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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der falsche Grund um Medizin zu studieren?



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Stroke
19.04.2017, 12:55
Hallo!

Ist hier irgendjemand der nicht Arzt geworden ist/werden wird, weil er Menschen helfen will?

Ich spiele schon seit ich klein bin mit dem Gedanken Medizin zu studieren und habe dementsprechend letztes Jahr mein Abi auch mit 1,0 gemacht.
Ich möchte aber NICHT Arzt werden weil ich Menschen helfen will.
Meine Beweggründe wären
1. Unglaublich großes fachliches Interesse (Warum altert man? Wie funktioniert das Hormonsystem? Wie entsteht Krebs? Wie wird ein Bypass gelegt? Wie sieht ein Abszess auf dem CT aus? Etc etc)
2. Sicherer Job
3. Aufstiegschancen/ Weiterbildung/ neue Erkenntnisse (im Gegensatz zu zb einem Mathelehrer bleibt ein Arzt fachlich nicht 20 Jahre auf dem selben Stand sondern lernt immer neues dazu, wie man einen Winkel berechnet wird jedoch nicht neu erfunden werden bspw)
4. Gutes Einkommen

Ich bin jedoch kein emotionales Empathiebündel, das unbedingt anderen Menschen helfen will. Ich bin nicht zutiefst betroffen, wenn ich menschliches Leid sehe, es bereitet mir keine schlaflosen Nächte wenn auf Station zb auch mal ein Kind stirbt (habe ich im Pflegepraktikum festgestellt). Ich kann allerdings sehr gut mit Menschen umgehen, ihnen zuhören, sowie ihre Ängste usw nachvollziehen- sie berühren mich nur nicht.
Ich habe auf der Onkologie zb oft von den alten Leuten gesagt bekommen was für eine nette junge Dame ich wäre & dass ich doch Schwester werden solle. Ich bin also nach Außen absolut kein antisocial brick.

Ich mache mir nun allerdings Gedanken, ob man denn als Arzt auf Dauer gut UND glücklich sein kann, wenn man nicht dieses Helfersyndrom hat...? Wie schätzt ihr das ein?

Als ich zb mal bei einer OP zusehen durfte, kam währenddessen heraus, dass ein Tumor tiefgehender war als gedacht und somit die Heilungschancen der Person eigentlich weg waren. Nach der OP dachte ich nicht "Oh nein die arme Frau etc" sondern "Wow, dieser riesige Tumor, wie er verwachsen war, unglaublich spannend!"

Meint ihr so kann man Erfüllung als Arzt finden?

Stroke
19.04.2017, 13:11
Mann kann es am besten so sagen:
Das Fach interessiert mich, die Person nicht.

Migole
19.04.2017, 13:14
Ich bin zwar noch kein Arzt, aber du bist definitiv nicht der einzige, der kein Helfersyndrom hat ;-)
Ich finde es sehr schade, dass die Medien immer das Bild vorschieben, dass man als Arzt unbedingt dem Schwarzwalddoktor entsprechen muss und der ein oder andere den Studienplatz nicht verdient hat. Meiner Meinung nach ist fachliches Interesse die absolut beste Motivation um Medizin zu studieren. Was bringt mir ein Seelsorger, der unfähig ist mich anständig zu therapieren? Es gibt sooo viele verschiedene Möglichkeiten nach dem Studium. Vom Pädiater bis zum Labormediziner. Wenn du einen Studienplatz bekommen kannst und dich für die Materie interessierst, dann mach doch um Gottes Willen was du möchtest. Du bist niemandem etwas schuldig, nur dir selber.

Asystolie
19.04.2017, 13:24
Klar geht das. So n akutes Helfersyndrom kann auch eher "schädlich" als wirklich nützlich sein, Voraussetzungen ist es in keinem Fall. Fachliches Interesse ist denk ich das wichtigste, denn - wie Migole gesagt hat- man kann danach so vieles machen. Und selbst als Arzt musst du kein bedingsloses Mitleid für jeden empfinden, geht nicht, will keiner und ist auch besser so. Wichtig als Arzt(also als einer mit Patientenkontankt) ist denk ich, dass man schon gern mit Menschen umgeht, aber das scheint bei dir ja gegeben zu sein.
Lange Rede kurzer Sinn: Studier einfach und schau was da so auf dich zukommt

Echinococcus
19.04.2017, 14:22
Ich mag Menschen generell nicht sonderlich und bin trotzdem Arzt geworden. Fachliches Interesse ist viel, viel wichtiger als ein zu schweres emotionales Bündel. Das raubt einem sonst zuhause nur unnötig den Schlaf. Nur weil man kein Helfersyndrom hat heißt das ja nicht, dass man den Patienten gegenüber nicht trotzdem aufgeschlossen und freundlich gegenübertreten kann.
Als ich noch normal auf Station unterwegs war hab ich viel positives Feedback von Patienten bekommen obwohl ich kein Problem hatte, beim Verlassen der Klinik sofort den Ballast abzuwerfen. Das kannst du sicher auch.

nie
19.04.2017, 15:28
...antisocial brick.

:-)) der Begriff gefällt mir


Wenns mir nur ums "Menschen helfen" ging, wär ich beim Rettungsdienst geblieben. Helfen kann man da mehr als genug und kann sich das Medizinstudium sparen. Medizin studiert hab ich hauptsächlich aus "zukunftstechnischen" Gründen und weil ich mehr wissen/können wollte als das was ich als Rettungsassistentin weiß/kann.

Empathie gehört definitiv nicht zu meinen herausragendesten Eigenschaften und ich bin auch nicht der größte Menschenfreund. Gehöre auch eher zu den Menschen, die sämtliche Ballast mit Dienstende abwerfen und nehme das nicht mit nach Hause. Bin auch noch im Studium aber über 6 Jahre Notfallmedizin haben mir bisher keine schlaflosen Nächte bereitet.
Wie Echinococcus schon sagt, hindert das einen ja nicht daran, Patienten freundlich gegenüberzutreten. Ich habe bisher immer nur positives Feedback bekommen, sowohl im Job als auch in Famulaturen, scheine also meine Sache nicht ganz so schlecht zu machen. Und es findet sich für jeden nach dem Studium eine Ecke, es zwingt einen ja keiner, in der direkt Patientenversorgung zu arbeiten.

Letzten Endes bin ich auch noch keine Ärztin und weiß nicht, ob ich in dem Job dauerhaft glücklich werde aber ich arbeite jetzt schon einige Jahre im medizinischen Bereich und mit Patienten, hab außerdem den Großteil des Studiums hinter mir und bisher gehts mir ganz gut damit.

Shizr
19.04.2017, 16:23
Ist hier irgendjemand der nicht Arzt geworden ist/werden wird, weil er Menschen helfen will?


Meint ihr so kann man Erfüllung als Arzt finden?
Vielleicht sogar besser als mit dem Vollbild des Helfersyndroms.


Ich finde deine Einstellung alles andere als bedenklich, und wenn man sich vernünftig abgrenzen, aber den Patienten dennoch empathisch begegnen kann, ist m.E. alles in Ordnung.
Vor allem für deine eigene Psyche.

Feuerblick
19.04.2017, 17:27
Diejenigen, die nicht mit ausgeprägtem Helfersyndrom in den Job starten, sind am Ende angesichts der Arbeitsbedingungen auch deutlich weniger desillusioniert.
Man muss Menschen weder lieben (nur mit ihnen umgehen können) noch die Welt und/oder die Menschen retten wollen, um Arzt zu werden.

xyl15
19.04.2017, 18:16
Meiner Einschätzung nach treffen deine Gründe auf einen großen Teil der Medizinstudenten zu. Nur sind sie nicht so ehrlich wie du, anderen und sich selbst gegenüber das einzugestehen.

Diejenigen, die das wirklich aus humanistischen oder altruistischen Gründen tun, sind meiner EInschätzung nach in der Minderheit.

Die entscheidende Frage: Wem es wirklich um das Menschen Helfen geht, könnte ja auch Sozialarbeiter oder Krankenpfleger beispielsweise werden. Allerdings mit viel weniger gesellschaftlichem Prestige und schlechterer Bezahlung. Also: Wer will zu diesen Bedingungen immer noch Menschen helfen?

schmuggelmaeuschen
19.04.2017, 22:18
Ich würde mich trotzdem nach Alternativen um schauen.
Das Einkommen ist zwar gut, aber es gibt im Bereich Medizin/NaWi viele Möglichkeiten ganz gut zu Verdienen und den ganzen Kram dabie zuhaben, den du bei Medizin hast und der dich wohl eher nicht so interessiert. Man braucht auf keinen Fall ein Helfer Syndrom und es muss einem auch niemand leid tun, aber man sollte sich schon für Medizin und die ärztliche Läufbahn interessieren.
Was du so schreibst klingt eher als würde dich der Bereich Forschung interessieren, weil wirklich tiefe ein Blicke bekommst du im Studium nicht und spätr musst du dich auf ein Fach festlegen. Ich habe selber 2 Jahre in der Forschung gearbeitet und da bekommt von viel tiefere Einblick. Natürlich kann man auch als Arzt in die Forschung gehen, aber da wird man neben den NaWi immer in der 2. Reihe stehen, außerdem ist der Weg dann unnötig lag.
Informieren dich doch mal über die Studiengänge, die Richtung medizinische Forschung gehen (LifeScience, molMed,MedTech, etc) Ich glaube damit wärst du glücklicher

Migole
19.04.2017, 22:35
Schmuggelmaeuschen, wenn du in der Forschung gearbeitet hast wirst du doch sicher auch die Arbeitsmarktsituation dieser Absolventen kennen oder? Stichwort: Zeitverträge, beschissene Bezahlung, (unbezahlte) Überstunden ohne Ende, Umzüge alle 1-2 Jahre und und und. Und wenn einen der Mensch und seine Funktionsweise interessiert, was soll man dann in der Forschung, in der man niemals einen Patienten zu Gesicht bekommen wird und sich meistens nur mit hoch speziellen Fragestellungen auseinander setzt?
Ich weiß ja auch nicht wo du gearbeitet hast, aber Ärzte werden in vielen Fällen den NaWis vorgezogen, da sie eben die Approbation besitzen. Zumal einem auch Fachärzte wie Labormedizin/Mibi/Hygiene und/oder die "nebenberufliche" Forschung an Unikliniken offen stehen. Und wenn es dann im undankbaren und hart umkämpften Feld der Forschung doch nicht klappt ist man eben immernoch Arzt und findet (fast) garantiert immer und überall einen Job.

Echinococcus
20.04.2017, 07:46
Also Schmuggelmäuschen, als "Ex-Nawi" und jetzt Arzt kann ich dir eigentlich nur widersprechen. Einkommen, Vertragsdauer, Zukunftsperspektiven und vor allem berufliche Alternativen sind für einen Arzt viel besser als für einen Naturwissenschaftler, auch in den theoretischen Fächern. Wenn Freunde oder Bekannte, die an Life-Sciences interessiert sind, mich fragen was sie studieren sollen ist mittlerweile meine Antwort immer: Humanmedizin.

Nur so als Beispiel: Ich als ziemlich frischer Assistenzarzt bin in dem Institut wo ich arbeite (und neben Routine auch viel geforscht wird) nominell der Vorgesetzte von einem ganzen Haufen Naturwissenschaftlern die den Spaß schon viele, viele Jahre machen. Und verdiene jetzt schon mehr. Und ich weiß, dass es mir nicht nur hier so geht. Kenne dieselben Vergleiche von vielen anderen Arbeitgebern.

Und selbst wenn es nicht so wäre hat man mit der Approbation eben IMMER die Chance, einfach irgendwo Arbeit zu finden wenn alle Stricke reißen. Meine Chemiker/Biologen/etc. Freunde dagegen bekommen jedesmal Existenzangst wenn die Verträge oder Drittmittel so langsam auslaufen...

davo
20.04.2017, 08:11
@Stroke: Es gibt viele Ärzte, die so denken wie du. Ist glaube ich auch völlig egal, solange man gute Arbeit leistet.

Als Naturwissenschaftler in der Forschung zu arbeiten ist IMHO nur etwas für Masochisten.

Stroke
20.04.2017, 18:51
Vielen dank für euren Input.
Es freut mich schonmal sehr, zu hören, dass es noch andere Leute gibt, die nicht "Ich will Menschen helfen/ guter Samariter sein" als Grund für das Studium haben.
Dass man auch mit meiner Einstellung ein guter Arzt werden kann (vilt sogar fachlich manchmal ein besserer?), denke ich auch.
Meine Frage ist eher ob man dann auch GLÜCKLICH mit diesem Job werden kann. Also, ob das fachliche Interesse wohl für 40J reichen kann um zufrieden zu sein und irgwo Erfüllung in seinem Job zu finden....
Aber das kann mir vilt nur ich selbst in 40 Jahren beantworten.

Solara
20.04.2017, 18:57
Muss einen der Job (!) glücklich machen? Kann er das überhaupt?

Ich sage nein.
Zufrieden machen, nicht langweilen, nicht belasten, das sind mM Dinge, die ein Job erfüllen kann und sollte, mehr erwarte ich nicht davon.

Feuerblick
20.04.2017, 19:03
Muss einen der Job (!) glücklich machen? Kann er das überhaupt?

Ich sage nein.
Zufrieden machen, nicht langweilen, nicht belasten, das sind mM Dinge, die ein Job erfüllen kann und sollte, mehr erwarte ich nicht davon.
Das unterschreibe ich mal!

davo
20.04.2017, 19:05
Also, ob das fachliche Interesse wohl für 40J reichen kann um zufrieden zu sein und irgwo Erfüllung in seinem Job zu finden....

Ich bin mir sogar absolut sicher, dass das möglich ist. Da denk ich einfach erneut an den typischen Pathologen oder an den typischen Mikrobiologen. Und auch unter den klinischen Oberärzten an der Uniklinik gibt es sicher viele, bei denen die Faszination für die Theorie, die Pathogenese, die Therapie die primäre Triebfeder ist.

GelbeKlamotten
20.04.2017, 19:37
Ich kenne ehrlich gesagt keinen einzigen Oberarzt an einer Uniklinik, der einen wirklich glücklichen Eindruck macht ;-)

davo
20.04.2017, 19:41
Ach, da kenn ich einige... sogar in der Inneren und der Chirurgie :-p

Miss_H
20.04.2017, 21:04
Muss einen der Job (!) glücklich machen? Kann er das überhaupt?

Ich sage nein.
Zufrieden machen, nicht langweilen, nicht belasten, das sind mM Dinge, die ein Job erfüllen kann und sollte, mehr erwarte ich nicht davon.

Es gibt schon einige Leute, die nicht viel neben ihrem Beruf machen/haben. Ich denke die macht der Job schon glücklich. Für mich persönlich ist das auch nichts. Ich werde arbeiten um Geld zu verdienen und hoffentlich dabei Spaß haben. Aber da ist einfach jeder anders.

NaWis kann ich auch nicht empfehlen (habe ich vorher gemacht). Wenn du die Arbeit mit Patienten nicht jetzt schon nervig findest, dann wird das Humanmedizinstudium auch für dich gut werden. Gerade die Vorklinik ist sehr theoretisch, das wird dir bestimmt gefallen. Der klinische Teil ist praktischer, aber das muss einen ja nicht davon abhalten sich die Theorie anzulesen.