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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schnittverletzung im OP - Wann weiteroperieren?



Hox
30.04.2018, 20:20
Hallo Leute,

bin schon seit ein paar Jahren angemeldet, war aber bislang stiller Mitleser zu den Examenszeiten.

Jetzt habe ich aber eine Frage, bei der mir die Suchfunktion nicht weitergeholfen hat...

Folgende Situation:

Ich bin derzeit in meinem 2. PJ-Tertial in der Unfallchirurgie. Heute war ich als 2. Assistent bei einer Hüfthemiendoprothese bei Schenkelhalsfraktur (Yey 4er-Position mit 0-Sicht ;-) ). Operateur war ein junger Oberarzt, 1. Assistent ein älterer Oberarzt, der den jungen Oberarzt bei schwierigem Patient (Z.n. Knie-TEP, OSG-Arthrodese, rel. muskulös) eingewiesen hat. Es waren außerdem 2 sterile OP-Schwestern anwesend, eine davon wurde angelernt.

Beim Präparieren schnitt mir der junge Oberarzt versehentlich mit dem Skalpell in den Zeigefinger. Die Wunde war prinzipiell nicht dramatisch (PIP, streckseitig, ca. 1cm lang, oberflächlich, leicht blutend). Die Operation war allerdings rel. blutig, so dass meine Handschuhe bereits vorher mit Patientenblut beschmiert waren, das Skalpell war vorher ebenfalls im Patienten. Ich meldete die Schnittverletzung und sagte, dass ich vom Tisch wegtreten wolle, um die Wunde zu spülen. Der ältere Oberarzt sagte daraufhin, der Schnitt sei nicht so schlimm, die OP-Schwester solle mir einen neuen Handschuh überstülpen, damit ich wieder steril sei. Spülen könne ich auch noch nach der OP.

Ich bestand darauf, die Wunde sofort zu reinigen, übergab Haken und Patientenbein an eine der OP-Schwestern und verließ den OP-Saal. Der ältere Oberarzt rief mir freundlicherweise hinterher, die Schwester hielte das Bein ohnehin besser :-love . Der Anästhesist kam mir noch hinterhergelaufen, riet mir die üblichen Nadelstichmaßnahmen durchzuführen, in die Ambulanz für Unfallbericht, Blutabnahmen etc. zu gehen, und die Strecksehne ansehen zu lassen, was ich dann auch getan habe.

Ich hab mich damit wahrscheinlich nicht beliebt gemacht, kann mit meinem Verhalten aber gut leben, weil der Patient m.M.n dadurch nicht gefährdet wurde (1. OP-Schwester konnte sofort einspringen, 2. "nur" Hüftprothese). Jetzt frage ich mich aber, wie ich unter anderen Umständen verfahren würde, z.B.

Niemand da, der gleich einspringen kann
Patient akut vital gefährdet



Meine Frage an euch: Unter welchen Umständen würdet ihr weiteroperieren? War einer von euch in einer ähnlichen Situation und hat anders reagiert?

Viele Grüße und einen schönen Feiertag morgen!

Eilika
01.05.2018, 06:18
Zeit für 1 Minute desinfizieren muss sein. Melden und Blut abnehmen hat Zeit.

crossie
01.05.2018, 07:19
Wenn wie in dem geschilderten Fall der OP voll mit sterilen Leuten steht und es so eine OP ist würde ich das auch so machen. Wenn keiner da der übernehmen kann und/oder grad wirklich angespannte Situation patientenseitig würde ich vermutlich da bleiben.

Brutus
01.05.2018, 07:58
Beim Präparieren schnitt mir der junge Oberarzt versehentlich mit dem Skalpell in den Zeigefinger. Die Wunde war prinzipiell nicht dramatisch (PIP, streckseitig, ca. 1cm lang, oberflächlich, leicht blutend). Die Operation war allerdings rel. blutig, so dass meine Handschuhe bereits vorher mit Patientenblut beschmiert waren, das Skalpell war vorher ebenfalls im Patienten. Ich meldete die Schnittverletzung und sagte, dass ich vom Tisch wegtreten wolle, um die Wunde zu spülen. Der ältere Oberarzt sagte daraufhin, der Schnitt sei nicht so schlimm, die OP-Schwester solle mir einen neuen Handschuh überstülpen, damit ich wieder steril sei. Spülen könne ich auch noch nach der OP.
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Maßnahmen im Verletzungsfall
Was tun, wenn es passiert ist und die Kanüle in den eigenen Finger ging oder das Skalpell den Assistenten trifft? Hier ist eine Zusammenstellung einiger wichtiger Verhaltensregeln für den Ernstfall.

1. Lokale Maßnahmen: Bluten lassen (ausdrücken, aber nicht die Wunde quetschen), 5-10 Minuten Desinfektion - Es wird angenommen, dass diese Maßnahmen teilweise effektiver als eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe (PEP) sind.

2. Vorgesetzte informieren und den Kontakt zu fachkundigen Personen aufnehmen (Infektiologische oder Mikrobiologische Abteilung) für die Indikationsstellung für eine PEP, Beratung und Betreuung

3. bei ausreichendem Verdacht auf eine HIV-Infektion des Indexpatienten (fraglich oder gesichert) sofortiger Beginn einer medikamentösen Postexpositionsprophylaxe innerhalb von 2 Stunden. Die PEP kann immer noch abgebrochen werden, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt. Ein verspäteter Beginn kann allerdings fatale Folgen haben. Wenn notwendig sollte gleichzeitig ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden, um eventuell die Medikamente anzupassen zu können.

4. Aufsuchen eines D-Arztes um eine Meldung an den zuständigen Kostenträger (Unfallversicherung) durchzuführen. Genaue Dokumentation!

Weiterhin sollten folgende Maßnahmen durchgeführt werden:

Patientenstatus (HBV, HCV, HIV) sichern. Das Einverständnis des Patienten insbesondere bezüglich eines HIV-Tests sollte sorgfältig dokumentiert werden.
Feststellung des HBV, HCV, HIV- Status des Verletzten
Bei HCV-Kontakt wird empfohlen alle 2 Wochen bis zum Monat 3 die Transaminasen zu kontrollieren. Bei einem Anstieg sollte zusätzlich die HCV-RNA untersucht werden. Nach 6 Wochen, 3 Monaten und 6 Monaten werden HIV-Antikörper und HCV-Antikörper bestimmt (HCV-Antikörper nochmals nach 12 Monaten). Ein akutes fiebriges Krankheitsbild in den ersten drei Monaten nach Exposition sollte Anlass für eine HIV-PCR geben. Bei einem positiven Befund wird eine Schwerpunkteinrichtung die weitere Betreuung übernehmen. Bis 12 Monate nach Exposition muss von Blutspenden Abstand genommen werden. Bis zum Vorliegen eines aussagefähigen HIV-Tests nach 3 Monaten sollte Safer Sex praktiziert werden, um den Partner nicht zu gefährden.
==> https://www.thieme.de/viamedici/klinik-infos-zur-klinik-1516/a/nadelstichverletzung-4301.htm


Der ältere Oberarzt rief mir freundlicherweise hinterher, die Schwester hielte das Bein ohnehin besser :-love .
9 von 10 Leuten finden Mobbing gut! :-nix
Ganz ehrlich? Geh zum PJ-Beauftragten und melde das. Und der Studiendekan dürfte sich für sowas auch interessieren. :-nix


Der Anästhesist kam mir noch hinterhergelaufen, riet mir die üblichen Nadelstichmaßnahmen durchzuführen, in die Ambulanz für Unfallbericht, Blutabnahmen etc. zu gehen, und die Strecksehne ansehen zu lassen, was ich dann auch getan habe.
So hätte es vom Verursacher und / oder altem Oberarzt kommen müssen. Nur weil man das "damals" so gemacht hat, ist es heute nicht genauso richtig...


Jetzt frage ich mich aber, wie ich unter anderen Umständen verfahren würde, z.B.

Niemand da, der gleich einspringen kann
Patient akut vital gefährdet

Organisationsprobleme können andererseits nicht die Probleme des Arbeitnehmers sein! Was, wenn es nicht die Stichverletzung / oberflächliche Verletzung ist? Kannst Du auf Anhieb sagen, dass keine Sehnen / Bänder verletzt sind? Dazu kommt: ausbluten / ausdrücken und 10 Minuten desinfizieren. Das ist wohl kaum mit einem "Zieh mal saubere Handschuhe drüber" getan...

Tante Edit sagt noch:

Spitze Gegenstände sind schnellstmöglich und sorgfältig zu entsorgen. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass ausreichend Handschuhe und Abwurfbehälter sowie anderes benötigtes Material zur Verfügung stehen. Auch ist er dafür zuständig, dass Informationen zum Vorgehen bei Verletzungen für alle Mitarbeiter gut zugänglich sind. Vorgesetzte haben eine besondere Kontroll- und Aufsichtspflicht. Wenn Euch der Stationsarzt beispielsweise ermahnt, bei Blutentnahmen Handschuhe zu tragen, dann ist das nicht, um Euch zu ärgern, sondern er kommt damit seiner Aufsichtspflicht nach.

Zu den Verhaltensregeln, die besonders für Studenten wichtig sind, gehört auch, dass bei Blutentnahmen ein ruhiges Arbeitsklima herrscht. Am besten: hinsetzen. Das nimmt schon etwas Stress weg. Der Abwurfbehälter sollte in erreichbarer Nähe stehen und Handschuhe benutzt werden. Kanülen bitte NIE, wirklich NIEMALS in die Hülle zurückstecken!

UnPocoLoco
02.05.2018, 13:30
Brutus hat eigentlich schon alles Wichtige erwähnt.

Tut mir Leid, dass du diese Erfahrung gemacht hast. Bestätigt für mich die Annahme, dass der Anästhesist immer der Netteste im OP-Saal ist. Auf jeden Fall dem PJ-Beauftragten melden!

Hox
02.05.2018, 19:37
Danke für eure Antworten :-) Scheint wohl doch kein ganz ausgefallener Wunsch zu sein, Schnittwunden gleich desinfizieren zu wollen :rolleyes:




Organisationsprobleme können andererseits nicht die Probleme des Arbeitnehmers sein! Was, wenn es nicht die Stichverletzung / oberflächliche Verletzung ist? Kannst Du auf Anhieb sagen, dass keine Sehnen / Bänder verletzt sind? Dazu kommt: ausbluten / ausdrücken und 10 Minuten desinfizieren. Das ist wohl kaum mit einem "Zieh mal saubere Handschuhe drüber" getan...

Tante Edit sagt noch:

Das stimmt natürlich. Zumal man als PJler als 2. Assistenz im OP nicht wirklich unersetzbar ist. Hab mich nach dem Fall halt nur gefragt, was man macht, wenn man eine verantwortungsvollere Tätigkeit ausübt, bei der man eben nicht so schnell ersetzbar ist. Wenns wirklich den Patienten gefährdet, würde ich vermutlich auch solange wie unbedingt nötig da bleiben. Kommt hoffentlich auch nicht so oft vor.


Ganz ehrlich? Geh zum PJ-Beauftragten und melde das. Und der Studiendekan dürfte sich für sowas auch interessieren.


Tut mir Leid, dass du diese Erfahrung gemacht hast. Bestätigt für mich die Annahme, dass der Anästhesist immer der Netteste im OP-Saal ist. Auf jeden Fall dem PJ-Beauftragten melden!

Danke für die Vorschläge. Ich denke, das werde ich in dem Fall aber eher nicht machen. War eine ungünstige Situation, das Tertial war ansonsten ganz in Ordnung. Bin gerade ohnehin in Österreich, PJ-Beauftragte gibts meiner Kenntnis nach nicht so richtig. Die österreichischen KPJ-ler dürfen ihre Chirurgie-Zeit übrigens auch in der Anästhesie ableisten. Das wäre eigentlich auch in Deutschland mal ne feine Sache :)

andi93
04.05.2018, 16:59
Anscheinend passiert das immer wieder. Das ist das aller letzte von den Ärzten, die sagen, dass es Zeit habe und nicht so schlimm sei. Auch wenn es der Chefarzt Prof dr dr dr ist, ist DEINE Gesundheit DEIN Ding. Ich hätte auch so gehandelt. Selbst wenn keine OP Schwester da gewesen wäre, hätte ich meine Hand ausgespült. Da geht der Eigenschutz vor. Der Patient stirbt nicht, wenn du das Bein ablegst oder der Operateur es dann halt hält.