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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Was können wir tun?



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PinkiePie
11.08.2017, 13:06
Hallo miteinander.
Ich bräuchte mal eine Meinung zu folgendem Sachverhalt. Wir, drei Assistenten (drittes und zweites Weiterbildungsjahr und ich im vierten Weiterbildungs-Monat), sind langsam verzweifelt.

Wir arbeiten in einem Klinikverbund in einem Grundversorger Krankenhaus. Unsere innere Abteilung hat 90 Betten auf Station. Hinzu kommt die Notaufnahme und Intensivstation. Letztere wird von den Anästhesisten nicht betreut. Das übernehmen wir. Anästhesisten sind nur für Operationen zuständig.

Wir arbeiten im Zwei-Schicht-System. Unser Alltag sieht wie folgt aus:

Der Arzt der aus dem Dienst geht geht nach der Visite um 12:00 Uhr mittags nach Hause. Der Assistent der in den Dienst geht macht um 12:00 Uhr mittags eine vierstündige Mittagspause, freitags nur 3 Stunden, und erscheint um 16 beziehungsweise 15:00 Uhr wieder zum Dienst bis zum nächsten Tag. Der Arzt der nicht aus dem Dienst und nicht in den Dienst geht ist tagsüber für die Station die Notaufnahme und Intensivstation auf Abruf zuständig. Ihr könnt euch jetzt vorstellen dass das mit seiner voll belegten Station nicht zu managen ist. Umliegende Krankenhäuser melden sich ab, es kam in den letzten Diensten sogar soweit, dass wir in der allein in der Nacht 12-16 Zugänge haben. Die Leute liegen auf dem Gang. Eine adäquate Betreuung der Patienten ist nicht mehr gegeben. In letzter Zeit häufen sich zunehmend Fehler, aus Übermüdung, Erschöpfung und zu viele Aufgaben für zu wenig Leute. Chef und Oberärzte in der Funktion.

Meine Frage an euch: was können wir noch tun? Eine offizielle Stellungnahme haben wir bereits eingereicht. Leider keine Resonanz. Die Verwaltung berechnet für unsere Abteilung neun besetzte Assistenten-Stellen. Ein drittel davon entspricht der Wahrheit.

Welche Möglichkeiten haben wir? Wir können nicht einmal zum Mittagessen. Es ist nicht machbar. Wir haben es probiert, es geht nicht.


Vielleicht hat jemand ähnliche Erfahrungen beziehungsweise einen Rat.

vanilleeis
11.08.2017, 13:13
Kündigen.

Feuerblick
11.08.2017, 13:36
Ihr verstoßt vermutlich gegen das AZG (soweit mit den paar Infos erkennbar). Wirklicher Schichtdienst ist das nicht. Eher etwas seltsame Fast-24-Stunden-Dienste.
Unbedingt stapelweise Überlastungsanzeigen schreiben. Und schriftliche Stellungnahme fordern, warum ihr statt neun Assis nur drei seid. Alternativ direkt kündigen.

Relaxometrie
11.08.2017, 13:47
Die Verwaltung berechnet für unsere Abteilung neun besetzte Assistenten-Stellen. Ein drittel davon entspricht der Wahrheit.
Habe ich das richtig verstanden, daß es in Eurer Abteilung bei Vollbesetzung neun Assistenten in Vollzeit geben würde, aktuell aber nur drei Stellen besetzt sind?

WackenDoc
11.08.2017, 13:48
Überlastungsanzeigen und kündigen.

In jedem Dienst den Hintergrund anfordern, weil Patientenversorgung gefährdet.

lux12345
11.08.2017, 14:44
Hmm... 90 Betten, Notaufnahme, Intensiv zu dritt? Nicht machbar.
Wenn schon ein paar neue Kollegen in der Pipeline sind und man unbedingt in dem Haus bleiben möchte, würde ich von den Oberen fordern, dass AB SOFORT einfach genug Betten gesperrt werden, damit das mit der personellen Besetzung kurzfristig einigermaßen machbar ist. Alternativ Honorarkräfte einstellen. Falls sie überlegen, zögern, etc, gleich kündigen; falls man noch etwas Kündigungsfrist hat, krank schreiben lassen.

Lava
11.08.2017, 14:45
Habt ihr mal mit dem Chef das Gespräch gesucht? Wird denn versucht, neue Leute einzustellen und wenn ja, was wird dafür getan? Wenn ihr alle drei gleichzeitig mit Kündigung droht, habt ihr eigentlich eine ziemlich mächtige Waffe.

Achso, was ihr fordern solltet, falls ihr damit vertröstet werdet, dass es ja längere Zeit dauern wird, bis neue eingestellt sind: dann sollen die Rent-a-docs einstellen bis dahin.

morgoth
11.08.2017, 15:10
Auch von meiner Seite nochmal: Eure Chefs/Verwaltung müssen sofort (im Sinne von sofort) zusätzliche Kräfte einstellen, zur Not halt auch die teuren Honorarärzte. Am Anfang einer Veränderung tuts halt weh :D
Wenn auf Leitungsebene auch nur minimales Zögern/Vertrösten ist: Sofort (im Sinne von sofort) kündigen. Ich bin Psychiater und deswegen auch abstrusere Szenarien gewöhnt, aber gerade für dich als Berufsanfänger in der Inneren reicht meine Vorstellungskraft nicht aus, um mir einen Grund vorzustellen, warum du dir so etwas antun solltest.
Neugierigerweise: Wer macht denn bei euch die Dienste: 3 Assistenten=10-11 Dienste im Monat!?

Mano
11.08.2017, 15:24
3 Assistenten für die gesamte Abteilung mit 90 Betten? Was ist wenn einer von euch Urlaub hat? Oder krank ist? Oder...?
Wenn es wirklich so ist, wie ich mir das nach deiner Beschreibung vorstellen, dann kündige und lass dich für die restlichen Tage (dürften in der Probezeit ja nur 1-2 Wochen sein) krank schreiben.
Wenn ein Chef und eine Verwaltung solche Zustände auch nur versuchen zu etablieren, dann ist da Hopfen und Malz verloren und ich würde mir keine Hoffnung machen via Überlastungsanzeige o.ä. auch nur irgendetwas über längere Zeit zu bewegen... Allenfalls wenn ihr es schafft, dass die Verwaltung euren Chef rausschmeißt - aber ob das die Mühe wert ist? Zumal der vermutlich auch nur Befehlsempfänger von der Verwaltung ist...

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11.08.2017, 19:18
Pinkie, aktivier mal deine Privaten Nachrichten ;-)

anignu
11.08.2017, 20:06
Überlastungsanzeigen sind ein geiles Werkzeug:
- Hatten wir vor 2 Jahren -> Honorararzt für über ein halbes Jahr zur Unterstützung bei Diensten.
- Haben wir dieses Jahr -> Honorararzt zumindest für die Urlaubszeit.
Das Ganze aber nicht weil 2/3 der Planstellen fehlen sondern weil 1/4 der Planstellen kurzzeitig unbesetzt waren.
Meine dringende Empfehlung daher: sofortige Überlastungsanzeige. Da rührt sich meist sehr schnell was. Nicht irgendwie "offizielle Stellungnahme". Überlastungsanzeige.

Zweite Sache: in der Nacht selbst abmelden. Wieso dürfen sich die umliegenden Häuser abmelden aber ihr nicht?

Dritte Sache: Das Dienstsystem. Ich kenn so ein Dienstsystem bei Internisten schon, aber aus einem Haus der Maximalversorgung in München. Da gibt's das in einer relativ kleinen Abteilung. Die waren damit relativ glücklich, weil die mit den 3-4h "Pause" was anfangen konnten und weil es auch nicht soooo viele Dienste im Monat waren. Ich würd den Oberen den Vogel zeigen. Wenn ich schon Dienst machen muss, dann soll der gefälligst möglichst lang sein und auf gar keinen Fall Pausen dazwischen haben. Daran solltet ihr auch dringend arbeiten. Und wenn man die Nächste durcharbeitet um 12-16 Aufnahmen zu machen, dann ist das kein Bereitschaftsdienst mehr sondern Vollarbeitszeit...

Kündigen klingt nach einer sinnvollen Option.

@morgoth: bzgl. 10-11 Dienste... das ist kein Problem, ich kann mehr. Die Dienstbelastung ist ja auch immer relativ. Ich war mal wo, wo mich 3 (Nacht-)Dienste in einem Monat mehr fertig gemacht haben als 10-12 (Nacht-)Dienste in der anderen Klinik. Und 10-12 entspannte Dienste, einiges an Geld verdienen, damit unter tags viel Zeit zu haben am eigenen Haus viel selbst zu machen, leider halt in der Zeit nicht so viel im OP zu sein... es gibt Phasen im Leben in denen bringt einem ein bestimmtes Dienstsystem schon was.

PinkiePie
11.08.2017, 23:32
Aktiviert

Pflaume
12.08.2017, 13:48
Ich bin mir nicht sicher, ob ich richtig verstanden habe oder ob vielleicht irgendwas im Ursprungsposting nicht erwähnt ist...? sollen 3 Ärzte 90 akutstationäre internistische Patienten und die Intensiv und die Notaufnahme rund um die Uhr betreuen? Das klingt so absurd, dass ich mir nicht mal vorstellen kann, dass es der Realität entspricht, auch wenn ich glaube, schon viel erlebt und gehört zu haben. Sind in der Klinik dafür 6 Oberärzte, die auch noch in den Stationsdienst eingebunden sind oder sowas?

John Silver
12.08.2017, 20:07
Ich kann kaum glauben, was hier geschildert wird. 6 von 9 Stellen nicht besetzt? Sind die irre? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier ein Fehler mit schlimmen Folgen passiert. Eine Dosierung falsch aufgeschrieben, schon ist ein Mensch tot, und die Approbation weg.

Ich würde nicht nur jeden Tag eine Überlastungsanzeige stellen, sondern auch umgehend vom Chefarzt ein Zeugnis verlangen und Bewerbungen ausschicken. Alternativ können einfach alle 3 geschlossen kündigen - das wäre sicherlich ein Wirkungstreffer. Die Kündigung kann man auch zurücknehmen, später.

Shizr
12.08.2017, 21:51
6 von 9 Stellen nicht besetzt? Sind die irre?
Nö. Vermutlich bloß berechnend.
Solange die Assistenten die Schnauze halten, brav buckeln und schuften und nicht auf die Idee kommen, dem Arbeitgeber mittels Überlastungsanzeige kundzutun, dass das, was er da tut, kranker Wahnsinn und Patientengefährdung an der Grenze zum Vorsatz ist, kann der Arbeitgeber sich doch entspannt zurücklehnen. Soweit man offiziell weiß, läuft doch alles.

Und wenn der maßlos überarbeitete Assistenzarzt nach der hundertsten Wochenstunde tatsächlich einen schwerwiegenden Fehler macht, wird der Arbeitgeber höchst bedauernd feststellen, dass das aber doch jetzt einfach sehr unschön gelaufen ist... und wieso haben die Assistenten dem Arbeitgeber nicht mitgeteilt, wie katastrophal die Arbeitsbedingungen sind, schließlich hätte man doch quasi sofort Honorarärzte rangeschafft...?
Also ist das doch eigentlich eine Pflichtverletzung des Assistenzarztes, der schließlich etwas hätte sagen müssen! Also hat der Arbeitgeber leider, leider keine andere Wahl, als hier widerstrebend eine Abmahnung zu schreiben.



Alternativ können einfach alle 3 geschlossen kündigen
Das ist in so einer Konstellation höchstwahrscheinlich die einzige Chance, den Chef und die Verwaltung nachhaltig aufzuschrecken.
Wobei ich die Kündigung nicht als "Verhandlungsbasis" empfehlen würde. Sondern tatsächlich mit der Absicht, einen Arbeitgeber zu finden, der dich nicht so verarscht, PinkiePie.


Einfach, weil ich nicht daran glaube, dass solche Konstellationen nicht zufällig / schicksalhaft entstehen.
Sondern weil man es einfach mal darauf ankommen lässt. In der Hoffnung, dass ausreichend Leute familiär oder sonstwie gebunden sind, um diesen Irrsinn mitzumachen.

Relaxometrie
12.08.2017, 22:12
Ich habe ja gehofft, irgendetwas falsch verstanden zu haben. Der Fragesteller hat sich irgendwie etwas kryptisch ausgedrückt, was die Stellenbesetzung angeht ("Die Verwaltung berechnet für unsere Abteilung neun besetzte Assistenten-Stellen. Ein drittel davon entspricht der Wahrheit.").
Da aber ja offensichtlich wirklich 6 von 9 Stellen nicht besetzt sind, kann ich mich den Vorrednern nur anschließen!!!

1.
Ab Montag jeden Tag eine Überlastungsanzeige stellen. (Wird zu keiner Änderung führen. Trotzdem die Überlastungsanzeigen stellen.)
2.
Montag zum nächstmöglichen Termin kündigen.
3.
Wenn die Verwaltung oder der Chef oder einer der Oberärtze unverschämt wird: krankschreiben lassen.
4.
Das auch wirklich so durchziehen und nicht noch monatelang mitmachen!

Insbesondere Punkt 3 nenne ich ungerne. Aber die oben geschilderten Zustände sind eine derartige Katastrophe, daß man da nicht diskutieren muß.

Autolyse
14.08.2017, 12:16
Ich würde folgendermaßen modifizieren:

Überlastungsanzeige + Abmahnung der Pflichtverletzungen (ArbZG, Haftungsrisiko) mit extrem kurzer Frist (72h) und dem Hinweis auf eine außerordentliche Kündigung.

Wharton-Sulze
15.08.2017, 08:41
Mein Ratschlag:
1. der Aufsichtsbehörde für Arbeitsschutz den regelmäßigen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz melden (in jedem Bundesland eine andere Stelle). Unser Chef wurde privatrechtlich deswegen zu einer Strafe von 15.000 € wegen Wiederholung verknackt. Da zahlt auch nicht der Arbeitgeber o.ä. Seitdem gibt es de facto keine AZG Verstöße hier mehr.
§ 22

Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 7, 9 und 10 mit einer Geldbuße bis zu fünfzehntausend Euro, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhundert Euro geahndet werden.

§ 23 Strafvorschriften

(1) Wer eine der in § 22 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 5 bis 7 bezeichneten Handlungen

1.

vorsätzlich begeht und dadurch Gesundheit oder Arbeitskraft eines Arbeitnehmers gefährdet oder

2.

beharrlich wiederholt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft.


2. Den Chef persönlich anzeigen und Schadensersatz fordern. Da sollte noch Geld für euch rausspringen (und bestimmt ein neuer Job :-Dance )

Der Europäische Gerichtshof (EuGH Urteil vom 25.11.2010 – C-429/09) hatte im Jahr 2010 einem Arbeitnehmer, der als Feuerwehrmann rund 54 Stunden pro Woche regelmäßig (inklusive des Bereitschaftsdienstes der Arbeitszeit ist) arbeitete einen Schadenersatzanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland und seinem öffentliche rechtlichen Arbeitgeber (Stadt Halle) aufgrund des Verstoßes gegen den Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 zugesprochen. Zur Höhe hat das Gericht nicht geurteilt; dies müsse den nationalen Gerichten /Vorschriften überlassen bleiben, da das Unionsrecht diesbezüglich keine Vorschriften enthalten. Ausdrücklich hat das Gericht betont, dass als Schadenersatz auch ein Freizeitausgleich in Betracht kommen kann, also nicht nur ein finanzieller Ausgleich.

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15.08.2017, 10:56
Alles was r/Recht ist, aber dir ist klar, dass Chefs/Leitende/Geschäftsführer sich durchaus untereinander informieren bzw. austauschen wenn es um die Besetzung von Stellen geht? Manchmal ist die Welt sehr klein....

Wenn ich eh meine Zelte abreisse meinetwegen...

Wharton-Sulze
15.08.2017, 11:47
Alles was r/Recht ist, aber dir ist klar, dass Chefs/Leitende/Geschäftsführer sich durchaus untereinander informieren bzw. austauschen wenn es um die Besetzung von Stellen geht? Manchmal ist die Welt sehr klein....

Wenn ich eh meine Zelte abreisse meinetwegen...

Also, ich persönlich würde die Aufsicht informieren. Eine Schadensersatzforderung würde ich nicht stellen, ist aber wie von mir geschrieben möglich. Derjenige, der sich illegal verhält, ist der Chefarzt. So wie es klingt, habt Ihr ihn häufig genug auf den Missstand hingewiesen. Dann ist jetzt Schluss.
Chefärzte sind meiner Meinung nach keine Mafia, die unbedingten Gehorsam und Sklaverei verlangen. Einige freuen sich auch über einen Assistenten, der wenigstens "Eier in der Hose" hat. Ich glaube nicht, dass diese Anzeige zu dauerhaften Schwierigkeiten bei der Jobsuche führt.