PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Psychiater werden trotz Depression und Ängsten



Seiten : [1] 2

stiffman
04.12.2017, 21:17
Hallo Forum,

ich habe mich hier angemeldet, weil ich meine Frage so offen niemand stellen kann.
Ich bin 34 und leide seit dem 21. Lebensjahr an einer rezidivierenden Depression (gegenwärtig leider schwere Episode). Das macht die Arbeit als Arzt nicht gerade leicht. Studium und Doktorarbeit habe ich irgendwie hinbekommen, mir wurde sogar eine wissenschaftliche Karriere zugetraut bis nahegelegt. Habe jetzt ein Jahr Neurologie und danach ein Jahr Innere gemacht und musste feststellen, dass ich die Arbeitsbelastung einfach nicht packe. Durch den Schichtdienst und die wenige Freizeit erlebt die Depression jedes Mal ein Comeback und ich frage mich, wie ich jemals einen Facharzt machen soll. Schichtdienst schaffe ich auch kaum. Die Angst, die ich vor Nachtdiensten habe, ist sicher nicht ungewöhnlich, aber lähmt mich schon eine Woche im Voraus. An Forschung on top ist da -leider, hat mir im Zuge der Diss mehr Spaß gemacht als Klinikalltag- nicht zu denken. Außerdem bin ich dafür mittlerweile zu alt. Eine Pause lege ich bereits seit Juli ein, aber die kann keine Dauerlösung sein. Mit jedem Tag, der vergeht, habe ich mehr Angst vor dem Wiedereinstieg. Eine Therapie habe ich in der Vergangenheit gemacht, möchte davon aber aktuell absehen, weil ich fünf Jahre bis zum Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung durchhalten möchte (Mitte 2020 wäre ein Abschluss möglich).
Ein Fach, das angesichts meines Werdeganges, meiner Interessen und der durchschnittlichen Arbeitsbelastung passen könnte, wäre Psychiatrie. Sicherlich gibt es da auch Unterschiede, aber in manchen Kliniken lässt es sich unter dem Gesichtspunkt der Work-Life-Balance wohl recht gut arbeiten. Einigermaßen geregelte Arbeitszeiten und regelmäßige Termine nach der Arbeit (Yoga z.B.) wahrnehmen zu können ist für jeden, aber vielleicht besonders für Depressive, wichtig. Allerdings frage ich mich, ob das in Ordnung geht, wenn der Arzt sich quasi unter die Patienten setzen könnte. Was ich auch nicht absehen kann, ist, wie gut mir die Distanzierung zu den Schicksalen meiner Patienten gelingen würde. Meine Sorge ist, dass ich eher kränker denn gesünder werde.
Was meinen die Psychiatrie-Erfahrenen unter Euch dazu? Freue mich über Antworten.

Viele Grüße,
stiffman

milz
04.12.2017, 21:26
Wie wäre es mit etwas weniger stressigem? Rehaklinik, Gesundheitsamt, Betriebsarzt...

stiffman
04.12.2017, 21:32
Das habe ich mir tatsächlich alles angeguckt und fand es -für mich- doch eher uninteressant. Und die Facharztqualifikation wird da -je nach Region- zumeist gefordert.

tarumo
04.12.2017, 21:33
Na ja, Gesundheitsamt...bei überbordender Nachfrage und gravierendem Personalmangel sowie mangelnder Wertschätzung, die sich in einer Minderbezahlung ggü. der Klinik ausdrückt...ob das eine gute Idee ist? Arbeitsmedizin oder MDK wären vielleicht eher Optionen?

Lakemond
04.12.2017, 22:00
Ich dachte immer man wird oft Psychiater nicht trotz, sondern wegen psychischer Störungen...

Kackbratze
04.12.2017, 22:08
Schonmal eine Stelle ohne Schichtdienst gesucht? Oder vielleicht professionellere Hilfe als ein Internetforum für Medizinstudenten?

Bandwurm
04.12.2017, 22:08
Hallo Stiffman.
Ich kommentiere mal als Oberarzt und Vorgesetzter. In der Psychiatrie wirst du evtl. auch Schwierigkeiten haben, wenn du eine "normale" Facharztkarriere machen willst. Überlege eher, ob du evtl. Teilzeit arbeitest und vielleicht eher Altassistent werden willst, z.B. in einer Tagesklinik. D.H. mehr Zeit für die schönen Seiten, weniger Verantwortung und nicht die allerhärtesten Fälle, die die auch an die Nieren gehen (z.B. Suizid von Patienten) und wenn du gut Verhandeln kannst keine Nachtdienste. Auch außerhalb von der Psychiatrie gibt es Teilzeit bestimmt interessante Möglichkeiten, im Gesundheitsamt hast du z.B. durchaus viel mit Psychiatrischen Patienten zu tun. Im allgemeinen ist eine schwere Depression in der Psychiatrie auch nichts mit dem man Arbeiten kann, frage ist eher, wie bleibst du möglich lang stabil. Und das sind meist die Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Kollegen, Dienstbelastung, ect.) und nicht so sehr dass Fach.

stiffman
04.12.2017, 22:17
Schonmal eine Stelle ohne Schichtdienst gesucht? Oder vielleicht professionellere Hilfe als ein Internetforum für Medizinstudenten?

Eine der Fragen habe ich beantwortet. Die zweite betreffend: Schichtdienst in der Neuro wird immer üblicher, da die Stroke Units größer und die Neuro-ITS häufiger werden. Letztens habe ich mich an einem kleinen Haus mit kleiner Stroke vorgestellt und man meinte, ich solle angesichts meiner Qualifikation besser zu einem Maximalversorger gehen und "richtig Neurologie lernen". Was soll sowas?

stiffman
04.12.2017, 22:21
Vielen Dank Bandwurm, da zeigst Du mir ja einige Möglichkeiten auf. Insbesondere die letzten beiden Sätze sind, grundsätzlich und aus erster Hand, sehr wertvoll.

morgoth
04.12.2017, 22:32
Finde das auch nicht den geeignetsten Weg; ich vermisse da auch dieses "Psychiatrie ist mein Fach, ich suche mir einen Weg, damit das passt". Hört sich eher an, wie "Da habe ich ja schon mal Erfahrung, und soll ja nicht so arbeitsintensiv sein".
Man weiss ja bspw. mittlerweile, dass gerade rezidivierende Depressionen leider auch mit überdauernden Einschränkungen der höheren Hirnfunktionen o.ä. einhergehen können, über die eigentlichen Krankheitsphasen hinaus - ob man damit gerade in der Psychiatrie arbeiten muss? Die Anforderungen an teamfähiges Arbeiten, Beobachtungsgabe, analytisches und schlussfolgerndes Denken, Flexibilität, Improvisation/Kreativität, Geduld, Merkfähigkeit von individuellen Geschichten... schätze ich als nicht gering ein.
Klar es gäbe wohl die Möglichkeit, sich im Tagdienst in einer Institutsambulanz, die für die Langzeit-Nachsorge von "Angst und Depression, gemischt" und "Dysthymia" eingerichtet ist, einsetzen zu lassen; die "normale" Psychiatrie inkl. Facharzt würde ich aber nicht unterschätzen.

Das Thema schwere Depression und Abwarten bis 2020 möchte ich hier bewusst nicht weiter kommentieren!

Psyche99
05.12.2017, 01:19
Hi Stiffman,
ich kenne deine Depression nicht, aber dass Depression eine Krankheit ist, die prinzipiell arbeiten (Fach unabhängig) unmöglich machen kann, muss ich dir nicht sagen. Da schließe ich mich den Vorrednern gerne an. Ich kenne niemand der mit nem Anfall-Abklärung/ Behandlung abwarten würde bis die Versicherung oder Verbeatung durch ist, aber wie gesagt, dass musst du wissen wie dein Leidensdruck ist. Aber irgendwann kommst du dann eh ins Krankengeld, wenns ums finanzielle geht.
Zu der Frage, ob der FA Psychiatrie& Psychotherapie was für dich/ in deinem Fall etwas wäre, glaube ich ehrlich gesagt nicht aus meiner Erfahrung mit der Arbeit als Assi in der Psychiatrie.
Einerseits finde ich, dass man in der Psychiatrie wirst du viel mehr mit zwischenmenschlichen Problemen konfrontriert, ich meine damit nicht nur die Patienten/ Fälle. Du hast da viel häufiger Besprechungen und Sitzung, wo anderen Menschen außerhalb deiner Berufsgruppe (Richter, Sozialarbeiter, Pflege, Therapeuten) meinen, dass sie deine Arbeit besser machen können. Es gibt Leute die das nett sagen aber auch viele die das sehr hinterf*** sagen. Ich persönlich finde damit klarzukommen ist schon als noch nicht erkrankter schwer und dauerhaft gesehen, muss ich sagen hat es etwas krank machendes.
Andererseits ist deine Überlegung (Arbeit in der Psychiatrie etwas weniger anstrengend) meiner Meinung nach nicht ganz korrekt. Die Arbeitslast mag an der Quantität her wirklich wenig sein aber die Qualität sind nicht zu übersehen. Ich persönlich renne lieber durch die volle ZN und versorge 3 Stroke in Zeitfenster als in der doppelten Zeit mit einen suizidalen Borderliner zu reden um den dann doch nach x-stündigen Gerede zu fixieren und dann für weiteren 2h den Papierkram + Ordnungsamt + Doku zu machen. Um dann auch noch in jeder der folgenden Supervision/Balint/Team/Übergabe die Frage beantworten zumüssen, ob die Fixierung wirklich notwendig gewesen ist und ob man nicht doch mit mehr und länger und einfühlsameres Reden die Situation hätte de-eskalieren können.
Wenn es nur um die Dienste geht da gibt es finde ich viele Möglichkeiten, ein Teil der Weiterbildung ist auch ambulant ableistbar. Eine Stelle als Assi ohne Dienste bzw. Dienstunfähig kann man schon machen, muss man nur "dickhäutig" genug sein für die blöden Sprüche direkt und aus dem Subtext der Kollegen. Ich kenne es als schwangere, geil ist was anderes.
Die Frage ist auch, ob du stabil genug bist um die Psychotherapieausbildung zu machen. Meine Erfahrung mit den Patienten von der Psychotherapie-Station ist, es geht denen erst viel schlechter und dann vielleicht besser - je nach Therapeut wirst du vielleicht auch gar nicht erst besser bist du einen passenderen Therapeuten gefunden hast. Aber hey, bei uns lassen sie auch die neurologischen "Routanten" auf die Psychotherapie los.

Feuerblick
05.12.2017, 04:43
Na ja, Gesundheitsamt...bei überbordender Nachfrage und gravierendem Personalmangel sowie mangelnder Wertschätzung, die sich in einer Minderbezahlung ggü. der Klinik ausdrückt...ob das eine gute Idee ist? Arbeitsmedizin oder MDK wären vielleicht eher Optionen?
MDK geht beispielsweise nur als Facharzt...

Ich persönlich frage mich ja, was einen Menschen reitet, sich wegen einer Versicherung jahrelang trotz schwerer Erkrankung nicht therapieren zu lassen und entsprechende gesundheitliche und soziale Folgen in Kauf zu nehmen... Wenn du jetzt schon arbeitsunfähig bist, dann wird das nicht besser ohne Therapie.
Und ich glaube nicht, dass jemand, der schon selbst nicht klarkommt aufgrund einer psychischen Erkrankung, der beste Therapeut für psychisch Erkrankte ist. Wie stellst du dir das vor? So ganz fair ist das den Patienten gegenüber irgendwie auch nicht...
Mein Tipp: Lass dich therapieren, vergiss die Versicherung und such dir dann eine Teilzeitstelle in einem Fach, das dich interessiert.

Colourful
05.12.2017, 05:11
Und ich finde es immer wieder spannend, dass Psychiatrie als so wenig belastend und arbeitsintensiv dargestellt wird. Quantitativ ist es sicher etwas ruhiger, aber das Beispiel mit dem Borderliner, welches Psyche99 aufgeführt hat, stimmt einfach.

Spark
05.12.2017, 07:00
Muss es denn Patientenkontakt sein? An dem hängt ja, genau betrachtet, die grösste Portion Medizinerstress, da es die Anzahl der Patienten, ihr Zustand und der nicht regelbare Anfall der Arbeit (24/7) sind die den Takt vorgeben. Die Regelbarkeit des Alltags, die Du wohl anstrebst, wird also mit der Patientenferne eher grösser.

Wenn es nicht die Forschung sein und grundsätzlich ein wenig menscheln soll, würde ich evt. wirklich mal über die Betriebsmedizin nachdenken oder den öD. Klar gibt es da viele öde Jobs, aber auch den einen oder anderen ganz interessanten. Nicht zuletzt kann dort die Umgebung durch eine ganz andere Branche geprägt sein, was nicht verkehrt sein muss wenn einen der Klinikstress eher angreift.

Und der doppelte Boden ist auch fester, wenn Du z.B. eine längere Krankschreibung oder Teilzeitlösungen benötigst. Ausserhalb der Medizin ist das nämlich oft viel besser geregelt.

FÜR Deine Idee spricht eigentlich nur der Fall, dass es Dich irgendwie dort hin zieht. Kann ja sein, dass Du dort in den menschlichen Grenzgebieten in irgendeiner Weise zuhause bist, und wenn Dir das zu einem steuerbaren Arbeitsleben verhilft, ist das (vielleicht gegen jede Vernunft) eben die Kunst des Möglichen. Manchmal funktioniert sowas, manche müssen ausserhalb der Normalspur laufen. Aber das muss eben wirklich aus Dir kommen, und nicht aus der Illusion heraus, da wäre es unstressig.

roxolana
05.12.2017, 07:20
Mein Tipp: Lass dich therapieren, vergiss die Versicherung und such dir dann eine Teilzeitstelle in einem Fach, das dich interessiert.

Sehe ich auch so. Stiffman, wenn du so weitermachst, dann bist du früher dauerhaft berufsunfähig, als dass du eine BU abschließen kannst. Je länger deine Depression unbehandelt bleibt, desto schwerer kommst du wieder aus ihr heraus. Und hast du denn überhaupt schon mal eine Famulatur oder ähnliches in der Psychiatrie gemacht? Nach allem, was ich gehört habe, können die psychiatrischen Dienste auch ganz schön hart sein. Dazu hast du es öfter mit hochaggressiven Patienten zu tun. Ich sage nicht, dass es nicht geht (das kannst du wohl nur durch ausprobieren herausfinden), aber das hört sich für mich nicht nach der aktuell besten Lösung für dein Problem an.

Schau doch mal nach Stellen außerhalb der kurativen Medizin, ggf. auch ganz außerhalb der Medizin. Wenn du schon zwei Jahre Klinikerfahrung hast, dann stehen z.B. die Chancen, in der Pharmaindustrie unterzukommen, nicht schlecht. Ich habe mich neulich auf einem Kongress mit einem Vertreter eines großen Pharmaunternehmens unterhalten und die meinten, dass sie für die klinische Entwicklung (kein Außendienst) aktiv Ärzte mit ein paar Jahren Berufserfahrung suchen. Da hast du keine Dienste mehr und einen geregelteren Tagesablauf. Wenn du mehr Informationen haben willst, kannst du mir gerne eine PN schreiben.

WackenDoc
05.12.2017, 10:00
Arbeitsmedizin hat nur einen schlechten Ruf, weil das Fach in der Uni so schlecht dargestellt wird (genauso wie Allgemeinmedizin). So langweilig ist das gar nicht.

Speranza100
05.12.2017, 11:47
Hej,
also sensibles Thema finde ich, aber ich finde den Satz von Feuerblick dass das den Patienten ggü nicht ganz fair ist in dem Sinne unterstreichenswert, dass es einfach wichtig ist, wenn man in der Psychiatrie arbeitet, stabil auf seinen zwei Beinen zu stehen. ich hab auch einen sehr .. sagen wir mal... eckigen Weg hinter mir nach dem Studium und wollte eigentlich gerne Psychiatrie machen, habe das aber erstmal unterbrochen weil ich eben gemerkt habe, dass ich erstmal meinen eigenen Kram auf Reihe kriegen muss bevor ich jemandem anderen helfe, bzw mir das auch auf meine Gesundheit ging.
Sicherlich arbeiten in der Psychiatrie einige (nicht nur Ärzte), die selber auf dem ein oder anderen Weg aus eigener Erfahrung wissen, worum es geht, das finde ich prinzipiell auch keinen Hinderungsgrund, aber wichtig, dass man in der Lage ist, das zu trennen. Sonst kriegen Patienten (und auch Personal) Dinge ab, die man gar nicht auseinander differenziert bekommt (für dich selber). ich hätte das natürlich weiter machen können auf Kosten meiner Gesundheit, das machen ja viele in unserer Gesellschaft, aber mein eigener Anspruch ist es, das Fach was ich machen wollte, lieber nochmal unter anderen Umständen zu versuchen.
Und ich finde die Arbeit in der Psychiatrie auch was das Schichtmodell angeht für mich persönlich einfacher (kommt natürlich auf die Klinik an) wegzustecken, von der Belastung her ist es eine andere Schublade aber im Prinzip nicht weniger belastend (meine Meinung). Und Selbstschutz und -Fürsorge finde ich in der Psychiatrie so wichtig!
wenn du Infos brauchst was Nischen oder Lösungen auf Zeit angeht (auch außerhalb der Patientenversorgung) kannst du mich gerne anschreiben. Kompromisse wird man eingehen müssen, aber das Wichtigste bist du in erster Linie. und mit einem Jahr Innere und einem Jahr Neuro bist du ja für diverses gut "ausgestattet".
Letztlich musst du aber für dich wohl klären, was du willst. Den Rat dich behandeln zu lassen haben dir ja schon einige gegeben. Ich wollte dir nur sagen (weil es oft im Krankenhaus so scheint als wären die Kollegen alle so belastbar und stecken alles wunderbar weg) - es gibt auch andere, die lange suchen, um irgendwie einen Weg zu finden, gut arbeiten zu können.
Viele Grüße!

Nessiemoo
05.12.2017, 19:00
Letzendlich kannst ja nur du entscheiden, wie arbeitsfähig du bist und wie du den intensiven Patientenkontakt in der Psychiatrie aushälst. Ausprobieren kann man das ja mal und gucken inwiefern du mit deiner Krankheit da klar kommst, ob es sich verschlechtert oder nicht. Wenn man schon ein Jahr Neuro und Innere "ausgehalten hat", dann wird es ja vielleicht gehen.

Sonst sehe ich das eigentlich wie Spark. Der meiste Stress kommt vom Patientenkontakt und von Unberechenbarkeit. Über einen Internetforum kann man es schwer abschätzen, aber ich kann mir vorstellen, dass eine schwere Depression ein therapeutisches Gespräch extrem schwer macht (Da es z-B die Gegenübertragung stark beeinflusst). Insofern - was ist mit Fächern ohne Patientenkontakt? Pathologie, Radiologie, Labormedizin?

tensun
05.12.2017, 19:22
Interessant wie individuell die Beiträge d sind. Ich würde Guten Gewissens empfehlen dir die Psychiatrie mal anzuschauen. Der beste Oberarzt den ich kenne hatte Depressionen und ist trockener Alkoholiker. Der konnte mit seinen Patienten auf einer extrem echten Ebene interagieren. Eigentlich ja egal ob trotz der eigenen Erfahrungen oder wegen. Geschadet hat es auf Arbeit nicht.
Wenn du flexibel bist komm in die Schweiz. Keine Nachtdienst, Dienst generell ist entspannter als ein normaler Arbeitstag und du kannst mit 80% (3 Tage frei) leben wie die made im Speck. Bei Interesse schreib mich an, dann vermittel ich dir was ^^

stiffman
05.12.2017, 22:32
Vielen Dank für die zahlreichen Antworten. Ich versuche mal, auf alle Anregungen einzugehen.
Was ich ebenfalls ganz interessant finde, ist, dass die Psychiatrie gemeinhin als ruhiger und entspannter (eine Neuro-Kollegin sprach von "Urlaub") angesehen wird. Auf das Dienstmodell trifft das vermutlich zu. Aber die geschilderte Situation mit der Borderline-Patientin würde mich wahrscheinlich ebenso fordern wie die Akutversorgung in der ZNA. Dissoziative Anfälle waren mein persönliches Spezialgebiet...
Dass Psychiatrie nicht mein Fach ist, würde ich keinesfalls sagen. Ich bin von einem Soziologie (Hauptfach) und Pschychologie (Nebenfach) ins Medizinstudium gewechselt und hatte in den P-Fächern die besten Noten. Gut, was sind schon Noten. Aber Interesse und Motivation (sofern man als Depressiver beide aufrecht erhalten kann) habe ich durchaus. Aber eben auch Zweifel daran, dass ich genug Geduld für und Distanz zu den Patienten aufbringen kann. Aus einer Famulatur erinnere ich mich, dass mir manche Themen sehr nah gingen und mich selbst ins Grübeln brachten, so dass ich Vieles "mit nach Hause" genommen habe. Wenn es am Ende beiden Seiten nichts hilft, ist nicht viel gewonnen. Andererseits habe ich in den letzten zwei Jahren einige Patienten mit Depressionen, Süchten und Somatisierungsstörungen behandelt und das Gefühl gehabt, dass ich -für mich überraschend- sehr empathisch und professionell sein konnte und das bei den Behandelten auch gut ankam. Aber das waren eben auch "leichte Fälle".

Ihr habt vollkommen recht, dass patientenferne Jobs das Stresslevel deutlich reduzieren. Aber in der Patho, Mibi, Labormedizin ... sehe ich mich einfach nicht bzw. müsste den entsprechenden Tätigkeiten ohne Interesse nachgehen (Ausnahme: Molekularpathologie finde ich ziemlich spannend), wobei meine Einblicke in die entsprechenden Fachgebiete sehr limitiert sind. Radiologie kann übrigens auch stressful as hell sein, wie ich in einem Praktikum sah. Ich werde nie wieder über einen Radiologen schimpfen...
Natürlich sehne ich mich insgeheim nach einem Job mit weitestgehend freien Wochenenden und ohne Nachtdienste. In der zuletzt "freien" Zeit habe ich mich umgehört und immer wieder den Rat bekommen, einen Facharzttitel zu erwerben (möglichst klinisch), um einen Wechsel in alternative Berufsfelder zu erleichtern und ein Sicherheitsnetz zu haben. Da ist was dran, denke ich. Allzu risikobereit ist ein Mensch wie ich eben auch nicht. Risikobereit muss man, glaube ich, auch für die Wissenschaft sein, um das noch aufzugreifen. Der Facharzt, den ich abgesehen vom Psychiatrie anvisieren würde, wäre Neurologie. Da muss ich auch ein Jahr Psychiatrie machen, kann das aber ans Ende legen und hoffen, dass ich dann wieder etwas fester im Sattel sitzen werde.


Mir ist bewusst, dass ich Abstriche machen muss. Entweder bei den Arbeitsbedingungen oder bei den Entfaltungsmöglichkeiten. Möglicherweise könnte es ganz einfach sein, einen guten Therapeuten, eine Klinik mit einigermaßen guten Bedingungen (da hatte ich zuletzt ganz objektiv Pech) und einen guten Weg für mich zu finden. Und wenn es ganz hoch kommt, weniger Dienste zu machen oder Teilzeit zu arbeiten. Ehrlich gesagt ist es nicht schön, wegen einer verdammten Versicherung, die angeblich so wichtig ist, so zu leiden. Ich würde gerne Hilfe annehmen und ein etwas besseres Leben führen.