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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Anästhesie: Führungsstab zurückziehen



lindali
11.11.2016, 15:21
Hallo liebe Sandmänner und Sandfrauen,

in meinem noch frischen, aber lieb gewonnenem Assitenzärztinnen Alltag in der Anästhesie, lerne ich immer wieder neue Prinzipien von allem und jedem, der mehr Erfahrung als ich hat (inklusive Pflege:-))). Teils gibt es da aber auch komplett unterschiedliche Ansichten, wie zum Beispiel beim Intubieren mit Führungsstab.
Der Stab ist beim Crushen (hier vor allem dann im Dienst) Standard bei uns und da gibt es dann die einen, die immer mit Stab intubieren und ihn erst nach dem Blocken komplett rausziehen. Der andere Teil läuft direkt rot an, wenn sie einen so intubieren sehen und appellieren, dass man so ein zu hohes Risiko für Schäden am umliegenden Weichgewebe hat (mit Verweis auf Fälle mit Mediastinalemphysem, Ösophagusrupturen/ fisteln, Trachealrupturen etc) und sagen, dass man den Stab immer zurückziehen soll, sobald die Glottisebene betritt.

Meine Interntrecherchen diesbezüglich fielen sehr mau aus- wie sind also eure Erfahrungen und Ansichten? Vor allem zur ersten Vorgehensweise? Hat das eventuell auch mit der Entwicklung zu tun, dass die Führungsstäbe früher starrer waren bzw es verschiedene Arten gibt? Ich würde mich auch über Literaturhinweise freuen.

Mit besten Grüßen!

Kiddo
11.11.2016, 16:50
Hallo,

ich kann dir bisher nur mit Erfahrungen aus dem Bereich der Anästhesiepflege dienen.

Wie weit hast du den Führungsstab denn raus stehen? Wenn er mit dem Tubus abschließt, wüsste ich nicht, was du damit an Weichteilschäden verursachen solltest. Ich habe in knapp fünf Jahren noch keine Verletzung durch den Führungsstab gesehen. Steht er vorne raus, so kann das durchaus passieren, so zumindest die Aussage vieler ärztlicher Kollegen. Da kaum jemand bei uns in der Klinik mit rausstehendem Führungsstab intubiert, kann ich dir da leider keine Erfahrungswerte geben.

Bille11
11.11.2016, 21:33
Es gibt wohl einige Gutachten und Urteile, die persistente Führungsstäbe nach Durchtritt der Glottisebene als gefährdender als den ungeschienten Tubus betrachten. Ich persönlich empfinde das Rückziehen nach Passieren der Glottisebene als hilfreich für den weiteren weitgehend atraumatischen Vorschub des Tubus, der mir ansonsten zu starr erscheint & gehöre somit subjektiv dem Lager der "Rückzieher nach Glottisebenenpassage" an. Empfehlung - versuche Du, Deine eigenen Erfahrungen zu machen (sofern Dir das Seitens der häuslichen Eminenzen gestattet sei). Man fährt auch immer gut damit, sich das Verhalten und die Argumente eines Senior-Kollegen, dem man fachlich und menschlich vertrauen kann, abzugucken & sich dann eine differenzierte Meinung zu bilden.

Sebastian1
11.11.2016, 21:46
Hat Bille so schön geschrieben... dem schliesse ich mich jetzt einfach mal an :-)

kartoffelbrei
12.11.2016, 09:49
Ich mache es davon abhängig, wie sehr der Tubus durch den Führungsstab vorgebogen ist. Wenn er stark vorgebogen ist, lasse ich auch früh zurückziehen, weil er sonst gefühlt vorne die Trachea durchstoßen muss. Wenn der Tubus trotz Stab relativ gerade ist, lasse ich ihn auch mal drin. Ich intubiere aber auch nie mit vorstehendem Führungsstab.

ChillenMitBazillen
12.11.2016, 11:21
Bei uns wird der Führungsstab zurückgezogen, nachdem die Tubusspitze die Stimmebene passiert hat. Ich wüsste auch gar nicht, was ein Führungsstab noch bringen soll, wenn die Tubusspitze die Stimmebene passiert hat. Vorstehender Führungsstab ist ein absolutes No Go, dafür gibt es Stylets!

Wir versorgen immer wieder (zuverlegte) Patienten mit schrecklichem Verletzungen nach traumatischer Atemwegssicherung. Häufig jüngere Patienten mit tragischen langwierigen Intensivverläufen.

Brutus
12.11.2016, 11:41
Wie weit hast du den Führungsstab denn raus stehen?
Rausstehender Führungsstab ist BÖSE! ;-)


Wenn er mit dem Tubus abschließt, wüsste ich nicht, was du damit an Weichteilschäden verursachen solltest. Ich habe in knapp fünf Jahren noch keine Verletzung durch den Führungsstab gesehen.
Führungsstab max. bis zum Ende des Tubus vorschieben. Aber selbst dann ist der Tubus "steif". Und wenn Du ihn ungünstig gebogen hast, oder die Trachea einen Knick hat, dann kann man auch mit dem Tubus dieselbe verletzen...


Steht er vorne raus, so kann das durchaus passieren, so zumindest die Aussage vieler ärztlicher Kollegen. Da kaum jemand bei uns in der Klinik mit rausstehendem Führungsstab intubiert, kann ich dir da leider keine Erfahrungswerte geben.
Been there, done that, got the shirt... War im Rettungsdienst. Intracerebrale Aneurysmablutung. Bewusstlose, kotzende Patientin. Da war ich froh, dass der RA den Führungsstab reingetan hat. Nix gesehen, da wo die Luftblasen hochkamen den Tubus reingesteckt. In der NCH haben sie ihr 2 Aneurysmata gecoilt. Der Intensivmediziner meinte nur: hmmm, schwierige Intubation? Die pars intermembranecea war auf mehreren cm aufgerissen. Haben sie gesehen, als sie bronchoskopiert haben. Letztendlich hatte das keine Relevanz aufs Outcome, da die Patientin nach einer weiteren Aneurysmaruptur verstorben ist. Aber ich gucke seitdem sehr genau, wie weit der Führungsstab rausguckt. Meistens intubiere ich aber eh ohne. ;-)


Ich mache es davon abhängig, wie sehr der Tubus durch den Führungsstab vorgebogen ist. Wenn er stark vorgebogen ist, lasse ich auch früh zurückziehen, weil er sonst gefühlt vorne die Trachea durchstoßen muss.
Ja, so mache ich das auch. Manchmal muss der Tubus eben ordentlich vorgebogen sein, sonst ist es mit der Intubation essig. Hatte letztens noch einen Patienten, CL 3-4, hintere Kommissur noch so eben sichtbar, und nach ventral-caudal abgehende Trachea. Der ging NUR mit Führungsstab konventionell zu intubieren. Und weil ich mir dabei schön einen abgebrochen habe, und der auch nur mäßig mit der Maske zu beatmen war, hat er auch schön einen Anästhesieausweis bekommen. Da wir ihn aber danach noch zweimal intubiert haben, weiß ich, dass es mit dem GlideScope einigermaßen einfach war. Aber auch da sah man, dass die Trachea nicht lehrbuchmäßig gerade in die Tiefe ging, sondern eben wie oben beschrieben nach oben fußwärts...


Wenn der Tubus trotz Stab relativ gerade ist, lasse ich ihn auch mal drin. Ich intubiere aber auch nie mit vorstehendem Führungsstab.
Wie oben schon gesagt, meistens intubieren ich ohne Führungsstab. Und wenn, dann ziehe ich ihn IMMER früh raus, dann wird das auch nicht im Notfall vergessen. ;-)

BTW: bei o.g. Patienten fällt mir ein, dass ich jemanden eine Nachricht schicken sollte. ;-)
Und außerdem: Bille! Schön gesagt! :-love

Bille11
12.11.2016, 11:49
Diplomatisch und so, ne.

ehem-user-02-08-2021-1033
12.11.2016, 11:51
Der Stab ist beim Crushen (hier vor allem dann im Dienst) Standard bei uns und da gibt es dann die einen, die immer mit Stab intubieren und ihn erst nach dem Blocken komplett rausziehen. Der andere Teil läuft direkt rot an, wenn sie einen so intubieren sehen und appellieren, dass man so ein zu hohes Risiko für Schäden am umliegenden Weichgewebe hat (mit Verweis auf Fälle mit Mediastinalemphysem, Ösophagusrupturen/ fisteln, Trachealrupturen etc) und sagen, dass man den Stab immer zurückziehen soll, sobald die Glottisebene betritt.

Bei der RSI:

Variante A) mit Stab:
Tubus so, schnell wie möglich versenken. Dann blocken. Dann Führungsstab zurückziehen. Dann Begründung: Minimierung des Aspirationsrisikos

Variante B) mit Stab:
Tubusspitze Glottisebene passieren lassen, dann Führungsstab zurückziehen und dann Tubus versenken.
Begründung für das Vorgehen: Minimierung des Risikos einer Trachealruptur.

Meine Meinung:

Ich empfinde das Risiko einer Trachealruptur schwerwiegender als das einer Aspiration und bevorzuge Variante B.
Bei nüchternen Patienten gibt es für mich keine Diskussion: Stab rechtzeitig raus.

ChillenMitBazillen
12.11.2016, 11:58
Mir erschließt sich auch nicht, wieso das Belassen des Führungsstabes das Aspirationsrisiko senken soll. Wenn der Tubus einmal in der Stimmritze liegt, habe ich ihn mit oder ohne Führungsstab gleich schnell vorgeschoben.

Philip_MHH
12.11.2016, 15:53
Ich glaube, die Argumentation ist eher, dass man, wenn man erst den Stab zieht, eben für das Stab ziehen zeit verbraucht, in der man sonst schon geblockt hat. Also nicht der belassene Stab ist das Argument sondern die Zeit bis zum Blocken.

Bille11
12.11.2016, 19:28
Ganz ehrlich - wir sind zu zweit am Tubus.
Maskenauflage - Medikamentengabe & "relaxieren" - abwarten, Maske abnehmen - Laryngoskopie - Tubusannahme - Tubusvorschub - "Führungsstab zurück" & weiterer Vorschub durch mich unter Sicht während Zug des Stabes durch die Pflegekraft - "blocken" & Laryngoskop aus dem Rachen rausnehmen.
Das ist ein reiner und simpler Arbeitsvorgang, der ab dem 2.-3. Mal bei jeder Anästhesiekraft sitzen dürfte, der und die weiss, wie ich das bittedanke gerne hätte (und ich bin pflegeleicht). Da geht mehr Zeit für das Absaugen nach initialer Inspektion in den Rachen drauf, wenn da sich die Suppe schon gesammeln haben sollte.
(Ich kann den Führungsstab auch mit dem Mund durch den Mundschutz geschützt zurückziehen, wenn der/die Kollege/in mich nicht verstehen will, so ist das nicht.)

Wo geht da Zeit fürs Blocken drauf?

Fr.Pelz
12.11.2016, 20:02
(Ich kann den Führungsstab auch mit dem Mund durch den Mundschutz geschützt zurückziehen, wenn der/die Kollege/in mich nicht verstehen will, so ist das nicht.)


Abgefahrenes Manöver :-))

Bille11
13.11.2016, 09:08
Nö - genervter Zug, wenns mal wieder schnell gehen soll.. (und mir von einem Seniorkollegen, dem ich fachlich und menschlich voll vertraue abgeguckt. Nicht nur das gute, wie es aussieht.. ;-))

lindali
13.11.2016, 11:14
Danke für eure Posts!

Ich hab den Führungsstab bisher tatsächlich inmer stumpf so gehandhabt, wie es der jeweilige Senior machen würde. Lernen am Vorbild und so.
Tatsächlich bin ich aber zaghafter wenn der Führungsstab verbleibt und entwickle mich auch eher zum Zurückzieher.

PS: der Führungsstab steht bei uns auch nicht über, außer es ist der ausdrückliche Wunsch des jeweiligen Anästhesisten.