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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Psychisch auffällige Mitreisende



Rettungshase
28.11.2016, 13:41
Hallo Leute,

mir ist neulich als Zugpassagier etwas passiert und ich überlege seitdem, wie und ob man es hätte besser lösen können. Mich interssiert, ob ihr dazu vielleicht noch die ein oder andere Idee hättet.

Ich saß alleinreisend in einem Großraumabteil; neben mir eine Person und mir gegenüber ein junger Mann. Es stieg dann eine Frau (um die 45 zu, prinzipiell der Wetterlage angemessen gekleidet), die unangemessen laut irgendwas von wegen "Das macht mein Mann nicht!" sagte. Ich hatte etwas gelesen und hab dem keine große Aufmerksamkeit gezollt. Nach einer Minute palawerte sie laut im Zugabteil rum, offenbar reiste sie allein und sprach irgendwie mit sich selbst. Sagte, ihre Schwester sei in Sri Lanka von der Schlange gebissen worden. Kurze Zeit später, dass ihre Schwester eine Schlange sei, die sie mit ihrem Mann betrogen habe; hier im Abteil seien überall Schlangen (guckte mit rascher Blickfolge auf einige Frauen). Insgesamt völlig zusammenhanglos und wirr. Dann näherte sie sich dem Mann mir gegenüber auf einen Zentimeter und sprach auf ihn ein; ob er ihr Bruce Willis sein wolle, der sie vor den Schlangen beschützt. Das zog sich etwa 2 Minuten. Der Mann ignorierte sie, aber sie hörte nicht auf. Er fühlte sich sichtbar unwohl, sodass ich die Frau dann fragte, ob sie Hilfe brauche.
Naja... dann ging's erst richtig los. Ich hätte nicht das Recht, ihr zu sagen, dass sie Hilfe braucht.
Meine Erklärung, dass ich lediglich gefragt habe, hat sie scheinbar gar nicht mitgekriegt.
Erst wenn ich gefragt würde, dürfe ich den Mund aufmachen. Ich sei auch so eine Schlange. Aus meinem Lehrbuch schloss sie, dass ich Medizinerin sei: "Du machst Experimente mit kleinen Mäusen. Das werde ich auch mit dir machen."

Offenbar fühlte sie sich von Frauen besonders "bedroht", weshalb ich es dann für schlauer hielt, nicht mehr mit ihr zu interagieren und mich bei der ersten Gelegenheit umgesetzt.


Jetzt frage ich mich: Hätte man da was anders machen können?
Ich sah jetzt keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung (als sie ignoriert wurde, hat sie sich nicht mehr "provoziert" gefühlt), aber als sie irgendwann ausgestiegen ist, hatte ich trotzdem ein seltsames Gefühl.

davo
28.11.2016, 14:56
Ich sah jetzt keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung

Genau das ist das Problem. "Leider." Da hat man dann keine Handhabe.

WackenDoc
28.11.2016, 16:07
Schwierig. In einigen Bundesländern gibt es noch neben Eigen- und Fremdgefährdung noch Realitätsverkennung (oder so ähnlich). Es gibt aber auch Menschen, die zu krank sind, um klar zu kommen, aber zu gesund, dass man sie gegen ihren Willen einweisen könnte.

Ich glaub, in so einem Fall gibt es keine Musterlösung. Also sowohl ignorieren als auch Polizei oder Rettungsdienst zu rufen wäre möglich.

Relaxometrie
28.11.2016, 16:50
Es gibt aber auch Menschen, die zu krank sind, um klar zu kommen, aber zu gesund, dass man sie gegen ihren Willen einweisen könnte.
Entweder trifft genau das zu.
Oder vielleicht befindet sich die Dame derzeit sogar in psychiatrischer Behandlung und ist flüchtig.

Aufgrund der ganz akut nicht vorliegenden Eigen- oder Fremdgefährdung hätte ich mich auch schwer getan, den Rettungsdienst zu rufen. Aber dabei bleibt irgendwie ein Rest von ungutem Gefühl, weil die Dame ja schon wirklich floride psychotisch zu sein scheint.

wischmopp
28.11.2016, 17:34
Ich hatte so einen ähnlichen Fall mal in der Praxis. Sie war eigentlich wegen einem grippalen Infekt da, hat mir aber noch ganz viel andere "Geheimnisse" anvertraut.

Ich bin dann zu meinem Chef und hab ihn gefragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, sie einzuweisen. Er meinte aber, keine Chance, eben aufgrund fehlender Selbst- oder Fremdgefährdung.

Ein ungutes Gefühl bleibt da aber immer.

Fr.Pelz
28.11.2016, 20:49
Sowas haben wir regelmäßig in der Notaufnahme, aber wenn die Patienten weder eigen- oder fremdgefährdend sind, noch stationär bleiben wollen, werden sie auch nicht zwangseingewiesen und beunruhigen kurze Zeit später die nächsten Passanten und sind spätestens am nächsten Tag wieder in der Notaufnahme.

Rettungshase
28.11.2016, 22:53
Danke für eure Einschätzungen.

Die Hauptschwierigkeiten für mich waren tatsächlich:
a) Falls ich Polizei/Rettungsdienst verständige: Wo sollen die hin? Der Zug fährt ständig weiter und die Frau hätte mir wohl eher nicht verraten, wo sie aussteigt.
b) Falls sie sie dann gefunden hätten, hätten die wahrscheinlich genauso wenig die Voraussetzungen der Unterbringung nach PsychKG gesehen.

*milkakuh*
28.11.2016, 23:38
Ich habe mal Erste Hilfe im Zug geleistet. Die Zugbegleiter informieren und gemeinsam mit ihnen Notruf absetzen und den RTW in den nächsten Bahnhof bestellen. Gibt dann halt ein paar Minuten Verspätung aber hatte bei mir ohne Probleme funktioniert.

WackenDoc
29.11.2016, 15:32
Wenn man denkt, dass der Mensch Hilfe braucht- anrufen und alle anderen Probleme soll die Rettungsleitstelle, Polizei und Rettungsdienst klären.

Wir hatten im Stadtviertel ja die Dame, die für die Jahreszeit viel zu leicht bekleidet und barfuß unterwegs war und von Jesus erzählt hat. Da dort offenbar viele hilfsbereite Mitmenschen unterwegs waren, war irgendwann der Notruf überlastet, so dass man eine Polizeistreife hin geschickt hat. Die hatte schon mehrere Anhörungen vor Gericht, wurde aber immer für zurechnungsfähig befunden. Da wäre aber auch in Betracht gekommen, dass sie aus der nahegelegenen Psychiatrie abgängig ist.

Was aus ihr geworden ist, weiss keiner. Jedenfalls wurde sie danach noch in angrenzenden Vierteln gesehen. Dort hat sie aber auch an Wohnungen geklingelt. Seit einer Weile hat aber keiner mehr was von ihr gehört.