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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zwiespalt Psychiatrie/Psychosomatik



MVP_Rose
22.01.2016, 12:31
Hallo zusammen!

Bevor ein großer Aufschrei erfolgt: Ich habe sämtliche Themen durchgelesen, die sich mit Psychiatrie und Psychosomatik befasst haben, inkl. eines 22-seitigen Threads, teilweise voller Gemeinheiten. Aber irgendwie haben sich meine Fragen dadurch nicht geklärt.

Kurz zu meiner Situation: Ich bin mit dem Studium selbst nie warmgeworden, und habe gemerkt, dass mich Kommunikation, bzw. das Lösen von Problem durch Gespräche/Verhaltensänderung (Mediation, Gewaltfreie Kommunikation) viel mehr interessieren, als apparative Diagnostik und Operationen bspw. - was nicht bedeutet, dass ich dies nicht zu schätzen weiß. Ich habe es immer genossen, mit den Patienten über das Mindestmaß hinaus zwischenmenschlich in Kontakt zu treten. Bis vor kurzem dachte ich, dass mir die Medizin nicht das geben kann, was ich mir wünsche.

Und jetzt haben wir Psychiatrie und Psychosomatik. Bisher durfte ich jeweils eine Exploration in Psychiatrie und Psychosomatik machen. Noch nie hatte ich so viel Spaß in meinem Studium!:-) Ich sehe mich definitiv in einer der beiden Fachrichtungen, habe mich aber gefragt, welche es denn nun sein soll - und bin auf die Schlammschlacht zwischen den beiden Fachgesellschaften (Abspaltung bzw. gemeinsamer FA) aufmerksam geworden. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll. An die Fachgesellschaften? An die Bundesärztekammer?

Das verunsichert mich. Einerseits finde ich Psychiatrie total interessant, andererseits möchte ich die Möglichkeit haben, (in interdisziplinärer Zusammenarbeit) Einzel- oder Gruppentherapien zu begleiten. Und das ist so wie ich es z.B. aus dem ZI in Mannheim gesehen habe, eher ein Ding der Psychosomatik. Ich scheue mich nicht vor Schizophrenen oder anderen schwerkranken Menschen. Nicht vor Konfrontation. Ich kenne die Argumente und Vorurteile für bzw. gegen die beiden Richtungen, und ich kann sie z.T. auch nachvollziehen. Ich habe rein von dem was ich bisher gelesen habe, nicht den Eindruck, dass die Psychiatrie das alleine stemmen kann. Nicht unbedingt deswegen, weil Psychosomatiker 1500 Stunden mehr in Gesprächen/Therapien/wie auch immer verbracht haben, sondern weil die Personalsituation das womöglich nicht zulässt und Einzel- bzw. Gruppentherapien sich nicht in den Klinikalltag integrieren lassen. Aber wie zukunftssicher ist die Psychosomatik als Fach in Deutschland? Ein Argument gegen die Psychiatrie war zB, dass man PTSB und depressive Patienten nicht in die Psychiatrie schicken soll, weil das Umfeld aus Schizophrenen für sie nichts wäre. Dieses Themenfeld ist für mich noch sehr neu und abstrakt, deshalb würden mich eure Eindrücke/Meinungen dazu interessieren.

Mir wäre allerdings wichtig, dass wir hier unabhängig von der Fachrichtung wertschätzend miteinander umgehen, und nicht persönliche Erfahrungen als Anlass dafür sehen, gegen Kollegen/Patienten zu schießen. Ich könnte mir vorstellen, dass beide Fächer, so wie die Rahmenbedingungen (Stellenbelegung, Weiterbildungsordnung zB.) JETZT sind, ihre Existenzberechtigung haben. Aber lasst uns einfach mal darüber diskutieren, ich freue mich auf eure Antworten :-)

Liebe Grüße,
MVP_Rose

davo
22.01.2016, 14:05
Zukunftssicher sind IMHO sicher beide, denn selbst falls der Psychosomatik-FA je abgeschafft werden sollte (was ich definitiv nicht glaube), gibt es ganz bestimmt Bestandsschutzregeln für die bereits existierenden FÄ. Für mich persönlich gibt es einen ganz einfachen Grund, die Psychiatrie zu bevorzugen: Es gibt sie in jedem Land der Welt. Mit dem Psychosomatik-FA hingegen ist man bis zur Rente an Deutschland gebunden. Und es gibt ja auch einige psychiatrische Abteilungen die stark psychosomatisch orientiert sind. Es stimmt natürlich, dass die Psychosomatiker eine deutlich umfangreiche Psychotherapie-Ausbildung haben - aber man kann halt nicht alles haben...

So, jetzt hab ich etwas mehr Zeit. Warum um Himmels willen willst du dich denn an die Fachgesellschaften oder gar an die BÄK wenden?! Um dir zu helfen welches der beiden Fächer du wählen sollst? :-p Das Gegenargument mit den Depressiven halte ich übrigens für ziemlich schwach, da es in den meisten größeren Psychiatrien (so z.B. in allen, die ich bisher kennenlernen konnte) ohnehin eigene Statioinen für affektive Störungen und eigene Stationen für Psychosen gibt. Die entsprechenden Patienten haben also wenig Kontakt miteinander.

Was ich persönlich etwas seltsam finde, ist, dass die psychosomatische Medizin heute nur noch am Rande mit Psychosomatik im eigentlichen Sinn des Wortes zu tun hat. Bis auf Psychosen scheinen die Psychosomatiker genau dasselbe zu behandeln wie die Psychiater, nur dass, wie schon von Wacken erwähnt, in der Psychiatrie die medikamentöse Therapie dominiert (und die Psychotherapie hauptsächlich von Psychologen durchgeführt wird), während in der Psychosomatik die Psychotherapie dominiert (und auch von den Ärzten selbst durchgeführt wird).

Ich persönlich finde diese Streitereien zwischen den Fachgesellschaften jedenfalls ziemlich kindisch - die Onkologen, Strahlentherapeuten und Chirurgen machen sich ja auch nicht öffentlich gegenseitig fertig. Oder? :-))

Evil
22.01.2016, 15:23
Was genau ist denn überhaupt das Problem? Probier doch beide Fachrichtungen aus und bleib dann in der, die Dir am besten gefällt.

WackenDoc
22.01.2016, 15:45
Die Ausrichtung der Fächer ist halt unterschiedlich.

Die stationäre Psychiatrie, in der der Stationsarzt eher für die medikamentöse Versorgung und den Stationsbetrieb zuständig ist und die Therapien eher über die psychologischen Psychotherapeuten läuft.
Dann die ambulante Therapie mit der eher medikamentösen Ausrichtung oder eher therapeutischen Ausrichtung.
Dann die ambulante Therapie durch andere Fachärzte.

PTBS und Traumatherapie ist noch einmal eine Spezialisierung- mit riesigem Bedarf.

Und mit einer gewissen Verwandtschaft zur Allgemeinmedizin die Psychosomatik.

Aber Bedarf wird in allen sein.
Evtl. famulierst du noch ein paar Runden um zu sehen, was dir eher liegt.

EKT
22.01.2016, 16:24
Sehr schwieriges Thema. Also:
Es geht eigentlich nicht darum, ob "Psychiatrie" oder "Psychosomatik" besser geeignet ist, in dem Sinne, wo man die geeignetere Ausbildung für sich findet. Denn die FA-Ausbildung umfaßt mit 5 J. nur einen Bruchteil des beruflichen Lebens. Wie überall muß man bestimmte Zahlen an Interventionen, Untersuchen usw. vorweisen - egal, ob und wie man die tatsächlich gemacht hat oder nicht.....spielt also letztlich nicht wirklich eine Rolle (wichtig ist, mit der FA-Urkunde eine Berechtigung für selbständiges Arbeiten zu haben).
Das Entscheidende ist, was Du willst, und was Du dafür lernen willst, findest Du eher weniger an Kliniken, Pflicht-Curricula oder Instituten. Sondern das ist ein Suchprozess, der über Jahre geht, Dich vielleicht verschlungene Wege führt, über Kontakte in ganz andere Richtungen und neue Ideen...
Leider ist es so, dass die Psychiatrie in den letzten Jahrzehnten in DL total verkommen ist zu einem sehr biologisch orientierten Fach, weil es Minderwertigkeitsgefühle gegenüber der Somatik hat (hat auch historische Gründe). So ist das, weltweit gesehen, nicht. Dort ist die Psychosomatik selbstverständlicher Bestandteil der Psychiatrie.
Wenn Du also den in der Tiefe intensiven Kontakt mit Patienten suchst, wirst Du in der heutigen real existierenden Psychiatrie in DL stationär und ambulant nicht glücklich werden. Jedoch wird dort auch ein Teil der Pat. behandelt, deren Versorgung durch Gespräche defintiv nicht möglich ist.
Selbst habe ich nach dem Psychiatrie-FA ein Vielfaches der Stunden, die die Psychosomatik vorschreibt, an Therapien, Supervisionen, SE und Theorie gemacht, habe also diesbzgl. gleichwertige Erfahrungen zusätzlich zum konventionell Psychiatrischen.

Auch ich kann nur empfehlen, Dich möglichst vielfältig umzuschauen. Und ich denke, die sprechende Medizin wird an Bedeutung gewinnen und entsprechend honoriert werden.

MVP_Rose
22.01.2016, 17:05
Wenn Du also den in der Tiefe intensiven Kontakt mit Patienten suchst, wirst Du in der heutigen real existierenden Psychiatrie in DL stationär und ambulant nicht glücklich werden. Jedoch wird dort auch ein Teil der Pat. behandelt, deren Versorgung durch Gespräche defintiv nicht möglich ist.

Schade, aber kein Weltuntergang.


Selbst habe ich nach dem Psychiatrie-FA ein Vielfaches der Stunden, die die Psychosomatik vorschreibt, an Therapien, Supervisionen, SE und Theorie gemacht, habe also diesbzgl. gleichwertige Erfahrungen zusätzlich zum konventionell Psychiatrischen.

Das finde ich wirklich gut! Wie machst du dir das im Alltag zunutze? Arbeitest du in der Psychosomatik? Ich bin auf jeden Fall interessiert, und wenn ich durch diese Stunden dann auch im psychosomatischen Bereich arbeiten kann, würde ich das in Kauf nehmen.

MVP_Rose
22.01.2016, 17:09
Vielleicht noch eine Zusatzfrage (finde die Editierfunktion nicht), wahrscheinlich eine blöde: Können Psychologen nicht die Aufgaben des Psychosomatikers erledigen? Oder rechtfertigt der ärztliche Hintergrund deren Stelle?

EKT
22.01.2016, 17:54
Wie machst du dir das im Alltag zunutze? Arbeitest du in der Psychosomatik? Ich bin auf jeden Fall interessiert, und wenn ich durch diese Stunden dann auch im psychosomatischen Bereich arbeiten kann, würde ich das in Kauf nehmen.

Ich arbeite sowohl in der stationären Psychiatrie als auch explizit psychotherapeutisch (à 50 min) in der Praxis. Als Psychiater mit guter therapeutischer Fortbildung möglichst in verschiedenen Verfahren (eben nicht nur, was für den FA erforderlich ist) wird man in der Regel an psychosomatischen Kliniken gern genommen, auch in OA- und CA-Funktion (Ausnahme Uni-Kliniken).

Zu Deiner Frage der Substitution durch Psychologen: Heute wäre das zumindest fachlich absolut möglich. Historisch hat sich die Psychosomatik aus der Inneren Medizin heraus entwickelt und war wesentlich mehr ein interdisziplinäres, nämlich wirklich psycho-somatisches Fach (so, wie es heute noch entsprechend interessierte Hausärzte tun), hat sich mit den "klassischen Psychosomatosen" wie C. ulcerosa, Asthma, Neurodermitis, Magenprobleme usw. beschäftigt. Durch die Konkurrenzentwicklung zur Psychiatrie und Degeneration der letzteren (die früher, v. a. vor dem Krieg viel stärker psychotherapeutisch ausgerichtet war) ist sie in klassische psychische Krankheitsbilder vorgedrungen, wie Depressionen, Traumafolge-, Angst- und Persönlichkeitsstörungen.

PsychoFan
23.01.2016, 02:07
Rein praktisch gesehen halte ich den FA f. Psychiatrie u. PT für sinnvoller, da er auch die Tätigkeit im Ausland ermöglicht.

LasseReinböng
23.01.2016, 20:42
Rein praktisch gesehen halte ich den FA f. Psychiatrie u. PT für sinnvoller, da er auch die Tätigkeit im Ausland ermöglicht.

...und man ist auch in Deutschland breiter einsetzbar.