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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Arbeitsklima und Stimmung in Schweizer Krankenhäusern



Shade
30.01.2016, 11:43
Hallo liebe Schweizer Ärzte/Studenten und alle anderen Schweiz-Erfahrenen,


seit einer Famulatur in Skandinavien, bei der ich vom positiven Arbeitsklima, dem Zusammenhalt und den flachen Hierarchien begeistert war, und dem krassen Kontrast wenige Wochen später bei einer Famulatur in einer deutschen Uniklinik, denke ich zur Zeit über Alternativen zu Deutschland nach.

Gehalt, schöne Umgebung, Arbeitszeiten usw. sind dabei für mich zwar nicht unwichtig, aber sekundär.

Daher meine Frage: Wie sieht es aus mit dem Arbeitsklima in Schweizer Krankenhäusern? Was man von PJ-Erfahrungen deutscher Studenten liest und hört, klingt meistens sehr positiv. Ich werde einen Teil meines PJs auch in der Schweiz absolvieren, wollte mir gerne aber vorher schon einmal verschiedene Meinungen von "alten Hasen" anhören.


Wie stark ist die Hierarchie ausgeprägt? Die Kollegialität? Wird sich gegenseitig in den Rücken gefallen und jeder arbeitet für sich selbst, oder versucht man zusammen das beste Ergebnis für den Patienten zu erwirken? Wie ist die Stimmung zur Pflege (gegeneinander oder miteinander)? Muss man Überstunden schieben, weil das von einem jungen Arzt eben so erwartet wird?


Fragen über Fragen, ich freue mich über eure Erfahrungsberichte :)

par
30.01.2016, 12:20
Ich denke nicht, dass man alle Spitäler der Schweiz zusammenfassend beurteilen kann. Man kann vielleicht die von dir angesprochenen Tendenzen festhalten, aber das gibt keinen Zusatznutzen, weil es oft genug auch nicht zutrifft. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass ich zB. ein Uniklinik(!)-Paar kenne, wo es sich fast umgekehrt verhält. Das einzige, was man vielleicht objektiv und etwas pauschaler vergleichen kann, ist das Grundgehalt und der Personalschlüssel einzelner Kliniken (dieser ist oft (!) besser in der CH, auch die Pflege betreffend - mit unmittelbaren "Konsequenzen")
Das Arbeitsklima steht in Zusammenhang mit der Arbeitsbelastung (ab einer gewissen Grenze, leidet diese einfach), so dass sich hier va in der Pflege (!) ein automatischer Bonus für die CH gibt, wird aber von anderen Faktoren entscheidend mitgeprägt.

mountainview
30.01.2016, 12:30
Auch in der Schweiz ist nicht alles einheitlich. Ich habe zwei Famulaturen in selben KH gemacht und allein in dem Spital war es abhängig von Fach, OA, Station etc. was die Punkte Ausbildung, Fortbildungen, Arbeitsklima, Arbeitszeiten, Stress, Mittagspause etc betrifft. Und die Perzeption ist ja auch bei jedem anders. Beispiel das Duzen bis zum Chef, Selbständigkeit der Pflege oder lange Mittagspausen und entspannteres Arbeiten wegen längerer Arbeitszeit - nicht jeder findet das besser als in Deutschland.
Ausserdem kommt es auch darauf an, wieviele Schweizer überhaupt da sind. In der ersten Famulatur waren gerade mal 5 Ärzte Schweizer- von 40!

Soll nicht heißen, dass ich jetzt in den zwei Famulaturen die Schweizer Kliniken durchschaut habe :-)…aber ich habe mich in meiner Zeit dort auch mit diesem Thema beschäftigt und mit den dort Arbeitenden darüber unterhalten…und auch mit einigen, die eben wieder zurück wollten.

arztarzt
30.01.2016, 14:04
Na ja...zB liest man auf der Webseite pj- ranking durchaus positive Bewertungen, dabei werden oft flache Hierarchie, Gehalt, Arbeitsklima, Weiterbildungsprogramm, PJ - Unterrichte, Wohnmöglichkeiten, Pflege usw sehr ausführlich beschrieben und bewertet, so dass man sich gut vorstellen kann, wie die Arbeitsbedingungen dort sind. Nicht ohne Ausnahme natürlich. Einige Stationen ( nicht das ganze Spital!!!) kriegen schlechte Note so 3 - 4, und der Grund dafür sind oft schlechte Betreuung und lange Arbeitszeiten / Unterbesetzung.
Ich glaube bevor man sich irgendwo bewirbt, darf man sich ganz ruhig erst ausführlich über die Klinik erkundigen, einfach im Internet was nachlesen, pj ranking, andere Ressourcen, Foren usw, oft kann man auf der Seite der jeweiligen Klinik auch Jahresberichte finden, was auch hilfreich ist. Zudem es gibt aus meiner Sicht eine echt gute Webseite vom FMH, wo man sich die offiziellen Bewertungen der Kliniken in der Schweiz anschauen kann.

http://www.fmh.ch/awf/qs_2014/index.cfm?l=1&&c=1598&jsessionid=_60fe9664-f7b0-46b3-b9cc-f88822ef8b43_0

Einfach das Fach angeben und sich eine grafisch dargestellte Bewertung anschauen....diese Bewertung erfolgt durch die Assistenzärzte/innen und ist ziemlich verlässlich glaube ich. Interessant ist, dass oft was die Pj-ler schrieben stimmt mit der Bewertung bei FMH überein..)).

Eilika
31.01.2016, 19:47
Mh, ich habe jetzt als Arzt in 1 deutschen Spital gearbeitet und in 2 verschiedenen schweizer Spitälern (aber in einem mittlerweile in der 3. Abteilung). Dazu habe ich in D ja noch diverse Famulaturen und 2 PJ-Tertiale gemacht. Ich empfinde in dem Vergleich (der sicher überhaupt nicht repräsentativ ist), die Arbeitsbedingungen hier als etwas bis doch deutlich besser. Aber es gibt auch Nachteile und ich würde das nie so pauschalisieren!

arztarzt
31.01.2016, 20:01
Mh, ich habe jetzt als Arzt in 1 deutschen Spital gearbeitet und in 2 verschiedenen schweizer Spitälern (aber in einem mittlerweile in der 3. Abteilung). Dazu habe ich in D ja noch diverse Famulaturen und 2 PJ-Tertiale gemacht. Ich empfinde in dem Vergleich (der sicher überhaupt nicht repräsentativ ist), die Arbeitsbedingungen hier als etwas bis doch deutlich besser. Aber es gibt auch Nachteile und ich würde das nie so pauschalisieren!

Ob Du uns vlt. über Nachteile was erzählen könntest? ;-)

Eilika
31.01.2016, 20:22
Primär mal längere Arbeitszeiten pro Tag und weniger Urlaub.

Shade
01.02.2016, 10:05
Vielen Dank schonmal für eine hilfreichen Antworten!

Selbstverständlich ist es nicht in jedem Krankenhaus gleich und es kommt immer auf einen selbst an, was man draus macht! Deswegen möchte ich ja möglichst viele Eindrücke sammeln ;)
Allgemein gibt es aber schon durch die Rahmenbedingungen wie eben Personalschlüssel oder wieviel in das Gesundheitssystem investiert wird, sehr große Unterschiede zwischen den Ländern.

Wie gesagt, jeder der bereits in einem skandinavischen Land famuliert oder gearbeitet hat, kommt meistens recht positiv geflasht zurück.

@Eilika:
was genau ist an den Arbeitsbedingungen besser und sind dies strukturelle Dinge des Gesundheits- und Krankenhauswesens?

Eilika
01.02.2016, 11:37
Was besser ist, ist ja schon sehr relativ. Und ich weiss ja auch, dass sich auch in Deutschland in den letzten 6 Jahren (die ich jetzt schon in der Schweiz lebe) viel zum Guten getan hat! Aber ich empfinde es insgesamt als entspannter hier. Arbeite nicht unter so einem Druck. Habe schon das Gefühl, dass die Hierarchien flacher sind und man auch schon als Assistenzarzt definitiv wichtig ist und zum Team gehört. Immer Pause zum Mittagessen, morgens nach dem Rapport einen Kaffee zusammen, ggf. sogar nachmittags nochmal kurz. Dafür ist man dann eben auch von 7 bis 17 Uhr im Spital. Und hat laut Gesetz nur das Recht auf 20 Tage Ferien (bei uns sind es 26 für Assistenten und jetzt 31 als Kaderarzt, aber das ist speziell). Viel ist halt auch Gefühl und kann man gar nicht so recht erklären...

par
01.02.2016, 18:51
Krass. An meiner neuen Klinik (ich schwärme gleich im anderen Thread) bin ich um 17:00 rauss (komme aber noch so 30min-1h früher :-blush) und das inkl. 30min Mittagspause... betreue 6 Patienten; kannte ich von meinem CH-Spital nicht (als UA habe ich noch andere Abteilungen erlebt, aber eben im gleichen Spital). Und auch so Dinge, wie elektronische KGs setzen sich in D mittlerweile durch (was ich sehr entlastend fand an meiner alten Klinik).
Viel hängt auch von der Organisation ab. Wir hatten zB einen OA, der irgendwie immer zu einer anderen Zeit mit tausend Unterbrechungen Visite machte (weil ja eben bis 18 Uhr Zeit...), so blieb man schnell länger da. Was mir persönlich auch wichtig ist, ist die Kompetenz der Mitarbeiter und in D ist sie sicher im Schnitt nicht schlechter. Auch relevant sind Funktionsabteilungen und da gibt es grosse Unterschiede innerhalb Deutschlands, kann mir aber vorstellen, dass es im Schnitt in der CH besser ist, wobei auch da wieder, sehe ich hier andere deutliche Stärken..... Dann noch ein Argument für CH-Kliniken: mehr Fortbildungen; kenne 2 Deutsche Unikliniken mit mehr zumindest regulären Fortbildungen (an meiner jetzigen jeden 2. Tag auch grössere über bis 1h (nach 17 Uhr) und zwischendrin noch ab und an über 30min). Kann man wie Eilika und andere auch meinten, eben nicht gut pauschalisieren. Nur das Gehalt ist fest und sicher in der CH höher. Das mit dem Gefühl stimmt aber auch, wo man sich wohl fühlt. Ich bin nicht sicher, ob ich bleibe, aber das sicher nicht, weil ich die Klinik (und es ist sogar Uni) hier schlecht finde.

Eilika
01.02.2016, 18:55
Naja. Um 17 Uhr sind wir normalerweise auch raus. Aber eben - wir haben auf dem Papier jetzt eine 46h-Woche für die Assistenten (früher 50h). Fortbildungen sind sehr relativ. In meiner letzten Stelle als Assistentin (Innere) hatten wir hier echt jeden Tag 45 Minuten Weiterbildungen, an einem Tag sogar zweimal. Aber eben - man kann das nicht am Land festmachen, das ist so Klinik-/Abteilungsabhängig!

arztarzt
01.02.2016, 21:09
.....:-)

teletubs
08.02.2016, 13:45
Also ich finde es jetzt schwer zu vergleichen, da ich vor fast 10 Jahren in die Schweiz gegangen bin und ich bis dahin ein Jahr in einem Lehrkrankenhaus der Uni gearbeitet hatte. Und damals waren wir ständig und stetig unterbesetzt. Ich habe pro Monat im Schnitt 9-10 Dienste gemacht, davon durchaus 4-5 24-h-Dienste ohne Option danach wirklich nach Hause gehen zu können. Ich bin nicht gegangen, weil es mir keinen Spass gemacht hat, sondern weil ich durch meine beiden PJ-Tertiale in der Schweiz wusste, es geht auch anders. Und bis heute habe ich den Schritt nicht bereut, kann aber zum heutigen Gesundheitssystem in Deutschland nicht mehr viel sagen.
In der Schweiz habe ich in drei verschiedenen Spitälern, von ganz klein bis zur Uni, und in verschiedenen Bereichen gearbeitet, von Reha, Akut- und Intensivmedizin, Anästhesie plus Hausarztmedizin. Und es war nirgendwo gleich...am besten hat es mir im mittelgrossen Spital gefallen, weil man sich dort kannte. In der Uni bist du einer von vielen...die Hierarchien sind da nicht so meine. In allen Spitälern wurde wert auf Weiterbildung gelegt...und die sind in den 50h-Wochen halt drin. Ok aktuell wurde die 46-h-Woche OHNE Fortbildung eingeführt. Aber momentan noch jedem Spital überlassen, wie es das händelt. Und man muss dazu sagen, dass in diesen 50h auch Dienste mit drin sind...alles was darüber hinausgeht wird kompensiert. Das hatte ich in Deutschland nie...geschweige denn ich durfte nach dem Dienst wirklich gehen.
Klar das Gehalt ist in der Schweiz schon deutlich mehr...aber man muss es auch in Relation zu den Unterhaltskosten sehen. Und es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Wer es versuchen will, der ist hier gern gesehen...es gibt aber auch genügend, die wieder zurückgehen.

Dr.Bundy
09.03.2016, 09:49
Es gibt sicherlich Vorteile in der Schweiz: Wer Ausgaben intelligent begrenzt, macht hier ordentlich Geld, aber das können nur die wenigsten. Viele werfen das Geld zum Fenster raus und haben am Ende trotzdem nicht viel davon. Das habe ich bei einigen Kollegen hier erlebt. Aber es geht um die Stimmung und die ist primär davon abhängig, wie sehr du gebraucht wirst: Da einige in die Schweiz einwandern und in Deutschland viel mehr Stellen offen sind, sollte man so pi mal Daumen erstmal vorsichtig sein. Insbesondere in den grossen Spitälern, wo alle hinwollen, weil sie für den Facharzt Kategorie A (Unikliniken und KAntonsspitäler) Jahre brauchen ist die Stimmung nicht mehr ganz so toll. Jetzt muss man sich nur noch beliebte Fächer rauspicken und da verstehe ich schon den einen oder anderen, der sich das nicht mehr antun will: Da werden Gesetze ignoriert und der Assistenzarzt schlecht behandelt. Umgekehrt ist es, wenn das Spital dich wirklich braucht oder der Chefarzt sozial kompetent ist. Habe dabei traumhafte Erfahrungen mit Rehakliniken gemacht. So viel Lebensqualität... aber leider lernt man da nicht so viel.
Es gibt noch weitere Dinge, die hier nicht schön sind: Schweizer sind nicht gerade offen, v.a. Deutschen gegenüber nicht. Du musst wissen, viele Schweizer haben ihre Freunde aus der Schulzeit, sie sind nicht so sehr interessiert mit neuen Arbeitskollegen aus dem Ausland wegzugehen. Wenn du dann auch nicht so schnell mit dem Schweizdeutsch bist...Mit Familie hast du als Assistenzart in Deutschland fast gleich hohes Gehalt. Wie schon angedeutet, in manchen Fällen kann ich es wirklich nachvollziehen, wenn manche auf die Schweiz keine Lust haben und es für sie wirklich besser ist in Deutschland zu bleiben. Ich kenne sogar einige, die das gemacht haben. Ich plane auch mal kurz zurück zu kommen, weil die Bedingungen für die Facharztprüfung in Deutschland viel viel besser sind (viel weniger Kosten, viel weniger Prüfstress).

arztarzt
09.03.2016, 11:05
Ich möchte mal gerne ein Auslandsjahr in der Schweiz machen. Die Klinik (Kantonspital) ist sehr groß, aber die Abteilung wo ich tätig sein möchte, ist ganz neu, nur seit 2 Jahren eröffnet, und daher ist nur als Kategorie B eingestuft. Alleridngs, sagt der Chef, alle Voraussetzungen für die Kategorie A sind bereits erfüllt, und Anfang 2017 wird es schon daraus offiziell Kategorie A. Miene Frage wäre, macht es sinn schon mit Kat. B Anfangen, oder doch besser abzuwarten? Noch genauer, wird diese B- Zeit in Deutschland, wenn ich zurück kommen, auf die Weiterbildungszeit 1:1 angerechnet?

Ja, ich bin auch der Meinung, insbesondere wenn man noch keine Familie hat, und ein Zimmer im Wohnheim für die dauer der Beschäftigung von der Klinik bekommt, kann man recht gut sparen. Ohne Nachdiensten, mit allen möglichen Ausgaben, bleibt im Schnitt am Ende fast 2 - fach mehr als in Deutschland. Allerdings das Geld ist nicht alles, ich kenne Kollegen die nach einem Jahr gerne nach DE zurückgekehrt sind, aus verschiedenen Gründen (soziale Isolierung, keine Angehörige, Probleme mit dem Chef, usw).

Dr.Bundy
09.03.2016, 12:07
Ob das Spital ABC oder X ist, ist in Deutschland egal. Ich würde aber lieber erstmal in kleineren Spitälern anfangen, dort ist der Stress geringer (so total verallgemeinert :D ).Wenn du das einfach im Handumdrehen kannst, würde ich mich an grössere Spitäler wagen, wo der Konkurrenzdruck höher ist und die Lebensqualität vielleicht niedriger.

arztarzt
09.03.2016, 12:23
Nein, im Handmdrehen kann ich das noch nicht.....)) grins
aber die Abteilung ist relativ klein, nur 11 Assistenten....oder ?

Dr.Bundy
09.03.2016, 15:31
11 Assistenten ist für schweizer Verhältnisse sicherlich nicht klein, eher mind. mittelgross :D

arztarzt
09.03.2016, 15:42
...und ist es sinnvoll in solchem mittelgroßem Team anzufangen?

Dr.Bundy
10.03.2016, 07:56
Ich finde es auf jeden Fall, das Team kann sogar auch kleiner sein.