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seefahrer93
19.12.2017, 11:11
Hallo zusammen,
habe eben den Beschluss/Statement des Verfassungsgerichts gelesen und frage mich, was ihr darüber denkt?

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-112.html

Meiner Meinung nach ist das ein guter Ansatz, gerade im AdH den (starken) Fokus auf die Abiturnote zu ändern und am Ortsvergabesystem zu arbeiten.
Was ich noch ziemlich unverständlich finde ist die Aussage über die Wartezeit, für mich ist das noch sehr vage.

Schade, dass das neue System dann erst zu 2020 umgesetzt werden muss.

Was sind Eure Gedanken dazu?

Beste Grüße
Der Seefahrer

Feuerblick
19.12.2017, 12:19
Zum einen wurden offenbar nur Ortspräferenz und Ausgestaltung des ADH sowie das Fehlen einer Wartezeitgrenze bemängelt. Bei letzterem wurde interessanterweise darauf hingewiesen, dass dann manch ein Studienbewerber keinen Studienplatz bekäme. Sprich: das klingt so, als müssten z.B. 12 Semester festgelegt werden und wer dann keinen Platz hat, ist raus. Der NC als solcher war wohl okay.

tarumo
19.12.2017, 12:33
Witzigerweise wird der Zugang zum Richteramt im wesentlichen über die Note definiert, ob man da auch dagegen klagen kann? An dem Mangel an Studienplätzen sowie dem "gefühlten" Desinteresse der Unis, die Plätze in größerer Anzahl über anderweitige Methoden zu verteilen, wird sich nichts ändern. Insofern wird der Mangel jetzt bloß anders verwaltet...

Belsoe
19.12.2017, 13:48
Werde da noch nicht schlau draus. Soll es da eine Art cut off geben? Ich habe viele WS und ein mittleres Abi (2,5). Selbst werde ich noch weit vor den Änderungen loslegen können, aber es liest sich für mich als ob man den NC bloß noch zentraler macht, indem man unter den Wartesemestlern den Notenfaktor stärkt. Vermutlich werden die Änderungen den klassischen Langzeitwarter wie mich am härtesten treffen. Im Grunde haben doch die Kläger (Warter mit med. Berufen) ihre eigene Quote fundamental geschwächt in dem Glauben, ihren Einzelfall beschleunigen zu können, oder?
Was wird dies wohl bedeuten für die WS-Quote?

seefahrer93
19.12.2017, 14:55
Genau das ist bei mir die Frage, ich habe zum WS19/20 dann 14 Wartesemester, wenn das z.B. auf 10 Maximale WS festgesetzt wird, falle ich dann einfach raus? Dann wären 7 Jahre für mich umsonst gewesen und wenn sich das so rauskristallisiert, dann könnte ich doch eigentlich direkt etwas anderes Studieren.

ehem-user-31012019-1024
19.12.2017, 14:59
Wer nach x Wartesemestern keinen Studienplatz bekommt, der ist "raus". Ganz einfach. Feuerblick liegt mit Ihrer Vermutung also richtig.
Die Kläger (mit den schlechten Abiturnoten) haben sich in das eigene Knie geschossen.

davo
19.12.2017, 15:00
In Randnummer 225 wird (zusammen mit Randnummer 224) davon gesprochen, dass eine Wartezeit von vier oder mehr Jahren dem Studienerfolg abträglich wäre.

In Randnummer 218 wird übrigens festgestellt, dass eine Wartezeitquote verfassungsrechtlich gar nicht nötig wäre.

Am stärksten profitieren werden meinem Gefühl nach wahrscheinlich die mit einem Abi von 1,4-1,9.

rafiki
19.12.2017, 15:16
Witzigerweise wird der Zugang zum Richteramt im wesentlichen über die Note definiert,

Aber da geht es ja um eine Studienexamsnote, die wirklich etwas aussagt im Gegensatz zu Abitur und Medizinnoten.

Belsoe
19.12.2017, 15:50
Wer nach x Wartesemestern keinen Studienplatz bekommt, der ist "raus".

Und unter den Leuten mit maximal X WS entscheidet die Note, nehme ich an. Damit ist der Einserschnitt dann ja bloß zementiert, da in die übrigen Quoten übertragen worden.

Die Art von Gerechtigkeit, die den Klägern vorschwebte, ist damit auch noch nicht gesichert, denn theoretisch kann es durch Schwankungen (wie jetzt zwischen WS und SS) ja zu Fällen kommen, die jedesmal knapp daneben liegen und just in dem Semester die richtige Kombi aus WS und DN haben in dem sie durch Überschreitung der maximalen Wartezeit rausfliegen, während ein kürzer Wartender mit Dusel schon nach 3 WS einen Volltreffer landet. Die nächsten Klagen sind also vorprogrammiert.

Und dafür ausgerechnet die an sich ganz effektive Ausgleichsfunktion Wartezeitquote kaputt geklagt?

Alternativ fällt Wartezeit komplett weg.

Gut daß ich schon 2018 dran kommen dürfte.... allen anderen Altabiturienten wünsche ich eine brauchbare Übergangslösung. Sowas wie mich/uns wird es wohl in Zukunft nicht mehr geben.

davo
19.12.2017, 15:55
Wegfallen wird sie glaube ich nicht, auch wenn ausdrücklich festgehalten wurde, dass sie rein optional ist. Es gibt sie ja auch in allen (?) anderen Studiengängen.

Und wenn es in der Wartezeitquote gleich viele Studienplätze wie bisher gibt, aber gleichzeitig die Wartezeit nach oben begrenzt sein soll (Randnummer 225 könnte man so interpretieren, dass das Maximum nach Ansicht des Gerichtes 8 Semester betragen soll, aber all diese Details sind ja noch lange nicht fix), ist IMHO klar, dass es in der Wartezeitquote irgendeine Art der Verrechnung von WZ und DN geben wird (bzw. muss). Und zwar meines Erachtens nicht nur wenn man den Grenzwert von WZ hat (denn sonst würden ja immer nur die mit sehr gutem Abi einen Platz in der Wartezeitquote bekommen :-p), sondern auch bei allen niedrigeren Werten von WZ.

Kleines Rechenbeispiel (mit sehr vielen impliziten Annahmen, aber spontan fällt mir nichts brauchbareres ein): Im WS 17/18 gab es 29.128 Beweber in der Wartezeitquote. Man kann annehmen, dass sich zum Wintersemester "jeder" bewirbt, da zum Wintersemester alle Unis zur Auswahl stehen. D.h. es gibt wahrscheinlich mindestens 4.300 Bewerber in jeder "Jahreskohorte" (29.128 / 13,5 x 2). Und es wurden 2.547 Leute in der Wartezeitquote zugelassen. Im SS 17 wurden 401 Leute in der Wartezeitquote zugelassen. Das heißt wenn das System in einem steady state wäre, und man der Einfachheit halber annimmt, dass immer nur diejenigen mit dem Grenzwert an Wartesemestern einen Platz bekommen können, würden die schlechtesten ca. 30% keinen Platz bekommen. Aber dadurch, dass man ja anscheinend bis zu 6 Semester "abbauen" will, würde besonders die Übergangsphase bis zu diesem neuen steady state mit einem niedrigeren Maximum an Wartesemestern diejenigen mit "besseren" Abiturnoten stark bevorzugen.

Belsoe
19.12.2017, 16:07
Und zwar meines Erachtens nicht nur wenn man den Grenzwert von WZ hat (denn sonst würden ja immer nur die mit sehr gutem Abi einen Platz in der Wartezeitquote bekommen :-p), sondern auch bei allen niedrigeren Werten von WZ.

Hm? Gerade mit niedrigeren WS wiegt die DN dann doch umso mehr. Wenn 8 WS die Richtschnur werden, sehe ich beim derzeitigen Andrang den endgültigen Zwang zum Einserabi. Ausweg warten abgeschafft. „Glückwunsch“ an die Kläger.

Sebastian1
19.12.2017, 16:09
Der Medizinische Fakultätentag hat hier (http://www.mft-online.de/presse-standpunkte/pressemitteilungen/2017/das-warten-hat-ein-ende-bundesverfassungsgericht-urteilt-ueber-vergabe-von-medizinstudienplaetzen) dazu eine Stellungnahme veröffentlicht. Da muss man nicht allzusehr zwischen den Zeilen lesen, um zu sehen, dass man dort auch am liebsten die Wartezeitquote ganz abschaffen wollen würde. Insofern aus Klägerperspektive ein Bärendienst.
Effektiv ist es so, dass die Ressource der Studienplätze auf absehbare Zeit knapper sein wird als die Nachfrage. Egal, was geändert wird: Es wird dabei Gewinner und Verlieren geben.

Wie allerdings bundesweit strukturierte Auswahlgespräche stattfinden sollen, die dann objektiver sind als die Leistungen in der Oberstufe und mit welchem Personal die zigtausenden da gesichtet werden sollen, ist mir schleierhaft, das dürfte noch spannend werden, was sich die Länder da so vorstellen und wie sie es vereinheitlichen wollen.

Grundsätzlich halte ich nicht viel davon, objektivierbare gegen emotionale Kriterien weichzuspülen. Beim Abi weiss jeder, das es wichtig ist und es liegt in seiner Hand, am Ergebnis was zu tun. Das hat aktuell zwei Probleme: Das Abi ist nicht überall gleichschwer, was ein Ungleichgewicht reinbringt. Und es fallen auch leute mit nach wie vor sehr, sehr gutem Abi raus, weil es halt noch immer genug mit NOCH besserem Abi gibt.
Ob die in einem Prüfgespräch vorgetragene Empathiefähigkeit der Kandidaten objektiv, vergleichbar und ein Prädiktor für "wird ein guter Arzt" ist, wage ich zu bezweifeln.

davo
19.12.2017, 16:18
Hm? Gerade mit niedrigeren WS wiegt die DN dann doch umso mehr. Wenn 8 WS die Richtschnur werden, sehe ich beim derzeitigen Andrang den endgültigen Zwang zum Einserabi. Ausweg warten abgeschafft. „Glückwunsch“ an die Kläger.

Nein. Was ich damit meinte: Ich vermute, dass man nicht mehr in einem ersten Schritt nach WZ selektieren wird, und dann in einem zweiten Schritt innerhalb von WZ nach DN, sondern dass man mit Hilfe einer Formel WZ und DN miteinander verrechnen wird. Z.B. Punktezahl = 4-DN + WZ/4.

@Sebastian: Dass die unterschiedlichen Länderabis "korrigiert" werden sollen, steht ja nach meiner Lesart nun fest. Wie das geschieht wird spannend, denn es wäre ja unsinnig, nur die durchschnittlichen Noten und Bestehensquoten miteinander zu vergleichen - man müsste auch miteinander vergleichen, wie schwer die Aufgaben sind, welcher Anteil eines Jahrganges überhaupt Abi macht, usw. Eine Herkulesaufgabe. Vielleicht wird man es einfach nach Perzentilen machen ("die besten x% des gesamten Geburtenjahrganges") - damit würde man viele dieser Probleme auf einfache Art und Weise elegant umgehen.

Solara
19.12.2017, 16:22
Alsowahlgespräche dienen vor allem eloquenten, extrovertierten Menschen. Ob das jetzt unbedingt die „besseren“ Ärzte bringt - ich bezweifle es. Und wer den, von Seb bereits dargelegten, personellen Aufwand dieser Gespräche stemmen soll, keine Ahnung.

seefahrer93
19.12.2017, 16:30
Da ein neues System bis Ende 2019 vorliegen soll- meint ihr, dass das neue Verfahren dann zum Wintersemester 2019/20 (evtl sogar schon früher?) oder erst zum SS 2020 kommt?

Belsoe
19.12.2017, 16:30
Nein. Was ich damit meinte: Ich vermute, dass man nicht mehr in einem ersten Schritt nach WZ selektieren wird, und dann in einem zweiten Schritt innerhalb von WZ nach DN, sondern dass man mit Hilfe einer Formel WZ und DN miteinander verrechnen wird. Z.B. Punktezahl = 4-DN + WZ/4.


... wenn aber der Faktor WZ durch Maximalwert limitiert ist, wird der Faktor DN irgendwo einen cut-off Wert herausbilden. Das meinte ich.

davo
19.12.2017, 16:32
Ja, das ist richtig. Aber der wird glaube ich nicht im 1,x-Bereich liegen. Bin gerade zu faul mir die entsprechenden Daten zu organisieren. Wild guess: Wahrscheinlich eher im 2,7-Bereich oder so. Aber bis zur Erreichung des neuen Gleichgewichtes wird er deutlich schärfer sein müssen - das ist ein interessanter Aspekt, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er dem Gericht bewusst war.

Die Übergangsregelungen werden wichtig werden.

davo
19.12.2017, 16:50
Anderes Thema: Es ist erstaunlich, wie naiv die Reaktionen sind. Alle feiern. Und das obwohl wahrscheinlich kaum jemand die Entscheidung überhaupt schon gelesen hat, und das obwohl viele Details ja noch lange nicht feststehen.

Irgendwie seltsam, wie einfach es ist, viele Leute (und Organisationen) glücklich zu machen, ohne jeden konkreten Grund.

Die Medienberichterstattung zu diesem Themenkomplex war und ist ja auch oft völlig irreführend.

Kackbratze
19.12.2017, 17:17
Die Medienberichterstattung zu diesem Themenkomplex war und ist ja auch oft völlig irreführend.

Du hast einfach keine Ahnung! Es wurde ERFOLGREICH GEKLAGT! Jetzt bekommt endlich JEDER der sich auf einen Studienplatz beworben hat automatisch einen der 9000 freien Studienplätze in Deutschland!





Ne, Moment, da war doch was.





Willkommen in Deutschland der Neuzeit, wir lösen Probleme nicht, wir klagen und benennen sie dann um. So denkt jeder, es würde sich was ändern, Leute können irgendwas in Mikrofone husten und wirklich ändern tut sich nix.
Oder gibt es mehr Studienplätze für das Mehr an Bewerbern? Nein, der Mangel wird nur "neu" verwaltet und in 3 Jahren klagen die gleichen Leute, die jetzt jubeln gegen das neue-alte System der Auswahl auf der Basis irgendwelcher festgelegter Faktoren die sie wieder nicht erfüllen können oder wollen.

Ein großer Tag für Deutschland!

Belsoe
19.12.2017, 17:17
- das ist ein interessanter Aspekt, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er dem Gericht bewusst war.

Ich bin mir generell nicht sicher, wieviel Begriff die Richter sich machen konnten, da eigentlich gar nicht vorkommt, warum dies System so existiert und ob es da auch etwas schützenswertes geben könnte. Der Fokus liegt voll auf der angeblichen Schrecklichkeit des Verfahrens, während sein meiner Meinung nach hohes Niveau an Chancengewährung völlig unter den Tisch fällt.

Somit könnte einer Neuregelung ein unvollständiges Bild zugrunde liegen.

Und der Knackpunkt Kapazitätenmangel, was im weiteren Sinne nichts anderes ist als die herrschende Austeritätsideologie, bleibt wieder unangetastet.