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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Warum freut sich der Mediziner über niedere Tätigkeiten?



airmaria
07.10.2003, 18:59
Jeder kennt es selbst oder kennt jemanden,
der sich tierisch über die erste Ausführung einer simplen Tätigkeit freut und den anderen nachher voller Stolz davon berichtet:

Blutentnahme (mit einer Nadel in einen Schlauch pieken und Flüssigkeit rausziehen)

Wundverschluß (Nähen, eine im sonstigen Alltag recht gering geschätzte monotone handwerkliche Tätigkeit)

Gelenkspunktion (an gemerkter Stelle eine Nadel grob in die richtige Richtung pieken)

Spinalnarkose (siehe Gelenkspunktion)

KM-Stanze ...

usw... usw...


Warum werden diese Tätigkeiten regelmäßig so "überbewertet", wo es sich nun wirklich um recht niedere manuelle Fertigkeiten von kaum allzuhohem Intellektbedarf handelt?

Ist es, weil man sonst nur den Schreibtisch und die Bücher kennt?

Warum gibt der Schneiderlehrling nicht dermaßen an, wenn er zwei Lederlappen aneinandergeflickt hat?


"Mary" airmaria

Heinz Wäscher
07.10.2003, 19:01
frag ma die Leute ausm RD, was so klasse an diesen Techniken ist
die sind immer so begeisterungsfähig, wenns um ihren Job und diese Techniken geht :-))

Sani
07.10.2003, 19:02
Original geschrieben von Heinz Wäscher
frag ma die Leute ausm RD
ich fühl mich etz mal nicht angesprochen ;-) :-))

Lisa
07.10.2003, 19:04
Ich war mächtig stolz über meine erste Blutentnahme. Und ich war stolz über meine erste Entnahme an mir selbst!
Wo ist das Problem?!

Ich weiß nicht, wie ihr das gemacht hat, aber ich hab - wie die allermeisten - mal klein angefangen.

Als ich das Alphabet mit 6 oder 7 Jahren dann endlich auswendig konnte, war ich auch sehr stolz!

Pünktchen
07.10.2003, 19:36
Es ist zwar manchmal lächerlich, aber meinen ersten chirurgischen Knoten inner Op zu machen (nix besonderes, aber ich war stolz wie Oskar) oder Fäden ziehen...noch nie gemacht und hätte der Patient nicht gemeint: Nu machen sie schon, sie müssen das ja auch mal lernen, hätt ichs nie gemacht...man war ich stolz...hab niemanden weh getan :-D und eigentlich sind, das dinge die keinen vom Hocker werfen....

Man freut sich über Dinge, die man praktisch ausüben kann und nicht immer Akten wälzt oder in großen Büchern immer liest und nix machen darf...

Vandroiy
07.10.2003, 20:42
Ich denke,nicht nur der Mediziner freut sich über "niedere Tätigkeiten",sondern es ist allgemein so,daß man stolz darauf ist,wenn etwas geklappt hat,was man vorher noch nie gemacht hat - auch in anderen Berufen oder Situationen.

Ich war auch stolz darauf,als ich das erste Mal erfolgreich rückwärts eingeparkt habe :-))
Und wenn ich an meine erste s.c. - Injektion denke...da war ich richtig aufgeregt,später habe ich darüber gelacht....

So gibt es viele Beispiele - ist wohl menschlich...

Froschkönig
07.10.2003, 21:04
Vielleicht liegt´s ja ganz einfach daran, DAß diese Tätigkeiten simpel und für sich genommen vollständig sind.

Man kann sich über eine gelungene Punktion, Blutentnahme, etc. freuen. Sich darüber zu freuen, einen kranken Patienten gesund wieder entlassen zu können bedarf weitaus längerer arbeit und man kann dabei mehr falsch machen ;-)

milz
07.10.2003, 21:08
Was sind eigentlich "niedere Tätigkeiten"?

Und was sind "höhere Tätigkeiten"?

Hellequin
07.10.2003, 21:23
Original geschrieben von milz
Was sind eigentlich "niedere Tätigkeiten"?

Und was sind "höhere Tätigkeiten"?

Das ist einfach: Wenn du als Chefarzt deine Unterschrift
unter den vom Assistenzarzt geschriebenen Entlassbrief
setzt, dann ist das eine sogenannte "höhere Tätigkeit". ;-) :-))

Froschkönig
07.10.2003, 21:38
Original geschrieben von milz
Was sind eigentlich "niedere Tätigkeiten"?

Und was sind "höhere Tätigkeiten"?

Ich glaub, Mary meint mit "nieder" alles, was mit Medizin zu tun hat und mit "höher" alles, was mit dem sekretärinnen-Anteil vom Job zu tun hat :-D

@Mary : Is doch eigentlich logisch, daß man sich darüber freut. AUch jeder schneider- oder Bäckerlehrling freut sich bestimmt über sein Erstlingswerk bei einer bestimmten Aufgabe. Komisch wird´s wenn sich Chefärzte noch wie die Kinder über Blutabnahmen freuen ;-)

lore
08.10.2003, 09:41
ich glaube, man freut sich besonders, wenns klappt weils ja immerhin um lebende menschen geht, die einem anfänger soviel vertrauen geschenkt haben und denen man dann hoffentlich sowenig wie möglich weh getan hat. (bei nem brot und lappen alles nicht möglich)

Heinz Wäscher
08.10.2003, 09:49
ich denk eher, daß da eine besondere Art der Sensationslust bzw Tabubruch überwunden wird

normalerweise piekst man niemanden mit einer Nadel, als Arzt ist es sogar legitim, Menschen aufzuschneiden

es sind halt Tätigkeiten, die ein Mensch, der nicht in der Mediziner/Krankenhausszene ist, nicht (legal) durchführen kann

Lappen zusammennähen und Brötchen backen kann jeder zu Hause

aber trotz allem...warum freuen sich erwachsene Menschen mit 10 Jahren Berufserfahrung immer noch so, wenn sie jem intubieren dürfen? :-sleppy

lore
08.10.2003, 10:02
*g* weil die den damit retten

Neujahrsrakete
08.10.2003, 12:06
Original geschrieben von airmaria
Blutentnahme (mit einer Nadel in einen Schlauch pieken und Flüssigkeit rausziehen)

Weil es eben nicht einfach nur ein Schlauch mit Flüssigkeit ist.
Der Patient würde sich wohl nicht sehr freuen, wenn man sagen würde: "Sie haben da ja ein paar Schläuche mit Flüssigkeit in Ihrem Körper. So, und jetzt Arm her und Schnauze halten, ich hol da mal etwas von der unbedeutenden Flüssigkeit raus."

Und bei einer Anästhesie kommt es eben auf wenige Millimeter an und gleichzeitig sieht man nicht, wohin man genau sticht.
Vertut man sich um eine kurze Strecke, hat man anstatt einer geplanten Epiduralanästhesie mal eben eine Spinalanästhesie gemacht. Hat man sich bei einer Lederlappennaht um einige Millimeter vertan, zieht man den Faden wieder raus und fängt von vorne an.
Eine Wundnaht unterscheidt sich von einer Lederlappennaht auch insofern, als daß man die Wundnaht eher nicht beliebig oft wiederholen kann, wenn sie nicht schön geworden ist.
Einen Lederlappen schmeißt man schlimmstenfalls (unter geringen finanziellen Verlusten) in die Tonne und fängt von vorne an.

Captain Cosmotic
08.10.2003, 14:04
Der stolzeste Moment in meinem Leben:
Im Alter von 3einhalb Jahren konnte ich erstmals meine Schuhe eigenständig zuschnüren!
Heute ist selbst das Vernähen einer Bauchnaht nur noch Pflicht statt Kür - ist das nicht auch ein bisschen traurig?

Begeisterungsfähigkeit & Stolz über auch scheinbar kleine Massnahmen sollten respektiert werden; alles andere ist überheblich, sorry...

Wer sich als Assistenzarzt noch über eine erfolgreich gelegte Viggo freut, ist bescheuert - wer als Vorkliniker das erstmalige Legen einer Nadel als Routine sieht, ist sehr zu bedauern...

:-meinung
Der Captain

Feuerblick
08.10.2003, 14:54
Ich denke mal, daß Freude oder Stolz über eine vollbrachte Leistung nicht viel damit zu tun haben, ob diese Tätigkeit nun banal ist oder nicht.
Ich freue mich auch über ein schön zusammengenähtes Stück Stoff, allerdings wird es sich nicht beschweren, wenn die Naht schief und krumm ist. Es wird dadurch nicht entstellt, nicht verspottet oder angestarrt. Ein Patient, dem ich eine häßliche Narbe verpasse allerdings schon.
Oder die Sache mit der Nadel und dem Schlauch: Rein motorisch vielleicht eine Kleinigkeit, aber einem Schlauch tut es nicht weh, wenn ich reinsteche und nen Fehler mache. Der Schlauch hat auch keine Angst vor der Nadel...

Und so weiter und so weiter. Irgendwann wird alles zur Routine, aber wenn man etwas zum ersten Mal tut, dann darf man ruhig stolz auf sich sein - egal wie banal die Tätigkeit bei genauerem Hinsehen vielleicht scheint!

Blickchen

Mithridates
08.10.2003, 17:17
Die "niederen" Sachen gehören halt nun mal dazu.
Wenn man die nicht hinkriegt, dann wird das auch mit den "höheren" nix. Man lernt halt die ganze Zeit irgendwelches Zeug aus Büchern, theoretisch kann man es, aber die Praxis sieht anders aus...


Und was jetzt niedere und was jetzt höhere Tätigkeit ist, das ändert sich nicht nur im Studium, sondern wohl auch dann wenn man mal fertig ist (oder es denkt zu sein).
Man lernt nie aus, und wenn man das erste Mal etwas neues richtig macht, dann darf man auch stolz sein, aber ein 50 jähriger Assistenzarzt, der immer noch frühmorgens zur Blutentnahme antritt und jedesmal mit einem dicken fetten Grinsen das Zimmer verlässt, wenns geklappt hat....
Naja, ich hör mal lieber auf weiter zuschreiben...

ehemalige Userin 24092013
09.10.2003, 09:28
In meiner Ausbildung waren alle Tätigkeiten wie s.c. Spritzen und so weiter an die Unterrichtsinhalte gekoppelt, sprich, wenn man das noch nicht im Unterricht hatte, durfte man das nicht machen......da gabs dann Ärger, wenn die Schule das mitbekommen hat.
O.k...ich bleibe dann auch mal bei der s.c. Spritze....normal durften wir das erst, wenn man ein halbes Jahr in der Ausbildung steckt.
Als ich meinen ersten Stationseinsatz hatte, kam irgendwann ein Pfleger und fragte, ob ich das nicht mal machen möchte...er würde mir das zutrauen...blabla ( ich war erst knappe zwei Monate dabei)....grinsenderweise nahm ich das Angebot einfach mal an.....und war aufgeregt....und hatte schiss und was weiss ich......und schwub...war die Kanüle im Patienten......
Ich hab mich gefreut, wie n junger Gott.....das war nun mit Abstand das high light dieses Einsatzes:-).
Irgendwann durften wir das dann auch mal offiziell und ich bin dann immer mit den Heparinspritzen losgetobt....die ganze Station.....jeden Tag.....jetzt kann ich sie nicht mehr sehen :-((.
Was mich so "euphorisch" machte, war einfach die Tatsache, dass man mir sowas zutraut, ohne, dass ich das inner Schule hatte......und dann klappte es auch noch!
Und später war es dann einfach, man war eine "Stufe höher"....man war n bissle anerkannter......und komischerweise wurde uns nach dem s.c. Spritzen plötzlich alles zu getraut.

Gruss Kaddel