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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Haloperidol in der Demenz-Therapie?



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Minoo
17.02.2016, 07:26
Moin Leute,

ich habe mal eine spezielle Fragen. Und zwar geht es um den Einsatz von Haloperidol bei Demenz / Alzheimererkrankten.
Ich war mittelschwer überrascht als ich am Wochenende meine Großeltern besucht habe und ich feststellte, dass sie nun beide Haloperidol vom Arzt verschrieben bekommen haben.
Kurzer Überblick. Mein Opa 93, seit 6 Monaten mit Diagnose Alzheimer, zwar schon ganz schön tüdelig, aber auch mit vielen klaren Momenten. Meine Oma 86, leichte bis normale Alters- Demenz (kein Alzheimer), teilweise aber Verhaltensauffällig. Oft nah am Wasser gebaut, sehr stur und mit kleinen Alltagsveränderungen schnell überfordert.
Sie war wohl beim Neurologen, um abzuklären, ob sie evt auch Alzheimer (wurde ausgeschlossen) , doch in dem Zuge bekam sie Haloperidol.
Ist der Einsatz in der "Altersmedizin" üblich? Wer kann mir was dazu sagen?

WhiteMountains
17.02.2016, 07:37
aus angehörigen sicht: ja üblich, weil arbeitserleichternd, bei meiner mutter wäre auch mancher scharf drauf.

http://www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=41271

Lissminder
18.02.2016, 13:09
Hi Minoo, lies dir mal den Artikel zum oben geposteten Link durch. Der bringt das gut auf den Punkt und zielt auch auf das ab, was ich dir dazu sagen würde.
Meiner Meinung nach ist es ganz klar nur ein einfacher Weg die Patienten zu handeln. Medizinisch gesehen aber eher ein Kunstfehler.
Streiten lässt sich in puncto Erhöhung der Sterblichkeit. Das mag bei deinem 93 Jahre alten Opa wohl nicht mehr so ins Gewicht fallen.

luckyluc
18.02.2016, 14:56
Die Frage ist wohl auch wie lange die Therapiedauer angesetzt sind. Eigentlich sollte Man das Zeugs ja nur kurzfristig einnehmen (bis 6 Wochen).
In deinem Fall scheint es jedoch als eine Dauermedikation verschrieben worden zu sein. An deiner Stelle würde ich die Großeltern mal aufklären oder sie mal beim nächsten Arztbesuch begleiten, sonst nehmen sie das womöglich bis an ihr Lebensende

EKT
18.02.2016, 21:26
normale Alters- Demenz

So etwas gibt es nicht.


Ist der Einsatz in der "Altersmedizin" üblich?

Ja, ist er.

In der Psychiatrie werden keine Diagnosen behandelt, sondern Symptome. Und gewisse "Verhaltensauffälligkeiten" können sehr sinnvoll mit niedrigdosierten Hochpotenz-NL behandelt werden.
Die Frage ist natürlich, ob die Indikation wirklich gegeben ist, oder ob es sich um Symptome handelt, die anderweitig besser mediziert werden könnten (z. B. mit Antidepressiva, mood stabilizern, Analgetika).

Minoo
20.02.2016, 09:02
Ah ok.
Ich muss mich auch noch korrigieren. Meine Oma bekommt nicht Haloperidol, sondern Risperudon. Ich habe mich etwas schlau gemacht: Risperidon ist bei Alzheimer iniziert, wenn andere Therapiemethoden nicht helfen.sollte jedoch nicht länger als 6 Wochen eingesetzt werden.
Trotzdem ist den Hinweis gut die Indikation hier nochmal zu hinterfragen. Schließlich hat meinf Oma keinen diagnostizierten Alzheimer. Vlt ist ein Antidepressivum dort besser geeignet. Woran hast du bei mood stabilizern gedacht?

Phosphorsalzperle
20.02.2016, 10:34
Aber ist es nicht auch so, dass Wahn mit einer Alzheimer- Demenz einhergehen können? Somit wäre die Behandlung mit einem Neuroleptikum gar nicht so weit hergeholt. Mit Risperidon hat man außerdem ein niedrig potentes Mittel, was vergleichsweise mit anderen Neuroleptika recht nebenwirkungsarm ist.

luckyluc
20.02.2016, 15:24
Selbst wenn eine Demenz mal Symptome wie Wahn oder ähnlichem aufweist, ist es doch nicht das gleiche wie bei einer Schizophrenie. Schießt man da nicht mit Kanonen auf Spatzen?. Auch nicht jeder Bauchschmerz zeugt von einer Blinddarmentzündung. Ich halte den Einsatz für sehr strittig. Und wenn man die Neuroleptika eh nur max 6 Wochen geben darf, ist das auch keine vernünftige dauerhafte Therapie

Phosphorsalzperle
23.02.2016, 18:02
Selbst wenn eine Demenz mal Symptome wie Wahn oder ähnlichem aufweist, ist es doch nicht das gleiche wie bei einer Schizophrenie.
Warum findest du es komisch, das ähnliche Symptome mit den den gleichen Arzneimitteln therapiert werden? Sowas kommt doch andauernd vor. Auch Schmerzmittel gibt man bei allen möglichen Arten von Schmerzen, die sicherlich alle eine andere Ursache haben.
Wo ich dir zustimme ist, dass es keine Langzeittherapie darstellen sollte und erst als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden sollte. Vorher sind soziale/pflegerische Maßnahmen sicherlich die bessere Behandlung.

EKT
23.02.2016, 19:36
keine Langzeittherapie darstellen sollte und erst als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden sollte. Vorher sind soziale/pflegerische Maßnahmen sicherlich die bessere Behandlung.

So? Schon mal in einem real existierenden Altenheim gewesen? Schon mal mit Angehörigen am Rande des Zusammenbruchs und überfordertem ambulanten Pflegedienst gesprochen?

Lehrbuchweisheiten bringen leider nicht immer weiter.

Phosphorsalzperle
24.02.2016, 12:42
Ja ich arbeite immer mal wieder ehrenamtlich für die Kaffeetafel im Altenheim. Ich weiß schon was es heißt, wenn jemand Alzheimer hat. Ich wollte damit auch den Einsatz von Psychopharmaka nicht verteufeln. Im Gegenteil, sogar unterstützen. ABER nicht als erste Maßnahme. Da es eben auch keine Dauertherapie darstellt.

WackenDoc
24.02.2016, 14:10
Entweder hast du dann ein echt gutes Heim erwischt oder du weisst selber, wie die Pflegesituation aussieht.Eine examinierte Kraft pro Station ist schon fast Luxus.

Hanno04
24.02.2016, 15:52
Entweder hast du dann ein echt gutes Heim erwischt oder du weisst selber, wie die Pflegesituation aussieht.Eine examinierte Kraft pro Station ist schon fast Luxus.

was willst du damit sagen? oder anderes formuliert, siehst du den einsatz solcher medikamente als angebracht und ausreichend oder sollte die therapie in der richtung sogar noch verstärkt werden. haloperidol wird meiner Meinung nach auch eingesetzt, off-Label aber. ich habe keine ahnung wie eine wirklich gute alzheimertherapie aussehen sollte. trotzdem denke ich, dass es meistens an den kosten scheitert. ich vermute mal das die pflegekosten einfach den größten teil ausmachen, und das nicht gedeckt werden kann. vielleicht ist dann eine medikamentöse therapie günstiger?!

WackenDoc
24.02.2016, 17:29
Ich will damit sagen, dass therapeutische/soziale/pflegerische Maßnahmen sicher einiges bewirken können, aber in normalen deutschen Pflegeheimen völlig utopisch sind.
Also wird man sich was anderes überlegen müssen, damit sowohl Patient als auch Pflege klar kommen.

WhiteMountains
24.02.2016, 17:36
also passt man den bewohner der pflegesituation an statt umgekehrt oder wie? wo genau ist da der vorteil für die bewohner?

WackenDoc
24.02.2016, 18:10
Es gibt keinen Vorteil für den Bewohner außer dass er wenigstens eine medikamentöse Therapie bekommt, auch wenn die nicht Mittel der Wahl ist.

Was willst denn machen. Die Pflegesituation wird sich nicht bessern. Ich komm ja regelmäßig in verschiedenste Pflegeheime- das sind die Notarzteinsätze, die recht weit unten bei mir auf der Beliebtheitsliste stehen.

WhiteMountains
24.02.2016, 18:29
wahrscheinlich bin ich emotional zu nah dran, da wir wie gesagt meine mutter zu hause haben mit ps3 plus demenz.
aber mein - ganz und gar subjektiver - eindruck geht eher richtung hauptsache still.
wobeis da natürlich schlechtere und bessere heime gibt.

und wenn der ambulante pflegedienst, der grade mal 15 min abends da ist schon bei jemandem der nichts weiter kann als sich zu weigern die zähne herzugeben oder eben zu zetern beim waschen nach medikamenten fragt - frag ich mich ob das problem wirklich di händelbarkeit des pfleglings ist.

EKT
24.02.2016, 19:35
und wenn der ambulante pflegedienst, der grade mal 15 min abends da ist schon bei jemandem der nichts weiter kann als sich zu weigern die zähne herzugeben oder eben zu zetern beim waschen nach medikamenten fragt - frag ich mich ob das problem wirklich di händelbarkeit des pfleglings ist.

Ich wäre da vorsichtig, die Situation zu beurteilen. Erstmal würde ich davon ausgehen, dass die Pflegekräfte ihr Bestes tun, allerdings ist ja auch bekannt, in welcher Taktung die in der ambulanten Pflege arbeiten müssen und damit wahrscheinlich dem ein oder andern nicht gerecht werden können. So baut sich Stress auf, der ganz sicher auf einen dementen Patienten abfärbt, der dann z. B. mit Unruhe/Aggressivität reagiert - was dann mediziert wird/werden muss, da sonst das ganze System zu kippen droht (KH-Einweisung mit allen Nachteilen, dekompensierende Angehörige usw.).

Minoo
25.02.2016, 18:42
Ich denke, die kurz bemessene Zeit der Pflegekräfte ist den dementen Patienten gegenüber nicht angemessen und auf jeden Fall ein Problem. Vielleicht muss man das ganze von zwei Seiten betrachten, von der des Patienten oder der medizinischen.
Der Patient sollte sich trotz seiner insgesamt nachlassenden Funktion wohl und würdig fühlen. Aggressivität oder Wut sind sicherlich keine schöne Reaktionen und wenn diese durch Medis besser werden ist der Nutzen groß. Wenn es den Patienten aber soweit ruhig stellt, dass fast keine Reaktion mehr möglich ist, mag das für die Pflege gut sein, aber nicht für ihn.
Ich finde es total schwer mich in so einen dementen Patienten hineinzufühlen und habe großen Respekt vor Leuten, die mit diesen Patienten arbeiten. Die individuelle Komponente spielt hier ganz massiv rein und macht es so anspruchsvoll.

Pandora
26.02.2016, 11:42
Ich arbeite in der Gerontopsychiatrie mit teils schwerst dementen Patienten und ja, Psychopharmaka sind in manchen Situationen auch dauerhaft notwendig. Nicht als "Demenztherapie", wie irgendwo weiter oben genannt. Da gibt es ja mit Donepezil und Rivastigmin wenig Möglichkeiten und auch nur bei beginnender Symptomatik.
Das Problem bei fortgeschrittenen Demenzen sind die begleitenden Verhaltensauffälligkeiten, die die Pflege unglaublich schwierig machen, selbst wenn es gute Betreuungsschlüssel in Heimen gäbe (die es meistens aber gar nicht gibt). Wenn Opa seine Situation nicht einschätzen kann, dann wehrt er sich, wenn ihm jemand an die Hose und das Inkontinenzsystem will. Aus Opas Sicht völlig nachvollziehbar und eine normale Reaktion. Aus pflegerischer Sicht ein großes Problem, denn man will ihn ja nicht im eigenen Dreck sitzen lassen, wenn er einfach nicht mehr weiß, wie eine Toilette funktioniert. Nur als ein Beispiel von vielen. Mit Gesprächstherpie oder Sozialtherapie kommt man da ab einem gewissen Punkt nicht weiter.
Ein weiteres Problem sind die großen Ängste, die gerade bei Alzheimer-Patienten entstehen, selbst wenn sie noch in vertrauter häuslicher Umgebung wohnen. Sie wissen, dass irgendwas nicht stimmt, können es nicht einordnen und fühlen sich unsicher, fremd, verängstigt und verzweifelt. Oder Schlafstörungen, weil der Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinander gerät.
Hier ist eine Pharmakotherapie mit Anxiolytika, Antidepressiva oder Schlafmitteln ggf. indiziert. Und bei Situationsverkennungen, die in Fremd- oder Autoaggressivität münden können auch mal Neuroleptika. Wobei wir hier fast nie zu Haloperidol greifen, sondern eher zu vom Nebenwirkungsprofil günstigeren Wirkstoffen wie z.B. Prothipendyl, Olanzapin oder Risperidon. Natürlich immer nach individueller Abwägung und Titrierung der Dosis unter stationärer Beobachtung. Ziel ist es nie, einen "Zombie" zu züchten, sondern dem Demenzkranken (und den Angehörigen) die Ängste/Wut/Ärger zu nehmen, nach Möglichkeit ohne ihn zu sedieren. Wie gesagt, ich rede hier von weit fortgeschrittenen Demenzen, da ist auch die Abwägung Suchtpotential (z.B. bei Lorazepam) oder Langzeitnebenwirkungen eine andere als bei beginnenden Demenzen.