PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Lohnen sich angestellte Ärzte für einen MVZ-Betreiber?



Seiten : [1] 2

ehem-user-31-01-2020-1555
21.10.2019, 16:25
Hallo zusammen,

ich habe eine Frage zum Thema MVZ und evtl. kann jemand der bei einem solchen beschäftigt ist, etwas dazu sagen.
In meiner Stadt gibt es in fast jeder Fachrichtung MVZ in vertragsärztlicher Trägerschaft. Habe bei einem solchen famuliert. Meistens gibt es 2-3 Vertragsärzte als Gesellschafter und z.B. 5 Angestellte Ärzte. Vor kurzem habe ich einen Bericht eines Anwalts gelesen, das angestellte Ärzte dem Gesellschafter keinen nennenswerten Mehrerlös bringen, da jeder zusätzlich angestellte Arzt so viel zusätzliche Kosten verursacht (Gehalt, Lohnnebenkosten, zusätzlicher Behandlungsraum) etc. Warum stellen so viele Ärzte dann andere Ärzte an, wenn das ganze finanziell sich nicht rechnet? Ich beziehe mich nur auf MVZ in ärztlicher Trägerschaft bzw. Gemeinschaftspraxen mit angestellten Ärzten. Krankenhaus-MVZ machen oft sogar Verlust und dienen wohl oft der Patientenaquise

FirebirdUSA
21.10.2019, 16:27
Freizeit?

ehem-user-31-01-2020-1555
21.10.2019, 16:43
Zitat:

Dominik v. Stillfried KV hebt hervor, dass „die Anstellung von Ärzten nicht dazu führt, dass die Praxisinhaber weniger arbeiten“. Laut Zi-Daten ist ein hausärztlicher Praxisinhaber ohne angestellte Kollegen im Schnitt 2321 Stunden im Jahr gefordert, ein Praxisinhaber mit angestellten Kollegen sogar 2472 Stunden. Das ergibt im ersten Fall einen Jahresüberschuss von 60,09 Euro pro Stunde und im zweiten Fall von 69,30 Euro.

ehem-user-31-01-2020-1555
21.10.2019, 16:44
https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/artikel/holt-ein-in-der-praxis-angestellter-arzt-nur-die-kosten-wieder-rein/

ehem-user-31-01-2020-1555
21.10.2019, 16:49
Mehr Freizeit wäre durch nur möglich, wenn sich zwei Ärzte einen Sitz teilen. Ein Weiterbildungsassistent, der kein Budget hat und angeleitet werden muss, verursacht doch nur Kosten und bringt nichts ein, außer evtl. Entlastung bei Routinetätigkeiten.

tarumo
21.10.2019, 17:08
Eine sehr berechtigte Frage, über die sich Ärzte aber keinen allzugroßen "Kopf" machen sollten. Wie schon ausgeführt, arbeiten angestellte Ärzte in der Regel weniger und es ist auch noch ein Verwaltungsüberbau mitzufinanzieren, was durch den 10% Aufschlag auf die Kassenabrechnung nicht rausgeholt wird. Es sind auch schon MVZ pleitegegangen...
Gründe für MVZ gibt es viele: Krankenhausbetreiber können sich z.B. lukrative Fälle zur Einweisung sichern und umgekehrt wenig lukrative Dinge DRG-schonend als prä/poststationär in die Ambulanz verlagern. Manche Investoren versuchen auch eine Marktmacht aufzubauen, für den Tag, an dem das GKV-System in der jetzigen Form kollabiert sein wird. Dann gibt es auch politisch motivierte und dauerhaft subventionsbedürftige MVZ. Und manche Träger können auch einfach nicht rechnen, wie die von der AOK und TK quasi als Eigenbetrieb betriebenen MVZ, die tlw. krachend pleite gegangen sind, inkl. Verurteilungen wg. Abrechnungsbetrug.

John Silver
21.10.2019, 17:35
Warum betreiben Ketten wie Lidl oder DM mehrere Filialen in einer Stadt, ja sogar in einer Fußgängerzone? Offensichtlich um den vorhandenen Platz so weit es geht einzunehmen, um ihn nicht der Konkurrenz zu überlassen. Die MVZ-Betreiber kaufen so viele Sitze wie möglich, um zu verhindern, dass diese Sitze von anderen Kollegen besetzt werden, die wiederum eine Konkurrenz darstellen können. Auch wenn der Angestellte „nur“ seine Kosten reinholt, „kostet“ ein Konkurrent mehr.

tarumo
21.10.2019, 17:39
Auch wenn der Angestellte „nur“ seine Kosten reinholt, „kostet“ ein Konkurrent mehr.

das verstehe ich unter "Marktmacht". Wenn es keine Konkurrenz mehr gibt, dann kann man ja wieder ausdünnen

davo
21.10.2019, 17:47
Ein Unternehmen macht Dinge, die Gewinn bringen. Eigentlich logisch, oder? ;-)

tarumo
21.10.2019, 17:56
Ein Unternehmen macht Dinge, die Gewinn bringen. Eigentlich logisch, oder? ;-)

Ca. 30% der MVZ machen dauerhaft Verluste. Es gibt sie aber trotzdem noch- und es werden immer mehr. Vielleicht reden wir in 5 Jahren dann über 50%, die Verluste machen. Einnahmeseitig gibt es kaum Spielraum. Ein paar Erklärungen, warum sie trotzdem betrieben werden, habe ich oben gegeben.

ehem-user-31-01-2020-1555
21.10.2019, 18:00
Lidl, Aldi und Co. sind aber quasi in der wirklich freien Wirtschaft. Die unterliegen keinem Budget etc. und Konkurrenz durch andere Ketten gibt es trotzdem. Ich habe mich nur gefragt, warum eine Arzt z.B. drei angestellte Ärzte in seiner Praxis/MVZ hat, die zunächst erstmal,viel Investitiin erfordern. Es gibt MVZ ja nicht nur in den geräteintensiven Fachrichtungen (Radio, Nephro) sondern in jedem Fachgebiet.
Eine Praxis, die schlecht besucht ist, weil Patienten zum Konkurrenten gehen habe ich noch nicht gesehen. Wartezeit Derma z.T. über 6 Monate. Ich streite aber nicht ab, ob dass es das gibt. Jeder Angestellte erhöht das unternehmerische Risiko. Das würde ich nur eingehen, wenn einigermassen klar ist, dass ich als Inhaber deutlich mehr als meine angestellten Ärzte verdienen. Umd wenn das GKV-System und vorher evtl. das PKV-System zusammenbricht, wird es spannend, ob die Sitze dann noch etwas wert sind

tarumo
21.10.2019, 18:07
Umd wenn das GKV-System und vorher evtl. das PKV-System zusammenbricht, wird es spannend, ob die Sitze dann noch etwas wert sind

Die PKV wird mit vielen Milliarden Rückstellungen nicht zusammenbrechen, zumal ein erheblicher Teil der beteiligten Firmen auch anderweitig bisweilen sehr lukrativ im Geld/Versicherungsgeschäft tätig ist. Das Risiko liegt vielmehr in politisch motivierten Eingriffen von außen. Das Resultat wird hier- wie in vielen anderen Ländern zu besichtigen- so eine Art Schwarzmarkt für medizinische Dienstleistungen sein, gegen BAT, versteht sich.

ehem-user-31-01-2020-1555
21.10.2019, 18:40
BAT? Bundesangestelltentarif für Ärzte, die bei privaten Krankenkassen angestellt sind? Ob sicht da wohl Ärzte drauf einlassen...Im Moment sieht es doch eher danach aus, dass die GKV gestärkt und die PKV abgeschafft werden soll. Zumindest von rotgrüner Seite.

Docdoc84
21.10.2019, 18:53
Oke und wie kann man die ganzen Idioten eindemmen? Hab keine Lust für jemanden ohne Ahnung Geld zu erwirtschaften das ich nach altem System selbst in die Tasche stecken kann. Dass es immer auch ein Auffangbecken geben muss für Kollegen die entweder langsam sind oder einfach weniger arbeiten wollen oder angestellt sein bevorzugen finde ich ja ok wenn das dann zb 20 prozent ausmacht. Aber was sollen die klassischen ambitionierten Macher dann werden...alle Chef geht sich bekanntlich nicht aus ;)

Wieso lassen wir Ärzte uns das überhaupt gefallen dass man jetzt schon Investoren gewinn mit uns machen lässt? Problem ist nämlich wenn die mal wirklich alle Sitze haben kannst ja dann gar nicht mehr anders als für die arbeiten....und wer sagt dass die marktmacht dann nicht genutzt wird um löhne zu drücken?

Einzige Alternative...die qualität dieser massenambulanzen ist so miserabel dass leute gerne bereit sind in meine privatpraxis zu kommen ;)

ehem-user-31-01-2020-1555
21.10.2019, 19:29
Der große Übernahme Boom durch Konzerne ist ja schon langsam abgeflaut. Eine Fachrichtung ohne realistische Niederlassungsmöglichkeit würde ich nicht machen wollen. Denn es ist nunmal Realität, dass nur sehr wenige Chefarzt oder leitender Oberarzt werden. Wer also mehr verdienen will, muss den Weg in die Selbstständigkeit gehen. Vielen Umfragen zufolge ist der Chefarztposten übrigens bei der Generation Y gar nicht mehr so beliebt. Laaaaanger Weg, Vergütung im Vergleich zu früher deutlich zurückgegangen (z.T. fehlendes Liquidatiinsrecht) und man hat in der Klinik nicht mehr viel zu sagen und muss sich mit 30 jährigen BWL FH Geschäftsführern wird Schuljungen für Erlöse rechtfertigen. Wenn die Erlöse zu gering sind, wird man auch mal gegangen, die Geschäftsführer übrigens auch.

Christoph_A
22.10.2019, 09:53
Naja, MVZ ist nicht MVZ, ist ja hier durchaus bereits gut herausgearbeitet worden.
Es gibt da sehr viele verschiedene Player auf dem Markt, die ein MVZ aus unterschiedlichen Gründen bedienen. Kliniken haben MVZs als vorgelagerte Patientenbeschaffungsmöglichkeit und Entlastung für Notaufnahmen entdeckt, bedienen diese oft mit eigenen oder in mindestens indirekter Abhängigkeit stehenden Ärzten, die von einer Freiberuflichkeit weit entfernt sind. Klinikkonzerne haben sich entweder lukrative Felder gesichert (fragt mal, wie viele "unabhängige" Nephrologiepraxen es noch in D gibt) oder benutzen schlichtweg MVZs, die von vorn herein Minus machen sollen, als Abschreibungsobjekte für Ihre Cashcows (frag nach bei Asklepios).
Dazu gibts aber auch MVZ von Ärzten, die sich zur Verbesserung der Auslastung respektive der Möglichkeiten zusammenschließen. in meiner Fachrichtung (Kardiologie) werden die Einzelkämpfer sukzessive aussterben, was auch logisch ist, richtig Geld kann man nur mittels Herzkatheter/EPU Labor/ OP Betrieb verdienen, das schafft ein Einzelner weder von der finanziellen Seite noch von der Manpower. Wichtig ist nur, daß man sich von vorn herein die "Heuschrecken" von Klinikkonzernen vom hals hält. Geht relativ einfach, bei uns z.B. kann nur eine reale Person Gesellschafter werden, das schließt "feindliche" Übernahmen bereits von Anfang an aus.
Um auf die Eingangsfrage einzugehen, man muß das halt durchrechnen, aber für uns z.B. lohnen sich angestellte Fachärzte schon, sofern sie einen gewissen Durchsatz pro Quartal erzielen (cutoff ungefähr 1000 Scheine), zumal sie uns ja auch genug Patienten für Interventionen "liefern". Und durch die Stundendeckelung im niedergelassenen Bereich, kann man auch über Entlastungsassistenten wieder mehr Untersuchungen abrechnen, da die eigene Stundenzahl reduziert wird.

freak1
22.10.2019, 10:06
Die Politik möchte vorallem an die über 100 Mrd Rückstellungen der PKV um die Defizite der GKV auszugleichen. Gratis Familienversicherung die die Verwandschaft in der Türkei etc einschließt geht halt nicht ewig gut.

Da dass aber Enteignung ist wird es eh durch alle Instanzen und dann das BVerfG durchgeschleift werden.

Jukka666
22.10.2019, 14:30
Gratis Familienversicherung die die Verwandschaft in der Türkei etc einschließt geht halt nicht ewig gut.

Hast du belastbare Quellen für diese - pardon - spontan in meinen Augen anmutende fake news als Ursache für die Gesundheitssystemmisere?

Shizr
22.10.2019, 15:30
Es klingt wie fake news, es ist aber keine.

Zumindest ist, wie so oft, die Wahrheit etwas sperrig.


https://correctiv.org/faktencheck/artikel-faktencheck/2017/09/18/belasten-tuerkische-angehoerige-unsere-kassen

Evil
22.10.2019, 18:50
Dass das deutsche Gesundheitssystem dadurch entscheidend überlastet wird, sind selbstverständlich Fake news, lies mal den Link:

Kosten, die durch die Familienversicherung türkischer Mitbürger inklusive Rentnern 2016 verursacht wurden: 12,3 Mio Euro
Gesamtkosten der gesetztlichen Krankenversicherung (geschätzt) 165000 Mio Euro

Das macht dann 0,007% und ist damit ganz sicher eine der Hauptursachen der Misere im deutschen Gesundheitssystem...