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Syringa
06.07.2016, 16:47
Moin an alle, die mir hier vielleicht denken helfen wollen...;-)

Alter Herr, jetzt in HA-Praxis übernommen. Bei Z.n. (osteoporotischen) Wirbelfrakturen Fentanyl 50 µg TTS alle drei Tage. Zusätzlich seit vielen Jahren Paracetamol comp (500mg/ 30 mg Codein) bis zu 8 Tabletten täglich. Erwartungsgemäß erhöhte Leber-und Nierenwerte im Labor.

Zum einen soll das Paracetamol comp möglichst sofort beendet werden, zum anderen bin ich mit Fentanyl TTS nicht wirklich glücklich. Jetzt jongliere ich hier mit Äquivalenzdosistabellen und Fachinfo, letzlich scheint mir insgesamt Tilidin/Naloxon als Monotherapie am sinnvollsten zu sein? Wenn ja wie? Müsste man ja eigentlich aufdosieren, wenn man das Pflaster weglässt (lange HWZ)? Oder irgendwelche anderen Ideen?

Danke für Input, Syringa

Evil
06.07.2016, 17:08
Warum umstellen? Und welchen Vorteil soll das Tilidin gegenüber einem starken Opiat bringen, außer daß dem Patienten schwindelig wird und das Sturzrisiko ansteigt?

Wenn Du lieber oral was geben willst als transdermal, würde ich Oxycodon oder Hydromorphon wählen, z. B. Oxycodon 20mg 2x tgl.

Brutus
06.07.2016, 17:36
Tilidin macht keinen Sinn, weil er ja mit Fentanyl 50µg/h anscheinend nicht suffizient abgedeckt ist, wenn er zusätzlich Paracetamol comp braucht (war da nicht was mit PCM als Schmerzmittel ist unterlassene Hilfeleistung... aber lassen wir das).
Du kannst entweder das Fentanyl erhöhen, z.B. auf 75µg/h plus Bedarfsmedikation (wenn er compliant ist), oder aber Du rotierst wie Evil sagte aufs Oxycodon, wobei ich mit 2*10mg anfangen würde. 2*20mg wäre IMHO ein bißchen viel. Wenn es nicht reicht, kann man ja auf 3*10mg erhöhen oder eben auf 2*20mg...
Interessant wäre noch, wie stark die Schmerzen sind, und WANN er die Schmerzen hat. PCM comp hilft ihm? Also in Kombination mit Fentanyl?

Syringa
06.07.2016, 17:53
Vielen Dank, dass ihr mir da einhelfen wollt.
Das Paracetamol comp nimmt er schon seit sehr vielen Jahren, wohl wegen der Osteoporose. Die WK-Frakturen sind vom letzten Jahr und wohl der Anlass für die zusätzliche Fentanyltherapie. Er gibt an, mit den vier PCM/comb in der Regel hinzukommen, aber auch bis zu acht zu nehmen. Das Codein macht mir da nicht den Kopf, Opiatabhängigkeit besteht hier ja eh. Das PCM will ich schon wegen der erhöhten Leber-und Nierenwerte heraushaben.
Über die Umstellung hatte ich nachgedacht, weil die Pflaster nach meinen Erfahrungen häufig nicht am Pat., sondern an der Wäsche kleben, ggf. auch doppelt geklebt werden.
Letzlich sind die Pflaster aber auch von den Tagestherapiekosten deutlich höher als eine orale Medikation, wenn ich mich da nicht vertan habe.

Relaxometrie
06.07.2016, 17:54
letzlich scheint mir insgesamt Tilidin/Naloxon als Monotherapie am sinnvollsten zu sein?
Nach dem WHO-Schmerzschema gehört aber ein bis zur Höchstgrenze dosiertes, peripheres Analgetikum immer zu einem Opiat dazu.

Syringa
06.07.2016, 17:54
Achso wann er die Schmerzen hat..ist unterschiedlich, kein Auslöser, keine Spitzen. Wohl von der Tagesform abhängig.

Syringa
06.07.2016, 17:56
Nach dem WHO-Schmerzschema gehört aber ein bis zur Höchstgrenze dosiertes, peripheres Analgetikum immer zu einem Opiat dazu.


Sorry, war blöd formuliert....Monotherapie meinte hier das Ersetzen zweier zur Zeit kombinierter Opiate.

Als peripheres Analgetikum bliebe dann jedoch nur NVS, NSAR sind hier nicht möglich.

Trenn
06.07.2016, 18:26
Interessantes Thema, in der Neurologie haben wir auch oft mit Rückenschmerzen aufgrund von degenerativen Wirbelsäulenveränderungen zu tun. Novalgin und Fentanyl scheint in der Konstellation die einzige mögliche Kombination zu sein. Meistens haben wir in der Klinik noch Dipidolor s.c. als Bedarfsmedikation bei bestehender Opioid+NSAR/PCM/Novalgin-Kombi.
Was halten die hier erfahrenen Schmerztherapeuten von Effentora b.Bed. bei bereits hoher Fentanyl-TTS-Grundmedikation. In der Tumortherapie sagt man ja, dass man 1/6 der Opioid-Tagesdosis als Bedarfsmedikation bei Schmerzspitzen/Durchbruchschmerzen geben soll. Ist das auch übertragbar für chronisches Rückenleiden? (nur so aus Interesse, da wir es sowieso auf Station nicht gelistet haben...)

Atropin
06.07.2016, 18:31
Wir nehmen bei Niereninsuffizienz gerne Hydromorphon. Wenn du das Fentanylpflaster beenden willst würde ich nach Tabelle umstellen zu Palladon ret. 8 mg 1-0-1 und (das hat den Charme der Bedarfsmed) starten mit Palladon akut 1,3 bei Bedarf. Das PCM kann bei Niereninsuffizienz ja bleiben, bei uns (große Uni im Norden) wird PCM -außer im akuten Leberversagen- auch bei erhöhten Leberwerten gegeben bis 3 g/d.
Lg

Brutus
06.07.2016, 18:54
Ähhhm! Wieso stellt ihr alle 1:1 nach Umrechnungstabelle um? Wir gucken die Äquivalenzdosis und reduzieren bei der Opiatrotation auf 1/3 - 1/2 der ursprünglichen Opiatdosis. Sprich bei 50µg/h Fentanyl wären das 30-40mg Oxycodon oder Targin und 8 mg Palladon am Tag. Dazu gibt man dann die unretardierte Bedarfsmedikation, also Oxycodon akut 2,5-5mg oder 1,3-2,6mg Palladon. Und dann guckt man, wie häufig der Patient den Bedarf benötigt und rechnet die Tagesdosis des unretardierten Wirkstoffs aus...

Edit: Wenn er es verträgt, gerne noch 4*1g Novalgin dazu. Dann kommt er u.U. mit der geringeren Dosis von 1/3 hin... ;-)

Syringa
06.07.2016, 19:39
Danke an alle Mitschreibenden für die hilfreichen Tipps!

dmtec
07.07.2016, 00:02
Bin zwar kein Anästhesist, aber aus der Praxis kann man die Umrechnungstabellen 1:1 in die Tonne kloppen. Am besten ists wenn man selber mal durch die fiese OP oder Unfall in den Genuss einer Opiattherapie gekommen ist :P
Der Vorteil von Tilidin/Naloxon liegt (u.a.) übrigens darin, dass das Naloxon nur prähepatisch wirksam ist und somit die Opiatobstipation reduziert.
Würde auch Novamin/Ibu reinnehmen+Fentanyl erhöhen, oder auf Oxygesic retard umstellen 2x 20/40 + 10 akut im Bedarfsfall.

ChillenMitBazillen
07.07.2016, 00:02
Ich würde nicht alles auf einmal umwerfen, zumal der Patient ja scheinbar nicht unzufrieden ist.

- Ich hätte dem Patienten wahrscheinlich primär kein Pflaster verordnet (Kosten; kein Vorteil der parenteralen Gabe, wenn sowieso 10 andere Tabletten genommen werden). Jetzt hat er aber sein Pflaster, die Substanz ist geeignet, also würde ich das zunächst belassen. Falld du das Pflaster ersetzen willst: Wir verabreichen stationär das neue Opiat 6h vor Entfernung des Pflasters, beim Wechsel auf Pflaster wird das Pflaster 12h vor Ende der alten Opiattherapie aufgebracht.

- Nichtopiat: Ich würde das Paracetamol wie schon von anderen vorgeschlagen durch Novalgin ersetzen. Bessere Wirkung, leberverträglicher, Niereninsuffizienz ist keine KI. Laut WHO-Stufenschema gehört immer ein Nichtopiat dazu, aber das ist ja auch nicht in Stein gemeißelt. Es gibt durchaus Patienten mit KI für alle Nichtopiate, die auch ohne Nichtopiat glücklich und zufrieden sind.

- Bedarfsopiat: gehört in der Tumortherapie dazu, bei einem Patienten, der seit Jahr und Tag ohne glücklich ist, kann man das diskutieren. Aber nur weil das Retardopiat Fentanyl ist, muss das Bedarfsopiat nicht das unsäglich teure Effentora sein! Das geht wunderbar auch mit Morphintropfen, Palladon akut etc. Ich wähle aber gerne ein Retardopiat, das es auch in fein abgestufter unretardierter Form günstig gibt - was das angeht, ist Morphin immer noch ungeschlagen (Retardtabletten, Retardgranulat, Tropfen, Tabletten etc).

- Bei solchen Opiatdosen sollte man auch an die Prophylaxe/Therapie der Obstipation denken.

- Die Osteoporose ist ja hoffentlich suffizient therapiert mit Bisphosphonat etc.

Brutus
07.07.2016, 06:45
Bin zwar kein Anästhesist, aber aus der Praxis kann man die Umrechnungstabellen 1:1 in die Tonne kloppen. Am besten ists wenn man selber mal durch die fiese OP oder Unfall in den Genuss einer Opiattherapie gekommen ist :P
Aha. Und was hat ein Akutereignis mit der Umrechnungstabelle zu tun? Wie gesagt: bei Opioidrotation zuerst die Äquivalenzdosis ausrechnen und dann um die Hälfte reduzieren. Gescheite Bedarfsmedikation dazu und gut ist. Nach ein paar Tagen reevaluieren und anhand der Bedarfsmedikation Dosis erhöhen oder wenn möglich ggf. reduzieren. Das betrifft aber Patienten, die eben schon lange ein Opiat genommen haben und nun einen Wirkverlust haben. Eben NICHT die Patienten nach OP. ;-)


Der Vorteil von Tilidin/Naloxon liegt (u.a.) übrigens darin, dass das Naloxon nur prähepatisch wirksam ist und somit die Opiatobstipation reduziert.
Herzlich Willkommen in der Welt der Pharmavertreter. Die Kombipräparate machen trotzdem eine Obstipation. Ist halt individuell verschieden. Genauso wie der eine Patient trotz hoher Mophin/Oxycodon/Palladon Dosen KEINE Obstipation entwickelt gibt es Patienten, die bei geringen Dosen Tilidin/Naloxon Movicol brauchen. Ich gebs deswegen immer mit rein. Wenn die Patienten es nicht brauchen.... schön für sie. Übrigens wäre ein Pendant das Targin, das ich oben schon mal geschrieben habe. Auch da wird ja immer gesagt, dass es gegeben werden sollte, wenn das Oxycodon alleine eine Obstipation machen würde. Aber auch da gibt es eben Patienten die trotzdem bei Targin weiterhin ihr Movicol brauchen. ;-)


Würde auch Novamin/Ibu reinnehmen+Fentanyl erhöhen, oder auf Oxygesic retard umstellen 2x 20/40 + 10 akut im Bedarfsfall.
Und noch einmal: ich halte schon 2*20mg für recht viel. Bei 2*40mg PLUS Bedarf (den er eher nicht benötigen wird) dürfte der Patient wie ein Zombie durch die Stadt laufen.

Peter_1
07.07.2016, 08:51
Herzlich Willkommen in der Welt der Pharmavertreter. Übrigens wäre ein Pendant das Targin, das ich oben schon mal geschrieben habe. Auch da wird ja immer gesagt, dass es gegeben werden sollte, wenn das Oxycodon alleine eine Obstipation machen würde. Aber auch da gibt es eben Patienten die trotzdem bei Targin weiterhin ihr Movicol brauchen. ;-).

Und genau deshalb eben kein Targin im Erstangriff (und auch wenn sie unter Oxycodon mono obstipieren, dann erstmal Movicol etc. ausschöpfen), wie es nahezu regelhaft in manchen Krankenhäusern erfolgt. Ich ärgere mich regelhaft über die Targinverschreibungen, die mir aus manchen Häusern entgegenflattern. Es gab diesbezüglich zumindest in Hessen Rundschreiben der KV, dass Targin keinen Vorteil bietet und auch zB das Arzneitelegramm sieht das so.

Brutus
07.07.2016, 09:42
Aber wenn der Pharmavertreter das doch so sagt? ;-)

Nee, ich weiß, dass unsere Chirurgen durch die Bank Targin postoperativ aufschreiben, eben weil das ja keine Obstipation machen würde. Und wundern sich dann, wenn die Patienten trotzdem nicht abführen. Aber der PDK ist böööööse und wird baldmöglich rausgezogen...
Naja, steter Tropfen und so... :D

Auf der anderen Seite regen mich aber dann wiederum Niedergelassene auf, die nach 14 (!) Tagen stationärer Schmerztherapie und mehrfachem Opioidwechsel wegen Unverträglichkeit / Wirksamkeit dann das letztendlich "gefundene" Targin gegen Oxycodon austauschen und die Patienten 4 Wochen später wieder auf der Matte stehen und sagen, dass die ganze Therapie nix gebracht hat...

Syringa
07.07.2016, 20:20
Und noch einmal: ich halte schon 2*20mg für recht viel. Bei 2*40mg PLUS Bedarf (den er eher nicht benötigen wird) dürfte der Patient wie ein Zombie durch die Stadt laufen.

Alter Herr weit > 80, multimorbid. ;-)

Syringa
07.07.2016, 20:22
Danke an alle für die Denkhilfe. Ich belasse das Fentanylpflaster, ggf. noch mit Dosissteigerung, addiere das NVS und schaue, wie es passt.

Die unterschiedlichen Ansätze hier haben mir aber vieles klarer gemacht. Leider habe ich hier wohl doch noch Nachholbedarf in Theorie und Praxis....:-oopss

Peter_1
08.07.2016, 07:26
Aber wenn der Pharmavertreter das doch so sagt? ;-)
Auf der anderen Seite regen mich aber dann wiederum Niedergelassene auf, die nach 14 (!) Tagen stationärer Schmerztherapie und mehrfachem Opioidwechsel wegen Unverträglichkeit / Wirksamkeit dann das letztendlich "gefundene" Targin gegen Oxycodon austauschen und die Patienten 4 Wochen später wieder auf der Matte stehen und sagen, dass die ganze Therapie nix gebracht hat...

Und aus welchen rationalen, pharmakologischen Gründen soll jetzt gleich das Oxycodon Mono schlechter schmerzwirksam sein als das Targin? Das wurde ja noch nicht mal vom Hersteller behauptet, der angebliche Vorteil bezieht sich rein auf die Obstipation und auch das stimmt leider nicht. Irgendwie widersprüchlich, aber gut so ist das manchmal. Zum Thema Ärger über Niedergelassene: akzeptiert doch in der Klinik, dass wir unter ganz anderen Zwängen arbeiten als Ihr, haben wir uns auch nicht ausgesucht, ist aber so. Wenn die KV ein Rundschreiben schickt warum Targin maximal unwirtschaftlich ist, dann würdest Du Dir wahrscheinlich auch dreimal überlegen ob du es weiter verordnest egal was der große Zampano in der Klinik sagt, zumal es auch pharmakologisch keinen sinn macht wie Du ja selber schreibst. Meine Erfahrung mit stationären Schmerztherapien ist übrigens oft so, dass nach 4 Wochen wieder alles beim Alten ist, auch wenn man nix an den Vorschlägen ändert :)
Schmerzpatienten sind halt irgendwie oft schwierig.

Evil
08.07.2016, 09:36
Je nach Hersteller kann sich tatsächlich die Wirkung unterscheiden zwischen Targin und Oxycodon, wie auch zwischen verschiedenen Oxycodon-Generika.
Das bezeichnet man dann als Pharmakokinetik, weshalb neuerdings der Generika-Austausch von Opiaten untereinander auch ohne "Kreuz" nicht mehr zulässig ist, wie Du weißt.

Das spricht nicht unbedingt von vorne herein für das teure Targin, es macht aber Sinn, bei erprobter Wirksamkeit auch mal ein teures Präparat beizubehalten.