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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Neurologiejahr nach sechs Monaten abbrechen?



throni
08.05.2017, 18:30
Hallo Leute,

nach abgeschlossenem Studium Ende letzten Jahres habe ich im März meine erste Stelle in einer neurologischen Rehaklinik angetreten. Mein Berufsziel ist die Psychiatrie und ich dachte, es würde Sinn machen, das Neurojahr zuerst abzuleisten. Jetzt bin ich seit gut zwei Monaten dabei und meine Motivation ist auf dem Tiefpunkt. Ich bin seit der zweiten Woche alleinige Stationsärztin für 22 Patienten der Phase C. Es gibt bei den kleinen medizinischen Alltagsproblemen keinen Kollegen, den ich schnell mal was fragen kann. Mein Oberarzt ist super, aber oft nicht erreichbar. Und klar, es gibt Patienten, die machen auf der Phase C fast gar keine Arbeit medizinischerseits. Aber ich habe auch nicht wenige Patienten, die schon ziemlich krank sind, und das nicht nur neurologisch (Stichwort "critical illness PNP" nach intensivmedizinischem Aufenthalt). Selbst bei Notfällen ist tagsüber oft kein Facharzt erreichbar. Darüberhinaus stehe ich ständig vor dem Problem der eingeschränkten diagnostischen Möglichkeiten. Einen Röntgenthorax bekommen ist mühsam, Laborwerte kriege ich nur bis mittags, ein schnelles Konsil überhaupt nicht. Ich kann aber auch nicht jeden Patienten ständig verlegen, nur, damit sich ein Chirurg den entzündeten Zeh anguckt. Das ist gerade für mich als Anfängerin anstrengend. Die Schwestern sind nett, aber langsam sichtlich genervt von mir, weil ich oft Dinge vergesse oder ihre Probleme nicht sofort oder gar nicht lösen kann. Ich habe riesige Probleme, eine Station mit 22 Patienten alleine zu organisieren und alles im Blick zu behalten und ich habe schon das ein oder andere mal gravierendere Dinge übersehen oder zu spät gesehen. Ich habe das Gefühl, das meiste lernen ich, weil ich Fehler mache, die mir dann eben immerhin nicht noch mal passieren. WAS ich lerne ist gefühlt überschaubar und hauptsächlich Allgemeinmedizin (BZ, RR, HWI, Pneumonie, Antikoagulation, etc.), da man die Patienten ja über mehrere Wochen begleitet. Neurologisch lerne ich fast nichts. Hinzu kommt die uferlose Bürokratie, die in der Reha noch mehr Zeit einnimmt als im Akuthaus. Zu guter Letzt mache ich jeden Tag eine halbe bis manchmal auch zwei Überstunden, die weder in Freizeit abgegolten noch ausbezahlt werden.

Jetzt habe ich überlegt, noch vier Monate auszuharren und dann erstmal in die Psychiatrie zu gehen, um mir hoffentlich meine verloren gegangene Motivation wiederzuholen. Mein letztes halbes Jahr Neuro würde ich dann gerne in einem Akuthaus machen in der Hoffnung, mir da doch noch ein bisschen mehr neurologisches Fachwissen aneignen zu können. Eine Stelle in der Psychiatrie zu finden dürfte wohl nicht so schwierig werden. Ich habe nur Bedenken, ob ich später in der Neurologie noch genommen werde, wenn ich nur noch ein halbes Jahr brauche. Selbst wenn man nicht mit offenen Karten spielen würde wäre das aus meinem Lebenslauf ja ersichtlich.

Grüße
die Throni

mary-09
08.05.2017, 19:28
Hi Throni,
kann fachlich nicht so viel beitragen, weil ich mit Anästhesie wohl ein Fach mache, was mit deinen Problemen nicht so wirklich Schnittpunkte hat.
Aber: In der Neuro eine Stelle zu finden, dürfte doch wirklich, wenn, dann nur unwesentlich schwieriger sein als in der Psychiatrie. Das sind doch beides Fächer mit ziemlich deutlichen Nachwuchssorgen und da wirst du sicher auch für den überschaubaren Zeitraum von 6 Monaten was finden.
Dein Plan klingt doch soweit ganz gut, sofern du meinst, dass du es dort wirklich noch 4 Monate aushältst. Das was du beschreibst, klingt wirklich nicht schön und ich kann gut verstehen, dass du da weg möchtest. Von daher würde ich es wohl genau so machen, wie du dir das gedacht hast, bzw. ggf. sogar noch früher die Reißleine an deiner jetzigen Stelle ziehen, wenn es dich zu sehr belastet und dann zur Not nochmal ein komplettes Jahr in einem Akuthaus machen. Da sollten ja zumindest die Probleme was Ansprechpartner bei Fragen und Diagnostik angeht, etwas besser zu lösen sein.
Viel Glück!

SineNomine
08.05.2017, 19:28
Die meisten Weiterbildungsstellen in der Psych bieten ein zugesichertes Neurologie-Jahr. Im schlimmsten Falle wird man von Dir fordern, dass Du statt nem halben ein Jahr machst, aber das ist auch die schlimmste der denkbaren Möglichkeiten mMn

Madeleine88
08.05.2017, 20:24
Das klingt wirklich nicht schön was du beschreibst.
Mir ging es ganz ähnlich: ich wollte langfristig immer Pädiatrie machen, dachte aber, dass etwas Erfahrung in der Innerennicht schadet. Jetzt werde ich nächsten Monaten nach insgesamt 8 Monaten endlich das Fach wechseln.
Ich dachte auch immer 6 Monate sollte man schon durchhalten, allein schon für den Lebenslauf.. Rückblickend denke ich das ist echt nicht notwendig, zumindest nicht für den Lebenslauf. Falls es also echt so blöd bei dir ist und du das Gefühl hast deine Zeit zu vergeuden, würde ich sogar schon ab sofort eine neue Stelle suchen! Dann musst du wohl das ganze Neuro-Jahr wiederholen, würdest aber vermutlich mehr lernen.
Falls du aber halbwegs gerne zur Arbeit gehst, ist es aber auch bestimmt kein Fehler noch die 4 Monate durchzuhalten.
Übrigens glaube ich auch, dass man immer deutlich mehr lernt als man vielleicht selbst den Eindruck hat. Allein schon die ganzen allgemeinmed. Dinge nutzen dir in der Psychiatrie dann ja auch!
Viel Erfolg bei der Entscheidung!

querfeldein
10.05.2017, 18:02
throni, was du da alles schreibst - da hast du in zwei Monaten schon unglaublich viel gelernt! Echt jetzt! Oder du warst vorher schon ein totaler Überflieger :) Das klingt nach ehrlich viel Arbeit und viel Verantwortung.
Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Wenn du meinst, du profitierst von deiner Zeit in dieser Reha-Klinik und du möchtest noch etwas mehr dort lernen, dann mach ruhig die 6 Monate voll. Wenn du dich aber ausgenutzt und ausgepowert fühlst, dann ist es meiner Meinung nach ein Zeichen von Selbstachtung ggf. früher abzudanken. Im Endeffekt ist es doch wirklich komplett schnuppe, ob du deine FA-Weiterbildung nun 2, 3 oder 4 Monate früher oder später fertig bekommst. Mach, was für dich am besten ist. Ich denke nicht, dass eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung irgendwelche relevanten Unterschiede für deine weiteren beruflichen Möglichkeiten zur Folge haben wird.

tensun
11.05.2017, 20:41
ich würde mir auch keinen Kopf machen wegen den 6 Monaten. Mach einfach wozu du Lust hast. Das ist meistens die beste Entscheidung. Mehr Bauch weniger Kopf - auch bei Gefühlen.

Ich wusste gar nicht dass Neuroreha auch als Neurologiejahr anerkannt wird. Ist das sicher?

throni
11.05.2017, 20:46
Klar, das geht auf jeden Fall. Ich könnte mir das Jahr hier auch als Innere anrechnen lassen, weil wir auch internistische Oberärzte haben. Also falls ich ein Jahr bleibe ;)

Trenn
11.05.2017, 21:26
Neurologie ist für mich Akutdiagnostik, und das hast du in der Reha nicht (aus strukturellen Gründen). Wenn du noch viel Neurologie lernen will, mach einfach die nächsten 6 Monaten in einem Akut-Krankenhaus mit Thrombektomie-Möglichkeit. Allerdings wirst du nicht mehr viele Notaufnahme-Dienst mehr machen können, da du nach der Einarbeitung auch relativ schnell weg bist. Für die stationäre Psychiatrie ist es bestimmt nicht so schlecht, allgemeinmedizinisch gut ausgebildet zu sein.

Also wenn du mehr Neuro haben willst und auch bereits bist, relativ anstrengende Dienste (nicht unfallchirurgisch anstrengend, aber teilweise 12 Stunden-nix-essen-anstrengend), dann wechsle sofort in die Neuro. Du verlierst zwar 3 Monate, kannst danach aber auch etwas Akutneurologie.

Wenn du nicht so Neurologie-interessiert bist und das Zeil hast, ein guter Psychiater zu werden, kann dir deine allgemeinmedizinische Ausbildung in der Phase C sogar nützlicher sein. Ich würde trotzdem nach 6 Monaten wechseln, da das was du beschreibst wenig mit Akutmedizin zu tun hat. Phase C Patienten gehen z.T. nach Hause und werden bis zur Reha vom Hausarzt betreut.

throni
12.05.2017, 06:41
Ja, ich denke eigentlich, dass das, was man in der Akutneurologie lernt, für die Psychiatrie größtenteils vernachlässigbar ist. Da sind allgemeinmedizinische Fähigkeiten wichtiger. Unsere Dienste hier sind übrigens teilweise ziemlich heftig, wir haben 80 Phase B Patienten und 12 Beatmungsplätze, dazu eine "geschlossene" Station mit HOPSlern. In die Phase B würde ich im Sommer rotieren .