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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : GCS, Somnolenz und Intubation



DoctorNew
15.11.2016, 22:52
Liebe Kollegen,

gerne würde ich mal ein paar erfahrene Meinungen zum Thema Indikation zur Intubation bei komatösen Patienten mit einer GCS < 9 einholen, weil mir dieses Thema in der Praxis (Rettungsdienst bzw. Intensivstation) häufiger Unklarheiten verursacht.

Einige junge Alkoholintoxikierte kommen ja problemlos auf eine GCS unter 8 und erbrechen teilweise dabei noch häufiger Mal größere Mengen. Eindeutig sichere Schutzreflexe will ich bei diesen Patienten (die teilweise schon ein wenig Lagerungsunterstützung zum richten Brechen benötigen) auch nicht immer unterstellen. Bei respiratorischer Stabilität werden diese Patienten bei uns häufig jedoch nicht intubiert.

Auch Patienten mit Infekt assoziierter (massiver) Exsikkose landen bei uns gar nicht so selten mit einer GCS von unter 8 in der Notaufnahme. Gerade wenn dann noch eine Gastroenteritis im Spiel ist hat man dann auch noch (nicht immer komplett suffizientes) Erbrechen in Kombination mit nicht mehr ganz so guten Schutzreflexen.

Die Liste kann man ja noch weiter fortführen. (Hyperkapnie, Sepsis etc.) Und vorallem gibt es ja die Situation wo man eben einen Pat. mit einer GCS < 8 vorfindet, aber eben nicht direkt entscheiden kann ob es eine schnell reversible Ursache gibt. Die vermutete Intoxikation mit Erbrechen ist manchmal ja dann doch die ICB mit beginnender Einklemmung.

Nun verwirrt mich hier das Vorgehen (auch unterschiedlicher Kollegen) sehr deutlich. Wir haben Kollegen, die intubieren die 18 Jährige Betrunkene bei formaler GCS von 7 noch im RTW. Genauso gibt es Kollegen, die Pat. mehrere Stunden (auch sich erbrechend) ohne Tubus auf der ITS führen mit dem Hintergedanken bei respiratorischer Stabilität die Pat. nicht der Problematik einer Beatmung auszusetzen und vor alllem noch Diagnostik (und damit eine schnell behebbare Ursache) abzuwarten. Mir als Anfänger macht das doch deutliche Probleme. Wie geht ihr bei komatösen/somnolenten Patienten mit dem Thema Intubation um?

Rettungshase
15.11.2016, 23:57
Gilt der GCS von 8 nicht v.a. als Intubationskriterium für traumatisch bedingte Bewusstseinsstörungen?

Hab da auf die Schnelle nur eine kleine Studie zu gefunden, bin aber sehr gespannt, was die Übrigen zu deiner Frage sagen.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19272743

Miss_H
16.11.2016, 00:17
GCS als Intubationskriterium gilt soweit ich mich erinnere nur bei SHT.

Kackbratze
16.11.2016, 00:21
When in doubt, intubate.
Kann man ja wieder rausziehen, wenn alles gut ist. Die Aspirationspneumonie dauert länger in der Therapie...

Brutus
16.11.2016, 00:24
Einige junge Alkoholintoxikierte kommen ja problemlos auf eine GCS unter 8 und erbrechen teilweise dabei noch häufiger Mal größere Mengen. Eindeutig sichere Schutzreflexe will ich bei diesen Patienten (die teilweise schon ein wenig Lagerungsunterstützung zum richten Brechen benötigen) auch nicht immer unterstellen. Bei respiratorischer Stabilität werden diese Patienten bei uns häufig jedoch nicht intubiert.
Okay, Frage: wie oft hast Du Dich schon ordentlich besoffen, bist Abends vor der Keramik oder im Bett mit einer Schüssel eingeschlafen und hattest morgens einen Tubus im Hals? EBEN!
Ich möchte nicht wissen, wieviele Menschen abends mit einer satten Alkoholintox einschlafen, nachts kotzen und morgens mit einem amtlichen Kater wach werden. Willst Du die alle intubieren? Ich würde das bei den alkoholintoxikierten Patienten so machen, dass man sie vernünftig beobachtet, einschätzt und guckt, ob sie zumindest einen vernünftigen Hustenreflex haben und gut ist. Wenn da so gar nichts kommt, stabile Seitenlage und abwarten. Wer nicht kotzt, aspiriert auch nicht.


Auch Patienten mit Infekt assoziierter (massiver) Exsikkose landen bei uns gar nicht so selten mit einer GCS von unter 8 in der Notaufnahme. Gerade wenn dann noch eine Gastroenteritis im Spiel ist hat man dann auch noch (nicht immer komplett suffizientes) Erbrechen in Kombination mit nicht mehr ganz so guten Schutzreflexen.
Auch da: beobachten, wenn Hustenreflex vorhanden und kein Erbrechen, Seitenlage und abwarten. Volumenzufuhr und gucken, ob sie aufklaren.


Die Liste kann man ja noch weiter fortführen. (Hyperkapnie, Sepsis etc.) Und vorallem gibt es ja die Situation wo man eben einen Pat. mit einer GCS < 8 vorfindet, aber eben nicht direkt entscheiden kann ob es eine schnell reversible Ursache gibt. Die vermutete Intoxikation mit Erbrechen ist manchmal ja dann doch die ICB mit beginnender Einklemmung.
Oder schlichtweg die Hypoglykämie mit dem BZ von 25mg/dl. Und dann? Weißt Du, was der Internist mit Dir macht, wenn Du eine banale Hypoglykämie intubiert in den Schockraum karrst?
Klar, Zebras kommen vor. Aber selten. Und meistens ist es ja doch eher die banale Ursache: Exsikkose, Hypoglykämie...


Nun verwirrt mich hier das Vorgehen (auch unterschiedlicher Kollegen) sehr deutlich. Wir haben Kollegen, die intubieren die 18 Jährige Betrunkene bei formaler GCS von 7 noch im RTW. Genauso gibt es Kollegen, die Pat. mehrere Stunden (auch sich erbrechend) ohne Tubus auf der ITS führen mit dem Hintergedanken bei respiratorischer Stabilität die Pat. nicht der Problematik einer Beatmung auszusetzen und vor alllem noch Diagnostik (und damit eine schnell behebbare Ursache) abzuwarten. Mir als Anfänger macht das doch deutliche Probleme. Wie geht ihr bei komatösen/somnolenten Patienten mit dem Thema Intubation um?
Also ich überprüfe JEDE Indikation für eine Intubation im Rettungsdienst ganz genau. Ich denke, dass jemand, der einen jungen Patienten nur aufgrund eines GCS-Wertes intubiert, mal ordentlich eingenordet werden sollte. Wenn er mir vernünftig erklären kann, warum er den Tubus versenkt hat, okay. Aber NUR aufgrund eines Wertes eine invasive Maßnahme, die ja durchaus ordentliche Nebenwirkungen haben kann, durchzuführen finde ich schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt.
Nun kann ich einfach reden. Ich weiß, dass ich, wenn der Patient wirklich nach dem Schorchel verlangt, diesen schon in den Patienten reinbekommen werde. Auch wenn der Patient dann etwas dagegen haben sollte und / oder erbricht und dabei keine adäquaten Schutzreflexe mehr hat. Insofern kann ich das vielleicht auch etwas anders einschätzen.
Aber insgesamt sollte man halt genau überlegen, was ich mit der Maßnahme bezwecken möchte, ob sie sinnvoll ist, ob sie wirklich notwendig ist, ob ich sie sicher beherrsche und ob der Patient davon profitiert.
Und wenn man sich dann immer noch unsicher ist, dann zitiere ich hier mal den Intensiv-OA meines ersten Hauses:
"Brutus! Wenn Du irgendwann mal über einen Tubus nachdenkst... DANN TU ES!"

Kackbratze
16.11.2016, 06:58
Der Teil aus dem letzten Absatz entspricht dem, was ich sagen wollten. Nur eleganter.

WackenDoc
16.11.2016, 10:15
Ich kann da größere Festivaldienste wie Wacken empfehlen. In Wacken hat keiner, der wegen C2-Intox in die ZAB aufgenommen wird, eine GCS von 8 oder größer. Die meisten sind eher so bei 3. Von denen bekommt keiner nen Schnorchel. In dem Zustand kotzen sie aber auch nicht und sie atmen auch alle.
Natürlich werden die bei Aufnahme einmal durchgecheckt um nicht andere Ursachen oder lebensbedrohliche Komplikationen zu übersehen. Dann Seitenlage, Pulsoxy an den Finger und Überwachung. Wenn sie wacher werden und ihnen doch schlecht wird, dann hilft halt ein Sani. Nach ein paar Stunden bekommt man sie auch wieder wach und dann gehen sie.

Die GCS ist eigentlich auch nur für SHT erfunden worden. Und da passt die Intubationsindikation wieder. Für Schlaganfälle und Hirnblutungen passt es auch.

Rettungshase
16.11.2016, 20:46
(...), dass man sie vernünftig beobachtet, einschätzt und guckt, ob sie zumindest einen vernünftigen Hustenreflex haben und gut ist. (...)

Wie bitte guckst du nach dem Hustenreflex?

OizO
16.11.2016, 22:25
Mir werden auch insgesamt zu viele epileptische Anfälle zu schnell intubiert, die kommen ja auch postiktal schnell unter GCS 8.

WackenDoc
17.11.2016, 18:57
Bei meinem letzten hatte ich es überlegt. Der hatte aber sowohl ein A- als auch ein B- Problem. Hatte sich aber kurz bevor wir angefangen haben, noch soweit stabilisiert, dass wir ohne Schnorchel gefahren sind. Da haben wir alle aber auch eine schwierige Intubation erwartet.

Postiktal und/oder durch die Medis ist ja so ziemlich jeder nach generalisiertem Krampfanfall mit ner GCS von 8 und tiefer dabei. Die meisten atmen aber ordentlich und ggf. kann man sie in ne Seitenlage drehen. Die meisten kotzen ja auch nicht.

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17.11.2016, 19:16
Eine Aspirationspneumonie, wenn sie denn kommt, ist im übrigen durchaus auch behandelbar ;-)

Sebastian1
17.11.2016, 19:39
...und eben wegen des "wenn sie denn kommt" fängt man auch nicht bei jeder vermuteten Aspiration mit einer prophylaktischen Antibiose an....

DoctorNew
17.11.2016, 21:14
Mal noch eine naive Frage. Wenn ihr jemanden somnolent vorfindet und derjenige erbricht, woran macht ihr dann (außer über Rückschlüsse aus der GCS) fest, ob derjenige "ädaquat" erbricht und nicht eben doch die Hälfte der Sachen in der Lunge landet?

Brutus
17.11.2016, 22:10
Wie bitte guckst du nach dem Hustenreflex?
Hustenreflex selbst kannste nicht wirklich testen. Okay, einen Absauger in die Trachea stecken und gucken, ob er hustet. Aber dann ist Würfelhusten auf jeden Fall angesagt... Ist eher ein Test, ob Abwehrreaktionen vorhanden sind. Wenn in der Richtung was kommt, dann ist der Hustenreflex auch da...


Mal noch eine naive Frage. Wenn ihr jemanden somnolent vorfindet und derjenige erbricht, woran macht ihr dann (außer über Rückschlüsse aus der GCS) fest, ob derjenige "ädaquat" erbricht und nicht eben doch die Hälfte der Sachen in der Lunge landet?
Wenn es aktiv erbricht, dann sollte eigentlich nichts in der Lunge landen. Das Problem ist eher, wenn da das Erbrochene einfach passiv aus dem Mund läuft, dann sollte man schnell werden...

WackenDoc
19.11.2016, 15:01
Auf dem Rücken liegen und die Suppe vom Mittagessen bis zur Lippe stehen zu haben ist auch keine gute Idee. Da atmet es sich so schwer durch, auch wenn man es veruscht.

bipolarbär
24.11.2016, 05:30
Die GCS ist eigentlich auch nur für SHT erfunden worden. Und da passt die Intubationsindikation wieder. Für Schlaganfälle und Hirnblutungen passt es auch.

Ist das echt so? http://lifeinthefastlane.com/ccc/glasgow-coma-scale-gcs/

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24.11.2016, 12:22
Eigentlich mag ich ja Scores, aber bezogen auf die Ausgangsfrage halte ich Gesamteindruck, Erfahrung, Bauchgefühl, Situationen/Genese und Surrogate (Vitalparameter, BGA etc.) als Indikatoren für oder gegen Intubation für besser... Auch wenn es zu Beginn (vermeintlich) schwerfällt.
Das ist wie die visuelle EF Schätzerei, zu Beginn giert man nach Zahlen/Messdaten, mit etwas Erfahrung ist man visuell viel performanter...

nie
28.11.2016, 18:57
Wenn wir in unserer Stadt jeden Besoffenen mit GCS < 8 intubieren würde, hätte wir uns Samstags innerhalb von 2-3 Stunden sämtlicher Intensivkapazitäten "beraubt". Wir kriegen die schon ohne Schnorchen kaum unter, intubiert kann ich sie dann vermutlich direkt mit auf die Wache nehmen und da beuteln bis sie aufwachen... und den Großteil der Besoffenen kriegen unsere Notärzte gar nicht zu Gesicht. Die würde sich auch freuen, wenn sie für jeden Suffkopp rausfahren müssten...

In aller Regel geht das kotzen dann doch noch recht aktiv (für meinen Geschmack manchmal auch zu aktiv) und bei nicht wenigen erwachen dann doch auf einmal nochmal die Lebensgeister.