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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Frage Gendiagnostikgesetz



Sebastian1
11.03.2017, 19:17
Hallo,

vielleicht weiss dazu ja jemand was:
Relativ junge Frau an exulcerierendem Mamma-Ca erkrankt, in palliativer stationärer Behandlung. Es gibt Töchter; diese haben auch eine Vorsorgevollmacht. Sie wenden sich an ein Zentrum ffür gendiagnostik, zm für sich Klarheit zu haben. Die Testung wird als indiziert betrachtet; es soll auch die erkrankte Mutter getestet werden.
Als das Entnahmeset mit der Einwilligungserklärung eintrifft, hat sich der Zustand der Mutter zum präfinalen hin verschlechtert, eine schriftliche Einwilligung ist nicht mehr möglich.
Die Töchter berichten (glaubhaft), das die Mutter ihnen gegenüber vor Eintreffen der Formulare ja schon mündlich eingewilligt habe und haben wie gesagt die Vorsorgevollmacht. Da Wochenende ist, ist im entsprechenden Zentrum keiner zu erreichen, der dazu adäquat Auskunft geben kann.

Bis zur Klärung habe ich das ganze abgenommen und im Labor konservieren lassen, aber würde mich mal interessieren, wie das ganze medikolegal zu bewerten ist,

Grombühlerin
11.03.2017, 22:19
Leider kann dich deine Frage nicht beantworten, wundere mich aber, warum man die Mutter testen soll. Können sich nicht einfach die Töchter testen lassen, dann haben sie eine sichere Aussage? Was bringt es an zusätzlichem Wissen, die Mutter zu testen?

Kandra
11.03.2017, 22:43
Leider kann dich deine Frage nicht beantworten, wundere mich aber, warum man die Mutter testen soll. Können sich nicht einfach die Töchter testen lassen, dann haben sie eine sichere Aussage? Was bringt es an zusätzlichem Wissen, die Mutter zu testen?

Es gibt vermutlich auch Erbgänge, die eine Generation überspringen können. Da wäre es ja theoretisch schon interessant zu wissen, ob etwas an die Enkelkinder weitergegeben werden kann.

Meine ethisch nicht geprüfte Meinung: Es schadet doch niemandem, wenn die Mutter getestet wird. Für sie macht das Ergebnis keinen Unterschied mehr, wenn sie das Ergebnis überhaupt noch erfährt. Aber in Zukunft ist es für den Rest der Familie vielleicht wichtig. Und so wie das klingt, war da jetzt auch kein riesiger Eingriff notwendig, der sie unnötig mehr Leiden lässt und gegebenenfalls einer Testung entgegensprechen würde.

Sebastian1
12.03.2017, 05:05
Ja, war eine einfache BE, die sogar über liegenden ZVK erfolgen konnte. Aber darum geht es nicht, sondern darum, was das Gendiagnostikgesetz erlaubt. Und da kenne ich mich halt nicht mit aus. Das es für die Familie sinnvoll ist, steht außer Frage.

davo
12.03.2017, 05:20
Wir haben in der Vorlesung Humangenetik das GenDG besprochen. Außerdem fand ich deine Frage interessant. Habe mir deshalb das GenDG durchgelesen: http://www.gesetze-im-internet.de/gendg/ IMHO der wesentliche Punkt:

GenDG § 8 (1) Eine genetische Untersuchung oder Analyse darf nur vorgenommen und eine dafür erforderliche genetische Probe nur gewonnen werden, wenn die betroffene Person in die Untersuchung und die Gewinnung der dafür erforderlichen genetischen Probe ausdrücklich und schriftlich gegenüber der verantwortlichen ärztlichen Person eingewilligt hat. Die Einwilligung nach Satz 1 umfasst sowohl die Entscheidung über den Umfang der genetischen Untersuchung als auch die Entscheidung, ob und inwieweit das Untersuchungsergebnis zur Kenntnis zu geben oder zu vernichten ist. Eine nach § 7 Abs. 2 beauftragte Person oder Einrichtung darf die genetische Analyse nur vornehmen, wenn ihr ein Nachweis der Einwilligung vorliegt.

Außerdem muss nach GenDG § 9 vor der Einwilligung eine Aufklärung mit angemessener Bedenkzeit erfolgen.

GenDG § 14 Genetische Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Personen trifft IMHO nicht zu.

Meine Interpretation deshalb: Ohne ausdrückliche schriftliche Einwilligung der Mutter darfst du die Probe nicht analysieren lassen.

Außerdem frage ich mich, ob es hier noch um diagnostische Testung geht, oder nicht eigentlich, dem Ziel nach, um prädiktive Testung. Denn eine prädiktive Testung darf nach GenDG § 7 nur ein FA für Humangenetik oder ein Arzt mit Qualifikation für genetische Untersuchungen im Rahmen seines Fachgebiets (als Teil von FA-WB, SB oder ZB) vornehmen.

Eine Analyse der Töchter, wie von Grombühlerin vorgeschlagen, wäre wahrscheinlich die rechtlich deutlich sicherere Variante. (Und die Möglichkeit übersprungener Generationen sollte völlig egal sein, da man ja die Gene und nicht den Phänotyp analysiert.) Ein FA für Humangenetik wird dir dazu am Montag gesicherte Informationen geben können.

Sebastian1
12.03.2017, 07:29
Danke.
Die Analyse nehme ich nicht vor (bzw unser Labor), sondern ein spezialisiertes Zentrum für die entsprechende Diagnostik; hier wurde auch die Testung der Mutter indiziert. Und mit denen werde ich morgen ohnehin Kontakt aufnehmen, um zu entscheiden, was mit den entnommenen Proben passiert: Weiterleiten oder vernichten.

Und ich finde, §14 trifft durchaus zu, allerdings ist das meine Laienmeinung.

Brutus
12.03.2017, 08:35
GenDG § 8 (1) Eine genetische Untersuchung oder Analyse darf nur vorgenommen und eine dafür erforderliche genetische Probe nur gewonnen werden, wenn die betroffene Person in die Untersuchung und die Gewinnung der dafür erforderlichen genetischen Probe ausdrücklich und schriftlich gegenüber der verantwortlichen ärztlichen Person eingewilligt hat. Die Einwilligung nach Satz 1 umfasst sowohl die Entscheidung über den Umfang der genetischen Untersuchung als auch die Entscheidung, ob und inwieweit das Untersuchungsergebnis zur Kenntnis zu geben oder zu vernichten ist. Eine nach § 7 Abs. 2 beauftragte Person oder Einrichtung darf die genetische Analyse nur vornehmen, wenn ihr ein Nachweis der Einwilligung vorliegt.
Einwilligung liegt doch vor. Die Betreuer / Bevollmächtigten (Töchter siehe Vorsorgevollmacht) haben der Analyse zugestimmt.


Außerdem muss nach GenDG § 9 vor der Einwilligung eine Aufklärung mit angemessener Bedenkzeit erfolgen.
Haben die Töchter als Einwilligungsbevollmächtigte auch gehabt.


GenDG § 14 Genetische Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Personen trifft IMHO nicht zu.
Dann dürfte bei KEINEM minderjährigen Patienten eine genetische Untersuchung stattfinden.


Meine Interpretation deshalb: Ohne ausdrückliche schriftliche Einwilligung der Mutter darfst du die Probe nicht analysieren lassen.
Ich darf bei nicht einwilligungsfähigen Patienten nach Aufklärung der Vorsorgebevollmächtigten ALLES machen, was medizinisch indiziert ist, von Loch im Hals bis Exenteration, aber eine Genanalyse soll trotz Einwilligung nicht möglich sein?
Da würde ich gerne mal die allgemein herrschende Meinung von Betreuungsrichtern hören. Wie wäre denn das? Eilantrag beim Betreuungsgericht. Wobei die Vorsorgevollmacht ja genau DAS eigentlich unnötig macht / machen sollte...

davo
12.03.2017, 08:50
Ich bin mal auf die Antwort des Zentrums gespannt.

Es ging aus dem Text übrigens auch nicht hervor, ob die Töchter die Papiere jetzt unterschrieben haben oder nicht. Ursprünglich war ja alles für die Patientin gedacht, nicht für die Töchter. Es stellt sich also auch die Frage, ob die Töchter diese Bedenkzeit überhaupt hatten.

Meines Wissens kommt es bei einer Vorsorgevollmacht auch darauf an, was drinsteht, da sie nicht automatisch für alle Situationen und Entscheidungen gilt.

Und bei Minderjährigen ist es tatsächlich nicht eindeutig (da sich das Gesetz zwar spezifisch auf Ungeborene, aber nicht auf Minderjährige bezieht), und nach aktueller Lesart sehr kompliziert: http://www.gfhev.de/de/leitlinien/LL_und_Stellungnahmen/2013_08_01_Stellungnahme_Kinder_und_Jugendliche.pd f

Interessant ist dabei auch folgender Auszug aus der betreffenden GEKO-Richtlinie:

Genetische Untersuchungen ohne unmittelbaren Nutzen für nicht-einwilligungsfähige Personen sind auf unabdingbare Fälle zu begrenzen, in denen sich die genetische Fragestellung nach dem Stand der Wissenschaft durch die Untersuchung einwilligungsfähiger Verwandter nicht klären lässt.

(http://www.gfhev.de/de/leitlinien/Richtlinien_extern/RL-GenetischeUntersuchung.pdf)

Das spricht dafür, dass man stattdessen die Töchter untersuchen lassen müsste.

Das GenDG ist eben deshalb so kompliziert, weil die Ergebnisse einer Genanalyse, im Gegensatz zum "Loch im Hals", nicht nur für den Patienten, sondern auch für andere Personen große Auswirkungen haben können.

(Mir ist schon klar, dass es hier nicht um Chorea Huntington geht und dass das GenDG eher für "Extremfälle" formuliert wurde. Aber Sebastian ging es ja nicht darum, was "ethisch richtig" ist, sondern darum, welches Vorgehen derzeit rechtlich korrekt ist.)

Brutus
12.03.2017, 09:39
Das spricht dafür, dass man stattdessen die Töchter untersuchen lassen müsste.
==>

Es gibt Töchter; diese haben auch eine Vorsorgevollmacht. Sie wenden sich an ein Zentrum ffür gendiagnostik, zm für sich Klarheit zu haben. Die Testung wird als indiziert betrachtet; es soll auch die erkrankte Mutter getestet werden.
Die Töchter sollen ja untersucht werden. Die Indikation steht. Aber eben AUCH die Mutter.

vanilleeis
12.03.2017, 09:40
Da Du schreibst, dass die Töchter glaubhaft versichert können, dass es dem Willen der Mutter entspricht, die genetische Testung durchzuführen UND sie die Betreuungsvollmacht haben UND eine Indikationsstellung vorliegt, wüsste ich ehrlich gesagt nicht, was ein Betreuungsrichter da anders entscheiden sollte.
Ist aber eine interessante Fragestellung, berichte doch mal weiter!

Evil
12.03.2017, 10:50
Das GenDG ist eben deshalb so kompliziert, weil die Ergebnisse einer Genanalyse, im Gegensatz zum "Loch im Hals", nicht nur für den Patienten, sondern auch für andere Personen große Auswirkungen haben können.
Gerade das sprich aber im Sinne einer Güterabwägung FÜR die Testung, da die betroffenen Personen, nämlich die Töchter nicht nur eingewilligt haben, sondern es auch für sie unmittelbare Konsequenzen hat. Deren schützenswerte Gesundheit ist meiner Ansicht nach ein höheres Gut als das Selbstbestimmungsrecht der Mutter, von dem sie ohnehin nicht mehr Gebrauch machen kann.

Sebastian1
13.03.2017, 11:45
So, laut Leitung der Diagnostik mit Vorsorgevollmacht kein Problem.