PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Frührehabilitation



ehem-user-04-11-2019-1103
08.11.2017, 18:54
Hallo :)

Gibt es hier jemanden, der auf einer Station für fachübergreifende bzw. neurologische Frührehabilitation arbeitet und mir vielleicht von seinem Alltag erzählen kann? Das wäre super.

Vielen Dank!

abcd
08.11.2017, 20:28
Frühreha ist eine Krankenhausbehandlung. Je nach Ausstattung der Klinik unterschiedlich schwer betroffene Patienten - nicht nur neurologische Grunderkrankungen. Patienten mit Critical illness Neuropathie/Myopathie, z.B. nach Koronaren Bypass-OP, viszeralchirurgische Eingriffe, nach Reanimation etc.
Beatmungsstationen vergleichbar mit Intensivstationen, Kanülenstationen (Patienten mit Ziel der Dekanülierung), Stationen ohne vorgenanntes. Visiten wie im Akuthaus. Vieles dreht sich um medizinische Behandlung von Komplikationen. Pneumonien, Harnwegsinfekte, Pleuraergüsse, Salzverlustsyndrom, u.a... Bilanzen, Ernährung.
Morgenkonferenz des Ärzteteams, wöchentliche Röntgendemo, wöchentliche Ärztefobi.

Was ist anders als in der Akutneurologie?
Neuaufnahmen: zusätzlich zum "normalen" Procedere sind bei Aufnahme 5 Scores/Assessments zu erheben, die die Kliniken selbst festlegen, z.B. GCS, Barthel, Frührehabarthel,o.a.
1x/Woche Teambesprechung Pflege, KG, ERgo, Logo, Neuropsych, Arzt ggf. Sozialdienst mit Festlegung der Wochenziele und bewerten der Ziele der letzten Woche (MDK relevant)
je nach KLinik morgendliche Besprechungen auf Station, wer wann am Pat. arbeitet
bei Privatpatienten Anträge auf Verlängerung der Kostenzusage schreiben
häufig PEG-Versorgung einleiten, je nach Haus bedeutet das ein externer Termin mit Transport
Betreuungen beantragen
bei Verbesserung der Patienten, Antrag auf Reha in Phase C stellen (auf Grundlage Barthelindex und Frührehaindex, die wöchentlich erhoben werden)
bei fehlender Besserung Entlassplanung mit Sozialdienst+Angehörigen, Entlassmanagement seit Oktober genauso wie im Akuthaus
Entlassbriefe i.d.R. ähnlich Akuthaus plus zusätzlich Formulierung eines Rehaergebnisses und einer Sozialprognose
Befundung von EKG, EEG, Rö-Thx; diagnostische Möglichkeiten je nach Klinik (Anbindung Akuthaus?) sicher unterschiedlich. Sonos (Pleura, Abd., Cava-Schall, hirnvers. Gefäße, Thromboseauschluss...), FEES

throni
08.11.2017, 20:59
Arbeite seit knapp einem Jahr auf einer neurologischen Frühreha-Station und kann das eigentlich so unterschreiben. Breites Spektrum teils sehr kranker Patienten. Die Neurologie ist meines Wissens die einzige Fachrichtung, in der es das Konzept Frühreha gibt in dieser Form. Bei uns sind viele Patienten mit neurologischen Erkrankungen (gefühlt vor allem intracerebrale Blutungen) und ansonsten viele Patienten mit langwierigen ITS-Aufenthalten in der Anamnese (mit oben genannter Diagnose CIP/CIM)und viele Patienten mit hypoxischer Hirnschädigung nach Reanimation. Oft geht es darum, dass die Patienten außerhalb dieses klinischen Settings überhaupt lebensfähig werden. Der übergroße Teil der Patienten geht im Anschluss schwer betroffen in Pflegeeinrichtungen. Ich empfinde das manchmal als recht frustrierend. Oft ist man auch trotz langem akutmedizinischen Aufenthat der erste, der die Angehörigen über die teils desaströsen Prognosen aufklärt. Hatte erst die Woche wieder einen Patienten mit schwerster hypoxischer Hirnschädigung nach 45-minütiger Laienreanimation, der seit zwei Monaten ohne Zustandsverbesserung quasi im Wachkoma liegt. Die Ehefrau meinte im ersten Gespräch, dass ihr die Ärzte schon gesagt hätten, dass die Prognose nicht günstig sei, aber wenigsten ein bisschen im Garten arbeiten solle ihr Ehemann doch nochmal können nach Entlassung.
Ansonsten kommt es wohl wie eben schon erwähnt sehr drauf an, ob die Station zu einem Akutkrankenhaus gehört oder zu einer reinen Rehaklinik, dann oft noch mit Phase C und D Stationen (so wie bei mir). Letzteres bringt im Alltag Dinge mit sich, die die tägliche Arbeit ziemlich verkomplizieren können (Labore bekommt man nur einmal am Tag wenn man das Blut morgens rechtzeitig wegschickt, Röntgen nur sporadisch möglich, Konsile und Verlegungen oft nervraubend). Im Dienst ist man mutterseelenallein und muss mit wenigen diagnostischen Möglichkeiten seine Entscheidungen treffen. Ist manchmal ein bisschen so, als müsse man in der Notaufnahme anhand der Anamnese, der klinischen Untersuchung und einer BGA entscheiden, ob man den Patienten wieder nach Hause schickt oder nicht. Da ist oft viel Unsicherheit im Spiel. Trotzdem ist der Alltag meisten deutlich entspannter als im Akuthaus. Auf meiner Station sind nur 2 von 3 Assistentenstellen besetzt und trotzdem sitzen wir auch regelmäßig rum und machen Quatsch. Mittagspause ist immer möglich, meistens auch länger als die eingeplante halbe Stunde. Bei Vollbesetzung hätte man bei uns den lauesten Job im deutschen Krankenhauswesen ;) . Wenn man mal alleine ist (dienstfrei/Urlaub/Krankheit) wird's dann aber auch stressig. Die Bürokratie mit den ganzen Verlängerungsanträgen usw. finde ich insgesamt gar nicht so schlimmer auf der Frühreha. Auf der Phase C und D wird man davon allerdings geradezu erschlagen. Ich wollte hier eigentlich nur mein Neujahr für den Psychiater machen, bleibe aber jetzt wahrscheinlich doch länger und machen erstmal den Neurologen.

abcd
09.11.2017, 18:54
@ throni
Ich kannte das bisher eher umgekehrt, dass angehende Neurologen in der Psychiatrie hängen geblieben sind ;-) Freut mich, dass es Dir gefällt.

muv75
10.11.2017, 02:54
Oft ist man auch trotz langem akutmedizinischen Aufenthat der erste, der die Angehörigen über die teils desaströsen Prognosen aufklärt. Hatte erst die Woche wieder einen Patienten mit schwerster hypoxischer Hirnschädigung nach 45-minütiger Laienreanimation, der seit zwei Monaten ohne Zustandsverbesserung quasi im Wachkoma liegt.

Hallo Throni, vielen Dank für deine interessante Beschreibung. Ich arbeite in einem Akut-Krankenhaus und verlege viele Pat. nach erfolgreicher Reanimation in neurologische Frührehakliniken. Viele dieser Pat. sind wie du beschrieben hast, schwerst betroffen. Meistens wird von unseren Neurologen einen offene Prognose bescheinigt, die, so ist zumindest mein Eindruck, von Angehörigen oft falsch interpetiert wird bzw. mit hohen Erwartungen auf Besserung. Bei vielen dieser Pat. sehe ich über die 2-3 Wochen, die sie im Akutkrankenhaus verbringen nur geringgradige Fortschritte. Mich würde interessieren, wie lange sind die Pat. durschnittlich bei euch bis sie "schwer betroffen" in die Pflegeeinrichtung gehen? Wovon profitieren Pat, die in Wachkoma artigen Zuständen sind, also nicht aktiv an Rehamaßnahmen teilnehmen können. Erlebt ihr auch positive Überschungen bei oben beschriebenen schwersten hypoxischen Encephalopathien nach Reanimation, die in den ersten Wochen kein Bewußstein wiedererlangt haben?

Viele Grüße,

throni
10.11.2017, 17:19
Ja, ich denke auch, dass bei vielen Patienten negative Nachrichten bezüglich der Prognose nicht richtig ankommen bzw. auch nicht richtig wahrgenommen werden wollen. Oft wird, so wird es mir jedenfalls von Angehörigen berichtet, eben gesagt, dass noch Verbesserungen auftreten können. Das stimmt ja auch in den meisten Fällen. Nur sind das eben nur kleine Fortschritte. Bei uns liegen Patienten mit schwerer hypoxischer Hirnschädigung so zwei bis drei Monate im Schnitt. Dass davon jemand wesentliche Fortschritte macht, die sich auch in einer Verbesserung der Lebensqualität widerspiegeln, habe ich bis jetzt noch nicht wirklich erlebt. Fortschritte beziehen sich meist auf kleine Verbesserungen in der Vigilanz. Oder es ist eine neue Blickfixation oder Blickfolge zu beobachten. So etwas in der Richtung. Viele Patienten werden auch überhaupt nicht besser oder versterben bei uns, weil eine Patientenverfügung auftaucht oder mit der Familie und den Angehörigen nach Klarstellung der Prognose und Eruieren des mutmaßlichen Patientenwillens ein Verzicht auf weitere Maßnahmen wie künstliche Ernährung besprochen wird.
In der Therapie geht es ansonsten viel um passive Vertikalisierung und damit Kreislaufstabilisierung, Kontrakturprophylaxe usw.. Man versucht natürlich auch, individuell auf den Patienten einzugehen. Wir hatten einen Patienten, der hat vermehrt Wachheitsphasen geboten im Beisein der Angehörigen. Da haben wir die Angehörigen dann Kassetten einsprechen lassen, die dem Patienten regelmäßig vorgespielt wurden (darüber gibt es diverse Veröffentlichungen ohne dass das jetzt evidenzbasiert wäre).

floraline
13.11.2017, 17:53
Falls jetzt jemand Lust bekommen hat in der neurol. Frühreha zu arbeiten- wir suchen derzeit Kollegen :-)
in der Umgebung von Berlin mit Weiterbildungsermächtigungen: Neurologie (2 J.), Intensivmedizin (0,5 J.), Innere Medizin (2 J.), Geriatrie (0,5 J.), Psychiatrie (0,5 J.), Sozialmedizin (1 J.) u. Rehabilitationswesen (1 J.)

ehem-user-04-11-2019-1103
16.11.2017, 12:27
Hi,

ich danke euch allen für eure Antworten. Ich habe eine Stelle in der Frühreha in Aussicht und bin auch sehr interessiert, habe aber Bedenken, ob das für einen Berufsanfänger "machbar" ist.

throni
16.11.2017, 13:00
Warum soll das nicht machbar sein? Als Berufsanfänger wirst Du auf der Frühreha eine Menge lernen können. Ist das eine reine Rehaklinik oder eine Frührehabteilung in einem Akutkrankenhaus?

Pflaume
16.11.2017, 13:10
In welche Richtung gehen denn deine Bedenken, ob das machbar ist?

Als Arzt, der selbst (aber nicht als Berufsanfänger) kurzfristig in einer Rehaklinik gearbeitet hat und auch sonst überdurchschnittlich viele Berührungspunkte mit Rehakliniken hat(te), würde ich ebenfalls davon abraten, als Berufsanfänger in eine Rehaklinik zu gehen. Die Kollegen dort, die nie in einem Akuthaus gearbeitet hatten, taten sich öfters schwer darin, Patienten zu beurteilen, und hatten chronisch Angst vor Notfällen, so dass sie in den Diensten teilweise kaum schlafen konnten, obwohl so gut wie nie ernsthafte Notfälle vorkamen. Gleichzeitig ist meiner Erfahrung nach auch das übrige Personal und die Struktur in Rehakliniken nicht so, dass man dort gern seine ersten Notfälle oder Komplikationen erleben möchte. In einem Akuthaus ist man meiner Meinung nach für die ersten Schritte oft besser aufgestellt, einschließlich der möglichen Inanspruchnahme der Hilfe durch Kollegen (auch interdisziplinär) und der wichtigen wiederkehrenden Erfahrung, dass in der Erst-Diagnostik oft was anderes rauskommt als man am Anfang dachte. Ich glaube allerdings, dass gerade in einer Frühreha man noch am ehesten als Berufsanfänger schnell in die nötigen Kenntnisse reinkommt, weil man da immerhin mit immer noch akut kranken Menschen zu tun hat und auch noch ein gewisses Maß an zielgerichteter Diagnostik macht.

Insofern: Wenn Reha, dann ist Frühreha vermutlich keine schlechte Sache!

ehem-user-04-11-2019-1103
16.11.2017, 13:34
Die Stelle wäre in einem Akutkrankenhaus. In den Diensten wäre ich allein für die Patienten zuständig, es gibt allerdings noch einen Anästhesisten im Haus den ich dann hoffentlich zur Not fragen könnte :D

Mir macht hauptsächlich die Beatmungsmedizin/IMC Sorgen, das ist ja nicht unbedingt etwas was man im Studium in extensio gelernt hat wenn man nicht gerade sein PJ in der Anästhesie gemacht hat. Andererseits hätte ich davon vermutlich auch nicht viel mehr Ahnung wenn ich vorher ein Jahr Innere machen würde...

throni
16.11.2017, 14:45
Also wenn Du nachts einen Anästhesisten in der Hinterhand hast, ist das alles halb so wild. Die beatmeten Patienten haben übrigens in der Frühreha den unschlagbaren Vorteil, dass man sie bei einer Reanimation nicht mehr intubieren muss ;) .

Shade
16.11.2017, 16:50
Hmm, ich habe auch mit dem Gedanken geliebäugelt, als Anfängerin erst mal in einer Reha zu beginnen. Ich dachte, dort würde insgesamt mehr Ruhe herrschen, mehr Zeit, den Patienten zu behandeln, die Basics zu lernen und weniger "schwere/akute" Fälle als im Akutkrankenhaus, wo man dann eben einen Stroke im Lysefenster und sowas wuppen muss. Hätte eigentlich erwartet, dass das für das 1. Jahr eine gute Wahl wäre.

throni
16.11.2017, 17:03
Einen Stroke im Lysefenster zu versorgen ist aber auch lehrreich. Man wächst mit seinen Aufgaben. In der Reha lernt man meinem Gefühl nach insgesamt weniger als in einem Akuthaus. In der Phase B (also Frühreha) lernt man aber trotzdem eine ganze Menge, vor allem am Anfang. Und es geht mit Sicherheit um einiges weniger hektisch zu als im Akuthaus. Die Lernkurve flacht aber schon recht schnell ab. Ein Kollege von mir war für eineinhalb Jahre auf der Frühreha. Der meinte, er hätte am Schluss fast gar nicht neues mehr gelernt. Was man in einer neurologischen Frühreha übrigens nicht (oder nur wenig) lernt ist Neurologie. Trotzdem würde ich jedem angehenden Neurologen mal empfehlen, ein halbes oder ganzes Jahr in der Reha zu verbringen. Manche Kollegen, mit denen ich so telefoniere, haben von den Langzeitverläufen manchmal recht weit von der Realität liegende Vorstellungen.

davo
16.11.2017, 17:19
Manche Kollegen, mit denen ich so telefoniere, haben von den Langzeitverläufen manchmal recht weit von der Realität liegende Vorstellungen.

In welche Richtung sind diese entfernt? ;-)

Shade
17.11.2017, 12:39
Genau, ich dachte auch eher an ein Jahr Reha so für den Einstieg, um in dem Beruf anzukommen. Danach Akutkrankenhaus und dann Uniklinik, so stell ich mir die Lernkurve am sinnvollsten vor. Man sieht doch einige junge Ärzte, die gerade in der Akutneuro am Anfang 10-12 Stunden da sein müssen, da sie ansonsten ihr Pensum nicht schaffen (allein die Arztbriefe dauern ja ewig).