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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Handschuhe und andere Chefprobleme in der Allg.med.



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Elluschka
10.05.2018, 17:39
Liebe Mit-Medilearn-Leute,

ich bin seit einigen Monaten Assistentin in einer allgemeinmedizinischen Praxis, in der wir viel mit infektiösen (meist Hep und/oder HIV), süchtigen, psychisch kranken und dermatologisch problematischen Patienten arbeiten.
Schon zu Beginn meiner Tätigkeit musste ich mir von meinem Chef anhören, dass ich mir bei der körperlichen Untersuchung keine Handschuhe anziehen müsste, dass würde Distanz zum Patienten aufbauen.
Ich entscheide aber nach meinen hygienischen Prämissen, wann ich das mache.

Dahingegen ist er hinsichtlich des Blutabnehmens völlig übertrieben genau mit der Hygiene, will mir jeden Handgriff vorschreiben, so dass er mich erst recht nervös macht und meine seit Jahren eingeübten Handgriffe stört (ich nehme seit Jahren Blut ab und habe mir nie eine durch mich selbst verursachte Stichverletzung zugezogen). Handschuhe ziehe ich mir prinzipiell an zur BE. Dagegen hat er auch nichts.

Vor Kurzem hatten wir einen HIV-Pat. mit einer Augenverletzung. Ich zog mir vorsorglich Handschuhe an, auch wenn ich zuerst andere Körperbereiche untersucht habe. Jetzt konnte ich mir mehrmals von meinem Chef sinngemäß anhören, ich hätte ja Angst vor den Patienten, vielleicht sei es ja auch Unsicherheit, und es sei gar nicht nötig, sich zu diesem Zeitpunkt schon Handschuhe anzuziehen, selbst wenn jemand HIV habe.

Leider ist in mir derzeit sowieso die Erkenntnis gereift, dass er an meiner Weiterbildung nicht viel Interesse zeigt, sondern es anscheinend hauptsächlich darum ging, mich als verhältnismäßig billige "Entlastungsassistentin" anzustellen, weil in der Praxis ständiger Personalmangel herrscht.
Somit werde ich auch regelmäßig angepfiffen, dass ich nicht schnell genug sei, wieviele Worte ich zu dokumentieren hätte etc. Wenn ich weiterführende Untersuchung ansetze bei anderen Fachärzten, wird auch das kritisiert. Ich würde dann der Praxis zu viel Arbeit generieren. Im Prinzip bin ich dazu da, so habe ich das jetzt für mich interpretiert, dass ich den anderen Fachärzten ermögliche, mehr Freizeit/weniger Überstunden zu haben. Dass ich bisher niemals Patienten ernsthaft gefährdet habe, spielt für ihn anscheinend keine Rolle. Für ihn zählt "Schnell-schnell".

Dabei wird null berücksichtigt, dass das meine erste Stelle ist. Seinem Weiterbildungsauftrag kommt er nur ungenügend nach. Wichtige Dinge werden tw. nur nebenbei erzählt. Versprechungen nicht eingehalten. EKG-Interpretationen soll ich von Kollegen lernen, die nur unregelmäßig dort arbeiten.
Wahrscheinlich aus schlechtem Gewissen schickt er mich dann alle paar Monate zu einem Fortbildungstag. Er selbst ist zwar für Rückfragen oft gut erreichbar, aber in seinen Launen auch so wandelbar, dass ich viele Dinge allein entscheide, soweit es für mich vertretbar ist. Wenn ich mich gegen konstruktive Kritik wehren will, wird dies abgeschmettert und nach seinem Gusto interpretiert.

Mit der Pflege/ArzthelferINNEN verstehe ich mich gut. Sie sind eher auf meiner Seite und jederzeit ansprechbar. Insgesamt ist die Praxis aber sehr vertratscht, man muss also gut aufpassen, wem man was erzählt.
Ich bin im Moment ziemlich unglücklich, da mir die Arbeit gut gefällt und ich mit dem häufig schwierigen Patienten-Klientel wunderbar auskomme. Leider ist meine Probezeit noch nicht um.

Wie soll ich mich verhalten?

Vielen Dank und LG

e.

WackenDoc
10.05.2018, 18:26
Bist du direkt vom Studium in die Praxis?

Feuerblick
10.05.2018, 18:45
Wieso ist deine Probezeit LEIDER noch nicht um? Schneller und nachhaltiger wirst du nie mehr kündigen können....

Elluschka
10.05.2018, 19:23
Ja, es ist meine erste Stelle.
Die Arbeit ist total interessant, deshalb wäre es so schade.
Außerdem ist es ungünstig, wenn man nach wenigen Monaten geht und das dann im nächsten Bewerbungsgespräch erklären muss.

Feuerblick
10.05.2018, 19:38
Besser als schlechte Weiterbildung, nichts lernen und Dinge tun, die nicht ganz in Ordnung sind ;-)

WackenDoc
10.05.2018, 19:39
Ah, das ist eine etwas blöde Situation und an sich auch das, vor dem ich persönlich eher warne.

Nein, Kündigungen sind für einen angehenden Allgemeinmediziner eher nicht das Problem. Viele Arbeitgeber sind froh, dass sie überhaupt jemanden finden. Und Stellenwechsel sind eher kein No-Go. Wenn gefragt wird, ist "Chemie hat nicht gepasst" durchaus ein legitimer Grund.

So- jetzt hast wohl mehrere Baustellen, die dir das Leben schwer machen.
Zum einen fehlt dir schlichtweg die Erfahrung und damit vermutlich auch etwas Gelassenheit. Und zwar sowohl fachlich als auch menschlich. An sich verlierst du ja nichts, wenn du versuchst das zu meistern, egal ob es in der Praxis was wird oder nicht.

Der Chef ist auch in einer etwas ungünstigen Situation, dass er halt einen blutigen Anfänger hat und gleichzeitig seine Praxis laufen muss.

Jetzt ist halt die Frage wie du das mitm Chef geregelt bekommst. Das wichtigste sind Gespräche und das regelmäßig. Und du wirst einen Plan haben was du wann machst (also im Ablauf deiner Weiterbildung- du wirst ja Fortschritte machen und dann mehr und mehr können) sowohl was Patienten als auch Skills angeht.
Dann wirst du einen Weg zwischen gründlich genug und schnell genug finden müssen- das muss aber jeder. Auch da helfen Gespräceh mitm Chef.

Was das mit den Handschuhen angeht- es wird schlichtweg in den meisten Fällen nicht erforderlich sein. Vermutlich hat dein Chef nicht gerade unrecht, auch wenn er das wohl nicht ganz so diplomatisch rüber bringt.

Mach dir am besten einen Plan, was du mit deinem Chef besprechen willst und wie du was rüber bringen willst, gerade wenn es dir schwer fällt.
Tratsch hast du in so einer Praxis immer und als Assi bist du in einer etwas blöden Situation (hat man im Krankenhaus auch, aber da ist es noch etwas anders)- einerseits solltest du mit den MFAs gut klar kommen, andererseits gehörst du halt nicht zu denen, sondern zu den Ärzten. Und dann bist auch noch der "Neue"- der erstmal seinen Platz finden muss. Da kann ich den Tipp geben dir mal ein Fachbuch zu Gruppendynamiken zu organisieren.

Elluschka
10.05.2018, 20:07
Danke für die Antworten.
Zu den Handschuhen ist zu sagen, dass ich Leute mit frischen Verletzungen, egal ob mit oder ohne HIV, immer mit Handschuhen anfasse. Augen untersuche ich auch nie ohne Handschuhe. Zu uns kommen viele Obdachlose, die sich tagelang nicht waschen konnten, pilzbefallen sind und teilweise noch eine andere Zoonose haben.
Ich finde, dass es komplett meine Sache ist, wann ich mir Handschuhe anziehe, es ist ja meine Gesundheit. Wenn sein Hygieneempfinden ein anderes ist - sein Problem.
Mein Chef wusste, dass ich "blutiger Anfänger" bin. Ich habe für ihn sogar eine andere Stelle abgesagt.
Ich verbrüdere mich nicht mit den MFAs gg. den Chef. Ich bin eher froh, dass ich wenigstens eine bessere Verständigung mit ihnen habe. Zum Teil werden von meinem Chef auch wechselnde Anweisungen getätigt, d. h. mir wird einem Tag etwas angekreidet, was am Tag davor kein Problem war.
Im Moment alles recht schwierig.

Coxy-Baby
10.05.2018, 20:22
Und wenn du 2 Jahre in der Klinik erstmal abreißt um etwas Erfahrung zu sammeln?

Evil
10.05.2018, 20:46
Wie soll ich mich verhalten?
Baldmöglichst kündigen. Entweder suchst Du dann eine Praxis mit optimalen Weiterbildungsmöglichkeiten (was ich für schwierig halte, s.u.), oder Du sammelst erstmal Berufserfahrung in einer Klinik. Eine allgemeine Innere in einer kleineren Klinik bietet Dir oft ein ähnliches Spektrum.

Deine Lage zeigt anschaulich, weshalb ich davon abrate, direkt mit der Weiterbildung in einer Praxis zu beginnen:
Dir fehlt die Erfahrung, um selbstständig arbeiten zu können, deswegen bist Du darauf angewiesen, daß Dir ständig jemand über die Schulter schaut. Und das ist in einer Praxis mit ambulanten Patienten deutlich aufwändiger als in einer Klinik mit stationären Patienten, wo außer bei akuten Notfällen auch am nächsten Tag nochmal ein Facharzt drüberkucken kann.
Und in Notfallsituationen fehlt Dir die Routine, die Du Dir in der Klinik mit mehr Ressourcen im Rücken deutlich einfacher aneignen kannst.
Deswegen fehlt Dir auch die berechtigte Sicherheit, eigene Ansichten und Verhaltensweisen beizubehalten.

Mano
10.05.2018, 21:39
Klingt nach einem insgesamt zerütteten Verhältnis. Alles für sich genommen sicher nicht schlimm, aber so wie du es hier in der Gesamtheit darstellst, wird es vermutlich schwierig das wieder zu kitten.
Wir kennen jetzt nur deine Sichtweise und dein Chef ist vermutlich tatsächlich nicht der allereinfachste Chef. Aber insgesamt habe ich das Gefühl, dass dir zum Teil ein wenig Selbstreflexion/ -kritik fehlt...

Elluschka
10.05.2018, 22:12
@Mano
Von Selbstreflexion/-kritik habe ich eher zu viel als zu wenig, glaube mir das ruhig. Irgendwann kann man es schwierigen Leuten selbst mit einem ganzen Batzen Selbstkritik nicht mehr Recht machen.

Elluschka
25.06.2018, 21:47
Update:
Ich bin mittlerweile im Rahmen der Probezeit vom meinem Chef unter fadenscheinigen Vorwänden gekündigt worden (obwohl in der Probezeit keine Gründe genannt werden müssen). Fachlich war mir nichts vorzuwerfen.
Ich wollte grade versuchen, mir parallel zur bestehenden Arbeit eine neue Stelle zu suchen, das hat sich jetzt leider zwangsläufig beschleunigt.
Leider hat es lange gedauert, bis ich die "Psycho-Spielchen" meines Vorgesetzten durchschaut habe.
Ich kann nur jedem raten, schon bei den ersten "Warnzeichen" schnellmöglich das Weite zu suchen. Leider musste ich so lange wie möglich bleiben, da ich finanziell dringend darauf angewiesen war.
Es tut mir sehr Leid, dass ich für meine Patienten dort dann nicht mehr da sein kann.
LG, elluschka

PsychoFan
08.07.2018, 08:20
Dass die deutschen Ärzte nicht gerade zu den saubersten gehören, das habe ich schon beobachtet.

Ich wundere mich über Patienten, die es sich gefallen lassen, ohne Handschuhe angefasst zu werden. Eckelig :(

Feuerblick
08.07.2018, 08:37
Wie meinen? Du weißt aber schon, dass man Hände desinfizieren kann, oder? Machen Ärzte in anderen Ländern übrigens auch.

Ich fänd es eklig, wenn mein Arzt mich nur mit Handschuhen anfassen würde.
Und als Arzt fänd ich es eklig, dauernd Handschuhe tragen zu müssen.

nie
08.07.2018, 08:46
Ich finde es primär eklig wenn man „ecklig“ schreibt, das tut mir in den Zähnen weh.

WackenDoc
08.07.2018, 09:19
Warum sollte man jedes Mal, wenn man einen Patienten anfasst, Handschuhe tragen? Das ist nur bei bestimmten Tätigkeiten erforderlich und zwischendurch kann man seine Hände desinfizieren.

xyl15
08.07.2018, 13:29
Machst du es sonst wie Professor T. aus diesem ZDF-Krimi, und gehst draußen generell nur mit Handschuhen herum?
Das wäre dann nämlich konsequent. ;-)

escitalopram
08.07.2018, 13:48
Warum sollte man jedes Mal, wenn man einen Patienten anfasst, Handschuhe tragen? Das ist nur bei bestimmten Tätigkeiten erforderlich und zwischendurch kann man seine Hände desinfizieren.

"Sollte" nicht, aber es ist durchaus empfehlenswert, bei vielen Tätigkeiten. Ich merke gerade im PJ jetzt, wie locker viele Ärzte mit Anfassen der Füße umgehen. Dabei haben ca. 90 % der Patienten irgendwelche Pilzerkrankungen an den Nägeln und/oder Füßen. Finde ich nicht gerade prickelnd und ich würde mich nicht 100 %-ig auf die Desinfektion verlassen.

Bei körperlichen Untersuchungen, z.B. Hautkrebs-Screenings würde ich auch Handschuhe tragen.

Und wenn die Fragestellerin zusätzlich schreibt, dass sie viele Obdachlose in schlechtem Hygienezustand betreut... Da wäre ich nicht so scharf darauf, sie ohne Handschuhe anzufassen.

WackenDoc
08.07.2018, 14:13
Warum sollte ich beim Hautkrebsscreening Handschuhe tragen (jetzt mal abgesehen von den "Feuchtgebieten")? Ich geb normalen Menschen im normalen sozialen Umgang ja auch die Hand und da sind x mal mehr Keime drauf.

Füße- ist halt die Frage, warum ich mir die anschaue, wie sie aussehen und was ich dran arbeiten muss. Und die Frage ist auch in welchem Risikobereich ich arbeite- Hausarztpraxis ist da infektiologisch unproblematischer als nen Krankenhaus. Der normale Nagelpilz bei sonst intakten Füßen macht ja nix. Ok, Füße sind wohl ne Glaubensfrage, manche finden sie halt allgemein eklig.

escitalopram
08.07.2018, 14:21
Warum sollte ich beim Hautkrebsscreening Handschuhe tragen (jetzt mal abgesehen von den "Feuchtgebieten")? Ich geb normalen Menschen im normalen sozialen Umgang ja auch die Hand und da sind x mal mehr Keime drauf.

Füße- ist halt die Frage, warum ich mir die anschaue, wie sie aussehen und was ich dran arbeiten muss. Und die Frage ist auch in welchem Risikobereich ich arbeite- Hausarztpraxis ist da infektiologisch unproblematischer als nen Krankenhaus. Der normale Nagelpilz bei sonst intakten Füßen macht ja nix. Ok, Füße sind wohl ne Glaubensfrage, manche finden sie halt allgemein eklig.

Das fragst du nicht im Ernst, oder? Aus den o.g. Gründen. Extrem viele Patienten haben Pilzerkrankungen an den Füßen und Fußnägeln. Diese sind sehr hartnäckig und wenn man jedem die pilzbefallenen Gebiete ohne Handschuhe anfasst, hat man das irgendwann auch selbst. Zudem würde ich nicht in Haaren ohne Handschuhe rumwühlen wollen. Darüber hinaus umfasst die Untersuchung ebenso die Genitalorgane. Die Penisse der Patienten ohne Handschuhe anfassen - klasse! Keine Ahnung, ohne Handschuhe fände ich all das 1) ekelhaft und 2) unhygienisch. Händedesinfektion gehört dazu, unabhängig davon, ob davor mit oder Handschuhe gearbeitet wurde.

Ich kenne es von meiner Hautärztin so, dass Gebiete wie Füße etc. erst einmal mit Handschuhen untersucht werden, dann die Handschuhe ausgezogen und Hände + Dermatoskop desinfiziert werden und mit den üblichen Bereichen fortgefahren wird.

PS: Hab gerade gelesen, dass die Fragestellerin einen HIV-positiven Patienten untersucht hat, am Auge. Ist es eigentlich nicht selbstverständlich, dass bei Augeninfektionen immer mit Handschuhen gearbeitet wird? Und vor allem bei infektiösen Patienten... Dass sowas vom Chef in Frage gestellt wird, na ja...