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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nach der Approbation "frei" arbeiten



mirari
06.06.2018, 05:50
Hallo,
als frisch Approbierter habe ich eine Frage zur Rechtslage in Bezug auf meine Berufsausübung. Bisher war ich der Ansicht, dass ich nun, so wie es auch auf meiner Approbationsurkunde steht, "den ärztlichen Beruf ausüben" darf. D. h. ich könnte mir theoretisch ein Praxisschild an die Tür hängen und als "Praktischer Arzt" tätig sein. Mir ist klar, dass ich mich natürlich am Facharztstandard messen lassen muss, dass ich ohne Kassenzulassung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen kann und selbstverständlich an Pflichten zur Dokumentation und zum Datenschutz gebunden bin, die nicht so mal eben in meinem Wohnzimmer umsetzbar sind. Auch darf ich nicht einfach alle Leute unbezahlt behandeln. Dennoch dachte ich, unter Berücksichtigung eben dieser Umstände, grundsätzlich "frei" ärztlich tätlich sein zu dürfen, nicht nur als angestellter Arzt.
Als ich jedoch meine Approbation beim LPA beantragt habe, gab es eine Diskussion um mein gesundheitliches Attest. Dieses hatte mir ein Freund, den ich aus dem Studium kenne und der chirurgisch als Angestellter in einer Klinik tätig ist, ausgestellt. Die Dame vom LPA hatte sich daran gestört, dass ein "Arztstempel" gefehlt hat. Mein Einwand, dass so ein Stempel ja nun von jedermann binnen kurzer Zeit für ein paar Euro zu beschaffen sei und somit ein Dokument nicht wirklich "gültiger" oder "offizieller" mache, prallte ab. Ebenso die Tatsache, dass im Gegensatz zur Unterschrift, die Stelle auf dem Vordruck für den Stempel in Klammern geschrieben war, was mir eine gewisse Optionalität suggerierte, ihr natürlich nicht. Wir haben weiter diskutiert und sie hat darauf hingewiesen, dass
a) das Attest mit einem Klinikstempel anerkannt worden wäre. Natürlich nur, wenn die Untersuchung auch in Räumlichkeiten der Klinik stattgefunden hätte, nicht bei irgendjemandem zu hause auf der Couch.
b) auf einmal ein Facharzt, explizit einer für Allgemeinmedizin gefordert sei. Ich fragte nach einem hausärztlich tätigen Internisten, sie forderte den Allgemeinmediziner. In den Unterlagen, die ich gelesen hatte, war immer nur von "einem Arzt" die Rede. Sie konnte mir auf Aufforderung nichts anderes zeigen.
c) mein Freund sich "strafbar" gemacht habe, da er ja als nicht niedergelassener, nur im Krankenhaus angestellter Arzt, nicht "vagabundieren", also "von Haustür zu Haustür ziehend Medizin praktizieren" dürfe. Das Attest wollte sie behalten und der Kammer melden. Gehört haben wir bis heute nichts. Selbstverständlich hat mein Freund wie eingangs erwähnt alles brav dokumentiert, mir eine Rechnung geschrieben etc..

Ohne jetzt eine "Das-LPA-ist-blöd-Diskussion" zu starten: Hat sich die Dame einfach nur aufgeblasen und mir unnötig Steine in den Weg legen wollen, oder hat sich mein Freund bzw. ich tatsächlich irgendwie unsauber verhalten? Nicht, dass ich jetzt massenweise Atteste ausstellen wollen würde, aber ich möchte doch gerne wissen, was ich darf und was nicht. Selbstverständlich bin ich immer erstmal vorsichtig, wenn ich mir nicht sicher bin.

Um noch etwas vorwegzugreifen: Ich habe mir ein anderes Attest besorgt, habe inzwischen meine Approbation erhalten. Falls jemand nach Infektionsserologie fragt: Ich hatte vom Betriebsarzt sehr aktuelle Untersuchungsergebnisse vorliegen, die dem niedergelassenen Allgemeinmediziner auch gereicht haben.

Vielen Dank für eure Antworten schon jetzt.

Reflex
06.06.2018, 06:32
Naja das war nun einmal ein Gefälligkeitsattest, dass die Sachbearbeiterin vom LPA dem nachgehen muss, ist doch logisch... Das Lehrgeld sollte sein, dass man bei offiziellen Angelegenheit auch den offiziellen Weg gehen sollte.

Pflaume
06.06.2018, 07:50
Erstmal herzlich willkommen im Beruf, werter Kollege.

Natürlich darf man sich auch ohne Facharzt-Urkunde als Arzt in einer Privatpraxis niederlassen. "Praktischer Arzt" darf man sich allerdings auf dem Praxisschild nicht nennen, wenn man als frisch approbierter Kollege zum Führen dieser inzwischen abgeschafften Bezeichnung nicht befugt ist, sondern nur "Arzt". Daß eine Praxis und die Tätigkeit (viel) mehr Dinge umfasst als nur ein Schild, hast du selbst schon erkannt.

Die Frage, ob man eine Privatpraxis aufmachen darf, hat wiederum aber nur indirekt mit dem zu tun, was dein Freund gemacht hat. Der hat ja offensichtlich gar keine Praxis. Diese Gefälligkeitsattests unter Freunden / ehemaligen Komillitonen bzgl. der Bescheinigung für die Approbation gab es damals auch bei uns. Ich habe von keinem Fall gehört, dass es nicht anerkannt worden ist. Daß das aber bspw. ohne Stempel Diskussionen gibt, ist meiner Meinung nach zu erwarten, und schon deshalb bin ich damals der Einfachheit halber zum Niedergelassenen gegangen, um mir das Attest ausstellen zu lassen. Dass ein *Facharzt* die Tauglichkeit zum Arztberuf bescheinigen muss, dürfte auch in deinem Bundesland nicht so festgeschrieben sein. Die näheren dafür nötigen Untersuchungen sind meines Wissens auch nirgends konkret definiert. Daß das ganze unseriös wirkt, wenn es jemand so ausfüllt, wie du es schilderst, ist aber doch offensichtlich. Gerade das Vorhandensein der von dir geschilderten Dokumentation, die dein Freund über dich und über seine Bescheinigung geführt hat, dürfte normalerweise bei solchen "im Vorübergehen" erstellten Attesten mit Recht angezweifelt werden. Ein deutliches Indiz für die fehlende strukturelle Organisation ist der fehlende Stempel. Auch wenn, wie du richtig sagst, sich jeder so einen Stempel beauftragen kann, ist es aber trotzdem zusätzlicher Aufwand. Wenn sogar dieser (wie von dir geschildert geringe) Aufwand gescheut worden ist, darf meiner Meinung nach mit Recht auch das Fehlen ernsthaftiger Beschäftigung mit der dem Attest zugrundeliegenden Anamnese, ggf. Untersuchung, Dokumentation etc. (bis hin zur dafür gemäß Berufsordnung vorgeschriebenen Deckung durch eine Berufshaftpflichtversicherung!) unterstellt werden. Den Stempel der Klinik hat dein Freund auch nicht draufgemacht; vermutlich weil er die Anforderungen, die sein Arbeitgeber an ihn bzgl. Anamnese und Untersuchung, Dokumentation und Abrechnung eines solchen Attests stellen würde, nicht erfüllt hat.

Er hat auch die Anforderungen, die das LPA an die Dokumentation stellt, nicht erfüllt: fehlender Stempel.

Daß die Bearbeiterin das von dir vorgelegte Attest angeblich der Ärztekammer vorlegen will, finde ich übertrieben, auch wenn ich andererseits verstehen kann, dass man sich als für das Erteilen der Approbation zuständiges Amt daran stört, wenn angehende Mediziner bereits beim Antrag auf Approbation ein bißchen nach Wild-West-Manier agieren und den Eindruck erwecken, als ob sie sich der Verantwortung, die die Approbation mit sich bringt, nicht bewußt sind. Die Bearbeiterin darauf hinzuweisen, dass ein Stempel ein Attest auch nicht "offizieller" mache, ist in dem Zusammenhang sicher nicht hilfreich. Vielleicht bist du ja auch noch pampig geworden. Je nachdem, wie lange der Zeitraum "bis heute nichts gehört" ist, hat das bisherige Nichts-Hören nicht unbedingt was zu bedeuten, denn die berufsrechtlichen Mühlen der Ärztekammer mahlen oft langsam. Kann mir allerdings gut vorstellen, dass sie nach Rücksprache mit Kollegen das Attest einfach vernichtet oder zu deiner Akte getan hat. Ich persönlich würde auch nicht erwarten, dass da noch was nachkommt. Aber man wundert sich gelegentlich, mit was die berufsrechtliche Abteilung der Ärztekammer dann doch irgendwann nach Monaten um die Ecke kommt.

Lies dir die Berufsordnung deiner Ärztekammer durch. Das kann zum Beginn der ärztlichen Tätigkeit ein paar wertvolle Hinweise auf mögliche Stolpersteine geben, an die man als frischgebackener Arzt so gar nicht denken würde. Ich war damals jedenfalls auch über so einiges überrascht.

mirari
06.06.2018, 17:58
@Reflex: Nur um es deutlich zu sagen: Die Gefälligkeit war nicht inhaltlicher Natur, er hat mir natürlich nichts Falsches bescheinigt. Der Gefallen war, dass er mich spontan untersucht hat, weil er als "ein Arzt" gerade neben mir saß, ich mir also nicht erst einen Termin bei irgendeinem Niedergelassenen machen musste (Hausarzt hab ich gar keinen). Ein bisschen also wie ein Freund mit einer KfZ-Werkstatt, der am Samstag was für dich macht, ohne dich wochenlang auf den nächsten freien Termin warten zu lassen. Und klar, keine Schwarzarbeit, mit Rechnung etc..
@Pflaume: Danke für den langen Text. Dass die LPA-Dame das Attest am Ende, vor allem wegen des fehlenden Stempels, nicht anerkennt, ist sicherlich nervig, aber schon okay. Technisch betrachtet war eine formale Bedingung nicht erfüllt, das habe ich ja auch eingesehen und unser Gespräch lief tatsächlich ganz gesittet ab, wir sind ja erwachsen. Ich hätte oben wohl nicht so blumig, ausführlich schildern sollen, habe aber diesen LPA-Kontakt einfach noch so anstrengend-detailliert in Erinnerung. Es geht mir wie gesagt weniger um den konkreten Vorgang als um die allgemeinere Frage, was ich mit meiner Approbation jetzt so darf und was nicht. In die Berufsordnung habe ich schon mal geschaut, werde sie aber noch ausführlicher studieren. Trotzdem freue ich mich über Input von Erfahreneren.

Darf man denn ohne formal eine Praxis zu besitzen außerhalb seiner Tätigkeit im Krankenhaus echt gar nichts? Was ist, wenn ich meinen Bruder besuche, der studiert, hätte eine Prüfung, liegt mit Fieber im Bett. Darf ich den dann krank bzw. prüfungsunfähig schreiben? Ist ja auch ein Attest. Oder damit es nicht in der Familie bleibt: Was ist mit seinem WG-Mitbewohner? Oder seiner WG-Mitbewohnerin, die am Samstag über typische Beschwerden eines Harnwegsinfekts klagt, der ich Fosfomycin rezeptieren könnte? Erneut betont: Ich will keine Untergrund-Praxis im Hinterhof führen. Bisher war ich aber eben der Meinung, dass ich zu Tätigkeiten, wie ich sie hier gerade beispielhaft skizziert habe und die sicherlich nicht komplett weltfremd sind, befugt sei. Meine Haftpflicht deckt solche Gelegenheitsbehandlungen übrigens explizit ab. Wenn die per se verboten wären, wären sie doch bestimmt auch nicht regelmäßiger Bestandteil eines Versicherungsverhältnisses?

davo
06.06.2018, 18:12
Grundsätzlich kann ich deine Verwunderung ob des LPA-Verhaltens schon verstehen - denn wenn es heißt, dass ein "Arzt" reicht, dann sollte ein "Arzt" eben auch reichen. Vor allem wenn man berücksichtigt, wie kurz und bündig diese Untersuchungen anscheinend meist sind, auch wenn sie von Fachärzten durchgeführt werden zu denen man kein Naheverhältnis hat :-p Außerdem ist es IMHO unfein, einem ohne jede Anhaltspunkte für unlauteres Verhalten aus heiterem Himmel heraus schwerwiegende Vorwürfe zu machen, statt einfach still und leise zu prüfen, so wie es jede Behörde bei jedem Vorgang sowieso machen sollte und müsste.

Aber ganz pragmatisch gesehen sollte man IMHO nicht vergessen, wie leicht man sich dadurch in große Probleme bringen kann. Denn im Fall des Falles wird auch die Haftpflichtversicherung, selbst wenn sie grundsätzlich sagt, dass sie solche Tätigkeiten abdeckt, sehr schnell nach einer Möglichkeit suchen zu sagen, dass du nicht alles getan hast, was man in einer Praxis üblicherweise gemacht hätte. Und ja, natürlich ist sowas unwahrscheinlich. Aber die Frage ist halt immer: Warum sollte man sich solchen Risiken aussetzen? Was hat man davon, wenn man solche Freundschaftsdienste ausführt? Warum kann man seinen Freunden nicht einfach sagen, nutze den KV-Notdienst?

WackenDoc
06.06.2018, 18:49
Wenn man mal bedenkt, dass es keine Definition der medizinischen Eignung für den Arztberuf gibt, dann ist auch keine bestimmte Untersuchung erforderlich. Nur schwere Erkrankungen mit denen man sich und seine Patienten gefährdet sind ein Problem (Psychosen, Suchterkrankungen).
Die Bestimmungen sagen ärztliches Attest, aber nicht fachärztliches.

Man kann den Stempel des Arbeitgebers nur nutzen, wenn man für diesen tätig wird. So ganz offiziell hätte er in seinen Arbeitsvertrag schauen müssen, ob er als Nebentätigkeit die Klinikeinrichtung nutzen darf und hätte dann seinen privaten Stempel drunter setzen müssen.

Rezepte für Verwandte sind im Berufsrecht erlaubt. Was Freundschaftsdiente und Nachbarschaftshilfe angeht, musst du in die Satzung deiner ÄK schauen. Wie Davo aber schon schrieb, solltest du dir sehr gut überlegen, wen du wie behandelst.

Pflaume
07.06.2018, 08:13
WackenDoc und davo haben vollkommen recht. Du darfst sehr viel in dem Sinne, dass dir nicht viel passiert, solange nichts passiert. Ohne dass ich dies als Rechtsberatung verstanden wissen will (die kann ich nicht geben), werden deine genannten Beispiele meiner Erfahrung nach dir berufs- oder strafrechtlich keinen wirklichen Ärger bereiten können, auch wenn man immer wieder überrascht ist, wie zäh, lästig und unter Umständen auch kostspielig solche Ermittlungsverfahren bzw. deren Abwehr sind, wenn irgendjemand doch mal einem Arzt ans Bein pissen will. Üblicherweise passiert das nicht dann, wenn etwas schiefgelaufen ist, sondern, wenn sich jemand über einen geärgert hat.

Da einem berufs- und strafrechtlich meistens nicht viel passiert, solange man nicht wirklich richtigen Mist gebaut hat, "darf" man insofern ziemlich viel.

Aus haftungsrechtlicher Sicht werden (ebenfalls rein meiner Erfahrung nach - für rechtlich fundierte Auskünfte ist ein Rechtsanwalt zu befragen) an die von dir genannten Beispiele aber nicht leichtere, sondern eher schwieriger zu erfüllende Anforderungen gestellt, was Durchführung und Dokumentation angeht. Ganz einfach deshalb, weil - analog zu dem Beispiel mit dem Stempel - allein die Tatsache, dass eine Untersuchung in einer Arztpraxis oder in einer Notaufnahme in einem geregelten Arzt-Pratienten-Verhältnis durchgeführt wird, erstmal dafür spricht, dass das ganze strukturiert, mehr oder weniger standardisiert und mehr oder weniger sorgfältig und unter Zuhilfenahme von vorhandenen diagnostischen Hilfsmitteln und Hilfspersonal stattfindet bzw. stattgefunden hat. Bis hin zu der Tatsache, dass der behandelnde Arzt sich auch kopfmäßig in einer üblichen Untersuchungs- und Behandlungssituation befindet, wie er sie trainiert und tausendfach durchgeführt hat, und somit an die entsprechenden Schritte üblicherweise denkt. Bei entsprechenden Haftungsfragen geht es immer um den "medizinischen Standard", und der ist vom ersten Augenschein her in einem solchen Setting erst mal erfüllt, solange es keine konkreten Hinweise darauf gibt, dass er doch unterschritten worden ist.

Die von dir beschriebenen Situationen dagegen sind nicht solche Standardsituationen, sondern ein Ratschlag "so unter uns", eiun Freundschaftsdienst usw. Nicht nur sind die externen Strukturen nicht vorhanden, sondern auch die internen (Kopf_)Strukturen sind nicht vorhanden. Das heißt, man denkt und arbeitet per se schon mal anders als man es in einer Standard-Untersuchungs-Situation in der Praxis etc. tun würde. Das erhöht das Risiko, nicht sorgfältig zu arbeiten und den ärztlichen Standard zu unterschreiten, und dabei hat man gleichzeitig viel größere Mühe, hinterher darzustellen, dass man den ärztlichen Standard trotz der erst mal nicht standardisierten Situation erfüllt hat, weil aufgrund des nicht strukturierten Settings (beispielsweise von einem Gericht) viel höhere Anforderungen an die Dokumentation gestellt werden und man sich viel schwerer tut, nachzuweisen, was man gemacht oder nicht gemacht hat. Wenn man in der Arzt-Praxis jemandem eine i.m.-Spritze gibt, z.B. Impfung, und hinterher gibts dabei aber einen Spritzenabszess, eine i.m.-Infektion, in der Loge fortschreitende Muskelentzündung, am Ende ist der ganze Arm dauerhaft geschädigt. Dann ist das in der Praxis ein übliches (wenn auch sehr seltenes) Komplikations-Risiko einer i.m.-Spritze. Soweit vorgeworfen wird, man hätte nicht kunstgerecht gehandelt (desinfiziert), so wird es meiner Erfahrung nach vermutlich ausreichen, wenn man darlegt, wie in der Praxis das Setting des Raums ist, in dem man impft, dass die Desinfektionsflasche da auf dem Tisch steht und regelmäßig nach Ablaufdatum gewechselt wird, dass semisterile Tupfer nebendran stehen, dass man das ordnungsgemäß desinfiziert und wartet, bis das Desinfektionsmittel angetrocknet ist und dann unverzüglich mit der sterilen Spritze impft usw. usf., dass man sich im Einzelfall vielleicht nicht mehr konkret daran erinnert, aber dass man das immer so macht und deswegen sicher ist, dass man es auch in dem Fall gemacht hat. Da tritt bei Bedarf dann noch ne Sprechstundenhilfe auf und bestätigt, dass man immer sehr sorgfältig bezüglich der Hygiene ist, dass sie einem schon oft beim Impfen zugeschaut hat, und dass man das tatsächlich "immer" so macht. Und damit ist das Thema haftungsrechtlich gegessen.

Aber mach mal eine Impfung zu hause im Wohnzimmer, hau einem Freund oder Bekannten da seine Reiseimpfung rein, weil der nämlich am nächsten Tag in Urlaub fliegen will. Dann lass was passieren, und es ist nicht mehr dein Freund. Da stehst du ganz anders da. Das fängt an mit der Frage, ob der Impfstoff regelrecht gekühlt, die (sterile) Spritze regelrecht gelagert war, welches Desinfektionsmittel benutzt worden ist, usw. usf., jeden Einzelschritt mußt du begründen und ggf. dokumentiert haben, weil du sonst keinerlei Hinweis hast außer deiner Behauptung. Du bist die ganze Zeit damit beschäftigt, zu begründen, daß du bei einer absolut nicht standardisierten Situation trotzdem den "medizinischen Standard" nicht unterschritten hast. Und zwar nicht nur gegenüber demjenigen, der sich geschädigt fühlt, sondern anschließend auch noch gegenüber deiner Haftpflichtversicherung, die gute Chancen sieht, dir wegen grober Fahrlässigkeit den Versicherungsschutz zu verweigern. Ich war eine Zeitlang mit solchen Fragestellungen beruflich befaßt und war überrascht, wie rasch doch das Thema "grobe Fahrlässigkeit" auf den Tisch kommt, weil irgendeine Zertifizierung nicht vorhanden war oder eine Einweisung nach MPG oder sowas.

Deine Frage, was man "darf", ist somit verständlich. So wie davo und WackenDoc es schon getan haben, würde ich dir aber ganz pragmatisch und lebenswirklich raten, nicht alles zu tun, was du "darfst", sondern dabei eher vorsichtig zu agieren. Gerade als Berufsanfänger kannst du überhaupt nicht einschätzen, worauf du dich einläßt, und es laufen eine Menge Ärzte rum, die von sich rückblickend sagen, dass sie als Berufsanfänger unwissend bei irgendwelchen Dingen (Untersuchungen als Polizei-Arzt, Verschreibungen im Freundeskreis etc.) viel größere Risiken eingegangen sind als ihnen bewußt war und als sie eigentlich okay finden, und dass sie im Nachhinein froh sind, dass da nie was passiert ist. Insbesondere im Zusammenhang mit Freundschaftsdiensten muß man sich auch bewußt sein, dass man sich selbst dabei einfach im Kopf in einem ganz anderen gedanklichen Setting befindet als in der Arbeits-Situation, und dass man deshalb auch Dinge tut, die man einem richtigen Patienten gegenüber nicht tun würde. Eindrucksvolles Beispiel sind diesbezüglich immer wieder Ärzte, auch Notärzte, die in Erste-Hilfe-Situationen, in die sie privat geraten, außerhalb des Dienstes, erstaunlich kopflos reagieren und erstaunliche Fehler machen. Gerade deshalb werden an einen Arzt, der unvorhergesehen Erste Hilfe leistet, sehr niedrige Anforderungen bezüglich des Einhaltens medizinischer Standards gestellt. Aber andersrum beißt einen genau dieses Problem in den Schwanz, wenn man sich selbst aktiv und aus eigener Wahl (man hätte ja nein sagen können) auf Situationen einläßt, die nicht zum gewohnten beruflichen Setting gehören.

Ich persönlich halte es so, dass ich im Freundeskreis schon mal einen Rat gebe im Sinne von "ich würde das und das machen", Tipps zur Ersten Hilfe oder "ich würde zu dem und dem (Arzt) gehen", aber sehr zurückhaltend dabei bin, (Verdachts-)Diagnosen zu stellen oder Medikamente zu verabreichen oder zu empfehlen. In den von dir genannten Beispielen ist es ja regelmäßig gar nicht *nötig*, sich da einzubringen, sondern es gibt übliche, standardisierte Wege, auf die man verweisen kann und die auch nicht soo viel mehr Aufwand sind. Generell würde ich einem Berufsanfänger raten, mindestens die ersten zwei Jahre die Finger von allem zu lassen, was nicht seinem üblichen angestellten (Weiterbildungs-)Setting entspricht. Also auch keine Polizeidienste auf eigene Faust, keine Veranstaltungsdienste als Arzt, sofern einen nicht der Arbeitgeber dorthin schickt, etc.

Wenn bei "Freundschaftsdiensten" etwas passiert, hast du nicht nur (ggf. ehemalige) Freunde oder sowas an der Backe, sondern auch deren Krankenversicherung, Pflegeversicherung oder andere Versicherungen und Sozialleistungsträger, die bei dir Regress nehmen wollen und dabei gänzlich unbarmherzig sind. Bei Interesse mal den §116 SGB X (https://dejure.org/gesetze/SGB_X/116.html) anschauen.

morgoth
07.06.2018, 08:31
Und als Ergänzung: "Selbstverständlich hat mein Freund wie eingangs erwähnt alles brav dokumentiert". Da wirst du bestimmt noch mitkriegen, dass du nie irgendetwas vollständig wasserdicht dokumentieren kannst; vllt. isolierte Einzelbefunde, aber auf keinen Fall, wenn es um die Gesamtbeurteilung eines Menschen geht.
Bestimmt hat dein Freund schön auf einen Zettel geschrieben, dass du keinen Meningismus und vesikuläre Atemgeräusche hast; wenn es aber hart auf hart kommt, reicht das eben nicht aus. Und da hilft es ungemein, wenn du plausibel darstellen kannst, dass du eine bestimmte Untersuchung, ein bestimmtes therapeutisches Vorgehen, eine bestimmte differentialdiagnotische Überlegung schon 100x in deinem Arbeitsleben standardisiert durchgeführt hast (die ersten Jahre halt in einem entsprechenden Setting mit Fach- und Oberärzten zur Absicherung/Kontrolle), und eben nicht nach Erhalt der Approbation mit oder ohne Stempel munter drauflos ärztlich tätig warst.