremes? Werde das ständig von Patienten gefragt und jeder meiner Kollegen hat dazu eine andere Meinung... Alles dabei von "Narbencremes sind super " über "am Besten gar nichts drauf" bis zu "Schwangerschaftsstreifencreme rules"...

Und wann fängt man damit an?

Grombühlerin
19.01.2016, 18:24
Narbencremes: ich hab mal gelernt, dass die gar nichts bringen (wie übrigens auch Schwangerschaftstreifencremes).

Aber meine Erfahrung ist, dass Patienten (in meinem Fall besonders Familienmitglieder) es lieben, irgendwas irgendwo drauf zu schmieren. Ist wohl für die Psyche sehr gut....

juke5489
19.01.2016, 19:41
Darf ich noch eine Frage hinterherschieben?

Was haltet ihr von Narbencremes? Werde das ständig von Patienten gefragt und jeder meiner Kollegen hat dazu eine andere Meinung... Alles dabei von "Narbencremes sind super " über "am Besten gar nichts drauf" bis zu "Schwangerschaftsstreifencreme rules"...

Und wann fängt man damit an?


die studienlage zu den meisten narbentherapeutika ist solala.
relativ bekannt und schon lange auf dem markt sind ja diverse silikonbasierte sachen. ob nun als sheets oder auch als narbengele.
ist relativ teuer und der benefit ist mittelmäßig, trotzdem werden sie von aktuellen leitlinien zur prävention empfohlen und auch als first-line therapeutika von linearen hypertrophen narben ausgerufen.

dann gibt es ja noch die alternative mit extractum caepae (zwiebelextrakt).
da gibt es tatsächlich einige vielversprechende studien zu, die bei frischen narben verbesserte abheilungstendenzen aufzeigen.
der vorteil gegenüber silikonpräparaten ist hier der in der regel deutlich geringere preis.
nebenwirkungen gibt es bei beiden optionen praktisch nicht.

falsch machen kann man damit wenig.

wichtig ist halt: wofür wird es verwendet und bei wem?
prävention macht bei leuten sinn, die bekanntermaßen eine problematische narbenheilung und eventuell sogar eine neigung zu überschießenden narben (keloide und hypertrophe narben) haben oder die extrem besorgt sind. so lauten zumindest die empfehlungen der leitlinien.

wer hofft eine ganz normal heilende/abgeheilte narbe mit cremes wegzubekommen wird entsprechend enttäuscht sein. hier sollte eher ein bewusstsein dafür geschaffen werden, dass narben nach entsprechenden eingriffen entstehen und auch bleiben.
wenn keine schmale und blasse narbe zurückbleibt besteht eventuell noch optimierungspotential, das kann aber im zweifelsfall eher ein dermatologe/plastischer chirurg, der sich mit narben auskennt, ausschöpfen.

bei weiterem interesse an der thematik seien die entsprechenden leitlinien empfohlen.
deutsche leitlinien: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22937806
internationale leitlinien: teil 1: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25068543 teil 2: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25068544

anignu
19.01.2016, 23:11
Narbencremes ist für mich sowas wie Globuli. Wer dran glaubt dem helfen sie, schaden tun sie eher nicht. Ich rate keinem davon ab sag aber auch dass ich der Meinung bin dass es das nicht unbedingt braucht.

Extreme Keloidbildung kenn ich so dass wenns schon bekannt ist intraoperativ oder bei Platzwunden beim Nähen in die Hautränder Kortison gespritzt wird. Wie gesagt wenns extrem ist.

wischmopp
20.01.2016, 06:10
Danke für Eure Antworten! :-)