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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Charité-Studenten hier?



Belsoe
25.11.2017, 12:46
Hallo, ich habe über Wartezeit und Sozialkriterium Chancen auf einen Platz in Berlin. Was wohnen und arbeiten angeht (Selbstfinanzierung) wäre das auch die günstigste Gesamtlösung für mich. Allerdings bin ich unsicher wegen der Art des Studiums dort. Einmal angefangen, kann man nirgends hin wechseln wegen dem Reformstudiengang. Man sollte also vorher einschätzen, ob man damit klar kommt.

Mein Hauptbedenken: ich bin eher der klassische Lerntyp. Für mich geht nichts über einen richtig guten Frontalunterricht mit eigenem Nacharbeiten. Damit ist schon mal klar, dass Berlin eher ein Kompromiss ist. Nur, wie gross ist dieser Kompromiss? Wieviel Raum nimmt das Gruppenarbeiten (mein unqualifiziertes Vorurteil: ein Haufen Leute schmeissen ihr Halbwissen in einen Topf, ich fand das bislang immer auf die Zeit gerechnet ineffektiv) und "Schauspieler untersuchen" letztlich ein? Ein Drittel, die Hälfte...? Ergänzt dieses Lernen, oder ersetzt es das Gros der herkömmlichen Stoff-Vermittlung? Wie stark kann man diesen Studiengang für sich typgerecht nutzen/gestalten?

In der neuen Ordnung 2.0 ist doch wieder ein grösserer Anteil von Vorlesungen und Seminaren zu finden, wird das beides klassisch durchgezogen und in welche Richtung wird der Studiengang Eurer Erfahrung nach weiterentwickelt?

Ausserdem bin ich eher der beobachtende Typ. Weiteres Vorurteil: extrovertierte haben mehr von Reform-Lernmethoden. Vielleicht können stillere Vertreter ihre Erfahrungen dazu aufschreiben?

Insgesamt geht es nicht darum dass ich glaube, überhaupt gar nicht klarzukommen. Eher darum, auszuloten wieviel Anpassung das von mir erfordern würde, und ob ich das dann so möchte. Würde mich sehr freuen, Eure Einschätzung dazu zu lesen.

davo
25.11.2017, 13:36
Vielleicht hilft dir fürs Erste https://www.studycheck.de/studium/medizin/charite-18360/bewertungen

Dort findest du viele Erfahrungsberichte, auch mehrere aus den letzten paar Wochen.

Belsoe
25.11.2017, 13:58
Danke für die Antwort, ich habe da schon mal gestöbert. Ich muss allerdings sagen dass ich den Eindruck hatte, dort schreiben die Leute eher wenn sie relativ frisch an der Uni sind (Ersteindrücke) und dann fand ich dass viele Beiträge genormt daher kamen während die ausfürhlicheren irgendwie weit unten in der Liste sind. Will damit keinen falschen Vorwurf platzieren, aber ich finde die Seite etwas "botmässig"?

davo
25.11.2017, 14:04
Das trifft auf alle Studiengänge zu. Liegt glaube ich einfach daran, dass man im 1. Semester noch hochmotiviert ist, gerne allen erzählt wie toll das Studium ist, um das man so hart gekämpft hat, usw. :-))

Hier im Forum gibts ja ein paar recht aktive Berliner User die schon deutlich weiter sind im Studium, die werden dir sicher mehr erzählen können.

Chriman
27.11.2017, 19:54
Hey Belsoe,



Mein Hauptbedenken: ich bin eher der klassische Lerntyp. Für mich geht nichts über einen richtig guten Frontalunterricht mit eigenem Nacharbeiten. .


Davon gibt es mehr als genug, niemand "tanzt" dir Biochemie und Co. vor.
Formate wie KIT ( Kommunikation,Interaktion,Teamarbeit) + Pol ( Problemorientiertes Lernen ) nehmen vllt. 10-15% der Zeit ein.
Du musxt auch nicht besonders kommunikativ sein , allerdings können gerade introvertiert veranlagte Personen imho durchaus von diesen Unterrichtsformen profitieren.
Simulationspatienten hab ich bisher ( 3. Semester) übrigens genau 4 Mal gesehen ,hält sich also stark in Grenzen. Dafür von Anfang an fast jede Woche Patienten im U-Kurs auf Station ;)...

Belsoe
27.11.2017, 21:36
Vielen Dank, das ist eine interessante Information. Der Eindruck, den der Reformstudiengang (bewusst?) vermittelt, ist ein komplett umgekrempelter Studienverlauf mit mindestens 5 neu erfundenen Rädern.

Jetzt sagst Du, 10-15% "neue Vermittlungsformen". Hat man also de facto immer noch eine relativ übliche Medizinerausbildung, bloss ergänzt um mehr praktische und patienten-nahe Lehrkonzepte? Oder ist im Gegenzug dafür viel bislang übliches "rausgeflogen"? Die schlechteste Variante wäre natürlich: viel bewährtes zugunsten von neuem runtergefahren, und das neue ist aber unvollständig.

Ich hatte jetzt tatsächlich den Eindruck bekommen, da wird etwas ganz eigenes durchgezogen, was im Studienalltag sehr anders erlebt wird als der klassische Vorklinik-Klinik Weg. Aber womöglich ist das Gros fast genau so wie vor 10-15 Jahren.

Würdest Du es denn subjektiv weiterempfehlen?

Chriman
28.11.2017, 08:45
Hat man also de facto immer noch eine relativ übliche Medizinerausbildung, bloss ergänzt um mehr praktische und patienten-nahe Lehrkonzepte?

Ja,kann man so sagen. Der zu vermittelnde Studieninhalt ist ja auch in der Approbationsordnung festgeschrieben.

Ich hatte jetzt tatsächlich den Eindruck bekommen, da wird etwas ganz eigenes durchgezogen, was im Studienalltag sehr anders erlebt wird als der klassische Vorklinik-Klinik Weg

Das wiederum stimmt, die klassische Trennung von Vorklinik - Klinik besteht nicht. Trotzdem wird zu Beginn viel Grundlagenwissenschaft ( Biochemie,Biologie, minimale Physikanteile) vermittelt, alles andere macht keinen Sinn. Dies wird dann aber kombiniert mitPatientenvorstellungen und entsprechenden Erkrankungen.
Ein großer Unterschied ist, dass du keine "Scheine" sammeln musst und innerhalb des Semesters keine Prüfungen oder Testate stattfinden. Dafür dann am Semesterende eine Prüfung.
Das Physikumsäquivalent wird einem wohl nach dem 6. Semester anerkannt, das führt ,wie schon von dir angesprochen, zu mangelnder Mobilität.

Belsoe
29.11.2017, 09:34
Und diese Grundlagenfächer die Du ansprichst, werden die in vollem Umfang regulär angeboten, oder ist das reduziert? Anatomie wird in manchen Erfahrungsberichten z.B. bemängelt. Ich habe POL so verstanden dass man Probleme präsentiert bekommt und dann quasi im Selbststudium in die Verästelungen geht. Lernt man diese Verästelungen also ganz herkömmlich und nutzt POL dann nur zur Verknüpfung des Handwerkszeuges, oder ist POL der umkommentierte Ausgangspunkt für "selber rückwärts lernen bis zum Urschleim"?

Bei ersterem sehe ich die Logik, bei letzterem hätte ich bedenken, dass dieses "ungeführte" Lernen dann lückenhaft ausfallen könnte.

Sorry für meine vielen Detailfragen. :)

roxolana
29.11.2017, 13:28
Bei ersterem sehe ich die Logik, bei letzterem hätte ich bedenken, dass dieses "ungeführte" Lernen dann lückenhaft ausfallen könnte.

Ich habe selbst keine Erfahrung mit dem Modellstudiengang, aber "ungeführtes" Lernen nimmt auch im Regelstudiengang den Löwenanteil des Lernen ein. Der Stoffumfang ist riesig und es nimmt einen niemand an die Hand und erklärt einem, wie man sich darin orientieren soll. Das A&O ist immer die eigene Vorbereitung.

Belsoe
29.11.2017, 14:37
Ja, ich meinte damit auch weniger selbständiges Lernen an sich.

Ich weiss nicht so ganz wie ich es formulieren soll. Ich stelle mir einfach vor, wenn man thematisch abgegrenzte Gebiete wie Physik, Biochemie, Physio bearbeitet hat, und DANN das Puzzle durch POL oder ähnliche Methoden zusammensetzt, ist das was anderes als wenn man ohne jedes Handwerkszeug eine Fallstudie bekommt, beim aufdröseln alles durcheinander lernt und mit Pech halt nichts richtig weil kein Fach mal irgendwo anfängt und aufhört.

mottzi
29.11.2017, 16:26
Meine Erfahrung: Du musst selber zusehn, wo du bleibst - ob Modell- oder Regelstudiengang. Schlussendlich lernst du das, was du dir selbst aneignest, der Aufbau des Studiums ist da mMn. nebensächlich. Klar, es gibt immer wieder mal Vorlesungen oder sonst Veranstaltungen wo man denkt - wow das war echt hilfreich (jetzt mal rein didaktisch betrachtet), das macht aber eher den kleineren Teil des Studiums aus.

Chriman
29.11.2017, 18:31
Ja, ich meinte damit auch weniger selbständiges Lernen an sich.

Ich weiss nicht so ganz wie ich es formulieren soll. Ich stelle mir einfach vor, wenn man thematisch abgegrenzte Gebiete wie Physik, Biochemie, Physio bearbeitet hat, und DANN das Puzzle durch POL oder ähnliche Methoden zusammensetzt, ist das was anderes als wenn man ohne jedes Handwerkszeug eine Fallstudie bekommt, beim aufdröseln alles durcheinander lernt und mit Pech halt nichts richtig weil kein Fach mal irgendwo anfängt und aufhört.

Bitte bewerte POL nicht über , dieses Format bzw. der Inhalt ist überhaupt nicht Prüfungsrelavant . Es wird dir, ein zum aktuellen Modul ,passender Fall vorgestellt, die Pol-Gruppe kann sich Gedanken über diese Kasuistik machen ,Lernziele definieren und diese zum nächste nächsten Pol-Termin ausarbeiten.
Das Ausarbeiten kann sich auf ellenlange Vorträge inklusive Flipchart usw. ausdehnen ,oder auf 5 Minuten vor dem Termin kurze Doccheck-"Recherche".
Manche sehen darin Zeitverschwendung ,manche einen echten Gewinn.
Zu den Grundlagenfächern: Soweit ich das jetzt mitbekommen habe ,wird das an jeder Fakultät unterschiedlich gehandhabt. In manchen muss man scheinbar 300 Formeln für Physik lernen , woanders muss ein Schein anorganische Chemie gemacht werden ,dann organische Chemie ,bis mal jemand mit dir über Biochemie redet.:-nix
Was ich damit sagen will: jeder definiert anders ,was unbedingt wichtig ist um ein guter Arzt werden zu können...
Ich denke man geht im MSM 2.0 einen guten Weg.
Nicht zu vergessen ist die Tatsache ,dass es in der Charité kein "kapazitätzbedingtes rausprüfen" gibt , macht die ganze Sache sehr entspannt.

Gerne kannst du dich auch hier über die Konzeption des MSM 2.0 informieren.
[/QUOTE]https://www.google.de/url?sa=t&source=web&rct=j&url=http://fsi-charite.de/wp-content/uploads/2014/05/MSM-2.0-Zusammenfassung.pdf&ved=2ahUKEwjEmu_-s-TXAhWHIewKHSmjDwEQFjAAegQICBAB&usg=AOvVaw20Qs5I8TbZ-5ketGPjdWBd

Belsoe
29.11.2017, 19:28
Ok, dann habe so langsam eine Vorstellung davon. Besten Dank dafür!

Bei allem selbstverantwortlichen Lernen liest man aber dennoch von einer hohen Anwesenheitspflicht an der Charité, mit mehr Kontrolle als anderswo. Ist das so richtig? Wie gesagt wäre Berlin bei mir die praktische Lösung da billiges Wohnen und ein flexibler Job bereits vorhanden sind. Gerade dem Thema Arbeiten käme ja selbstverantwortliches Studieren sehr entgegen, aber vermutlich ist das in der Praxis gar nicht so frei wie es sich anhört?

Wieviel Stunden in der Woche sind denn anwesenheitspflichtig?

xenopus laevis
12.12.2017, 15:30
Bei allem selbstverantwortlichen Lernen liest man aber dennoch von einer hohen Anwesenheitspflicht an der Charité, mit mehr Kontrolle als anderswo. Ist das so richtig?
85% Anwesenheitspflicht. Vorlesungen sind nicht inbegriffen. Ich bin im 5 Semester und bin im Schnitt 2-3 Tage an der Uni.

Wie gesagt wäre Berlin bei mir die praktische Lösung da billiges Wohnen und ein flexibler Job bereits vorhanden sind. Gerade dem Thema Arbeiten käme ja selbstverantwortliches Studieren sehr entgegen, aber vermutlich ist das in der Praxis gar nicht so frei wie es sich anhört?
Ich habe einen sehr flexiblen Job. Also es wird schwierig, wenn du z.b. immer Montags frei brauchst. Aber es gibt auch die sog. individuelle Stundenplanung. Erfordert etwas Eigeninitiative.

Wieviel Stunden in der Woche sind denn anwesenheitspflichtig?
Ist von Semester zu Semester unterschiedlich. Die Stundenpläne sind öffentlich einsehbar. Ab dem 5 Semester hat man aber wirklich wenig Pflichtveranstaltungen.

Dein Eingangspost hätte von mir sein können. Ich liebe Berlin, aber der Modellstudiengang ist für mich nur ein Kompromiss.
POL: Hast du nur bis zum 5 Semester. Die Lösungen stehen im internen Forum. Wenn man keine Lust hat, dann bereitet man sich vor und geht nicht komplett verloren in dieser Veranstaltung. Spätestens ab dem 3 Semester dauerte bei uns eine Veranstaltung ca. 1-,15 h (statt die vorgeschriebenen 3h). Zum Reden oder zur Mitarbeit kann dich niemand zwingen.

KIT: durchbeißen und Augen zu! Man überlebt es. Man hat es nicht im 3 und 7 Semester.

Anatomie: Man kann eine Menge lernen. Aber wenn du auf wöchentliche Testate stehst, dann bist du hier falsch. Es dir überlassen, wie viel du lernst. Aber die die im 3 Semester nichts getan haben, durften die Klausur mehr als 2 mal schreiben.

Chemie, Physik: man kommt auch ohne Wissen durch. Es wird nicht abgefragt. Vielleicht 1-2 Fragen pro Abschlusssemesterklausur.

Denke bei uns nicht an Fächern, sondern an Module. Außer du befindest dich in der mündlichen Prüfung wieder. Da legen die Vorkliniker darauf wert dich in Anatomie, Biochemie und Physiologie einzeln zu quälen.

Mir gefallen die Bewertungen auch nicht auf studycheck. Sind auch eher begeisterte Frischlinge die es bewerten. In der Realität kenne ich max 1-2 Menschen die in POL und KIT wirklich etwas bedeutsames sehen. :-oopss