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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wie lange wird es den Notarzt noch geben?



Hambro
01.09.2016, 21:26
Hallo liebe Forenmitglieder,

ich weiß nicht, in welchem Bereich ich die Frage stellen sollte, deswegen versuche ich es einmal hier. :-?

Die Frage mag sich komisch anhören, aber ich frage mich zurzeit, wie lange es den Notarzt noch geben wird.
Ich habe vor Medizin zu studieren und den Facharzt für Anästhesie zu machen, damit ich auch als Notarzt arbeiten kann.

Mittlerweile ist es ja bekannt, dass es vor allem in ländlichen Bereichen nur wenige Notärzte gibt, weswegen ja nun der Notfallsanitäter die Ausbildung zum Rettungsassistenten abgelöst hat und mit Notfallkompetenzen ausgestattet wurde, sodass ein Notarzt nicht mehr in jedem Fall dazu gerufen werden muss. Desweiteren gibt es ja auch schon einen Telenotarzt, der per Telefon den Notfallsanitätern in einer Notfallsituation zur Seite steht.

Nun frage ich mich: Wie lange wird es den Notarzt, wie man ihn heute kennt (im NEF oder RTH) noch geben? Ist dieser Beruf wirklich schon ein "Auslaufmodell", oder kann dieser eigentlich nie ersetzt werden?

Liebe Grüße

ehem-user-11022019-1151
01.09.2016, 21:42
Hallo,
es gibt hier ein Rettungsdienst-Forum, vielleicht verschiebt ja einer der Mod das Thema dahin :)

Eigentliche eine gute Frage.
Jedoch denke ich nicht, dass das Konzept "Notarzt" ein Auslaufmodell ist.
Zum einem dauert es noch einige Jahre, bis es zum einen genügend ausgebildete NFS gibt, zum anderen dauert es ziemlich lange, bis alle RettAss umgeschult sind.
Zu der Sache mit den Kompetenzen.
Hier sieht es im Moment so aus, dass diese Kompetenzen von dem ÄLRD genehmigt werden müssen.

Ich persönliche bezweifle, dass ein NFS einen NA komplett ersetzen kann. Natürlich hat ein alter Hase im Rettungsdienst einen größeren Überblick als der frische NA, der gerade sein zweites oder drittes WB-Jahr angefangen hat.
Jedoch gibt es verschiedene Situationen, in denen der RettAss einfach etwas überfordert wäre.
Nehmen wir als Beispiel die Intubation. Für einen Anästhesisten tägliches Brot. Nenne mir einen RA bzw NFS der mind 50 Intubationen im Jahr macht.
Ein anderes Beispiel sind die Medikamente. Die heutigen NFS werden in Pharmakologie besser ausgebildet als wir RAs damals. Jedoch wage ich zu bezweifeln, dass ein NFS wirklich alle Indikationen, Kontraindikationen, Wirkungsmechanismen, Unverträglichkeiten kennt und im Zwischenfall eine adäquate Behandlung durchführen kann.

Ich schätze, dass unser System in Deutschland zu einem der besten zählt und ich denke, dass die notärztliche Versorgung da eine große Rolle spielt.
Was sich ggf. ändern könnte, ist, dass z.B. der NA nicht zu jedem Unterzucker gerufen wird.

Nur zur Info, die Ausbildung NFS gibt es nicht, weil es zu wenig NAs gibt. :)

Ps: bevor jemand sagt, ich stelle den Rettungsdienst schlecht dar und halte die NAs für das einzig Wahre im RD - ich weiß, wovon ich rede ;)

Hambro
01.09.2016, 21:52
@Liel
Danke für die Antwort! :)

Ich gehe zurzeit in die 12. Klasse und versuche, direkt nach dem Abitur mit dem Medizinstudium zu beginnen.
Wenn ich dies tatsächlich schaffen sollte, würde ich ja sowieso frühestens 2026/2027 als Notarzt fahren dürfen. Bis dahin geht ja einige Zeit ins Land. Es ist einfach ein Traum von mir, Notarzt zu werden und ehrlich gesagt auch einer der Gründe, warum ich Medizin studieren möchte. Es wäre schon blöd, wenn es dann nicht mehr möglich ist, als Notarzt zu fahren. :-notify

Dazu kommt ja auch noch das Problem mit den Honorarverträgen der Notärzte. Diesbezüglich ist ja ganz schön was los.

Liebe Grüße

nie
01.09.2016, 22:02
Ich fahre in einem Bundesland in dem bereits Rettungsassistenten sehr viel dürfen und sich die Kompentenzen durch den Notfallsanitäter nur in geringem Maß erweitern werden. Wir kommen hier schon recht oft ohne Notarzt aus aber eben auch oft genug nicht. Der Notarzt hat immer noch genug zu tun und es wird immer Einsätze geben, für die man Notärzte braucht.
Z.b. wird ein Notfallsanitäter auch präklinisch keine Narkose fahren können und auch viele Medikamente werden weiterhin den Ärzte vorbehalten sein. Rein fachlich wird man auch in Zukunft Notärzte brauchen.

Dass Notärzte, gerade die freiberuflichen Notarzte, aktuelle einen schlechten Stand haben, ist allerdings wahr. Da wird sich vermutlich in Zukunft noch einiges ändern und wenn der Notarzt irgendwann man mal keine Zukunft mehr hat, wird es eher an der Bürokratie scheitern.

ehem-user-11022019-1151
01.09.2016, 22:09
Z.b. wird ein Notfallsanitäter auch präklinisch keine Narkose fahren können und auch viele Medikamente werden weiterhin den Ärzte vorbehalten sein. Rein fachlich wird man auch in Zukunft Notärzte brauchen.
.

Das sehe ich auch so.
Jedoch habe ich das Gefühl, dass sich in unserem Kreis das bisschen in die falsche Richtung entwickelt hat. Bisher hatten wir die Regelung, dass RettAss zu Schlaganfällen immer alleine fuhren und nur wenn Faktoren wie Bewusstseinstörungen etc dazu kamen, der NA mitalamiert wurde bzw. dann im Zweifelsfall nachgefordert wurde, was jedoch eher die Ausnahme blieb.
Nun wurde die strukturierte Notrufabfrage eingeführt und prompt wird zu jedem Schlaganfall IMMER ein NA einbestellt.
Wenn das so bleibt, muss man sich keine Sorgen über die Arbeit der NA machen.

WackenDoc
06.09.2016, 17:50
Man muss übrigens kein Anästhesist sein, um Notarzt zu sein.
Ich bin z.B. Allgemeinmediziner und arbeite als Notarzt. Ich hab halt weniger Erfahrung mit Intubationen und stelle die Indikation strener als meine Kollegen, dafür habe ich andere Stärken.

Und ich denke auch, dass es auch in Zukunft Notärzte geben wird. Auch wenn die NFS mehr Maßnahmen dürfen als RAs, gibt es immer noch Dinge, in denen ein Notarzt einfach besser ausgebildet ist.

Aber ganz wichtig- ich finde, gerade im RD ergänzen sich die unterschiedlichen Qualifikationen ganz gut. Trotz der üblichen Frotzeleien. So schlimme Grabenkämpfe wie im Krankenhaus habe ich da zumindest nicht systemimmanent erlebt, sondern nur an Einzelpersonen gebunden.

Das Problem mit den Honorarärzten besteht eher in einem juristischen Problem, was sich hoffentlich in naher Zukunft klärt.

JazzKo
06.09.2016, 23:39
Darf ein NFS den Tod feststellen? Bzw. stimmt die Aussage, dass nur der Arzt den Tod "feststellen" darf und der RTW im Todesfall stehen bleiben muss? Das wurde mir zumindest mal so von einem Rettungs-Assistenten so erzählt.

ehem-user-11022019-1151
06.09.2016, 23:45
Darf ein NFS den Tod feststellen? Bzw. stimmt die Aussage, dass nur der Arzt den Tod "feststellen" darf und der RTW im Todesfall stehen bleiben muss? Das wurde mir zumindest mal so von einem Rettungs-Assistenten so erzählt.

Todesfeststellung ist Arzt-Sache in Deutschland und wird auch nicht geändert

Was genau mit "RTW bleibt stehen" gemeint ist, weiß ich nicht.
Es ist so, dass, je nach Bundesland, kein Toter mit dem RTW transportiert werden darf. Also es stirbt niemand unterwegs, wenn dann in der Klinik.
Wenn eine Reanimation im RTW stattfindet, kann das ggf als "Tatort" benannt werden und wird demenstprechend auch so behandelt und dann muss der RTW stehen bleiben.
Dieser Fall tritt aber sehr sehr selten ein.

MareikeW
07.09.2016, 06:34
. Also es stirbt niemand unterwegs, wenn dann in der Klinik.
….
Dieser Fall tritt aber sehr sehr selten ein.

…weil die lebenserhaltenden Maßnahmen so sicher sind oder weil so selten wirklich jemand reanimiert werden muss?

Kiddo
07.09.2016, 08:50
Einer unserer Anästhesisten, der auch regelmäßig als Notarzt unterwegs ist, hat mir erzählt, dass es in Zukunft den Facharzt für Notfallmedizin geben soll, der das aktuelle Modell mit dem "Notfallschein" ablösen soll. Klingt auf jeden Fall interessant.

nie
07.09.2016, 10:28
…weil die lebenserhaltenden Maßnahmen so sicher sind oder weil so selten wirklich jemand reanimiert werden muss?

Weil der Arzt entscheidet, wann eine Reanimation keinen Sinn mehr macht und ohne Erfolg beendet wird.

In den meisten Fällen ist das bereits vor Ort der Fall und die betreffende Person kommt gar nicht erst in den RTW. Bei Personen, die unter Reanimation transportiert werden, besteht in aller Regel die Chance, dass die Reanimation Erfolg haben könnte und sie werden in jeden Fall bis ins Krankenhaus reanimiert und dort wird dann (mit Hilfe weiterer Diagnostik) weiter entschieden.

Auch Patienten, die erst auf dem Transport reanimationspflichtig werden oder Patienten bei denen die Reanimation im RTW voraussichtlich erfolglos ist werden bis ins Krankenhaus reanimiert um eben zu vermeiden, dass der RTW auf der Bundesstraße/in der Innenstadt/wo auch immer stehen bleiben muss bis
Bestatter, Kripo usw. da sind.



Edit:


Das sehe ich auch so.
Jedoch habe ich das Gefühl, dass sich in unserem Kreis das bisschen in die falsche Richtung entwickelt hat. Bisher hatten wir die Regelung, dass RettAss zu Schlaganfällen immer alleine fuhren und nur wenn Faktoren wie Bewusstseinstörungen etc dazu kamen, der NA mitalamiert wurde bzw. dann im Zweifelsfall nachgefordert wurde, was jedoch eher die Ausnahme blieb.
Nun wurde die strukturierte Notrufabfrage eingeführt und prompt wird zu jedem Schlaganfall IMMER ein NA einbestellt.
Wenn das so bleibt, muss man sich keine Sorgen über die Arbeit der NA machen.


Hier ist es irgendwie umgekehrt. Wir werden zunehmend auch zu Sachen alleine geschickt, bei denen eigentlich ein Notarzt mit muss.
Für Hypertensive Krisen werden wir zum Beispiel oft alleine rausgeschickt obwohl wir da keinerlei Möglichkeiten zur (medikamentösen) Therapie haben.
Oder Probleme, bei denen Schmerzmittel nötig sein könnten (Frakturen, Lumbargo).
Da geht man dann erstmal davon aus, dass es nicht sooo schlimm ist und wir ohne Medikamente auskommen. Wenns doch schlimm ist, muss man halt den Notarzt nachfordern.

Kazadur
07.09.2016, 12:50
Ich habe vor kurzem noch eine Diskusion hierüber mit einem mir sehr gut bekannten NA geführt. Er ist der Meinung, dass durch den NFS auf keinen Fall die NA's aussterben werden, im Gegenteil geht er davon aus, dass die Anforderungen an einen NA dadurch sogar höher werden, denn aufgrund der erweiterten fachlichen Kompentenz des NFS gegenüber dem RA muss der NA dazu in der Lage sein, dass wenn ein NFS mit seinem Latein am ende ist noch eins oben drauf zusetzen. Vielleicht wird die Einsatzfrequenz ansich geringer aber die Qualität der Einsätze und die Herrausforderungen für den NA werden steigen. Ich muss ganz ehrlich sagen ich finde diese Sichtweise garnicht so abwägig.

WackenDoc
07.09.2016, 13:34
In der Diskussion muss man auch zwischen städtischen und ländlichen Gebieten unterscheiden.
Ich kenne einige Städte, in denen RAs fast nichts dürfen und die RTWs so gut wie keine Medikamente mitführen. Da gibt es durchaus regelmäßig Ärger wenn der RA schonmal einen Zugang legt. Städte haben zwar ein hohes Einsatzaufkommen, in der Regel aber auch einige NEFs und reichlich Ärzte. Und im Zweifel ist das nächste Krankenhaus nicht allzu weit weg.

Dagegen gibt es ländliche Gebiete wo der Notarzt schonmal locker 20-25min durch die Pampa fährt, bis er am Notfallort ist. Oder der Notarzt ist in einem Einsatz gebunden und der nächste findet sich irgendwo im Nachbarlandkreis. Die NEF-Dichte ist einfach wesentlich geringer.

Da ist es völlig normal, dass die RTW-Besatzung den Zugang legt und ggf. sogar schon Medikamente vorbereitet. Medikamente sind in der Regel auf den RTWs vorhanden (hat den Vorteil, dass sie ordentlich verstaut sind und der Notarzt sie nicht aus seinem Fahrzeug umräumen muss) In einigen Landkreisen gibt es die Möglichkeit, dass Medikamente nach Rücksprache mit einem Notarzt gegeben werden dürfen, incl. BTM.

In solchen Gebieten sind die erweiterten Fähigkeiten der NFS natürlich Gold wert. Und das neue Gesetz bringt zumidnest von der Idee eine bessere Rechtssicherheit für die NFS.

In letzter Zeit sind Algorithmen auch immer mehr verbreitet. Auch das gibt Sicherheit für beide Seiten. Eine Reanimation mit einem Team in dem alle ACLS geschult sind, ist sogar eine recht enstpannte Angelegenheit.

nie
07.09.2016, 14:14
Ist halt auch Bundeslandabhängig.
Hier ist es auch in der Stadtrettung völlig normal, dass die RAs Zugänge lege und unsere Notärzte würden vermutlich die Krise kriegen wenn sie wegen jedem Zugang rausfahren müssten.
Mein Bekannter aus NRW ist dagegen fast vom Stuhl gefallen als er gehört hat, dass hier z.B. Hypoglykämien völlig ohne Notarztbeteiligung abgehandelt werden.

Im Bezug auf die Landrettung kann ich WackenDoc nur zustimmen. Da haben Notärzte oft eine sehr lange Anfahrt und man ist teilweise schneller mit den Patienten im KH als der Notarzt vor Ort. Viel läuft da deshalb über "load and go" und mittlerweile halt auch mittels telefonischer Rücksprache.
Früher haben die RAs halt einfach gemacht und der Notarzt hat später seinen Namen unter Protokoll geschrieben.

Allein schon wegen solchen Situation bin ich auch der Meinung, dass gerade mit Blick auf die Rechtssicherheit der NFS viele Vorteile bringt.

WackenDoc
07.09.2016, 22:02
Da wo ich fahre, setzt schon jeder seine Unterschrift unter sein Protokoll.
Aber die RAs dürfen einfach mehr.

Aber was mir schon aufgefallen ist- viele RAs kommen bei den Medikamenten schon recht schnell an ihre Limits. Die sind wirklich eher die Domäne der Notärzte.

ehem-user-11022019-1151
07.09.2016, 22:11
Aber was mir schon aufgefallen ist- viele RAs kommen bei den Medikamenten schon recht schnell an ihre Limits. Die sind wirklich eher die Domäne der Notärzte.

Das ist wirklich so!

@nie: bei uns war das auch lange so. Wir sind sehr viel alleine gefahren und haben auch nachfordern müssen. Aber seit der Lst-Umstellung gibts für jeden Quark einen NA.
Ich arbeite im eher ländlichen Gebiet, da kann es vorkommen, dass ich schneller in der Klinik bin, als der NA da ist, dementsprechend machen wir auch viel, aber gerade was Medikamente (außer einige ganz wenige) lasse ich lieber die Finger weg.

@MareikeW: es geht eher darum, dass es, wie nie beschrieben hat, schwierig ist, auf der Bundestraße oder Autobahn einen Bestatter kommen zu lassen und es auch in einigen Bundesländern untersagt ist, Tote bzw Verstorbene im RTW zu transportieren.

nie
07.09.2016, 22:42
Wir haben hier relativ viele Medikamente für RAs freigegeben und können damit schon ein ziemlich breites Spektrum abdecken. Diese Medikamente sollte natürlich jeder RA drauf haben und das wird auch jählich überprüft (habe tatsächlich keine Ahnung wie das in andere Bundesländern so läuft...). Einige RAs wagen sich teilweise auch an Medikamente, die nicht freigegeben sind aber damit ist man rechtlich halt auf ganz, ganz, ganz dünnem Eis und kann nur hoffen, dass ein Notarzt kommt, der das quasi "deckt".

Ich selbst beherrsche halt auch vor allem die freien Medikamente und konnte vor dem Studium die anderen Medikamente auch nur grob der jeweiligen Wirkung zuordnen. Würde mich auch heute nicht an die anderen Medikament dran trauen, habe ich aber in der Stadtrettung auch keinerlei Bedarf. Kommt sogar selten vor, dass ich die freigegebenen Medikament nutzen muss.

WackenDoc
07.09.2016, 22:58
Es gibt einige Notfallmedikamente, die massiv unterschätzt werden. Mein Lieblingsteufelsmedikament ist z.B. Nitrospray- das würde ich keinem RA freigeben wollen.

nie
07.09.2016, 23:53
Ist es denn bei euch freigegeben?

Bei uns schon. Wobei die entsprechenden Medikamente natürlich an klare Indikationen (und Dosierungen) gekoppelt sind und nicht einfach mal gegeben werden dürfen weil irgendwer denkt, dass wäre jetzt ja mal ganz praktisch.

WackenDoc
08.09.2016, 08:49
Keine Ahnung- hab noch nicht erlebt, dass es gegeben wurde, bevor ich da war und ich nutze es sehr selten. War nur ein Beispiel, wie gefährlich vermeintlich bekannte Medikamente sein können.