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Evil
09.11.2023, 15:27
Mir ist tatsächlich nicht ganz klar, warum für das freiwillige und selbstbestimmte Beenden des Lebens ein Medikament erforderlich sein muss.

Die Realität sieht doch so aus, daß die Leuts zum Ende hin schlicht Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme einstellen. Bei guter (Mund-)Pflege und, falls nötig, ärztlicher Begleitung geht es dann im Regelfall in 1-2 Wochen friedlich zuende.
Meine persönliche Meinung ist, dass der Sterbeprozess halt auch seine Zeit brauchen darf. Und gewisse Hürden sind bei behandelbaren Erkrankungen wie schweren Depressionen schon auch sinnvoll.

Meiner Ansicht nach findet das Konzept des Sterbefastens ggf in Kombination mit Palliativsedierung viel zu wenig Beachtung.

Espressa
09.11.2023, 16:11
Mir ist tatsächlich nicht ganz klar, warum für das freiwillige und selbstbestimmte Beenden des Lebens ein Medikament erforderlich sein muss.

Die Realität sieht doch so aus, daß die Leuts zum Ende hin schlicht Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme einstellen. Bei guter (Mund-)Pflege und, falls nötig, ärztlicher Begleitung geht es dann im Regelfall in 1-2 Wochen friedlich zuende.
Meine persönliche Meinung ist, dass der Sterbeprozess halt auch seine Zeit brauchen darf. Und gewisse Hürden sind bei behandelbaren Erkrankungen wie schweren Depressionen schon auch sinnvoll.

Meiner Ansicht nach findet das Konzept des Sterbefastens ggf in Kombination mit Palliativsedierung viel zu wenig Beachtung.

Guter Punkt.
Es ist nur so, dass Betroffene wohl eben genau *nicht* diese Palliativpflege wollen; bzw. kein Fachpersonal hinzuziehen wollen. Da hat mal eine Hinterbliebene geschildert, ihr Vater (?) hätte sich menschenunwürdig qualvoll zu Tode fasten müssen, um eben sterben zu dürfen. Also anstatt eben kurz und schmerzlos eine Pille zu schlucken.

Ich denke aber auch, dass bei wirklich mit Gewissheit beschlossenem Lebensende ja durchaus Substanzen ins Spiel kommen können, die neben Rausch eh auch Hunger und Durst unterdrücken, und eine geeignete Ergänzung bei einem derartigen Vorhaben wären.

ProximaCentauri
09.11.2023, 23:57
So aus der Schweiz, wo zwar nicht aktive Sterbehilfe, aber wesentlich mehr Möglichkeiten bezüglich passiver, bzw. auch unterstützter Suizid möglich sind und auch angewendet werden.
Ich täte mich ehrlich gesagt schwer, wo zu arbeiten, wo diese Möglichkeiten nicht zumindest da wären. Für viele Patienten ist es eine riesige Erleichterung, zu wissen, dass sie die Möglichkeit hätten. Wir haben viele Patienten, die bei einer Sterbehilfeorganisation Mitglied sind - nur der kleinste Teil nutzt dies auch, der deutlich grössere Teil schätzt es, die Möglichkeit als "Versicherung" zu haben.

Ein enges Familienmitglied hat Sterbehilfe in Anspruch genommen - wenn das nicht möglich gewesen wäre (alt, Pankreas-CA mit massiven Schmerzen, auch aus anderen Gründen wie Sehkraft, Hören, Mobilität keine wünschenswerte Lebensqualität mehr für ihn) bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass er sich sonst suizidiert hätte. Für ihn kam eine Pflege, Krankenhaus/Hospizaufenthalt etc. schlicht nicht in Frage - er war 90 Jahre komplett selbstständig, und er hätte das schlicht auch nicht ausgehalten, mehr Unterstützung zu beanspruchen. So konnte die ganze Familie Abschied nehmen, und er konnte sicher und völlig selbstbestimmt in Anwesenheit der Familie sterben.

anignu
10.11.2023, 00:27
Es geht hier ja nicht darum, dass irgendjemand zu einer Pflicht herangezogen wird. Sondern darum, dass den Betroffenen der Wirkstoff vorenthalten wird.
Korrekt. Dieser eine Wirkstoff, der dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, wurde und wird den Betroffenen vorenthalten. Nach meinem Verständnis ging es nur um genau einen Wirkstoff.

Sieh es doch mal andersrum: würde man das freigeben könnte morgen jeder daherkommen und sagen "ich will diesen Wirkstoff jetzt kaufen weil ich mich vielleicht mal umbringen will." und wie willst du das dem dann verweigern?

So ist interessanterweise die Regelung in Österreich - nach den vorgeschriebenen Beratungsgesprächen bekommt man den Wirkstoff in der Apotheke, und dann kann man ihn einnehmen, wann und wo man will. Erstaunlich, dass eine so riskante Vorgehensweise erlaubt wurde.

Der Gesetzgeber ist immer wieder verblüffend. Egal in welchem Land.
Dasselbe Medikament?

crossie
12.11.2023, 09:46
Als ich von dem Urteil gehört habe war ich zunächst sehr enttäuscht. Gerade habe ich aber die Pressemitteilung dazu gelesen

https://www.bverwg.de/pm/2023/81

und muss sagen, dass ich die Begründung schon nachvollziehen kann. Das Gericht hat ja explizit nochmals das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben bekräftigt, aber m. E. tatsächlich nachvollziehbar auf zumutbare Alternativen verwiesen.

davo
12.11.2023, 15:54
Dasselbe Medikament?

Ja, es handelt sich um denselben Wirkstoff.

anignu
12.11.2023, 16:15
Ja, es handelt sich um denselben Wirkstoff.
Spannend.

Auf der anderen Seite muss man auch sagen dass es in D "Wirkstoffe" gibt die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, die in anderen Ländern mehr oder weniger frei erhältlich sind. Es gibt landesspezifisch Dinge die erlaubt sind und andere eben nicht. Manches davon kann man nachvollziehen, anderes nicht.

davo
12.11.2023, 16:23
Klar. Ist bei einem solchen Wirkstoff wahrscheinlich in jedem Land so.

Aber in diesem Fall wurde in Österreich eben ganz gezielt bestimmt, dass dieser Wirkstoff die sicherste und am wenigsten leidvolle Variante ist, und deshalb eine Abgabe von ebendiesem im Rahmen des Sterbeverfügungsgesetzes erlaubt.

crossie
15.12.2023, 18:27
Kurze Frage:
Ich habe in der Zeitung gerade einen Artikel entdeckt über einen meiner Einsätze als Notarzt. Darin behauptet der Patient (der sich zur Zeit des Einsatzes in Polizeigewahrsam befand), er habe nach einem Notarzt verlangt, die Polizei habe aber keinen Notarzt zu ihm gelassen. Diese Aussage ist offensichtlich gelogen. Darf ich das der Zeitung mitteilen? Also einfach, dass das gelogen ist, weil ich der betreffende Notarzt war. Natürlich ohne Nennung weiterer Details. Nur: ist gelogen, ich war als Notarzt anwesend.

Bille11
15.12.2023, 20:18
Lass es. Das ist das gedruckte Papier nicht wert… ;-)

Reflex
16.12.2023, 05:51
Kurze Frage:
Ich habe in der Zeitung gerade einen Artikel entdeckt über einen meiner Einsätze als Notarzt. Darin behauptet der Patient (der sich zur Zeit des Einsatzes in Polizeigewahrsam befand), er habe nach einem Notarzt verlangt, die Polizei habe aber keinen Notarzt zu ihm gelassen. Diese Aussage ist offensichtlich gelogen. Darf ich das der Zeitung mitteilen? Also einfach, dass das gelogen ist, weil ich der betreffende Notarzt war. Natürlich ohne Nennung weiterer Details. Nur: ist gelogen, ich war als Notarzt anwesend.

Es unterliegt schon alleine der Schweigepflicht, wer sich bei dir in Behandlung befindet/befand. Auch wenn man dein Unrechtsbewusstsein nachvollziehen kann, bist Du nicht die Instanz, die das klären sollte und muss.

Nefazodon
16.12.2023, 10:35
Vorallem bringt es auch nichts, da eine Aussage zu machen.
Der Patient wird weiter behaupten was er will. Und wer ihm glauben will, wird das tun....
Ist für die Zeitung auch ein viel besserer Aufmacher als zu sagen: es war alles in Ordnung.
Solange es keinen Prozess darum gibt, in dem den Polizisten irgendwelche Sanktionen drohen, würde ich mich da bedeckt halten.
Die Zeitung anzuschreiben, lohnt die Mühe nicht.

crossie
16.12.2023, 13:48
Danke für Eure Meinungen. Habe befürchtet, dass das alles unter die Schweigepflicht fällt. Es kollidiert eben komplett mit meinem Gerechtigkeitssinn. Die Polizei hatte mir damals die gesamte Geschichte erzählt, die völlig entgegen dem ist was jetzt in der Zeitung steht. Durch den Artikel wird die Polizei in ein völlig falsches Licht gerückt. Ich finde es erschreckend, wenn ich selbst mal mitbekomme, wie wenig glaubhaft Berichte aus der Zeitung offensichtlich sind. Und das ist eine regionale Tageszeitung, kein kostenloses Werbeblatt oder die Bild.

jijichu
17.12.2023, 10:16
Die Polizei hat eine Presseabteilung, welche bei Bedarf entsprechend reagiert. Schau doch mal im Presseportal, ob es von der Dienststelle nicht schon eine Pressemitteilung zu dem Vorfall gibt

Nefazodon
17.12.2023, 19:23
Gerade im Deutschen Ärzteblatt gelesen:


Rechtsreport: Approbationserteilung trotz Tötungsdelikt

Einem Arzt oder einer Ärztin kann trotz eines Tötungsdelikts unter bestimmten Umständen die Approbation erteilt werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Hannover entschieden.

Der Kläger hatte vor etwa 38 Jahren den Freund seiner damaligen Freundin erschossen und die Frau schwer verletzt. Hierfür wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mehrfach beantragte er danach die Approbation als Arzt, die ihm verweigert wurde. Dies sei nicht rechtmäßig, so das Gericht.

Nach § 2 Abs. 1 der BÄO bedarf derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes den ärztlichen Beruf ausüben will, der Approbation als Arzt oder Ärztin. Voraussetzung dafür sei unter anderem, dass sich der Antragsteller oder die Antragstellerin nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO). Eine solche Unwürdigkeit sei anzunehmen, wenn der Antragsteller oder die Antragstellerin durch sein oder ihr Verhalten das erforderliche Ansehen und Vertrauen, das zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderlich sei, nicht besitzt oder dieses nicht erreichen kann. Mit diesem Berufsbild lasse sich die vorsätzliche, gewaltsame Tötung eines Menschen in keiner Weise vereinbaren.

Die Straftat beziehungsweise die Verurteilung aus dem Jahre 1986 könne dem Kläger jedoch nicht mehr vorgehalten werden, da diese getilgt ist und gemäß § 51 Abs. 1 Bundeszentralregister (BZRG) nicht mehr verwertet werden darf. Die Approbationserteilung sei daher zu Unrecht versagt worden.

Nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG könne die frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG weiter berücksichtigt werden, wenn die betroffene Person (unter anderem) die Zulassung zu einem Beruf beantragt, für den die Zulassung, Einstellung oder Erteilung der Erlaubnis zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde. Es seien nur solche Gefahren zu berücksichtigen, die auch im Rahmen des Zulassungsverfahrens relevant wären, beziehungsweise deren Abwehr der Zulassungsvorbehalt gerade dient. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers zielt die Vorschrift auf Fälle, in denen zwischen der früheren Tat und dem erwarteten künftigen Verhalten des Betroffenen ein Zusammenhang besteht. Aus einer einmaligen Tat im privaten Umfeld könne nicht der Schluss gezogen werden, dass eine künftige ärztliche Tätigkeit hiervon beeinflusst würde.

VG Hannover, Urteil vom 21. Juni 2023, Az.: s5 A 5999/21 RAin Barbara Berner
Quelle: https://www.aerzteblatt.de/archiv/236036/Rechtsreport-Approbationserteilung-trotz-Toetungsdelikt

Also ich kann diese Urteil nicht nachvollziehen und es widerspricht total meinem Rechtsempfinden.
:-nix

Geht es noch jemandem so?

Feuerblick
17.12.2023, 19:31
Finde ich auch irritierend.

Nefazodon
17.12.2023, 19:59
Ja. Allerdings muss ich der Vollständigkeit halber nachschieben, dass in der ausführlichen Urteilsbegründung steht,dass der Kläger bereits das Rentenalter erreicht hat, und damit aller Wahrscheinlichkeit nach den Beruf niemals de fakto wird ausüben können. Einer der Gründe, warum das Gericht keine Gefährdung für die Allgemeinheit mehr angenommen hat. Das ging aus dem Text im Ärzteblatt so nicht hervor.

Und trotzdem halte ich die Entscheidung für fragwürdig.

Choranaptyxis
17.12.2023, 20:00
Hat halt einen Gescmack von es muss nur lang genug her sein, dann ist selbst ein Tötungsdelikt ok.

Jukka666
17.12.2023, 20:01
Ich lese gerade das Urteil, das liest sich haarsträubend....ich meine vor allem die Lebensgeschichte dieses Menschen...
Egal wie alt dieser (kranke?) Mensch nun ist, desto mehr stellt sich die Frage, warum das Gericht nun die Approbation erteilt. Man möchte nicht unbedingt Patient sein oder seinen Weg kreuzen...

Lesenswert!

https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/94082bc8-715f-4a2c-a499-6a7eba3a83f6

anignu
17.12.2023, 20:15
Recht ist schon oft komisch. Da gibt es "Recht haben" und "Recht bekommen", da gilt "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" und selbst wenn jemand (aktueller Fall aus der Presse) angeklagt wird wegen Verleumdung etc. und das dann sogar gesteht um im Rahmen eines Vergleichs dem Urteil zu entgehen, gilt dieser formal als "unschuldig" weil er zwar gestanden hat aber nicht verurteilt wurde...