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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zukunft der (Sport-)Orthopädie?



MVP_Rose
23.07.2017, 08:29
Hallo,

ich bin in den letzten Wochen des PJ und am Überlegen, welche Fachrichtung ich einschlagen soll. Als ewig gelenkgeplagter Mensch habe ich ein Interesse für Gelenkprobleme und Lösung dieser entwickelt. Jetzt interessiert mich, welche Stellung das Fach der (Sport-) Orthopädie in der Zukunft einnehmen wird, und zwar aus folgenden Gründen (Ich möchte explizit betonen, dass mein Post kein Orthopäden-Bashing werden soll.):

- habe ich bisher keinen Orthopäden (zweistellige Zahl) erlebt, der Gelenke ordentlich mit der ganzen Kette (z.B. Sprunggelenk-Knie-Hüfte) beurteilen konnte. Bei Physiotherapeuten war es ähnlich, wobei ich bei Therapeuten mit zusätzlicher Osteopathie-Ausbildung sehr gute Erfahrungen machen konnte. Womit ich zum 2. Punkt komme..

- Vielleicht habe ich Unfallchirurgen statt "richtige" Orthopäden erwischt? Ich habe das Gefühl, dass die Qualität der Orthopädie durch die Fusion mit der Unfallchirurgie leidet und sich der (niedergelassene) Orthopäde im Vergleich zum Physiotherapeuten entwertet. So wie ich das wahrnehme, genießen Orthopäden als Fachärzte einen eher schlechten Ruf. Ich verstehe auch gar nicht, warum es zur Fusion kam? (während andere FAs, wie zB der Nervenarzt, sich aufgeteilt haben). Warum soll jemand, der nur in der Unfallchirurgie gearbeitet hat, Orthopädie in seiner FA-Bezeichnung führen dürfen?

- der Trend mehr in Richtung Gelenkfunktion geht und Radiologie-Befunde an Bedeutung verlieren, weil es dem Patienten oftmals nicht hilft einfach nur eine Kosmetik der anatomischen Strukturen zu betreiben (zB. WS-Operationen bei muskulärer Genese, Rotatorenmanschettenrupturen). Viel hat sich bei der Physiotherapie getan - mittlerweile wird funktionell trainiert, es gibt viele neue Trainingsgeräte/-methoden (TRX, Power Plate, Foam Roller, Barfußschuhe) und bei der Diagnostik hat sich auch einiges getan (Laufbandanalysen, EMGs). Allerdings gibt es auch Bereiche, bei denen Nachholbedarf besteht, z.B. bei "Diagnosen" wie dem patellofemoralen Syndrom, die (multifaktorielle) Ätiologie (Fußgewölbe? Sprunggelenk? Knie selbst? Hüfte? WS? Kiefergelenk?) und passende Therapie ("Trag Einlagen und tainier den Vastus medialis!") nicht ganz klar sind.

Ich frage mich, welche Relevanz ein Orthopäde in den nächsten Jahrzehnten haben wird? Sind Orthopäden für ihre Verantwortung und Entscheidungskraft zu schlecht ausgebildet? Denn auch wenn die konservative Therapie oft in den Bereich der Physios fällt, sollte man als Orthopäde verstehen, was eigentlich das Problem ist, und ob das Krankheitskonzept des Physiotherapeuten Sinn macht. Oder sehe ich das falsch? Braucht man den Orthopäden nur noch für KG-Rezepte, Kreuzband- und Meniscusoperationen?

Mich würde nun interessieren, was ihr dazu denkt. Gibt es schwerpunktmäßige Orthopäden hier? Vielleicht ist dies auch das falsche Unterforum, bitte ggf. um Verschiebung.

Kackbratze
24.07.2017, 11:39
Da es kein Orthopädenbashing sein sollte, sehe ich deine Fragestellung einfach nur als schlecht recherchierte Eigenerfahrungen und Gedanken mit einer Menge von n=1. Mit diesen Gedanken bist Du bei einem Kaffekränzchen mit lauter "Arztopfern" super aufgehoben.
Physiotherapeuten, Chiropraktiker und Osteopathen sind sowieso grundsätzlich und allein schon wegen der Empathie viel besser für alles geeignet, ich würde zur Sicherheit eineb Studienabbruch mit sofortiger Umschulung empfehlen, damit endlich eine richtige Therapie und Untersuchung der Menschheit möglich gemacht werden kann.

Oder Du schaust mal aus deiner Vorurteilsschublade raus und versucht einen Othopäden zu finden, der dir gefällt, falls das überhaupt das Ziel des Ganzen sein sollte.

Die Zukunft der Orthopädie ist genau wie jede andere Fachrichtung auch durch den Arzt gegeben, der sie ausübt. Warum sollte die Orthopädie nicht mehr erforderlich sein? Fehlstellungen, Fehlheilungen und Ähnliches werden weiter die Domäne eines Orthopäden bleiben, die Physiotherapie und Co. sind zur Unterstützung da und benötigen (auch wenn sie es nicht gerne hören) einen Arzt der die Therapieindikation bestätigt und kontrolliert.

MVP_Rose
24.07.2017, 11:52
Danke für deine Antwort, aber damit segelst du sowas von am Ziel meiner Frage vorbei. Ich lese hier schon seit längerer Zeit mit, und es ist nicht das erste Mal, dass du dich mit deinem Sarkasmus austobst ohne wirklich Inhalt zu liefern, nicht böse gemeint.

Ich bin am Überlegen, ob ich diese Fachrichtung einschlagen soll, weil es mich interessiert und weil ich grundsätzlich positiv darüber denke. Ich denke nicht, dass Physiotherapeuten etc. grundsätzlich besser geeignet sind und halte jeden der Berufszweige für wichtig. Natürlich habe ich es auch etwas überspitzt dargestellt, und es gibt auch ordentliche Orthopäden. Es geht nicht darum, dass ich als Patient einen finde.

Kackbratze
24.07.2017, 12:29
Wenn Du dem Fach positiv gegenüber stehst, warum solltest Du es nicht machen wollen?
Orthopäden werden weiterhin benötigt werden, wie gut andere Ärzte Knie untersuchen ist doch für dich selber irrelevant, wenn Du versuchst der/die Beste zu werden. Entscheidend ist was Du daraus machst.
Die Weiterbildungsstelle muss grundsätzlich gut ausgewählt werden, da ist die Fachrichtung egal. Hauptsache man lernt etwas, geht dabei nicht kaputt und Alessio geht es gut!

Lava
26.07.2017, 15:26
Ich muss dem Threadersteller da leider recht geben. Der Zusammenschluss von Unfallchirurgie und Orthopädie war meiner Meinung nach ein großer Fehler und die konservative Orthopädie kommt bei dem FA viel zu kurz. Eigentlich kann man sie sogar komplett umfahren und schafft trotzdem den Facharzt.

Allerdings gibt es sicher trotzdem Mittel und Wege, gute konservative Orthopädie zu machen, wenn man das will. Du musst dir halt für deine Ausbildung eine entsprechende Praxis oder Klinik suchen, die das auch anbietet. Davon gibt es sicher nicht viele. In den meisten Kliniken, auf denen "Orthopädie" steht, dreht sich alles um Prothesen und Arthroskopien.
Was du selbst machen kannst, ist, entsprechende Fortbildungen zu besuchen. Manuelle Medizin z.B.

Ich würde nicht von vornherein den Weg zum Facharzt Ortho/Unfall ausschließen, nur weil die meisten Fachärzte kein so tiefes Verständnis für den Bewegungsapparat haben, wie du dir das wünschst. Außerdem gibt es ja noch den Facharzt für physikalische Medizin. Ich weiß gar nicht genau, was der beinhaltet, aber ich könnte mir vorstellen, dass das eher deinen Vorstellungen entspricht.

Jule-Aline
26.07.2017, 15:48
Oder hospitiere doch bei einem niedergelassenen Orthopäden,der vielleicht auch Manuelle Medizin als Zusatzbezeichnung hat.

Jook
26.07.2017, 17:21
Also ich denke das dieser Fachrichtung und vor allem interessierten Ärzten eine glorreiche Zukunft bevorsteht. Man muss nur am Ball bleiben und sich ein ordentliches Profil zurechtlegen, was man als Orthopäde anbieten und therapieren will. Die breite Masse in dem Sektor versucht eben von allem ein bisschen und im besten Fall hoch dotierte Modalitäten zu verrechnen.

Aber sorry. Bildgebung verliert an Bedeutung? Das ist wohl wirklich BS. ;)

Kandra
26.07.2017, 20:33
Aber sorry. Bildgebung verliert an Bedeutung? Das ist wohl wirklich BS. ;)

Die Bildgebung an sich nicht, aber derjenige, der sie auswertet. Es gibt jetzt schon Programme, die Röntgenbilder und CTs besser oder zumindest genau so gut befunden wie ein "echter" Radiologe. In nicht allzu ferner Zukunft wird der Radiologe in dieser Richtung vermutlich nur noch "unklare" Befunde gegenchecken und dafür brauchst du nicht mehr so viele. Radiologie würde ich heutzutage nicht mehr machen, wenn ich mich nicht in der Intervention sehe.

MVP_Rose
26.07.2017, 21:30
Danke für eure bisherigen Antworten. Ich werde mich mal umsehen. Ich weiß allerdings, dass ich mich mit meinen kritischen Ansichten zur orthopädischen Chirurgie extrem unbeliebt machen würde, weil ich glaube, dass man öfter mal Patienten den schwierigen Weg mit eigenständiger Gelenkmobilisation und -stabilisation zugunsten von besser zu vergütenden Therapien (OP) erspart.

Vor allem denke ich, dass z.T. in sehr komplexe Strukturen eingegriffen wird, ohne dass man genau abschätzen kann, wie sich das eigentlich auswirkt. So eine Rotatorenmanschette ist mal schnell operiert, aber die Evidenz ist recht dünn und ob der Patient vorher das richtige konservative Therapieregime hatte wird wahrscheinlich nur am Rande nachgefragt. Den Gedanken finde ich schon sehr störend. Ob ich das mittragen möchte und ob man das umgehen kann wird die Frage sein.. klar, manchmal gehts nicht anders! Wobei das natürlich auch in anderen Fächern der Fall sein kann.

Die Weiterbildung Manuelle Medizin klingt verlockend! Ansonsten finde ich Unfallchirurgie auch ganz cool :)

Jook
26.07.2017, 22:13
Die Bildgebung an sich nicht, aber derjenige, der sie auswertet. Es gibt jetzt schon Programme, die Röntgenbilder und CTs besser oder zumindest genau so gut befunden wie ein "echter" Radiologe. In nicht allzu ferner Zukunft wird der Radiologe in dieser Richtung vermutlich nur noch "unklare" Befunde gegenchecken und dafür brauchst du nicht mehr so viele. Radiologie würde ich heutzutage nicht mehr machen, wenn ich mich nicht in der Intervention sehe.


Gibt es so nicht und ganz so schnell ist die Entwicklung nicht. Ein Blick in die derzeitigen Technikwelt der Radiologie und wie die Themen diskutiert werden offenbart da mehr als die Populärwissenschaftlichen Berichte in Stern und Spiegel. Aber ja, einen Radiologen ohne Intervention wird es in der Zukunft nicht geben. Demnach wäre ich mit Fächern wie Gefäßchirurgie auch vorsichtig.

anignu
27.07.2017, 00:11
Demnach wäre ich mit Fächern wie Gefäßchirurgie auch vorsichtig.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Da immer mehr Leute in Gefäßen wühlen gibt es immer mehr Komplikationen oder nicht beherrschbare Probleme und damit immer mehr Arbeit für die Gefäßchirurgen.
Und dann kommt es ja immer auf die Struktur an. Ich kenne bisher keine einzige radiologische Abteilung die wirklich eigene interventionelle Patienten hat. Die bekommen ihre Aufträge entweder von den Angiologen oder eben wiederum von Gefäßchirurgen. Also die Indikationsstellung und Patientenführung liegt wiederum bei den Gefäßchirurgen (oder Angiologen). Und wenn sich die Radiologen in einem Anflug von null Bock wieder mal sträuben geht der Gefäßchirurg mit dem Patient einfach in den OP und macht die Arbeit selbst. Oder wenn nur halbwegs komplexer wird sind Hybrideingriffe die Aufgabe der Gefäßchirurgen.
Anders gesagt: die Radiologen bekommen nach abgeschlossener Diagnostik die einfacheren Fälle um ihre Auftragsarbeit zu erledigen.

Und zum Thema "Radiologie" checkt nur noch unklare Befunde gegen... auch hier läuft die Richtung genau anders. Aber politisch sehr langsam und weitsichtig. Mit den ganzen Röntgenverordnungen ist ja der Bedarf an Radiologen nie weniger geworden. Das politische Ziel, das zum Glück bisher nicht erreicht wurde, ist ja, dass quasi bei jeder Intervention auch im OP ein Radiologe dabei steht der sich um die ganzen Strahlenschutzaspekte etc. kümmert. Zum Glück können die sowas nicht durchsetzen weil die Radiologen es auch von der Men-Power her in keinster Weise stemmen können. Aber diese ständigen und zunehmenden Gängelungen wer die Indikation stellt für ein CT etc. Die Radiologen sind da auch grad eher im Aufwind und in Kliniken gesucht als andersrum...

Kackbratze
27.07.2017, 00:56
Ich kenne Radiologie-Abteilungen oder Kardiologen, die "mal eben" einen Stent schieben und dann per RTW zur weiteren Therapie verlegen. Das heißt nicht, dass deine Erfahrung und meine Erfahrung deckungsgleich sind, aber es ist, IMHO aktuell im Bereich der interventionellen Therapie ein Problem vorliegend.

Aber am Ende ist das gerade OT und nicht mit dem Thema kompatibel.
Ein guter Orthopäde weiss, wann operativ und wann konservativ therapiert werden muss. Und das ist, wie überall in der Medizin, die eigentliche Kunst an unserem Job die wir beherrschen müssen.
Und wenn man es gut lernt (Ausbildung oder Autodidakt) wird man seine Patienten bekommen.
Am Ende muss man selber in den Spiegel schauen und mit sich selber zufrieden sein.

Sei es, dass die Indikation oder der Peso stimmt.
Die Frage ist nur, wer Du sein wirst.

][truba][
27.07.2017, 05:25
MVP Rose: Wenn du es mal dahin geschafft hast, sag mir Bescheid. Ich komm dann bei dir rum wenn ich mal was hab. Gute Einstellung.

Kandra
27.07.2017, 05:52
Gibt es so nicht und ganz so schnell ist die Entwicklung nicht. Ein Blick in die derzeitigen Technikwelt der Radiologie und wie die Themen diskutiert werden offenbart da mehr als die Populärwissenschaftlichen Berichte in Stern und Spiegel. Aber ja, einen Radiologen ohne Intervention wird es in der Zukunft nicht geben. Demnach wäre ich mit Fächern wie Gefäßchirurgie auch vorsichtig.

Befasse dich mal ein bisschen mit watson ;)

OhDaeSu
27.07.2017, 16:51
Hau noch ein paar BuzzWords raus. "big data", "deep learning" oder "machine learning" böten sich an.


They fed their algorithm lung CT scans to diagnose potentially cancerous growths and compared the results to a panel of four of the world’s top human radiologists.
The human radiologists had a false negative rate (missing a cancer diagnosis) of 7%. Enlitic’s AI? No false negatives. The human radiologists had a false positive rate (incorrectly diagnosing cancer) of 66%. The Enlitic AI, meanwhile, had a false positive rate of 47%. That is, the AI was notably better than the best humans at the task. (https://singularityhub.com/2015/11/11/exponential-medicine-deep-learning-ai-better-than-your-doctor-at-finding-cancer/)

Ich denke das Problem wird weniger ein technisches denn ein rechtliches sein. Züge könnten heutzutage auch allein fahren, tun sie größtenteils auch. Dennoch muss ein Mensch darin sitzen. Der diagnostische Radiologe wird in meinen Augen immer mehr validieren und durch vorbefundete Daten deutlich effizienter arbeiten können. Daraus folgt, dass es es noch lange Zeit einen Bedarf gibt, dieser aber immer kleiner wird. Wer als Berufsanfänger eine Wette gegen den technischen Fortschritt eingehen möchte, soll das tun :D

Lava
27.07.2017, 19:49
Vor allem denke ich, dass z.T. in sehr komplexe Strukturen eingegriffen wird, ohne dass man genau abschätzen kann, wie sich das eigentlich auswirkt. So eine Rotatorenmanschette ist mal schnell operiert, aber die Evidenz ist recht dünn und ob der Patient vorher das richtige konservative Therapieregime hatte wird wahrscheinlich nur am Rande nachgefragt.

Das sehe ich nicht so. Kaputt ist kaputt, das kann keine konservative Therapie reparieren. Und bei rein konservativer Therapie kommt es halt irgendwann zur Dezentrierung vom Humeruskopf und damit zu Problemen. Mit einer OP darf man auch nicht warten, bis sich die Sehne bis sonstwohin zurückgezogen hat und der Muskel völlig verfettet ist, dann hat sie nämlich keinen Sinn mehr.
Einen Menschen, der keine Schmerzen hat und seine Bewegungseinschränkung gut kompensiert, muss man natürlich nicht operieren, aber das weiß eigentlich jeder Schulterchirurg.