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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : der Psychiater



tom_tom_tom
19.02.2016, 19:50
Hallo,
hoffentlich bin ich hier halbwegs im richtigen Forum gelandet. :-))
Aktuell studiere ich in den letzten Zügen des Masters Psychologie in Österreich. Da die Zeit, die ich hier studiert habe mir netterweise als Wartezeit angerechnet wird und ich vor dem Studium eine Weile gearbeitet haben, komme ich zum nächsten Wintersemester auf 16 Wartesemester, könnte also ein Medizinstudium beginnen und anschließend dann Psychiater zu werden. Dies ist ein Gedanke, der mir schon längere Zeit im Kopf rumschwirrt, zum einen wegen der doch vielfältigeren Therapiemöglichkeiten im klinischen Kontext, gerade was die Behandlung von Patienten mit schwereren Störungen angeht, zum anderen aber auch wegen der deutlich besseren Verdienstmöglichkeiten.
Natürlich wäre dies jetzt noch ein langer Weg, daher recherchiere ich gerade.
Ich habe schon viel hier im Forum gelesen, auch die Suchfunktion wurde ausführlichst bemüht, trotzdem sind noch ein paar Fragen offen:

Die Arbeitsmarktsituation für Psychiater scheint ja momentan sehr gut zu sein, gibt es Anzeichen, dass sich das in nächster Zeit ändert?

Wie stressig ist das Arbeiten als Psychiater in der Klinik, da scheint es ja. je nach Fachrichtung, deutliche Unterschiede zu geben?

Und wie gut sind die Aussichten sich als Psychiater niederzulassen? Wie sieht die Vergütung aus? Was für Fälle sind üblich?

Gibt es weitere Felder neben Klinik und Niederlassung, die als Psychiater in Frage kommen? MVZ?

Da wars fürs Erste, danke für jede Antwort!

jijichu
19.02.2016, 20:41
Momentan findet man als Psychiater relativ einfach eine Arbeit (in den Großstädten kann es manchmal ein wenig kompetetiv werden). Der Psychiater an für sich ist ein recht teurer Facharzt, sodass sich - wie ich von meinen ehemaligen Kommilitonen weiß - eher wenige dafür entscheiden.

Ich kann Dir nur von meinen Erfahrungen berichtet. Ich arbeite in einem Akutkrankenhaus, bin vor kurzem bin ich von einer geschlossenen Station in die Tagesklinik gekommen. Auf der geschlossenen Station war es manchmal stressig weil viele schwer kranke Patienten viel Betreuung (sowohl psychotherapeutisch als auch somatisch) benötigt hatten. Auf der geschlossenen Akutstation ist es immer turbolent, wenn keine psychiatrischen Kollegen, sondern nur oder überwiegend neurologische Kollegen da sind. In den Diensten (3 im Monat, Maximum 4, davon 1 24h Dienst mit der Option, zu teilen) kommt es darauf an, wie sehr wir konsiliarisch gefordert werden.
Ich habe die Arbeit auf den geschlossenen Stationen nicht sehr stressig empfunden, weil es mir großen Spaß gemacht hat, andere Kollegen sehen das anders.

MVZ ist eine Möglichkeit neben der Klinik, ansonsten auch psychiatrische oder psychosomatische Rehas, MDK oder psychiatrische Tageskliniken.

EKT
19.02.2016, 20:51
Die Arbeitsmarktsituation für Psychiater scheint ja momentan sehr gut zu sein, gibt es Anzeichen, dass sich das in nächster Zeit ändert?

Falls weiter so viele Osteuropäer, zunehmend auch Chinesen und andere Ostasiaten einströmen, ist es möglich.


Wie stressig ist das Arbeiten als Psychiater in der Klinik, da scheint es ja. je nach Fachrichtung, deutliche Unterschiede zu geben?

Abhängig von der Personalausstattung. Vergleichsweise eher weniger Stress, allerdings tendenziell steigend. Und sehr abhängig vom eigenen Engagement. Man kann Psych. so oder so betreiben.


Und wie gut sind die Aussichten sich als Psychiater niederzulassen? Wie sieht die Vergütung aus? Was für Fälle sind üblich?

Niederlassungsmöglichkeit abhängig von der Gesundheitspolitik, Lage ähnlich wie in anderen Fächern. Vergütung abhängig von der Arbeitsweise (Stichwort 5-Minuten-Medizin). Fälle: querbeet von Schizophrenie und Demenz über Psychosomatik bis zu Befindlichkeitsstörungen und Lebensberatung.


Gibt es weitere Felder neben Klinik und Niederlassung, die als Psychiater in Frage kommen? MVZ?

Wie in anderen Fächern auch: Behörden, Ämter, Industrie, Gefängnis, Coaching, Bildung etc. pp.

tom_tom_tom
19.02.2016, 21:14
Danke schonmal für die Antworten :)


Momentan findet man als Psychiater relativ einfach eine Arbeit (in den Großstädten kann es manchmal ein wenig kompetetiv werden). Der Psychiater an für sich ist ein recht teurer Facharzt, sodass sich - wie ich von meinen ehemaligen Kommilitonen weiß - eher wenige dafür entscheiden.
[...]

Aber dann vermutlich auch nicht kompetitiver als andere Assistenzarztstellen?
Warum teuer? Wegen der Psychotherapieausbildung? Ich habe gehört, dass diese manchmal vom Arbeitgeber gezahlt wird, ist das auch in beliebteren Städten realistisch?
In meinen Praktika fand ich die geschlossene Psychiatrie auch nicht übermäßig stressig, aber sicherlich, das war in einer vollkommen anderen Situation.


Falls weiter so viele Osteuropäer, zunehmend auch Chinesen und andere Ostasiaten einströmen, ist es möglich.
[...]

Davon sind allerdings wohl alle Ärzte betroffen? Bei Psychiatrie sollte, meiner Vorstellung nach, die ungestörte Kommunikation ja nochmal eine Spur wichtiger sein?



Ein weiteres Thema fällt mir noch ein - der Facharzt für Psychosomatik

Hier im Forum scheint er eher negativ wegzukommen, insbesondere auch, weil es ihn nur in Deutschland gibt - gibt es denn ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Psychiater, welches massiv für die Psychosomatik sprechen würde?

Weiterhin Danke!

jijichu
19.02.2016, 21:20
Aber dann vermutlich auch nicht kompetitiver als andere Assistenzarztstellen?
Warum teuer? Wegen der Psychotherapieausbildung? Ich habe gehört, dass diese manchmal vom Arbeitgeber gezahlt wird, ist das auch in beliebteren Städten realistisch?



Ich finde weniger kompetetiv, ich hatte mich in anderen Großstädten aus persönlichen Gründen mal beworben, da hatte ich von 5 Bewerbungen 3 feste Zusagen, die anderen hatten Stellen, die erst in mehreren Monaten frei gewesen wären.
In Frankfurt z.B. zahlt keine Klinik die Selbsterfahrung (wenn Du die im Einzeln machst kostet es bei dem gängigen Satz von €80-90 und 150 h €12.000), dazu kommen noch die Balint-Gruppen und Autogenestraining, welche alle aus der eigenen Tasche zu zahlen sind. Das ist recht teuer im Vergleich zu anderen Fachrichtungen, auch wenn man es von der Steuer absetzten kann. In Köln wiederum zahlt die Uniklinik die Selbsterfahrung. Wenn Du dann zusätzlich noch eine Psychotherapeutenausbildung machen möchtest (Psychoanalyse, TP, VT), kostet es auch wieder.

tom_tom_tom
19.02.2016, 21:26
Okay, es scheint also sehr auf die jeweilige Stadt anzukommen, das ist schonmal gut zu wissen.
Da scheine ich mich dann aber auch bei den Inhalten der Facharztausbildung geirrt zu haben, ich hatte es so gelesen, dass die Psychotherapieausbildung fixer Bestandteil ist.
Diese müsste aber in der Freizeit gemacht werden?

EKT
19.02.2016, 21:34
Psychotherapieausbildung? Ich habe gehört, dass diese manchmal vom Arbeitgeber gezahlt wird,

Stimmt, allerdings nur eine Grundausbildung, die man für die Facharztanerkennung braucht, die aber für eine gute psychotherapeutische Tätigkeit unzureichend ist.



Bei Psychiatrie sollte, meiner Vorstellung nach, die ungestörte Kommunikation ja nochmal eine Spur wichtiger sein?

Da hast du eine gute Vorstellung, die leider an der Realität vorbeigeht. In Deutschland ist die sprechende Medizin nichts wert.



gibt es denn ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Psychiater, welches massiv für die Psychosomatik sprechen würde?

Nein. Ganz grob kann man sagen: der Psychiater ist breiter einsetzbar, aber nur dann, wenn er sich weit über das Geforderte hinaus in der Psychotherapie fortbildet.

Pandora
20.02.2016, 11:36
Bei uns (mittelgroße Stadt, großes Einzugsgebiet, dementsprechend recht große Fachklinik) gibt es momentan einen großen Mangel an Assistenzärzten. Wir haben einige unbesetzte Stellen. Trotzdem werden Bewerber, die ungeeignet erscheinen (also z.B. keine ausreichenden Sprachkenntnisse für Patientenkontakte und Arztbriefe haben), nicht eingestellt. Es sieht mMn auch nicht so aus, als wenn sich die Stellensituation schnell ändern würde. Liegt aber vielleicht auch am Träger, der die freien Stellen nicht allzu offensiv bewirbt.
Dementsprechend ist bei uns das Arbeiten auf Stationen, je nach ärztlicher/psychotherapeutischer Besetzung, mehr oder weniger stressig. Ein unvorhergesehener Ausfall wegen Krankheit kann das ganze labile System völlig implodieren lassen, die Vertretungssituation ist unschön, jeder ist gut ausgelastet. Bei voller Besetzung ist die Arbeit aber sehr angenehm und gut zu bewältigen. Aus meiner Erfarhung auf jeden Fall deutlich entspannter als in der Somatik.
Dienste (ca. 3/Monat, 24 h-Bereitschaftsdienst) sind aufgrund des großen Einzugsgebietes, der wirklich großen Klinik und der Flüchtlingsproblematik ziemlich anstrengend, teilweise sogar kaum zu bewältigen. Das wird in anderen Klinken sicher anders sein. Dafür haben wir keine Konsildienste.
Fortbildung wird bei uns sehr großzügig unterstützt. Balintgruppe, Supervisionen, Hypnose/AT und ein Großteil der PT-Fortbildungen findet in-house statt und wird komplett übernommen. Für die Selbsterfarhung wird der Anteil übernommen, der in unserer Gegend am günstigsten angeboten wird (in dem Fall eine VT-Gruppenselbsterfahrung eines bestimmten Instituts). Fahrtkosten und alles was über diesen Betrag hinaus geht, wenn man z.B. eine Einzelselbsterfahrung macht, muss man selbst draufzahlen. Insgesamt aber sehr großzügig und durchaus nicht selbstverständlich.

kekskruemel
20.02.2016, 12:27
Stimmt, allerdings nur eine Grundausbildung, die man für die Facharztanerkennung braucht, die aber für eine gute psychotherapeutische Tätigkeit unzureichend ist.

Diese Ärzte können aber trotzdem psychotherapeutisch arbeiten?
Wie ist deine Einschätzung: Wie viele machen nur die notwendige Grundausbildung und wie viele legen noch was drauf?

EKT
21.02.2016, 08:22
Diese Ärzte können aber trotzdem psychotherapeutisch arbeiten?

Ob sie es "können", ist stark zu bezweifeln, "dürfen" tun sie es natürlich.


Wie ist deine Einschätzung: Wie viele machen nur die notwendige Grundausbildung und wie viele legen noch was drauf?

Zahlen hab ich dazu nicht. Wenn jemand nur psychiatrisch arbeiten will/kann, macht er zumeist keine weiteren psychotherapeutischen Fortbildungen. Wenn er sich psychotherapeutisch interessiert und entsprechend tätig ist, wird er sich in aller Regel fortbilden. Allerdings ist es erschreckend, wie viele Kollegen therapeutisch tätig sind, ohne eine grundlegend wichtige intensive Einzelselbsterfahrung gemacht zu haben - ein Grund für viele scheiternde Behandlungen.

tom_tom_tom
21.02.2016, 15:25
Da ist ja schon einiges zusammengekommen :)

Wie sieht es denn mit der Berufszufriedenheit aus? Würdet ihr euch wieder für die Psychiatrie entscheiden?

EKT
21.02.2016, 16:57
Wie sieht es denn mit der Berufszufriedenheit aus? Würdet ihr euch wieder für die Psychiatrie entscheiden?

Für die "Materie" Psychiatrie würde ich mich wieder entscheiden. Die real existierenden Gegebenheiten über alle Einsatzgebiete hinweg sind in unserm Land alles andere als befriedigend, um es vorsichtig auszudrücken.

flotze
25.02.2016, 17:54
Hey, für den Bereich Erwwachsenenpsychiatrie hat EKT sicherlich recht. HAbe dort 2 jahre geabreitet (geschützter Geronto(Demenz)-Bereich und akute Aufnahmestation.

Bin nun jetzt seit ca 1.5 jahren in der KJP und bereue keine Sekunde.

Bei uns MÜSSEN wir eine 3 jährige verhaltenstherapeutische Weiterbildung in Königslutter absolvieren, wobei die Freitage als Arbeitszeit gelten und die Samstage Privatvergnügen sind. Kosten werden voll übernommen incl. Fahrtkosten und Unterbringung.

Selbsterfahrung wird nicht übernommen, die Zeit gilt jedoch als Arbeitszeit und muss nicht extra frei genommen werden.

Wobei ich ein Grundgerüst an VT schon wichtg finde. Letztendlich merke ich immer mehr, dass ich so langsam meinen eigenen Stil entwickle und das bringt Spass. Wobei wir wirklich viel Freiheit in der Klinik haben. Natürlich finde ich die Erfahrungen die man in der Erwachsenenpsychiatrie gesammelt sehr wichtig. hab gerne somatisch gearbeitet und fand die medikamentösen Erfahrungen , von Arrythmie bis knalle psychotisch sehr lehrreich

Rickettsia
05.03.2016, 19:58
Allerdings ist es erschreckend, wie viele Kollegen therapeutisch tätig sind, ohne eine grundlegend wichtige intensive Einzelselbsterfahrung gemacht zu haben - ein Grund für viele scheiternde Behandlungen.

Da muss ich dir recht geben! In der Psychosomatik ist die Psychotherapie-Ausbildung, die du bis zur FA-Prüfung absolviert haben musst, deutlich umfangreicher (Selbsterfahrung, Theorie, Ausbildungsfälle). Und das merkt man auch... ohne mich jetzt selbst beweihräuchern zu wollen ;-) Hab auch gehört, dass manche Kliniken da Zuschüsse geben, aber noch niemanden getroffen, dem dieses Glück persönlich widerfahren ist...

Die Stellensituation habe ich im Psychiatrie-Fremdjahr so erlebt: In 8 Kliniken wurde es überhaupt nicht ermöglicht, in Teilzeit zu arbeiten. Und in der einen, in der es doch ging, wurde mir in der ersten Woche offenbart, dass ich für das Arbeitspensum von 2,5 Planstellen eingeteilt war. Ab der 3. Einarbeitungswoche wurde ich im Dienstplan reichlich bedacht und kam auf 6-7 Dienste pro Monat... Also Chinesen waren dort keine, aber einen großen Unterschied hätten die auch nicht gemacht, weil vor lauter somatischer Versorgung und Verwaltungskram eh kaum Zeit für Einzeltherapie-Sitzungen blieb, in denen mangelnde Sprachkenntnisse ein Hindernis gewesen wären...

EKT
05.03.2016, 20:18
Da muss ich dir recht geben! In der Psychosomatik ist die Psychotherapie-Ausbildung, die du bis zur FA-Prüfung absolviert haben musst, deutlich umfangreicher (Selbsterfahrung, Theorie, Ausbildungsfälle). Und das merkt man auch... ohne mich jetzt selbst beweihräuchern zu wollen ;-)


Dieses Thema gab es hier schon zu Genüge.
Nur so viel (und falls hier ein unsicherer Weiterbildungskandidat oder Stud. mitliest): Was vor der FA-Prüfung gemacht wird, ist weniger wichtig (Chirurgen lernen operieren auch erst nach dem FA richtig). Das, was Psychosomatiker in ihrer Ausbildung an PT mehr gemacht haben, habe ich nach meiner FA-Prüfung um ein Vielfaches übertroffen (SE, Theorie, Supervision, Spezialtherapien. eigene Therapiepat.). Zusätzlich jedoch kann ich schwer- und schwerstkranke Psychiatriepatienten behandeln und bin in der Lage, das von dir beschriebene Chaos in einer "Anstalt" zu managen. Mithin habe ich einen Gesamtüberblick und die Fähigkeit zur differentiellen Einschätzung von Pat. innerhalb der Erwachsenen-Psycho-Welt.:-luigi

kekskruemel
05.03.2016, 20:59
EKT, darf man fragen, wie lang du bereits deinen Facharzt hast?

EKT
05.03.2016, 21:05
Gut vier Jahre.