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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ernüchterung



Muradin
01.06.2017, 19:02
Hallo alle zusammen

Ich weiss ehrlich gesagt nicht, wie genau ich euch mein Anliegen beschreiben soll. Aber vielleicht ist es am besten, wenn ich euch einfach mal meine Gefühlslage beschreibe, und zwar sieht die in etwa so aus:

Ich befinde mich momentan in meinem Wahlstudienjahr (ist das PJ der Schweiz) und bin zur Zeit auf der Inneren tätig. Zuvor war ich bereits 2 Monate auf der Chirurgie. Vor meinem PJ freute ich mich, wie wohl die meisten von euch, sehr darauf, dass es endlich mit der praktischen Arbeit losgeht. Nun, was soll ich sagen, nach gut 10 Wochen ist bei mir eine Ernüchterung aufgetreten, die ich nicht für möglich gehalten hätte und es bringt mich echt zum Nachdenken. Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, geht es mir deshalb auch nicht so sonderlich gut. Ich habe mich immer sehr für die Medizin interessiert, aber seit ich mit der Arbeit begonnen habe, sind meine Gefühle fast gleichgültig geworden. Ich weiss nicht an was es liegt, aber die Sachen, die mir während des Studiums und in der praktischen Kursen sehr gefallen haben, schrecken mich fast schon ab. Ich ertappe mich dabei, wie ich mir wünsche, anstelle des Medizinstudiums lieber Rettungssanitäter oder Physiotherapeut gemacht zu haben. Der Grund dafür ist folgender: Bei den genannten Berufen komme ich an ein Problem heran, versuche es zu lösen, und kann dann das Ganze abschliessen. Es ist vielleicht etwas schwer nachzuvollziehen oder zu verstehen wie ich das meine. Aber auf gewisse Art und Weise sehne ich mich nach einem etwas simpleren Beruf, wo ich meine Arbeit erledige und mich nicht noch mit tausend anderen Sachen beschäftigen muss. Natürlich hat man in anderen Berufen auch Stress und steht vor Problemen, aber irgendwie stelle ich es mir einfacher vor. Ich müsste nicht noch tausend Telefonate machen, hunderte Seiten von Berichten schreiben und zusätzlich noch die Visiten und Journal Clubs o.ä. vorbereiten.

Es war mir immer klar, dass der Arztberuf viel Arbeit und Stress bedeutet, und ich scheue mich auch nicht vor viel Arbeit. Aber um das Beispiel des Rettungssanitäters noch einmal zu nennen: Als Rettungssanitäter komme ich an einen Unfallort, versuche dem Patient zu helfen, liefere ihn anschliessend im Spital ab, schreibe den Schlussbericht und gut ist. Im optimalen Fall konnte ich dem Patienten direkt helfen, und das ist eigentlich alles, was ich mir wünsche. Irgendwie habe ich gemerkt, dass mir die intellektuelle Herausforderung viel weniger wichtiger ist, als ich ursprünglich gedacht habe...

Ist es falsch, dass ich von einem simpleren Beruf träume, und trotzdem glücklich zu sein? (Ohne Rettungssanitäter oder andere Berufsgruppen klein zu machen). Kann jemand mein Problem nachvollziehen, oder spinne ich jetzt völlig? Hat jemand vielleicht sogar einen Tipp, was ich in meiner Situation tun könnte?

Ich bin für jede Meinung dankbar, und entschuldigt den langen Text, aber das musste raus. Vielleicht gibt es ja jemand, der meine Situation ein wenig nachvollziehen kann.

Liebe Grüsse

Rettungshase
01.06.2017, 19:59
Ohne Witz: Werd doch Anästhesist in nem kleinen Krankenhaus.


Außerdem habe ich den Eindruck, dass du den Beruf des Rettungssanitäters romantisierst ;)


Ich fand Stationsarbeit auch schon immer eher weniger toll, aber es gibt für fast jeden ähm... Arzttopf einen Deckel ;)

Heerestorte
01.06.2017, 20:10
Notarzt werden :-))

Muradin
01.06.2017, 20:35
Notarzt ist mir natürlich auch in den Sinn gekommen, nur dachte ich bisher, dass man Notarzt nicht im Vollzeitpensum machen kann, zumindest in der Schweiz...

Muradin
01.06.2017, 20:40
Ohne Witz: Werd doch Anästhesist in nem kleinen Krankenhaus.


Außerdem habe ich den Eindruck, dass du den Beruf des Rettungssanitäters romantisierst ;)


Ich fand Stationsarbeit auch schon immer eher weniger toll, aber es gibt für fast jeden ähm... Arzttopf einen Deckel ;)

Nun ja romantisieren wäre vielleicht der falsche Ausdruck. Mir geht es mehr darum, dass ich festgestellt habe, dass ich keine intellektuelle Herausforderung brauche, um glücklich zu sein bei der Arbeit. Ist wie gesagt nicht böse gemeint gegenüber Rettungssanitäter, natürlich müssen die auch einiges auf dem Kasten haben, speziell in der Schweiz ist die Ausbildung schon anspruchsvoll.

Heerestorte
01.06.2017, 20:45
Notarzt ist mir natürlich auch in den Sinn gekommen, nur dachte ich bisher, dass man Notarzt nicht im Vollzeitpensum machen kann, zumindest in der Schweiz...

Hmm, ja gut, das weiß ich natürlich auch nicht.

THawk
01.06.2017, 21:09
Ich glaube da spielen zwei Sachen eine Rolle. Das richtige Fachgebiet finden und die Veränderungen im PJ.

Zum gewissen Grad ist Medizin immer stressig, aber mit Beginn des PJ und auch später in der ersten Zeit als AA kommen viele Eindrücke, mehr Verantwortung und gestiegene Ansprüche auf einen zu. Die Arbeit wird einfacher wenn man erstmal die Basics drauf hat, es ist normal sigh am Anfang unwohl und überfordert zu fühlen. Ich würde dir raten dich durch zu beißen und Ausschau danach zu halten wo du langfristig deine Nische finden könntest.

Manchmal geht es mir heute noch so, dass ich gerne mit der Putzfrau tauschen würde, aber mit der Zeit kommen doch auch immer mehr bereichernde Momente hinzu.

Mano
05.06.2017, 20:42
Nein du spinnst nicht.
Zum einen ist man als Berufsanfäger eigentlich immer ersteinmal chronisch überfordert (ja, so ging es mir auch zu Anfang als Rettungssanitäter) - sobald man die täglich anfallenden Dinge sicher beherrscht wird es deutlich entspannter. Das dauert natürlich je nach Beruf mal mehr, mal weniger lange.
Zum anderen geht es mir auch manchmal so, dass ich mir einen Beruf mit weniger Verantwortung wünschen würde. Als Rettungssanitäter oder -assistent oder Pflegekraft kannst du dir immer nen Arzt dazu rufen und die Verantwortung abgeben. Auch bei primär nicht-fachlichen Problemen sondern organisatorischen Dingen wird das von einigen Pflegekräften bei uns so gehandhabt "nicht meine Aufgabe, soll sich wer anderes drum kümmern. Bis es läuft bin ich in der Kaffeebude". Aber wie so vieles gibt es dabei zwei Seiten der Medaille: Ich möchte nicht auf Dauer weisungsgebunden arbeiten und ich stelle mir das schon schwierig vor, wenn ich mir nach 30 Jahren Berufserfahrung von nem blutjungen Notarzt erklären lassen müsste, wie ich zu arbeiten habe...
Letztlich gibt es in der Medizin ja auch unendlich viele Möglichkeiten als Arzt zu arbeiten. An einem Maximalversorger wird dich das latente Gefühl der Unzulänglichkeit bei bestimmten Patienten vermutlich bis zur Rente begleiten - in der ambulanten Medizin oder einem kleinen Haus bzw. Fach dürfte das hingegen irgendwann zur Ausnahme werden. Letztlich passiert da doch das gleiche wie oben zwischen den Berufsgruppen beschrieben: Schwieriger, komplexer Kasus bei dem man nur verlieren kann -> lieber an die Uni weiterverlegen...

davo
05.06.2017, 21:08
Werd Hausarzt. Da hast du vieles von dem, was du gerne hättest.

epeline
06.06.2017, 11:49
Manchmal geht es mir heute noch so, dass ich gerne mit der Putzfrau tauschen würde, aber mit der Zeit kommen doch auch immer mehr bereichernde Momente hinzu.

Oh das Gefühl kenne ich. Verantwortung ist manchmal zu kotzen.
Du spinnst nicht. Ich denke man romantisiert am Anfang den Arztberuf. Man kommt schwer ins Studium, strengt sich an und ist geflasht von dem vielen Input. Naja und die Realität ist manchmal ätzend. Auch arbeiten im Team hat nervige Seiten, so wie Patienten eben auch Menschen mit negativen Eigenschaften sein können und nicht nur der spannende Fall aus der Vorlesung.

Aber jeder Beruf hat solche Seiten. Ich habe auch mal in einer Tiefphase in andere Fachbereiche geschnuppert, hospitiert und da irgendwie den Weg zu meinem Fach zurück gefunden. AUch wenn ich immer noch morgens beim Wecker klingeln das Bett verlockender finde als den Weg zur Arbeit.
Wichtig ist ein ausgeglichenes Privatleben und ein zwei liebe Kollegen, bei denen man sich mal ausheulen darf. Dann fällt es auch leichter, das Schöne aus dem Beruf zu ziehen.
Und zum Innere-Tertial: alles geht mal vorbei ;-)

facialis
06.06.2017, 17:43
Als Rettungssanitäter komme ich an einen Unfallort, versuche dem Patient zu helfen, liefere ihn anschliessend im Spital ab, schreibe den Schlussbericht und gut ist. Im optimalen Fall konnte ich dem Patienten direkt helfen, und das ist eigentlich alles, was ich mir wünsche. .


mach radiologie: du machst den fall auf, schreibst einen befund und gut ist

Nessiemoo
06.06.2017, 19:07
Man ist halt im PJ ganz am Anfang seiner Ausbildung. Klar, man hat das Gefühl, dass man schon sooo lange schon dabei ist, aber so im Krankenhaus am arbeiten ist man dann doch erst wenige Monate - und auch Rettungssanitäter fühlen sich bestimmt relativ verloren und überfordert am Anfang. Letztendlich wird jeder Fach in Arztberuf irgendwannmal zu Routine, auch Innere (auch wenn man das Fach mögen muss mit ihren multimorbiden Patienten. Manche Fächer haben sicherlich viel mehr Routine und weniger "drumherum denken" als andere - z.B Anästhesie, Radiologie oder auch die kleineren operativen Fächer (z.B Urologie), Strahlentherapie (Patient kommt, man plant die Bestrahlung, man guckt auf die Nebenwirkungen und entlässt den Patienten wieder) oder die ganz patientenferne Fächer wie Pathologie haben auch sehr viel Routine irgendwannmal - aber am Anfang muss man das natürlich alles aneignen und lernen.

Feuerblick
06.06.2017, 19:27
Zum einen: Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner. Will sagen: Auch der Rettungssanitäter/assistent/Notfallsanitäter wird Phasen haben, in denen er/sie lieber Putzfrau oder Bäckereifachverkäufer/in wäre. Gerade wenn man genervt und überfordert ist oder die Dinge nicht so laufen, wie man sich das vorgestellt hat, malt man sich aus, wie schön die Dinge doch sein könnten, wenn...
In solchen Phasen gilt: Augen zu und durch!
Zum anderen: Ich fand das PJ in den Pflichtfächern oft grauenhaft! Irgendwo zwischen besserem Sklaven und kompletter Überforderung. Aber das PJ hat ein Ende und danach hat man ja meistens ein Fach, für das man sich interessiert und bei dem sich der Einsatz auch lohnt. Außerdem lernt man als Assistenzarzt gerade am Anfang relativ schnell viel dazu, so dass man bald nicht mehr so ganz überfordert durch die Gegend läuft. Und mit der Routine kommt die Ruhe und dann auch der Spaß am Job.

Sollte das alles nicht klappen, kann man sich als Facharzt auch in patientenferne Berufsfelder verkrümeln.

Eines wäre wirklich die dümmste Idee: Alles hinschmeißen, nur weil man am PJ keinen Spaß hat. Zieh es durch und mach das Ganze fertig. Danach kannst du dir immer noch überlegen, wo es hingehen soll.

Brutus
07.06.2017, 13:17
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