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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Patient Suizidalität eruieren



PinkiePie
14.04.2017, 12:58
Hallo liebe Leutchen da draußen!

Wie macht ihr das bei einem Patienten, der psychisch etwas überlagert ist? Fragt ihr nach Suizidgedanken? Ich höre dann immer auf mein Bauchgefühl und dokumentiere das dann auch so und übergebe das dann auch so meinem OA.

Hatte neulich einen Patienten der sich von seiner Frau getrennt hat. Dem ging es körperlich und seelisch nicht gut. Mein OA kannte den Patienten schon lange und meinte "der geht sowieso auf revers heim". Ich hatte den Patienten offen gefragt "ob er Gedanken hat/hatte, sich etwas anzutun". Er verneinte bekräftigend. Das habe ich so dokumentiert.

Eine Pflegekraft meinte, dass ich nicht solche Sagen fragen soll, denn sonst könnt man die Leute auf dumme Gedanken bringen oder man könnte mich dafür belangen, wenn er sich wirklich was antut, dass ich ja schon was vermutet hab und nix unternommen hab (auch wenn der Patient gesagt hat, er tut sich nix an).

Wie handhabt ihr das im Arzt-Alltag?

Ich bin Berufsanfänger und bin in der ZNA als Arzt komplett allein, weil es nicht genügend Arzt-Personal gibt.

Danke für eure Hilfe!!

erdbeertoertchen
14.04.2017, 13:07
Fragen! Von selber erzählen es dir die Patienten nicht und schaden tut es auch nicht. Auf dumme Gedanken bringst du diese nicht. Und gut dokumentieren, ganz wichtig. Bei Unsicherheiten kannst du auch mit dem Diensthabenden aus der nächsten Psychiatrie Rücksprache halten. ( Einzugsgebiet beachten!)

PinkiePie
14.04.2017, 13:11
Also war es gar nicht so falsch, dass ich offen gefragt hab? Ich hab heut frei und komm irgendwie nicht aus dem Grübeln raus.

Dr. Jekyll
14.04.2017, 13:12
Immer ansprechen, die Pflegekraft erzählt gefährlichen Quatsch.

Sich das Leben zu nehmen ist keine Idee, auf die man sonst nicht selbst gekommen wäre.



Viele habe latente Todeswünsche ("wenn ich tot wäre, müsste ich mich nicht mehr um meine Schulden kümmern"), wollen aber sich nicht wirklich umbringen. Im Sinne einer Lebenspause aufgrund von schwierigen Umständen.

Todeswunsch?
Wie würden sie sich umbringen? Konkret vs vage Absicht.
Jemandem vorher Becheid geben?
Suizidversuche in der Vergangenheit?
Psychiatrische Grunderkrankung selbst oder Familie? z.B. Bipolar/Depression/Schiophrenie

Oft bringen sich die Stillen um, die laut Tönenden (Borderline)nicht. Was aber auch keine absolute Regel ist.
Rückzugstendenzen (fam. Umfeld, Verträge kündigen etc.) sind schlecht.
Tel. von Ansprechpartnern aushändigen (Telefonnummer Schulderberaung, tel. Seelsorge, Psychiatrie)

16matti
14.04.2017, 13:13
Hallo PinkiePie
Ich erinnere mich da an mehrere Vorlesungen aus dem Studium,in denen immer explizit gesagt wurde:wenn man den Verdacht hat der Patient könnte Suizidgedanken haben,dann sollte man auch direkt danach fragen-erst auf die Idee bringen würde man damit keinen,der sich nicht schon vorher damit beschäftigt hat. Insofern klingt deine Vorgehensweise für mich plausibel und ich würde das in ähnlichen Situationen genauso machen.( auch wenn ixh derzeit nichts mit der ZNA zu tun habe)Viel wichtiger,als irgendwas totzuschweigen,ist doch die Patienten mit ggf.Risiko für Suizidalität herauszufiltern und dann entsprechend Schritte einzuleiten.
Viele Grüsse

WackenDoc
14.04.2017, 13:15
Hör nicht auf die Pflegekraft, das was sie da gesagt hat, ist Quatsch.

Es gehört zur Standardanamnese psychiatrischer Patienten nach der Suizidalität zu fragen (in der Leitlinie zur unipolaren Depression sind Standardfragen dazu zu finden) und zwar ganz direkt: "Haben Sie schon einmal daran gedacht, sich umzubringen?"
Viele sind froh, dass es angesprochen wird, weil sie sich nicht trauen, es von sich aus anzusprechen.
Und von da aus kann man weiter explorieren wie konkret die Suizidaliät ist und auch worauf sich Suizidgedanken beziehen. Ist es ein diffuser Gedanke oder gibt es schon konkrete Pläne oder sogar schon Vorbereitungen. Was hält einen Patienten davon ab, es auch wirklich zu tun etc. Wie gesagt- dafür gibt es Checklisten, an die man sich halten kann.

Hast du konkret gefragt, der Patient verneint eine Suizidalität und du hältst das auch für halbwegs glaubhaft, dann passiert dir nichts, wenn er sich doch umbringt. Wichtig ist, es gut zu dokumentieren.

Und noch der Tip eher für die Hausärzte- bitte nicht die N3-Packung trizyklische Antidepressiva bei der Erstverordnung aufschreiben.

erdbeertoertchen
14.04.2017, 13:17
Nein es war nicht falsch zu fragen. Es ist wichtig zu fragen Gedanken nicht mehr Leben wollen? Ja nein? Bei ja was für welche? Pläne? Konkrete Pläne? SelbstmordVersuche in der Vergangenheit? Spätestens wenn derjengige sagt, er hätte
Pläne würde ich dir raten mit der Psychiatrie Rücksprache zu halten, bei uns ist es wichtig ob die Patienten absprachefähig sind ( ob diese versprechen können, sich zu melden, wenn die Pläne konkret werden) Dies einzuschätzen ist schwierig und als nicht Psychiater nochmal schwieriger.

erdbeertoertchen
14.04.2017, 13:28
Noch eine Anmerkung: Patienten ,die alkoholisiert sind und Suizidäusserungen tätigen, egal was sie dann bei uns in der Psych sagen, müssen dableiben und werden mindestens bis zum nächsten Morgen überwacht.

kekskruemel
14.04.2017, 13:34
Ich bin kein Arzt, kenne aber etliche Leute, die psychisch krank sind/waren und auch Zeiten mit Suizidgedanken hatten.
Keiner von denen ist erst mit Nachfrage des Arztes auf den Gedanken gekommen. Es ist ja keine echte Alternative, die man "einfach noch nicht bedacht" hat.
Einige waren auch froh, dass der Arzt das Thema ansprach. So konnten sie darüber reden, ohne das Gefühl zu haben, dass sie den Eindruck vermitteln, zu übertreiben und Zeit zu stehlen. War wie eine Erlaubnis, darüber reden zu dürfen und sich mal nicht zusammen reißen zu müssen, weil es jedem mal schlecht geht.

Kackbratze
14.04.2017, 13:37
Eine Pflegekraft meinte, dass ich nicht solche Sagen fragen soll, denn sonst könnt man die Leute auf dumme Gedanken bringen oder man könnte mich dafür belangen, wenn er sich wirklich was antut, dass ich ja schon was vermutet hab und nix unternommen hab (auch wenn der Patient gesagt hat, er tut sich nix an).

?!? Die Frage die ich mir dann immer stelle ist, warum wird diese Pseudo-Akademisierung der Pflege vorangetrieben, wenn die Basics nicht mal vorhanden sind?

Dr. Jekyll
14.04.2017, 18:17
Immer einen Beschluß machen und in eine Psychiatrie überweisen, wenn man sich nicht sicher ist und es Hinweise auf Vollendung gibt.

Rettungshase
15.04.2017, 13:37
War völlig richtig, dass du gefragt hast.
In meinen kurzen ZNA-Zeiten habe ich auch gar nicht groß rumgedruckst, sondern offen heraus gefragt (ggf. mit der Einleitung: Ich muss Sie das jetzt fragen: "Haben Sie schon einmal daran gedacht, Ihrem Leben ein Ende zu setzen?"). Euphemismen finde ich hier auch eher hinderlich, da es zu Missverständnissen führen kann.
Erfreulicherweise haben die Psychiater bei uns im Studium Wert darauf gelegt, dass wir das bei jedem psychiatrisch auffälligen Patienten so zu explorieren; da baut man die Scheu vor der Frage ab.
Du sagst ja auch nicht: "Puh, also ich an Ihrer Stelle würde mir sofort einen Strick knüpfen", sondern du fragst gerade heraus und lässt dem Patienten die Wahl, seine Antwort frei zu wählen.

Ich würde das an deiner Stelle auch noch mal in ner ruhigen Minute mit der Pflegekraft besprechen. Hier gibt es offenbar Klärungsbedarf.

WackenDoc
15.04.2017, 13:49
Vielleicht könnt ihr mal ne Fortbildung organisieren- "Umgang mit psychiatrischen Patienten/Suizidalität"