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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Vorsorgevollmacht vs. "akut" angeregte gesetzliche Betreuung



Relaxometrie
03.12.2017, 19:56
In letzter Zeit bin ich einigen Leuten begegnet, die sagen, daß sie weder Vorsorgevollmacht, noch eine Betreuungsvefügung verfasst haben und dies auch nicht machen werden.
Ok......das ist deren Sache. Aber in diesen Gesprächen ist mir aufgefallen, daß ich einer Sache doch mal nachgehen möchte, da ich sie noch nicht verstanden habe. Vielleicht kann ich mit dem dann erworbenen Wissen noch besser argumentieren und den ein oder anderen doch noch davon überzeugen, daß besagte Schriftstücke wichtig sind.

Gehen wir von dem Fall aus, daß die Familienverhältnisse gesittet sind, kein Streit herrscht und sich alle Angehörigen eines Patienten über das Procedere einig sind. Jetzt wird eine gesetzliche Betreuung nötig (sagen wir hier im Beispiel mal, daß es eine umfassende Beetreuung für die meisten Bereiche wird), die in Absprache mit allen Familienanghörigen auch von einem der Familienmitglieder übernommen wird. Der Antrag auf Betreuung wird beim Amtgericht gestellt, die Betreuung wird genehmigt.
Was wäre in diesem -zugegebenermaßen als Optimalfall dargstellt....aber ich habe mehrfach erlebt, daß es so unproblematisch läuft- Fall der Vorteil einer Vorsorgevollmacht gewesen?
Mir fällt nur ein, daß die in der Vorsorgevollmacht genannte Person, die dann als gesetzlicher Betreuer fungiert, sofort und ohne weiteren Zeitverlust agieren kann. Und man weiß, daß derjenige, der aufgrund der Nennung in einer Vorsorgevollmacht Betreuer wird, dem Willen des Betreuten entspricht. Außerdem muß die vom Amtsgericht veranlasste Betreuung in bestimmten Zeitabständen überprüft und erneuert werden. Dies entfällt bei der Betreuung, die aufgrund einer Vorsorgevollmacht zustanden gekommen ist.....oder?

Aber ist es für die Amtgeschäfte, die der gesetzliche Betreuer dann im Laufe der Zeit vollzieht, letztlich ein Unterschied, ob er aufgrund der Nennung seiner Person in einer Vorsorgevollmacht, oder aufgrund eines Verfahrens beim Amtsgericht zum gesetzlichen Betreuer geworden ist?

Brutus
04.12.2017, 10:12
Gehen wir von dem Fall aus, daß die Familienverhältnisse gesittet sind, kein Streit herrscht und sich alle Angehörigen eines Patienten über das Procedere einig sind. Jetzt wird eine gesetzliche Betreuung nötig (sagen wir hier im Beispiel mal, daß es eine umfassende Beetreuung für die meisten Bereiche wird), die in Absprache mit allen Familienanghörigen auch von einem der Familienmitglieder übernommen wird. Der Antrag auf Betreuung wird beim Amtgericht gestellt, die Betreuung wird genehmigt. Was wäre in diesem -zugegebenermaßen als Optimalfall dargstellt....aber ich habe mehrfach erlebt, daß es so unproblematisch läuft- Fall der Vorteil einer Vorsorgevollmacht gewesen?
Bei uns ist es so, dass auf dem Antrag für die Betreuung ja die Familienangehörigen aufgezählt werden und ein Vorschlag gemacht werden kann, der i.d.R. auch so vom Amtsgericht übernommen wird. Das wäre der Optimalfall. Was aber, wenn sich die Familienangehörigen nicht so einig sind, wie man doch eigentlich annimmt? Was, wenn der Patient präfinal ist, alle das auch so sehen, aber der vom Amtsgericht bestellte Betreuer das nicht so einsieht? Wenn ich eine Betreuungsverfügung / Vorsorgevollmacht erteilt habe, dann kann ich ja in dieser Verfügung auch angeben, an was sich der Betreuer zu halten hat. Also wirklich MEINE Meinung mitteilen.


Mir fällt nur ein, daß die in der Vorsorgevollmacht genannte Person, die dann als gesetzlicher Betreuer fungiert, sofort und ohne weiteren Zeitverlust agieren kann.
Das auch! Wenn es um z.B. Dialyse ja /nein oder eine Tracheotomie geht, dann dauert es halt einfach länger, wenn ich erst noch das Gericht einschalten muss...


Und man weiß, daß derjenige, der aufgrund der Nennung in einer Vorsorgevollmacht Betreuer wird, dem Willen des Betreuten entspricht. Außerdem muß die vom Amtsgericht veranlasste Betreuung in bestimmten Zeitabständen überprüft und erneuert werden. Dies entfällt bei der Betreuung, die aufgrund einer Vorsorgevollmacht zustanden gekommen ist.....oder?
S.o. Du kannst ja dem Betreuer auch schriftlich mitteilen in der Verfügung, an was er sich zu halten hat. ;-)
Die gerichtliche Betreuung ist meist auf ein halbes Jahr beschränkt und muss dann erneuert werden.
Allerdings sollte auch im Optimalfall die Verfügung in regelmäßigen Abständen (jährlich?) überprüft werden, ob denn wirklich noch alle Tatsachen gegeben sind, ob man etwas anpassen möchte und dann das auch dokumentieren und mit Datum unterschreiben!


Aber ist es für die Amtgeschäfte, die der gesetzliche Betreuer dann im Laufe der Zeit vollzieht, letztlich ein Unterschied, ob er aufgrund der Nennung seiner Person in einer Vorsorgevollmacht, oder aufgrund eines Verfahrens beim Amtsgericht zum gesetzlichen Betreuer geworden ist?
Nein.

jijichu
04.12.2017, 10:56
Mmh, beim letzten Punkt bin ich mir nicht so sicher. Unsere Richter vom AG weisen schon darauf hin, dass bei einer Bestellung durch das Gericht mögliche Kosten bei Gutachtenerstellungen, bspw. für die Unterbringung nach BGB (1904/1906) auf den Betreuer zukommen könnten, während es bei einer Vollmacht wohl anders sei. Kann aber durchaus sein, dass dies von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich gehandhabt wird.

vanilleeis
04.12.2017, 11:33
Wir hatten kürzlich den Fall in der Familie. Der Faktor Zeitverlust ist dabei durchaus relevant (hier wars die Rea, die vermutlich nicht in Sinne meiner Schwiegermutter gewesen ist).
Ansonsten war es bei uns so, dass es keinen Unterschied gemacht hätte in Bezug auf die folgenden Amtsgeschäfte, wenn es vorher eine Vorsorgevollmacht gegeben hätte. Die Frage hat mein Mann wohl explizit beim Verfahrenspfleger (??), auf jeden Fall irgendwem, der beim Amtsgericht für sie zuständig war, gestellt. Aber sobald es innenfamiliäre Konflikte oder Zweifel an der Eignung einer Person gibt, kann es sehr unschön werden

Relaxometrie
04.12.2017, 12:08
Danke für die ausführliche Antwort, Brutus :-)




Mmh, beim letzten Punkt bin ich mir nicht so sicher. Unsere Richter vom AG weisen schon darauf hin, dass bei einer Bestellung durch das Gericht mögliche Kosten bei Gutachtenerstellungen, bspw. für die Unterbringung nach BGB (1904/1906) auf den Betreuer zukommen könnten, während es bei einer Vollmacht wohl anders sei. Kann aber durchaus sein, dass dies von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich gehandhabt wird.
Ich hatte nämlich auch so etwas in Erinnerung, daß es da einen Unterschied gibt. Zwar nicht den Punkt mit den Gutachtenkosten, der aber auch wesentlich ist.
Sondern ich habe mal gehört (und möchte das jetzt konkretisieren oder verwerfen), daß ein per Vorsorgevollmacht eingesetzter Betreuer dauerhaft agieren kann, ohne dem Gericht irgendwann Rechenschaft ablegen zu müssen (jetzt mal abgesehen von diesen Sonderfällen, wie Kastration/ Veräußerung von Haus und Grund/ sonstige Spezialfälle).
Ein durch das Gericht bestellter Betreuer müsse wohl regelmäßig Rechenschaft ablegen, wofür er Geld ausgibt (z.B. genaue Erklärung bei anfallenden Pflegeartikeln).




Wir hatten kürzlich den Fall in der Familie. Der Faktor Zeitverlust ist dabei durchaus relevant (hier wars die Rea, die vermutlich nicht in Sinne meiner Schwiegermutter gewesen ist).
Wobei die Rea natürlich ein Sonderfall ist, weil sie unmittelbar starten muß. Wenn da keine Patientenverfügung vorbekannt ist (im stationären Setting), oder greifbar ist (im ambulanten Setting), kein gesetzlicher Betreuer anwesend ist und die Situation nicht superinfaust wirkt (kann ein z.B. hinzugezogener Notarzt, der den Patienten nicht kennt, ja nicht immer sofort abschätzen), wird aufgrund des mutmaßlichen Willens des Patienten erstmal reanimiert.

tragezwerg
04.12.2017, 13:29
Auf einer Fortbildung wurde das vereinfacht so verglichen:
Vorsorgevollmacht: Bevollmächtigter unterliegt keinerlei Kontrolle durch Gericht o.Ä. = Missbrauchsgefahr unter Umständen hoch.
gesetzl. Betreuer: Betreuung ist zeitlich begrenzt und muss erneuert werden = Betreuer wird daher zumindest marginal "kontrolliert" (obwohl das meiner familiären Erfahrung nach auch sehr wenig Kontrolle ist).
Der Jurist auf dieser Fortbildung empfahl im Vorfeld statt einer Vorsorgevollmacht eine sog. Betreuungsvollmacht zu erstellen, in der eine Person zum zukünftigen gesetzlichen Betreuer vorgeschlagen wird, der Weg über das Gericht aber trotzdem nötig ist.
Im Berufsalltag stelle ich regelmäßig fest dass das Betreuungsgericht ziemlich genervt von unseren Eilanträgen ist...erste Frage immer: "Liegt vielleicht nicht doch eine Vorsorgevollmacht vor? Haben Sie auch ganz genau nachgefragt? Wirklich?"

Corinna
05.12.2017, 11:38
wie ists denn allgemein mit den kosten? antrag auf eilbetreuung kostet ja (die angehörigen) was. bei der vorsorgevollmacht weiß ich es nicht.

MissGarfield83
05.12.2017, 12:25
Die Vorsorgevollmacht hat nur Erstellungs und Lagerungskosten wenn man einen Anwalt oder Notar in Anspruch nimmt - bei Formelvorsorgevollmachten entstehen nur Papierkosten ...

Solara
05.12.2017, 20:10
Aufpassen, wenn irgendwie Immobilien im Spiel sind, müssen solche Sachen übern Notar laufen, sonst kann der Partner zB nicht so einfach das Haus verkaufen, falls nötig, um eure Pflege zu finanzieren, weil ihr Schwerpflegefall seid.

Ex-PJ
14.12.2017, 18:28
In den Fällen, dass gerichtlich ein Betreuer bestellt wird, kommen oftmals sog. Berufsbetreuer zum Einsatz.
Diese sind z.B. frühere Sozialarbeiter, Rechtsanwälte ... und betreuen gleichzeitig 5 - 40 Schäfchen, äh Patienten.
[Bei 20 - 40 Betreuten wird natürlich die Betreuung hauptberuflich ausgeübt.] Diese Betreuer können ca. 200 Euro/Betreutem pro Monat mit dem Gericht bzw. Justizkasse abrechnen. Das ist erst einmal nicht verwerflich.
Probleme können aber dadurch auftreten, daß diese Berufsbetreuer
a) oft wenig Initative zeigen (denn das Geld kommt ja für jeden Betreuten jeden Monat). Regelmäßig sind bei Anruf nur Anrufbeantworter geschaltet. Oder die Herrschaften erscheinen selten bis seltenst im Krankenhaus.
b) in Einzelfällen Eigentum der Betreuten, z.B. Haus/ Immobilien, angeblich?! zu günstig z.B. zur Deckung der Pflegeheimkosten verkauft hätten (jedenfalls so Sichtweise von Angehörigen, die sich dann plötzlich doch auf den Plan gerufen fühlen).
c) argumentativ stark und auch nach Eingaben bei Gericht o.ä. nur schwer aus ihrer Betreuerposition zu entfernen sind.

Relaxometrie
15.01.2023, 18:47
Gerade gelesen und überhaupt erstmalig davon gehört: (https://www.n-tv.de/ratgeber/Wie-sich-Partner-seit-2023-vertreten-duerfen-article23839671.html) seit diesem Jahr gibt es ein Notvertretungsrecht für Ehegatten und Lebenspartner, welches ein halbes Jahr lang gilt.
"Seit Jahresbeginn 2023 gibt nun der neue Paragraf 1358 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) Ehegatten und Lebenspartnern für den Notfall ein gegenseitiges Vertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten sowie bei kurzfristig freiheitsentziehenden Maßnahmen."

Wenn ich es richtig sehe, ermöglicht dieses Gesetz Ärzten sehr einfach, dem Ehepartner eines Patienten Auskunft zu geben. Finde ich sehr gut, denn bisher fand ich es schon extrem albern, dem Ehepartner eines Patienten keine Auskunft geben zu dürfen, wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt.
Aber das Gesetz wäre nicht in Deutschland entstanden, wenn es nicht wieder Unterklauseln hätte. Wenn nämlich bereits eine Vorsorgevollmacht vorliegt und in dieser nicht der Ehepartner als berechtigt genannt ist, tritt das Notvertretungsrecht nicht in Kraft. Laut oben verlinktem Artikel muss man als Arzt aber wohl keine kriminalistischen Erkundigungen anstellen, sondern es reicht, wenn man den Ehepartner, dem man Auskunft erteilen möchte, fragt, ob es eine Vorsorgevollmacht gibt, in der ggfs. eine andere Person genannt ist.

Nefazodon
15.01.2023, 20:09
Das ist korrekt. Bei der Ehegattenvertretung ist wichtig zu wissen, dass sie praktisch als Notfalloption gedacht ist, wenn keine andere Form der Vorsorge getroffen wurde.

Ich finde das ganz vernünftig, da die meisten Leute tatsächlich schon immer davon ausgegangen sind, dass sie als Ehepartner das Recht dazu hätten.

Die neue Regelung hat das Potenzial, einiges zu vereinfachen. Sie hat aber auch einige Haken und Fallstricke:

Sie ist nur als Überbrückung gedacht und gilt nur für sechs Monate. Dauert ein Zustand, der zur Einwilligungsunfähigkeit führt, (voraussichtlich) länger an, muss ein Antrag beim Betreuungsgericht gestellt werden.
Es ist Sache der Ärzte festzustellen, dass eine Einwilligungsunfähigkeit greift und die Ehegattenvertretung gilt. Es ist auch ärztliche Aufgabe, darüber aufzuklären, dass bei länger dauernden Zuständen der Betreuungsantrag erforderlich ist.
Formal beinhaltet die Notfallvertretung übrigens nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht und auch keinen Zugriff auf die Finanzen.
Und ja, wenn eine Vorsorgevollmacht vorliegt, geht die vor (find ich auch richtig so...man muss abbedingen können, dass der Ehepartner zuständig ist. Nicht alle wollen das).

Auch wenn man keine kriminalistischen Nachforschungen anstellen muss, gibt es Einiges zu bedenken.

Wir werden sehen, wie sich das Ganze in der Praxis auswirkt.

Ich find es schon interessant, dass viele Ärzte noch gar nichts von der neuen Regelung zu wissen scheinen.

abcd
15.01.2023, 20:35
Wir haben netterweise eine Infomail in der Klinik erhalten.
Uns hilft das leider nur bedingt weiter, da es nur um Gesundheitsfürsorge und so etwas wie Behandlungsverträge geht. Für die Anschlussversorgung nach Frühreha benötigt man ja häufig auch Dinge wie Vertretung gegenüber Behörden, ..., so dass wir wohl weiterhin Betreuungsanregungen schreiben müssen. Zumindest habe ich das bislang so verstanden.
Ich bin auch gespannt, ob eine externe PEG-Anlage ohne Vorsorgebevollmächtigten mit Ehegattenunterschrift durchgeführt würde...
Von der BÄK gibt es ein Formular für die Notvertretung.
https://www.bundesaerztekammer.de/service/muster-formulare