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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ist man im Arztberuf richtig, wenn man nicht operieren will?



Ezmon
20.06.2018, 10:11
Hallo,

ich bin mit dem Abi durch und muss eine Wahl treffen.

Am intensivsten habe ich mich die letzten Monate mit dem Arztberuf befasst. Zwar keine Prakita, aber ich habe viel gelesen, Reportagen und Dokus geguckt und auch Erfahrungsberichte gelesen.

Ich möchte sehr ungerne OPs jeglicher Art machen oder andere direkte Eingriffe am Patienten unternehmen. Ich könnte mir am Arztberuf nur eine beratende Tätigkeit vorstellen, bei der ich mit Patienten spreche und ihnen bei ihren gesundheitlichen Problemen durch Tipps etc. helfe.

Ein anderer Punkt ist, dass ich vor dem, was man im Medizinstudium lernen muss ein mulmiges Gefühl habe. Ich habe mir von Thieme ein paar Anatomie Bücher online angeguckt. Eine Abbildung hat gefühlt 50 abstrakte lateinische Begriffe, die Strukturen zugeordnet werden, die man meist nur schwer voneinander unterscheiden kann und von diesen Strukturen gibt es vielleicht tausend, die man lernen muss? Und das ist ja nur Anatomie. Dazu kommt noch die Beschreibung von genauer Lage und Funktion im Text. Ich muss ehrlich sagen, dass es für mich schon sehr aufwendig war, alle Sachen in Ökologie, Evolution und Genetik fürs Abi zu lernen und manches habe ich jetzt schon wieder vergessen, aber als Arzt sollte man ja nicht so schnell zumindest nicht das wesentliche vergessen?

Ich weiß, das Studium ist nie leicht und der Beruf ist das Ziel, aber kann man es wirklich so außer Acht lassen?

Leider habe ich zum Medizinstudium nicht so viele Alternativen, die mich außerordentlich faszinieren. Faszienieren tue ich mich sehr für gesellschaftliche, volkswirtschaftliche und politische Themen aber im gesundheitlichen Bereich vorallem für Krankheiten und Ernährung.

Danke

ProximaCentauri
20.06.2018, 10:53
Man muss als Arzt (zum Glück) nicht unbedingt operieren, das möchte ich nämlich auch nicht. Gerade z.B. in der Psychiatrie sind invasive Eingriffe selten.

Aber ja, man muss eine Menge lernen, und nicht alles davon erschliesst sich einem gleich sofort. Man muss durchaus bereit sein, da auch Zeit und Effort zu investieren, sonst wird es nämlich nichts.

Und: du solltest dich nicht primär fragen, was du studieren möchtest, sondern welchen Job du später machen möchtest. Man studiert vielleicht 4-6 Jahre, Arbeiten wird man 40.

nie
20.06.2018, 15:27
Am intensivsten habe ich mich die letzten Monate mit dem Arztberuf befasst. Zwar keine Prakita, aber ich habe viel gelesen, Reportagen und Dokus geguckt und auch Erfahrungsberichte gelesen.

Sinnvoller wären tatsächlich Praktika gewesen. Dokus/Reportagen, egal wie gut sie sind, werden einem niemals einen realen Eindruck geben können. Erfahrungsberichte kann nur wirklich einordnen, wenn man bereits eine gewissen Vorstellung hat, was einen erwartet bzw. erwarten sollte. Zumal Erfahrungsberichte höchst individuell sind. Was der Eine total super findet, findet der Andere nur ätzend.



Ich möchte sehr ungerne OPs jeglicher Art machen oder andere direkte Eingriffe am Patienten unternehmen. Ich könnte mir am Arztberuf nur eine beratende Tätigkeit vorstellen, bei der ich mit Patienten spreche und ihnen bei ihren gesundheitlichen Problemen durch Tipps etc. helfe.

Willst du nur nicht operieren oder willst du generell nicht aktiv am Patienten werden? Was ist mit Blutabnehmen? Zugänge legen? Untersuchungen?

Man kann sicher auch Arzt sein ohne zu operieren. Niemand wird in ein chirurgisches Fach gezwungen. Es gibt viele Ärzte, die in ihrem Leben niemals einen Patienten operiert haben.

Schwierig wird es allerdings, wenn du wirklich gar nicht aktiv am Patienten tätig werden willst. Das schränkt dich Fachrichtungsauswahl enorm ein. Bleiben im Prinzip nur patientenferne Fächer wie Mikrobiologie, Pathologie, Labormedizin etc. Da hat man dann aber meistens auch gar keinen Kontakt zu Patienten.

Sich nur die Probleme der Patienten anhören und dann ein paar Ratschläge geben, wird im Arztberuf nicht möglich sein. Selbst in der Hausarztpraxis oder Psychiatrie/Psychosomatik, wo viel übers Reden läuft und man verhältnismäßig wenig am Patienten tätig wird, muss doch immer mal wieder aktiv am Patienten arbeiten. Wenns dir rein ums Zuhören und Beraten geht, wärst du vielleicht in der Psychologie oder Sozialarbeit besser aufgehoben.




Ein anderer Punkt ist, dass ich vor dem, was man im Medizinstudium lernen muss ein mulmiges Gefühl habe. Ich habe mir von Thieme ein paar Anatomie Bücher online angeguckt. Eine Abbildung hat gefühlt 50 abstrakte lateinische Begriffe, die Strukturen zugeordnet werden, die man meist nur schwer voneinander unterscheiden kann und von diesen Strukturen gibt es vielleicht tausend, die man lernen muss? Und das ist ja nur Anatomie. Dazu kommt noch die Beschreibung von genauer Lage und Funktion im Text. Ich muss ehrlich sagen, dass es für mich schon sehr aufwendig war, alle Sachen in Ökologie, Evolution und Genetik fürs Abi zu lernen und manches habe ich jetzt schon wieder vergessen, aber als Arzt sollte man ja nicht so schnell zumindest nicht das wesentliche vergessen?

Das Wesentliche vergisst einfach Arzt auch nicht. Weil er es täglich braucht und man sich diese Dinge dann halt einfach irgendwann merkt. Vieles kann man aber eben auch als Arzt getrost wieder vergessen (und wird es auch!). Und vieles kann man bei Bedarf auch einfach nachlesen.
Außerdem wächst man mit seinem Aufgaben. Die wenigsten Medizinstudenten können sich ernsthaft vorstellen, dass alles was in einem Anatomiebuch steht, irgendwann mal in ihren Kopf sein sollte. Und dennoch hält der Großteil dieses Studenten irgendwann man einen Anatomieschein in der Hand, der beweist, dass es eben doch irgendwie geht. Und irgendwann ist das Studium rum und man blickt fasziniert auf die Menge an Dingen, die man im Laufe der Jahre so gelernt und auch behalten hat.



Ich weiß, das Studium ist nie leicht und der Beruf ist das Ziel, aber kann man es wirklich so außer Acht lassen?

Kommt drauf an. Es gibt für wirklich vieles in der Medizin eine Nische und niemand muss zwingend Chirurg werden, wenn er das nicht möchte. Man sollte sicher aber im Vorfeld durchaus mal fragen, was genau man sich unter dem Beruf des Arztes so vorstellt und ob die eigenen Vorstellungen überhaupt mit der Realität zusammenpassen. Sonst endet man früher oder später doch als frustrierter Assistenzarzt, der sich fragt, was genau er da eigentlich macht.

Und man sollte eben auch bedenken, dass so ein Studium nicht einfach so rumgeht. Es gibt zwar später im Beruf viele Arten, Arzt zu sein aber im Studium wird man an OP-Sälen, invasiven Maßnahmen etc. nicht gänzlich vorbeikommen. Zwar kann man sich durch geschichte Famulatur/PJ-Wahl sicher um vieles drücken aber manche Sachen werden einem nicht erspart bleiben. Deshalb frage ich, ob es nur ums operieren gehet (da kann man sicher drumherum kommen) oder ob du allgemein nicht am Patienten tätig werden willst. Denn letzteres wirst die im Laufe des Studiums und auch als Assistenzarzt durchaus müssen.

PraktischeFaelle
20.06.2018, 17:17
Ich würde ein Praktikum im KH empfehlen.

Man muss als Arzt nicht zwangsläufig im OP tätig werden.

Man gewöhnt sich an das erhöhte Lernpensum.

Rettungshase
20.06.2018, 17:21
Ein Praktikum wäre auch meine Empfehlung gewesen.

Hier noch ein lesenswerter Artikel beispielhaft an einer Weiterbildungsassistentin für Innere: http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/bericht-aus-dem-klinikalltag-was-fuer-eine-aerztin-bin-ich-bloss-geworden-a-1213586.html

Kackbratze
20.06.2018, 19:44
Also IMHO ist jemand, der nicht operiert oder operieren will kein richtiger Arzt. Aber was weiss ich schon vom Leben...

Autolyse
20.06.2018, 20:06
Im Englischen spricht man nicht ohne Grund von "Doctors and Surgeons". Historisch gesehen sind nur diejenigen Ärzte, welche die Königsdisziplin, die Innere, praktizeren. Nur sie sind akademisch gebildet und deshalb die "Doctors".

Der Chirurg dagegen ist im Prinzip nur eine Abart des Baders, also quasi ein Friseur, mithin ein Lehrberuf (deswegen als "Mister" angesprochen). In der Unfallchirurgie hat sich das bis heute gehalten. ;-) Deshalb dürfen Nichtärzte auch heute noch operieren (§ 1631d Absatz 2 BGB).

Insofern ist operieren natürlich keine Bedingung. Man kommt sogar problemlos durchs Studium ohne jemals was mit dem OP zu tun zu haben.

WackenDoc
20.06.2018, 20:48
Pah, Anfänger!
Die Königsdisziplin ist doch die Prävention.

davo
20.06.2018, 21:04
Es gibt viele Ärzte, die nicht operieren.

Aber bei dir geht es ja anscheinend nicht nur ums Operieren, sondern auch um, ich zitiere, "direkte Eingriffe am Patienten". Und die muss man halt auch als Internist oder als Allgemeinmediziner tagtäglich machen - in Deutschland vielerorts sogar als Psychiater.

Es gibt, wie von nie schon erwähnt, ein paar Fächer die wirklich patientenfern sind, aber im Studium ist man durch Pflegepraktikum, Famulaturen, Untersuchungskurse, Blockpraktika und PJ halt "gezwungen" eine gewisse Menge an Patientenkontakt zu haben. Wenn man damit ein großes Problem hat, wird man das Studium u.U. als nervig empfinden und ist vielleicht fehl am Platz.

Ich glaube aber nicht, dass deine Sorgen unbedingt ein grundsätzliches Problem ist - Medizinstudenten sind sehr heterogen. In meinem Semester gibts Leute die von Anfang an Anpacker waren, Leute die zwei linke Hände haben, Leute die sehr sozial sind, Leute die eher still und leise sind, Leute die vor Patienten anfangs eher zurückschreckten und sich mittlerweile entwickelt haben, Leute die bei Patientenkontakt nach wie vor eher vorsichtig sind, Leute die geborene Hausärzte sind und jeden sofort ansprechen, usw. Die meisten von denen werden wahrscheinlich mal vernünftige Ärzte, und man kann sowohl motorische als auch soziale Fertigkeiten trainieren und weiterentwickeln.

Anatomie wirkt am Anfang für die meisten unüberwindbar und am Ende schafft es doch fast jeder. Davon darf man sich nicht beeindrucken lassen. Man muss einfach nur konsequent lernen und lernen und lernen.

Mach halt mal ein paar kurze Hospitationen bei verschiedenen Ärzten, dann kannst du besser einschätzen wie der Arbeitsalltag so ist.

Jan1705
26.06.2018, 21:16
Ich würde ein Klinikpraktikum empfehlen, z.B. in einer interdisziplinären Notaufnahme. Da sieht man quer durch alle Fächer Notfälle, hat akute Krankheitsbilder und kann sich von den verschiedenen Fach/Unterdisziplinen ein Bild machen (Innere.../Chir.../Päd/Neuro/Gyn/HNO....)

DieHofi
29.06.2018, 16:44
Versuch doch nochmal in Richtung Praktika was zu machen. Wie schon erwähnt wurde, es geht nichts über die echte Erfahrung. Und das gilt jetzt nicht nur für die Medizin. Ich würde jedem empfehlen nach dem Abschluss erstmal eine Vielzahl an Praktika zu machen um sich auszuprobieren. So lernt man die Realität kennen, die einen dann nach dem Studium erwartet. Denn letztendlich ist das Studium nur ein Vehikel.

Also: Praxis Praxis Praxis! Ich weiß ehrlich gesagt nicht so genau wie die Möglichkeiten für einschlägige Praktika mit (nur) Abitur sind, aber ich denke das ist relativ schnell rausgefunden. Und du bist jung, also mach dir kein Stress falls du denkst das ist Zeitverschwendung. Lieber ein Jahr Praktika absolvieren und dann sicher sein als ein ganzes Studium zu verschwenden. Ich weiß wovon ich spreche, glaub mir :-nix

AninaWiest
15.05.2020, 20:20
Hallo Ezmon,
dein Beitrag ist zwar schon fast zwei Jahre her, jedoch wollte ich dich fragen, welchen Weg du jetzt in Endeffekt gegangen bist. Hast du die Medizin gewählt oder dich noch einmal umentschieden? Ich befinde mich zur Zeit in genau der gleichen Situaton wie du damals und würde mich freuen, wenn du mir deine Erfahrungen mitteilen würdest!

LG, Anina