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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Doppelfacharzt möglich / sinnvoll?



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AryaStark
22.11.2017, 12:54
Hallo ihr Lieben,


weiß ggf. jemand hier, ob es in Deutschland noch möglich ist, zwei Facharzttitel zu erwerben? Und ist es möglich, sich mit beiden Facharztbezeichnungen niederzulassen und kassenärztlich abzurechnen? Oder dürfte man eine der beiden Richtungen dann nur privat abrechnen?

Mein Hintergrund ist, dass ich mich zwischen 2 Fachrichtungen nicht wirklich entscheiden kann, ich mag sie einfach beide total gern und würde beide gerne mein Leben lang ausüben. Die beiden sind (in meinen Augen) auch sehr sinnvoll verknüpfbar, insbesondere im niedergelassenen Bereich (Kinderheilkunde und Kinder-Jugend-Psychiatrie). Nun frag ich mich, ob das in Deutschland möglich ist, oder ich dafür in der Schweiz bleiben müsste.


Freu mich über Antworten :-)

tarumo
22.11.2017, 13:53
Doppelfacharzt ist nach wie vor möglich und in Fächern, die sich sinnvoll ergänzen (Rad/Nuk oder ACh/UCh) gar nicht mal soo selten. Es wird ja sogar auf die anteilige Anrechnung in der WBO hingewiesen. Ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, wenn in der heutigen Zeit man/frau als Muttersprachler unmittelbar nach dem FA als OA mit allen Privilegien einsteigen kann, wohingegen man in Zweitfach formaljuristisch korrekt wieder als Assi vergütet und behandelt wird, sei dahingestellt. Natürlich ist ein Doppel-FA auch später seeeehr gerne gesehen (im aktuellen Arbeitsmarkt spielt das jetzt aber auch nicht so eine große Rolle), aber das doppelte Gehalt ist da auch nicht drin. Eine Kassenzulassung auf eigenes Risiko (ich meine jetzt nicht als angestellter MVZ-Arzt etc.) dürfte unsinnig, wenn nicht sogar unmöglich sein. Da bräuchte man zufällig zwei freie halbe Kassenarztsitze am gleichen Ort, reduziert sich damit locker die Vergütung, hat aber ganz sicher die doppelte bürokratische Arbeit, doppeltes Regressrisiko und wenn es ganz dumm läuft, 2x Dienste, nämlich im Fachgruppendienst als Kinderarzt und allgemeinärztlich mit der KJP-Zulassung. Da schon eine "normale" KV-Zulassung eine >150% Stelle bedeutet, möchte ich mir das lieber nicht vorstellen. Acha ja, die Haftpflichtversicherung wird auch nicht sinken.
Ganz genau wird es aber nur die KV sagen können, wobei auch die einfache Sachbearbeiterebene mit solchen Komplexvorgängen schon überfordert sein dürfte. Angestellt im MVZ mag es u.U. etwas anders aussehen. Als Privatarzt kann man im Prinzip tun und lassen was man will, muß aber drauf vorbereitet sein, im Konfliktfall von der Gegenseite (ÄK, PKV, Staatsanwalt etc.) ans Bein gepinkelt bekommen, wenn man auf verschiedenen Hochzeiten tanzt. Und die Gesetze bzgl. Fortbildung sind auch nicht in Stein gemeißelt, sobald die Fortbildungspunkte fachspezifisch eingereicht werden müssen, ist es eh vorbei. Also, als Wunschperspektive würde ich das nicht ins Auge fassen wollen. In reality lassen die KollegInnen, die zufällig zwei FA-Titel haben, eher einen davon ruhen.

tarumo
22.11.2017, 13:59
Nur so nebenbei:
da hat aktuell ein FA Radiologie einen Prozess gegen die KV verloren, weil er sich in seinem Urlaub vom Praxispartner hat vertreten lassen. Der war zwar auch FA Radiologie UND Nuklearmedizin, und insofern kompetent, aber von der KV für die konkrete Praxisadresse nur als Nuklearmediziner genehmigt. Pech gehabt. Du müßtest dann für jeden Urlaub einen Vertreter mit gleichartiger KV-Zulassung haben. Ich würde so nicht arbeiten wollen.

davo
22.11.2017, 14:12
Traurig, wie man von der KV und den Versicherungen gegängelt wird...

Inhaltlich sinnvoll stell ich mir die o.a. Kombination v.a. in Hinblick auf die stationäre Psychosomatik vor...

AryaStark
22.11.2017, 14:15
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort :-)

Hm, schade. Ich sehe mich später eindeutig im niedergelassenen Bereich. Da bliebe dann in meinem Fall wohl nur die Option, Kinderarzt zu werden mit zusätzlicher Psychotherapie-Ausbildung. Wäre dann halt leider nur die Kurzvariante einer richtigen psychotherapeutischen Facharztausbildung. Aber besser als nix -- sowohl für mich, als auch für die Patienten, gerade KJP ist ja ein sehr unterversorgtes Gebiet, und eine Kinderärztin mit "immerhin" Kurz-Psychotherapie-Ausbildung könnte da vielleicht zumindest einiges abfangen und versorgen, bis ein richtiger Therapieplatz frei wird.

Wegen dem Urlaub bzw. Vertretung muss ich fragen: wenn ich Urlaub hab, mach ich dann nicht einfach meine Praxis zu? Wenn ich bei meinem Augenarzt anrufe, kommt auch öfters nur: "Wir sind ab xx.xx. wieder für Sie da".

tarumo
22.11.2017, 15:21
Wegen dem Urlaub bzw. Vertretung muss ich fragen: wenn ich Urlaub hab, mach ich dann nicht einfach meine Praxis zu? Wenn ich bei meinem Augenarzt anrufe, kommt auch öfters nur: "Wir sind ab xx.xx. wieder für Sie da".

Zuerst die Antwort hierzu: im GKV-Bereich ist man verpflichtet, Abwesenheit von mehr als einer Woche der KV anzuzeigen und einen Vertreter namentlich zu benennen (also kein abstrakter Hinweis a la Telefonbuch). Das mag in der Praxis und je nach KV bisweilen unterschiedlich gehandhabt werden. Hast Du keinen Vertreter (z.B. weil Du der letzte FA der Richtung im Sprengel bist), gibt´s theoretisch auch kein Wegfahren. Anspruch hast Du nicht, bist ja (schein)selbständig. Habe kürzlich von einem Fall gelesen, bei dem ein "netter" Patient den Arzt anhand seiner Facebookeinträge aus dem Urlaub bei der KV "verpetzt" hat. Resultat: Disziplinarverfahren und Strafe für den Arzt. Dazu kommt noch die Einteilung für den KV-Bereitschaftsdienst, den man je nach KV-Sprengel teilweise unabgesprochen und auch in unterschiedlicher Frequenz "übergeholfen" kriegt. Natürlich mit dem Vermerk, daß jederzeit Planänderungen möglich sind. Entweder beauftragst Du dann für > 1000 EUR/D einen Vertreter oder das war´s dann mit dem Urlaub. Die zunehmende Unlust, sich niederzulassen und die hohe burn-out und Scheidungsrate kommt sicher nicht daher, daß es außerhalb der Großstadt kein Theater gibt oder was da alles so offiziell erzählt wird...

AryaStark
22.11.2017, 15:38
Hm ... mein Vater ist Hausarzt, da war das bis jetzt eigentlich immer ziemlich unaufgeregt mit der Vertretung, aber liegt natürlich daran, dass es relativ viel Hausärzte gibt im Vergleich zu spezielleren Fachärzten. Dienste fallen mittels der neuen ÄBD-Regelung nur noch wenige pro Jahr an und lassen sich problemlos verkaufen.

Der Fall, von dem du berichtest, ist ja der absolute Hammer. Hast du da einen Link zu? Wüsste gern, in welchem KV-Gebiet das war, damit ich da einen großen Bogen drum mache ;-) bei den Fachärzten in meiner Umgebung sind viele eigentlich sehr häufig im Urlaub und haben auch sehr ausgewählte Öffnungszeiten (täglich 9-11 und Donnerstag 15-17 Uhr, etc). Liegt vielleicht daran, dass es hier nicht wirklich ländlich ist und daher immer ein Vertreter möglich ist. Aber der kann dann, nehm ich an, auch mal 20 km entfernt sein? Sooo viele Dermatologen etc. gibts hier auch nicht.

AryaStark
22.11.2017, 15:40
Achja, wie ist das denn bei reinen Privatpraxen? Haben die auch mit Diensten, Urlaubsvertretung etc. zu tun oder können sie da theoretisch machen, was sie möchten?

John Silver
22.11.2017, 16:01
Eine Privatpraxis ist nicht im Pool, da für eine solche Praxis der Sicherstellungsauftrag nicht gilt. Deshalb ist der Inhaber einer solchen Praxis frei wie ein Vogel.

tarumo
22.11.2017, 16:17
Da Du als Privatarzt keinen "Sicherstellungsauftrag" hast, kannst Du arbeiten, wie Du willst. Die Dienstverpflichtung ist je nach KV unterschiedlich geregelt,je nach Bundesland werden auch Privatärzte herangezogen. Da die Versicherungspflichtgrenze andauernd hochgesetzt wird (die wenigsten jungen Eltern verdienen so viel), sind privat versicherte Kinder mittlerweile recht selten. Und die aktuell geburtenstarken Bevölkerungsteile sind nicht privat versichert. Das muß man alles berücksichtigen für so ein "Geschäftskonzept"
Du studierst noch? Es gibt auch Fachforen, wo man sich z.B. als klinisch fortgeschrittener Student registieren lassen kann und dann auch im Sinne der Nachwuchsinformation (von Gewinnung kann man nicht in jedem Fall sprechen) sich von erfahrenen KollegInnen informieren lassen kann. Die Anzahl der hier schreibenden mit Erfahrung im KV-System dürfte übersichtlich sein, die mit langjähriger Erfahrung noch viel niedriger. Grundsätzlich sollte man wissen, daß es in Deutschland mächtige politische Strömungen gegen eine klassische Praxisniederlassung gibt, die gewollt prekäre Vergütungssituation in manchen Fächern (Kinderheilkunde gehört leider dazu) und die daraus resultierende Unterversorgung sind ein Teil davon. Die Rahmenbedingungen können sich u.U. recht schnell drastisch verschlechtern, je nach zukünftiger Regierung (die ist ja derzeit auch nicht klar...). Politisch propagiert ist eine Anstellung als FA im MVZ. Gerne betrieben von Konzernen, die wie ein Sonnengott oder Mittelgebirge heißen. Siehe auch hier im Forum;-) Mit ein paar Klicks zum MB wirst Du deren Tarifverträge finden. Dort gibt es keine Extravergütung für einen Doppel-FA. Bestenfalls wirst Du eine oder zwei Stufen höher eingestuft. Führungskräfte haben AT-Verträge, da werden aber andere Sachen verlangt (z.B. genug stationäre Einweisungen oder ähnliches, Hauptsache die Rendite stimmt). Und wenn die Zahlen nicht stimmen, dann bist Du raus. Gewinn wird im DRG-System aus den Personalkosten gezogen, weil so ziemlich alles andere sich kaum beeinflussen läßt (korrekte Abrechung vorausgesetzt).Aber wie gesagt, es kann sich (noch) jeder frei informieren, nachrechnen und auch entsprechend entscheiden.
Oder den Vater fragen (sofern er in Deutschland HA ist). Kommt dann vielleicht glaubhafter rüber als Foreneinträge.

tarumo
22.11.2017, 16:28
Hm ... mein Vater ist Hausarzt, da war das bis jetzt eigentlich immer ziemlich unaufgeregt mit der Vertretung, aber liegt natürlich daran, dass es relativ viel Hausärzte gibt im Vergleich zu spezielleren Fachärzten. Dienste fallen mittels der neuen ÄBD-Regelung nur noch wenige pro Jahr an und lassen sich problemlos verkaufen.

Der Fall, von dem du berichtest, ist ja der absolute Hammer. Hast du da einen Link zu? Wüsste gern, in welchem KV-Gebiet das war, damit ich da einen großen Bogen drum mache ;-) bei den Fachärzten in meiner Umgebung sind viele eigentlich sehr häufig im Urlaub und haben auch sehr ausgewählte Öffnungszeiten (täglich 9-11 und Donnerstag 15-17 Uhr, etc). Liegt vielleicht daran, dass es hier nicht wirklich ländlich ist und daher immer ein Vertreter möglich ist. Aber der kann dann, nehm ich an, auch mal 20 km entfernt sein? Sooo viele Dermatologen etc. gibts hier auch nicht.

War in einer Fachzeitschrift und ohne Ortsangabe. Und nicht online verfügbar. Juristen wissen sicherlich, wo man Sozialgerichtsurteile recherchieren kann. KV-interne Disziplinarmaßnahmen sind leider nicht öffentlich. Also Mundpropaganda. Viele Infodienste/Fachzeitschriften haben eine Ecke für Juristisches. Finde ich immer interessanter als irgendwelche Papers...Sicherlich ist auch was im Internet verfügbar. Ansonsten fange ich gerade an, mich zu wundern. Dein Vater ist HA und Du glaubst, die angegebenen Sprechzeiten sind die, wo der Arzt arbeitet? Und sonst nicht? Und wer sagt, daß die "Budgetferien" nicht für internen Papierkram oder Fortbildungen (deren Nichtbesuch ja auch sanktioniert wird) genutzt wird.

AryaStark
22.11.2017, 16:35
Du studierst noch? Es gibt auch Fachforen, wo man sich z.B. als klinisch fortgeschrittener Student registieren lassen kann und dann auch im Sinne der Nachwuchsinformation (von Gewinnung kann man nicht in jedem Fall sprechen) sich von erfahrenen KollegInnen informieren lassen kann. Die Anzahl der hier schreibenden mit Erfahrung im KV-System dürfte übersichtlich sein, die mit langjähriger Erfahrung noch viel niedriger.

Ich bin seit anderthalb Jahren Assistenzärztin in der Schweiz. Genau solche Foren hab ich schon gesucht (v.a. natürlich bzgl. Pädiatrie und KJP), eben weil ich mir da mehr Erfahrung vermute als im eher studi-bevölkerten medi-learn, aber leider nichts gefunden :-?



Grundsätzlich sollte man wissen, daß es in Deutschland mächtige politische Strömungen gegen eine klassische Praxisniederlassung gibt, die gewollt prekäre Vergütungssituation in manchen Fächern (Kinderheilkunde gehört leider dazu) und die daraus resultierende Unterversorgung sind ein Teil davon. Die Rahmenbedingungen können sich u.U. recht schnell drastisch verschlechtern, je nach zukünftiger Regierung (die ist ja derzeit auch nicht klar...). Politisch propagiert ist eine Anstellung als FA im MVZ. Gerne betrieben von Konzernen, die wie ein Sonnengott oder Mittelgebirge heißen.


Das ist mir bewusst und macht mich sehr wütend. Die leidtragendsten sind doch eigentlich die Patienten, die heutzutage meist extrem lieblos und kurz abgewickelt werden (müssen), wenns nicht gerade Privatpatienten sind. Und die sich heutzutage freuen können, wenn sie noch ein deutsch sprechender Arzt behandelt, oder auf dem Dorf überhaupt noch einer vorhanden ist. Auch ich werde bei solchen Vorraussetzungen dann wahrscheinlich in der Schweiz bleiben.

Warum meinst du, ist gerade in bestimmten Fächern wie Päd eine prekäre Vergütungssituation gewollt?

AryaStark
22.11.2017, 16:40
Wegen meinem Vater: der arbeitet tatsächlich hauptsächlich während der angegebenen Sprechstundenzeiten. Danach, am Wochenende abends und im Urlaub dann die Abrechnung. Verdient nicht gerade viel, hat aber auch eher geringe Kosten (keine Miete, wenig Personal und teure Apparatschaften). Ist sicher deutlich anders als bei einer Altbau-Praxis in der Innenstadt mit 7 Zimmern, 2 MTA's und 5 Helferinnen.

tarumo
22.11.2017, 16:43
schalt mal Deine PN frei

AryaStark
22.11.2017, 16:47
schalt mal Deine PN frei

Ist gemacht :)

Jule-Aline
22.11.2017, 18:18
Oder du gehst in einen Stadtteil, wo lauter Lehrer oder andere Beamte wohnen.Die und deren Kinder sind meist privat versichert. Oder in einer Stadt mit Uniklinik.Hier gibt es auch eine Privatpraxis mit einigen Kinderaerzten .Die haben richtig viel zu tun,v.a.ein Kollege hat den Schwerpunkt Kinder Kardiologie.

tarumo
22.11.2017, 20:37
Oder du gehst in einen Stadtteil, wo lauter Lehrer oder andere Beamte wohnen.Die und deren Kinder sind meist privat versichert. Oder in einer Stadt mit Uniklinik.Hier gibt es auch eine Privatpraxis mit einigen Kinderaerzten .Die haben richtig viel zu tun,v.a.ein Kollege hat den Schwerpunkt Kinder Kardiologie.

Liest Du keine Zeitung? In einigen Bundesländern werden z.B. Lehrer überhaupt nicht verbeamtet. An meiner ehemaligen Uni werden lt. Stellenausschreibung nicht einmal mehr die Lehrstuhlinhaber der Uniklinik zwingend verbeamtet. Lies mal das Ärzteblatt! Hamburg machte vor ein paar Wochen als erstes Bundesland den Vorstoß, auch die "klassischen" Beamten in die GKV abzuschieben. Da ist man momentan noch am rechnen, was günstiger ist. Falls ja, dann ist die Beihilfe (nicht PKV!) schneller weg, als man denken kann. Geht nur um billig, billig. Post, Bahn...auch keine Beamten mehr. Im übrigen beschreibst Du ja genau den Mechanismus, warum sich die Praxen am Starnberger See und Taunus usw. ballen. SPD und Grüne wollen das sanktionieren unter dem Mantel "Gerechtigkeit" und haben auch die "Bürgerversicherung" fix auf der Agenda mit Abschaffung der PKV. Teile der CDU wären damit einverstanden...so, und nun überleg mal die Optionen für die nächste Bundesregierung...

AryaStark
22.11.2017, 21:07
Reine Privatarzt-Tätigkeit ist zwar sehr reizvoll, da man dann endlich genug Zeit für den einzelnen Patienten hätte, medizinisch und menschlich wahrscheinlich deutlich besser arbeiten könnte, ohne finanzielle Einbußen zu machen oder sogar die Praxis zu gefährden. Und man wäre eben endlich wirklich (!) selbstständig, ohne von den KVen gegängelt zu werden. Kassenniederlassung heißt ja eigentlich, man hat das volle Risiko und die ganzen Nachteile der Selbstständigkeit, kriegt aber fast alles vorgeschrieben wie bei einem strengen Arbeitgeber.

Aber ich sehe auch das große Problem, was tarumo anspricht: politisch wurde schon öfters nach einer Bürgerversicherung und der kompletten Abschaffung der PKV geschrien. Falls das tatsächlich mal eintreten sollte (ist jetzt nicht gerade völlig unrealistisch), steht man mit seiner Privatpraxis dann komplett am Abgrund. Insbesondere in reichen Gegenden mit vielen Privatpraxen können die alle dann ja nie und nimmer einen KV-Sitz finden.

Zudem hab ich zumindest sehr gerne eine "bunte Mischung" aus allen Gesellschaftsschichten als Patienten. Einerseits hätte ich bei einer reinen Privatpraxis wahrscheinlich ein schlechtes Gewissen, dass ich eben vielen Kindern gar nicht als Ärztin zur Verfügung stünde (bzw. meine Behandlung), weil ihre Eltern nicht gut genug verdienen. Und andererseits hätte ich glaub ich auch gar keine Lust, NUR Wohlhabende und Akademiker zu behandeln. Da ist doch oft ein überproportional hohes Anspruchsdenken, "Mika-Leonhard ist definitiv hochbegabt", "Katharina-Sophie verträgt kein Gluten, egal was der Test sagt!", "also Malte-Theodor ernähren wir rein vegan" .... etc. vorhanden. Da lobe ich mir oft genug die bescheidenen, freundlichen Arbeiterfamilien.

tarumo
22.11.2017, 21:39
Da lobe ich mir oft genug die bescheidenen, freundlichen Arbeiterfamilien.

Meine Erfahrung: bei solcher, beratungsintensiver Kundschaft (gerne genommen die Lehrerin mit Doppelnamen) freundlich lächeln und den Posten fürs Gespräch wg. besonderem Beratungsbedarf und Zeitdauer steigern. Wer als Privatpatient nicht völlig auf dem Kopf gefallen ist, weiß das auch (langes Gespräch- große Rechnung, wie beim Anwalt).
Das Problem in Deutschland sind m.E. eher die von Dir zitierten GKV-Zwangsmitglieder, die mit "isch abe Anspruch drauf" mit Zeckenbiß und Knieschmerzen seit drei Monaten nachts um 2h in der Ambulanz auftauchen. Ich behaupte mal, daß mit Ausnahme Verkehrsunfälle und Ähnliches die "Befindlichkeitsgestörten", die in vielen Kliniken den ZNA-Betrieb verstopfen, zu min 95% GKV-Versichert sind. Kostet ja nix, und Sanktionen seitens der Versicherung hat man auch nicht zu befürchten. Und Gesprächsbedarf haben die auch, der aber nicht vergütet wird. Im ambulanten Bereich hat man auch gar keine Vertragsbeziehung zum Patient, sondern muß als Sachwalter der GKV agieren...
Auffällig ist, daß bei allen Diskussionen über übermäßige Inanspruchnahme der ZNA der Faktor Geld völlig ausgeklammert wird- dabei ist Geld das einzige Regulativ einer Zivilgesellschaft, selbst in Nordkorea. 50 EUR oder mehr Eintrittsgeld für die ZNA, bei Berechtigung Erstattung durch die GKV, ansonsten nicht, und bei den ärmsten bzw. minderbemittelten 5% der Bevölkerung, die entweder kein Geld haben oder damit nicht umgehen können, springt der Staat als Vormund ein- übrigens genau dafür hat Bismarck seinerzeit die GKV geschaffen. Aber wo es Freibier gibt, wird gesoffen, und wenn man meint, es anders regeln zu müssen als in allen anderen zivilsierten oder weniger zivilisierten Ländern, dann geht es schief. Erzähl doch mal aus der Schweiz!
Ausnahmen bestätigen die Regel: bescheidene GKV-Patienten ohne Anspruchsdenken und große Klappe gibt es auch, das sind dann die, die stundenlang still vor sich hinleiden oder irgendwo auf einem Gangbett vor sich hinsterben, weil die ärztliche und pflegerische Versorgung wegen Fehlallokation der Ressourcen kurz vor dem Kollaps steht

anignu
22.11.2017, 23:44
Das Problem in Deutschland sind m.E. eher die von Dir zitierten GKV-Zwangsmitglieder, die mit "isch abe Anspruch drauf" mit Zeckenbiß und Knieschmerzen seit drei Monaten nachts um 2h in der Ambulanz auftauchen. Ich behaupte mal, daß mit Ausnahme Verkehrsunfälle und Ähnliches die "Befindlichkeitsgestörten", die in vielen Kliniken den ZNA-Betrieb verstopfen, zu min 95% GKV-Versichert sind. Kostet ja nix, und Sanktionen seitens der Versicherung hat man auch nicht zu befürchten.
Hat jetzt irgendwie gar nichts mehr mit dem eigentlichen Thema zu tun!
Verkehrsunfälle sind auch oft ein "die Polizei hat gesagt ich muss kommen obwohl mir gar nichts fehlt". Und solche Leute (Lumbago seit 6 Wochen, kommen mitten in der Nacht etc.) tauchen ja speziell in der Notaufnahme auch und eben oft nicht in der Praxis.