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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die Superklinik



Lava
08.05.2017, 12:26
Ich weiß nicht, ob das hier schonmal diskutiert wurde. Falls nicht, ist es an der Zeit, finde ich.

Vor einigen Monaten habe ich auf sueddeutsche.de einen Artikel über einen radikalen Vorschlag zur Versorgung mit Krankenhäusern gelesen. Und zwar ging es darum, das derzeit sehr dezentrale System abzuschaffen und durch große Kliniken, die alles versorgen können, sowie dezentrale Ambulanzen, die einschätzen, was stationär behandelt werden muss und was nicht, zu ersetzen. Zunächst war ich ziemlich strikt gegen diese Idee. Einerseits, weil ich selber an einer sehr kleinen, sehr spezialisierten Klinik gearbeitet habe und fand, dass wir unsere Sache gut machen und eine große Klinik das nicht besser kann. Eher sogar schlechter, wenn man mehr Notfälle aufnehmen muss und kein reines Elektivprogramm hat. Außerdem ist es für Patienten und Angehörige doof, wenn die nächste Klinik vielleicht 50 oder mehr Kilometer weit weg ist.

Mittlerweile sehe ich das ein bisschen anders. Wenn ich mir unsere mittelgroße Klinik so ansehe, fallen mir doch etliche Probleme auf. Erstens fehlen uns viele Fachrichtungen (HNO, Auge, Derma, Pädiatrie, Urologie um nur die wichtigsten zu nennen), so dass man nicht mal eben schnell ein Konsil machen kann, wenn man ein Problem in der Richtung hat. Man muss also jedes Mal überlegen: kann das Problem warten und ambulant gelöst werden? Können wir es selber lösen (einfach mal Kortisonalbe drauf :-D)? Oder muss ich den Patienten gar verlegen? Und jeder weiß, wie schwierig das sein kann. Zweitens kommt man auch in seinem eigenen Fach schnell an die Grenzen, wenn man eben nicht der Supermaximalversorger ist. Das sehe ich bei uns in der Unfallchirurgie oft. Das führt dann entweder dazu, dass man etwas schlecht oder zumindest nicht optimal behandelt, oder dass man zu spät einsieht, wenn man überfordert ist und einen Patienten nicht verlegt, obwohl es vielleicht besser wäre.

So schlecht ist die Idee, eine Klinik mit sehr hoher Kompetenz zu haben, also nicht. Klar wäre eine Umsetzung technisch schwierig. Wer will schon in so einer dezentralen Notaufnahme arbeiten, wo man entweder Kleinkram behandelt oder die interessanten Fälle weiter schickt? Wie seht ihr das? Man davon abgesehen, ob die Idee umsetzbar ist, was haltet ihr davon?

Fr.Pelz
08.05.2017, 13:32
Hm, also ich arbeite ja an einem nicht-universtären Maximalversorger, wir schicken nur sehr wenig weg (Brandopfer, thorakale Aortenaneurysmata) und haben fast jede Fachrichtung auch nachts da. Unsere Notaufnahme ist auch so aufgebaut, dass es eine "Sprechstunde" für den Kleinkram gibt bis 20 bzw 18 Uhr, erst danach muss man alles behandeln als Notaufnehmer. Dieses System ist noch optimierungsbedürftig, (vor allem sollte rund um die Uhr die Sprechstunde besetzt sein, sonst hat man als Chirurg immer noch zu viel zu tun, als dass es Bereitschaftsdienst wäre.) Aber ich sehe die Vorteile ganz klar darin, dass man viele Leute unterschiedlichster Fachrichtungen da hat. Man kennt ja auch irgendwann seinen "Hauptkonsiliarius" und dann den auch auf dem kurzen Dienstweg was fragen.
Andererseits sind es insgesamt auch so viele Leute in der Klinik, dass man, wenn man jemanden nicht mag, ihm auch gut aus dem Weg gehen. Ein herzliches Miteinander vermisse ich jetzt trotzdem nicht, auf den einzelnen Stationen herrschen ja meist kleine Mikrokosmen, in denen man sich schnell zu Hause fühlt. Die Schwestern sind zum großen Teil sehr nett und kümmern sich.
Mich hat letztens eine Schwester von der Station, auf der ich vor 1 Jahr war, angerufen und verraten wo sie noch Bärlauch bekommen hat :-)

Ich finde die Größe der Klinik gut, in einer kleineren müsste man vermutlich mehr über den Tellerrand schauen und auch mal Fachfremdes machen. Ich kann aber bislang auch gut ohne das leben bzw lass mir fachfremde Zusammenhänge gern von kompetenten Kollegen erklären ;-)