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Aktive Benutzer in diesem Thema

  1. #1
    Platin Mitglied Avatar von Anditi
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    D'ehre alle miteinander!

    Das was hier folgt, ist nicht unbedingt ein Roman im Stile unseres allseits verehrten Doktor Dolor. Er ist auch nicht besonders witzig oder humorvoll.

    Trotzdem ist es ein Rettungsdienstroman. Ich möchte ihn hier scheibchenweise online stellen, um zu schauen, wie er unter Kollegen so ankommt.

    Nun denn, ich wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre



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  2. #2
    Platin Mitglied Avatar von Anditi
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    Prolog

    Das Ausfahrtssignal war soeben auf freie Fahrt umgesprungen und Christoph Summer schob den Geschwindigkeitsregler behutsam aufwärts. Es war ein lauer Sommerabend und wenn er seine Schicht in Kürze am Wiener Franz Josefs Bahn-hof beendet haben würde, würde er vielleicht noch einen Spaziergang mit seiner Frau unternehmen. Sie war schwanger, im dritten Monat. Als sie es ihm gesagt hatte, hatte Christoph Summer nicht sofort gewusst, was er davon halten sollte. Eigentlich hatte er vor gehabt, zunächst einmal genug Geld zu verdienen um sich ein Haus im Grünen leisten zu können, um endlich aus der alten Wohnung im zwanzigsten Bezirk ausziehen zukönnen. Daraus wurde jetzt natürlich nichts. Aber er freute sich darauf, Vater zu werden. Er erinnerte sich noch genau an den Tag vor drei Wochen, an dem seine Frau ihm die freudige Nachricht mitgeteilt hatte. Er hatte Frühdienst gehabt und war bereits um drei Uhr morgens aufgestanden. Sie hatte ausgesehen wie ein Engel, so wie sie da auf dem Bett lag, friedlich schlafend. Er hatte sie vorsichtig zugedeckt und war dann auf Zehen-spitzen aus dem Zimmer geschlichen. Als er kurz vor Mittag wieder nach hause zurück kam, war sie nicht da. Er hatte sich ein bisschen gewundert. Normalerwei-se hatte sie ihm immer einen Zettel an die Küchentür geklebt, wenn sie wusste, dass er vor ihr kommen würde. Doch die Küchentür war leer. Dann hatte er sich daran erinnert, dass sie am Vortag etwas von einem Arzttermin gesagt hatte. Er hatte sich einen von den Äpfeln genommen, die in der Küche gelegen hatten und gerade hineingebissen, als er hörte wie sie die Wohnungstüre öffnete. Ohne ein Wort zu sagen, war sie zu ihm in die Küche gegangen, hatte ihre Hände um sei-nen Halsgeschlungen und ihn angesehen.
    „Weißt du“, hatte sie gesagt, „weißt du, dass wir bald umbauen müssen?“
    Sein fragender Blick hatte sie offensichtlich amüsiert.
    „Wir brauchen nämlich ein Kinderzimmer.“ Dann hatte sie ihn geküsst.
    Die dreiteilige Schnellbahngarnitur der österreichischen Bundesbahn setzte sich langsam in Bewegung und Christoph Summer schob den Regler weiter in Rich-tung Höchstgeschwindigkeit. Seit mehreren Jahren fuhr er nun schon diese Stre-cke. Es gab kaum noch etwas, was ihn überraschen würde. So fand er immer wie-der Zeit dafür, das Treiben neben der Strecke zu beobachten. Heute waren auf dem Radweg, der die Bahnstrecke begleitete, besonders viele Jugendliche unter-wegs. Christoph Summer dachte daran, dass dieser Tag in Wien und Niederöster-reich den Beginn der Sommerferien markierte. Der Zug passierte das alte Strom-bauamt. Aus dem Innenhof des Gebäudes drang laute Musik und die bunten Lichtblitze zuckten durch die Dämmerung. Christoph Summer vermutete, dass dort heute wohl ein Clubbing stattfinden würde. Er war froh, dass sein Dienst nach dieser Fahrt zu Ende sein würde. Später, wenn sich die Gäste auf dem Heimweg befanden, wollte er nicht mehr fahren. Immer wieder kam es vor, dass einer der alkoholisierten Jugendlichen an der Bahnsteigkante das Gleichgewicht verlor und auf die Gleise fiel. Er hatte auch schon von Mutproben gehört bei de-nen die Jugendlichen möglichst knapp vor dem fahrenden Zug über die Gleise gesprungen waren. In den letzen beiden Jahren hatten sich zwar keine nennens-werten Unfälle auf diese Art ereignet, aber trotzdem war Christoph Summer diese Situation nicht geheuer. Immerhin war es einem seiner älteren Kollegen einmal passiert, dass er seine Garnitur nicht mehr rechtzeitig hatte bremsen können. Das Mädchen war damals in seinen Armen gestorben. Sie hatte mit einigen Freunden in einer Disco ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert. Auf Erlebnisse dieser Art konnte Christoph Summer gerne verzichten.
    Der Zug legte sich sanft in die Kurve und in der Ferne konnte er das erste Vor-signal des Abschnittes Kritzendorf erkennen. Es zeigte freie Fahrt an. Er passierte die Straßenbrücke, die die Gleise auf Höhe der Gemeindegrenze zwischen Grei-fenstein und Höflein überquerte. Auf der Brücke standen zwei Mädchen. Beide waren etwa fünfzehn Jahre alt und trugen kurze Röcke und hohe Schuhe. Ob sie geschminkt waren, konnte Christoph Summer von seinem Führerstand aus nicht erkennen. Eines der Mädchen, sie sie hatte ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, hielt etwas in der Hand. Wahrscheinlich war es ein Schminkspiegel. Gerade als Christoph Summer mit seinem Zug die Brücke passierte, betraten zwei weitere Jugendliche die Brücke.
    Christoph Summer dachte daran, dass er noch nicht wusste, ob er Vater eines Buben oder eines Mädchen werden würde. Seine Frau wollte es nicht wissen. Namen hatten sie noch keine gefunden. Wenn es nach Christoph Summer ging, dann würde seine Tochter Verena heißen. So wie seine kleine Schwester, die sie eines Morgens tot im Gitterbett gefunden hatten. Ja er wünschte sich eine Toch-ter. Natürlich, über einen Sohn würde er sich auch freuen, aber mit einer Tochter würde all das nachholen, was er mit seiner Schwester nicht hatte erleben können. Er hatte sich vorgenommen ein guter Vater zu sein. Zumindest ein besserer als seiner es für ihn gewesen war.
    Sein Vater hatte getrunken, solange Christoph Summer denken konnte. Nicht einmal war er sturzbetrunken nach Hause gekommen und auch nicht nur einmal hatte er dann seine Frau geschlagen, weil sie bereits schlief. Irgendwann hatte er seine Stelle als Lagerarbeiter verloren. Seine Alkoholsucht war immer schlimmer geworden. Manchmal blieb er tagelang fort. Zwei Tage vor Christoph Summers achtzehnten Geburtstag war ein Polizist vor der Wohnung gestanden. Sein Vater war betrunken in den Donaukanal gefallen und ertrunken. Damals hatte sich Christoph Summer vorgenommen, seinen Kindern ein besserer Vater zu sein. Jetzt hatte er Angst davor Vater zu werden. War es denn überhaupt möglich, alles richtig zu machen. Würde er seinem Kind, wenn es einmal fünfzehn war, erlau-ben, auch auf solche Veranstaltungen wie dieses Clubbing zu gehen? Was würde mehr wiegen. Der Wunsch seines Kindes, mit den Freunden auszugehen, cool zu sein. Oder doch die Angst davor, der Nachwuchs, könnte mit Drogen in Berüh-rung kommen, an Leute geraten, deren Bekanntschaft man im Normalfall besser nicht macht? Wäre er nicht ein besserer Vater, wenn er es verbieten würde? War es nicht die Aufgabe von Eltern, ihre Kinder vor den Gefahren, die in der Welt auf sie lauerten, zu beschützen? Würde er wirklich so ein guter Vater sein, wie er es sich wünschte?
    Christoph Summer griff zum Geschwindigkeitsregler um seine Fahrt zu verzö-gern. Bald würde er die Haltestelle Höflein an der Donau erreichen. Er sah auf die Uhr. Es war Freitag, der 28. Juni 2002. Es war kurz vor neun Uhr. Christoph Summer war pünktlich.

    1.
    Begonnen hatte alles an einem von diesen lauen Sommerabenden, die zum Hoch-sommer genauso dazu gehören, wie Sonnencreme und viel zu süßes, dafür schon fast flüssiges Eis aus dem Freibadkiosk. Der Tag war fast schon unerträglich schwül gewesen und obwohl sich die Sonne den ganzen Tag hinter einer dicken grauen Wolkendecke versteckt hatte, waren die Temperaturen hoch und die Luft-feuchtigkeit schweißtreibend gewesen. Jeder Handgriff wirkte wie Schwerstarbeit und eine eigenartige Trägheit hatte das ganze Land erfasst. Die Menschen hatten wie Schnecken in ihren Häusern vor der Hitze Schutz gesucht. Beneidenswert jene, die in den Genuss einer Klimaanlage kamen. Das erlösende Gewitter kam erst am späten Nachmittag. So gegen fünf Uhr machte sich zunächst fernes Don-nergrollen bemerkbar. Dann färbte sich die dunkle Wolkendecke noch dunkler, schon fast bläulich-violett. Blitze durchzuckten den späten Augustnachmittag und endlich zerschnitten die ersten zentimeterdicken Regentropfen die von der Schwüle fast greifbar gemachte Luft. Das Gewitter war heftig, aber kurz.
    Schon nach einer halben Stunde gaben die Wolken, getrieben von einer leichten Brise, die Sicht auf einen klaren Sommerabendhimmel frei, wie er blauer nicht hätte sein können. Lediglich die Kondensstreifen zweier Verkehrsflugzeuge in großer Höhe durchschnitten das blaue Firmament in dessen Mitte die Sonne als großer orange leuchtender Ball unterzugehen begann. Die Luft über den Wein-bergen und den Getreidefeldern fühlte sich leicht an und wirkte, als wäre sie von den Regentropfen gereinigt worden. Eine warme Brise kam auf und hielt die Luft in Bewegung. Man kam sich bei jedem Atemzug vor, als wäre man gerade frisch geboren worden.
    Dieser plötzliche Wetterumschwung war allen herzlich willkommen. Auch den Mitarbeitern der Mistelbacher Rettungswache. Sie hofften, auf einen ruhigen Abend, vor allem aber und das war wichtig, auf eine ruhige Nacht. Schließlich waren sie alle freiwillig im Dienst und mussten am nächsten Morgen wieder ih-rem Beruf nachgehen, als hätten sie die Nacht in ihrem eigenen Bett verbracht. Der Tag hatte, dem schwülen Wetter zum Trotz, keine Notfälle gebracht. Die Hitze hatte sich weniger auf den Kreislauf der Menschen, dafür umso mehr auf deren Köpfe ausgewirkt und so bildete eine Wirtshausschlägerei um ein nicht bezahltes Krügerl Bier den tragischkomischen Höhepunkt des Tages. Der Wech-sel zwischen Tag- und Nachtdienst konnte pünktlich vollzogen werden.
    Die Sanitäter machten es sich auf der Terrasse hinter der Dienststelle gemütlich. Man kannte sich seit Jahren. Vor bald fünfzehn Jahren hatten sie gemeinsam ih-ren ersten Erste- Hilfe Kurs besucht. Seit damals waren sie dabei. Im Einsatz verstanden sie einander blind und auch abseits des Rettungsdienstes hatten sich tiefe Freundschaften entwickelt. „Was meint ihr, kommt der Klosterneuburger heute?“, fragte Frederik Marz, der in dieser Nacht den Notarztwagen fuhr, in die Runde.
    Der „Klosterneuburger“ war der Fahrer eines Ambulanzwagens der Klosterneu-burger Dienststelle, der dreimal in der Woche zwei Dialysepatienten zur Behand-lung nach Mistelbach brachte und gelegentlich seine Zeit an der Mistelbacher Dienststelle totschlug.
    „Einen Kaffee, dass er heute nicht kommt!“, brummte Werner Ringelhöffner, der den Rettungswagen lenkte. Karl Salzer, sein Sanitäter, ein etwas jüngerer Mitar-beiter hielt genau wie Marz dagegen.
    Salzer und Heinz Knöchler, der Sanitär am Notarztwagen gingen in die Fahr-zeughalle. Die Rettungsfahrzeuge mussten zu Beginn der Schicht immer einem genauen Check unterzogen werden. Gab es doch kaum etwas Peinlicheres als bei einem Einsatz mit zu wenig oder defektem Material dazustehen.
    Kurz darauf stand Werner Ringelhöffner auf und brachte Marz wortlos eine Tasse Kaffee. Der Klosterneuburger war soeben eilig durch das Stiegenhaus in die Kü-che gekommen und hatte es sich auf der Bank vor dem Fernseher bequem ge-macht.
    „Ich werde mir jetzt bald eine neue Maschine kaufen. Eine Ducati Monster.“ Ringelhöffner begann, Marz von dem neuen Motorrad, das er sich bald kaufen wollte, zu erzählen. Marz trank langsam seinen Kaffee. Er hörte Ringelhöffner sehr halbherzig zu. Er tat sich schwer, seinem Kollegen bei, seiner Meinung nach, so unwichtigen Dinge zuzuhören. Es gab wichtigeres als Werners neues Motor-rad, fand er. Außerdem hatte er sich für diese Leidenschaft seines Kollegen ohne-hin nie erwärmen können. Schon aus ganz logischen Gründen nicht. War doch die Wahrscheinlichkeit, bei einem Motorradunfall getötet zu werden viel größer, als im Auto. Von der Raserei einmal ganz abgesehen, hatte man einfach keinen Schutz beim Aufprall. Frederik Marz hatte schon oft darüber nachgedacht, aber er wollte und konnte für diese Leidenschaft einfach kein Verständnis aufbringen.
    Knöchler und Salzer kehrten aus der Garage zurück. Beide Fahrzeuge waren voll-ständig und in gutem Zustand. Es sollte eine ruhige Schicht werden. Sie setzten sich wieder auf die Terrasse. Knöchler zündete sich eine Zigarette an. Normaler-weise hätte Ringelhöffner sofort demonstrativ zu husten begonnen, aber er war noch immer dabei, vom Motorradfahren zu schwärmen. Salzer unterbrach ihn.
    „Schon mal darüber nachgedacht, wo wir heute Essen?“
    Es war üblich, dass die Mannschaften gemeinsam zu Abend aßen. Meistens wur-de etwas bestellt, manchmal wurde aber auch gekocht. Und obwohl Heinz Knöchler, wenn er nicht gerade im Rettungswagen saß, Koch war, einigten sie sich, eine Bestellung bei der örtlichen Zustellpizzeria aufzugeben. Das ging schneller und ersparte vor allem den lästigen Abwasch im Anschluss. Karl Salzer erhob um telefonisch die Bestellung aufzugeben. Er war gerade aufgestanden, als die Notfallmelder beider Teams gleichzeitig zu heulen begannen. Knöchler nahm noch einen tiefen Zug, bevor er seine Zigarette im Aschenbecher ausdämpfte. Marz zuckte mit den Schultern. Mit dem ruhigen Abend war es vorbei.
    „Einsatz für NAW und RTW Mistelbach, schwerer Verkehrsunfall auf der B7 bei der Abfahrt Mistelbach, mehrere vermutlich schwer Verletzte. Ich wiederhole: Einsatz für NAW und RTW Mistelbach, Verkehrsunfall auf der B7 bei der Ab-fahrt Mistelbach.“ Die Stimme des Disponenten rauschte verzerrt aus den Not-fallmeldern.
    Die Blaulichter blitzten auf und unter dem Geheul der Sirenen verließen die Au-tos die Garage. Marz hielt noch kurz an der Kreuzung zum Krankenhaus um auf die Notärztin zu warten.
    „Leitstelle Mistelbach von NAW Mistelbach, kommen!“ funkte Marz.
    „Leistelle Mistelbach hört!“
    „Gibt es eine genauere Notfallbeschreibung?“
    „Ein tschechischer Skoda ist beim Überholen geschleudert und in einen Tanklas-ter geknallt. Angeblich war der Skoda voll besetzt. Was in dem Tanklaster war, hat mir der Anrufer nicht sagen können. Also passt besser auf!“
    „Na ganz toll! Die Feuerwehr ist alarmiert?“
    „Bin gerade dabei.“
    „NAW Mistelbach hat verstanden.“
    „Leiststelle Mistelbach, Ende!“ Der Disponent beendete das Gespräch. Nachdem er bei der Feuerwehrleitstelle Unterstützung angefordert hatte, dachte er einen Moment nach. Auf einem der Computerbildschirme konnte er sehen, wo die an-deren Rettungswägen der näheren Umgebung unterwegs waren. Alle Fahrzeuge waren im Einsatz. Er beschloss, einige Mitarbeiter zu alarmieren, damit sie auf der Dienststelle kommen und eine Bereitschaft bilden würden. Doch bevor er dazu kam die Alarmierungsroutine in Gang zu setzen, erreichte ihn der nächste Notruf.
    In einem kleinen Wald unterhalb der Pfarrkirche hatten spielende Kinder den leblosen Körper eines Mädchens entdeckt. Der Anrufer, war aufgebracht und sprach schnell. Seine Sprache war laut und hektisch, fast hysterisch. Er war der Vater eines der Kinder. Vermutlichen hatten ihm die Kinder den grausigen Fund gezeigt. Weder der Anrufer noch der Disponent getrauten sich, das Wort „Lei-che“ in den Mund zu nehmen.
    Das Telefonat war zu Ende. Der Disponent überlegte kurz. Immer noch waren alle Fahrzeuge im Einsatz. Und es war auch nicht absehbar, dass eines in den nächsten Minuten einsatzbereit sein würde. Jetzt war guter Rat teuer. Ines, die junge Kollegin, die die Jugendgruppenstunden hielt, bereitete sich im Lehrsaal vor. Sie konnte fahren. Aber mit wem? Der Disponent starrte aus dem Fenster. Sein Blick glitt über den Hof und blieb an den Fenstern des Mannschaftsraums hängen. Natürlich. Das war die Lösung. Er würde nachsehen. Einen Versuch war es wert, vielleicht war er ja da.

    EDIT am 28.07.2005 um 22:31
    Wenns euch gefällt, kommt die Fortsetzung...



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  3. #3
    Platin Mitglied Avatar von Anditi
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    Aus dem Augenwinkel musterte der Klosterneuburger die junge Sanitäterin, die neben ihm saß und trotz seiner ruppigen Fahrweise versuchte, ein Einsatzproto-koll ausfüllte. Sie war, so weit war er bei seinen Beobachtungen bereits gekom-men, um ein gutes Stück kleiner als er. Ungefähr einen Meter fünfundsechzig, vielleicht siebzig. Überhaupt hatte sie auf ihn einen zierlichen Eindruck gemacht. Viel Zeit, sich ein Urteil zu bilden hatte er nicht gehabt, als sie in die Garage gelaufen waren. Ihr blondes Haar trug sie offen. Es fiel gerade bis zu ihren Schul-tern. Wenn sie aufsah, blickte der Klosterneuburger in große schokoladenbraune Augen. Er raste an einer roten Ampel vorbei, ohne sich viel um den Verkehr zu kümmern. Die Sirene musste als Warnung reichen. Fast wäre der Rettungswagen in der Kurve umgekippt, so rasch war er um die Kurve gefahren. Die Sanitäterin gab das Schreiben auf. Unter anderen Umständen hätte er sie jetzt wahrscheinlich gleich in ein langes Gespräch verwickelt. Im Moment erschien es im allerdings ein wenig unpassend. „Servus, ich bin der Max.“ quetschte er zwischen den Zäh-nen heraus, während er die Friedhofsmauer entlang raste und mit quietschenden Reifen in den Fußweg zur Kirche einbog. „Ines“ Er registrierte ihre Antwort nur halb. Ein kleiner, korpulenter Mann kam ihnen aufgeregt winkend entgegen.
    „Da vorne muss es sein!“
    „Wir nehmen alles mit?“ Sie musterte ihn für einen kurzen Augenblick genauso interessiert, wie er es zuvor bei ihr getan hatte. Er war ungefähr einen Kopf grö-ßer als sie. Ein bisschen pummelig vielleicht, aber das konnte auch an der schlampig angezogenen Uniformjacke liegen. Seine dunkelgrünen Augen waren ihr schon aufgefallen, als er beim Wagen auf sie gewartet hatte. Sie hatte eine Schwäche für grüne Augen. Für kurze dunkle Haare auch. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Vielleicht später.
    Die Reifen zogen zwei tiefe Rillen in den Kiesweg als Max den Wagen vor der Kirche zum Stillstand brachte. Ines hatte sich bereits die Einweghandschuhe an-gezogen als sie aus dem Wagen sprang und mit dem Notfallkoffer dem Weg folg-te, den der Mann, der ihnen entgegen gelaufen war mit wilden Gesten wies. Max folgte ihr mit einigen Schritten Abstand.
    „Wurde auch Zeit, dass ihr Arschlöcher kommt!“, brüllte er Max an, als dieser an ihm vorbeilief. Max warf hastig einen Blick auf die Uhr. Rund drei Minute waren vergangen, seit der Leitstellendisponent an die Türe des Fernsehzimmers geklopft hatte und Max fragte, ob er denn für diesen Einsatz einspringen könne.
    Normalerweise hätte Max zurück gebrüllt. Aber nicht diesmal. Der Abend war kühler geworden und Max versuchte einen Moment lang, sich auf das vorzuberei-ten, was jetzt unweigerlich kommen würde.
    Dieses Bild wird Ines nie vergessen. Die dunkelrote Blutlacke. Der reglose Kör-per eines rund fünfzehnjährigen Mädchens liegt, der darin liegt. Die weit aufge-rissenen blitzblauen Augen wird sie noch nächtelang in ihren Träumen sehen. Das Loch in der Brust, vier Zentimeter oberhalb der linken Brustwarze und die Pistole in der rechten Hand lassen nur einen Schluss zu: Selbstmord.
    Für die Frage, warum ein junger Mensch dazu entscheidet, sich das Leben zu nehmen, ist jetzt keine Zeit. Nicht jetzt. Gefühle sind verboten. Wie ferngesteuert laufen die Maßnahmen zur Wiederbelebung ab. Ansprechen ist sinnlos, der Schmerzreiz führt zu keiner Reaktion. Das Mädchen ist nicht mehr bei Bewusst-sein. Mit dem Funkgerät verständigt Max den Leitstellendisponent über die Situa-tion. Die Atmung ist ausgefallen. Ein Notarzt muss her. Dringend. Der Disponent verspricht zu fragen, ob der Rettungshubschrauber aus Wien frei ist. Kreislauf-stillstand. Kein Puls mehr zu spüren. „Kein Schock empfohlen!“ sagt die mecha-nische Stimme aus dem Defibrilator. Mit beiden Händen fünfzehn Mal auf das Brustbein drücken, dann zweimal beatmen. Der Hubschrauber ist in Wien gestar-tet. Flugzeit zirka zehn Minuten. Wieder beatmen. Dazwischen jede Minute kon-trollieren ob der Kreislauf wieder eingesetzt hat, versuchen den Defibrilator ein-zusetzen. Wenigstens ein Flimmern, nur ein klitzekleines Flimmern. Zumindest eine kleine Chance. Dann könnten die Stromstöße des Defibrilators sie wieder zurück ins Leben bringen. Nichts, offensichtlich hat die Kugel das Herz genau getroffen. Die beiden Sanitäter sind verzweifelt, arbeiten wie in Trance. Aber sie wissen es beide. Dem Mädchen wieder Leben einzuhauchen ist unmöglich. Zu-mindest für sie. Dass er längst in einem Schlamm aus Blut und Erde kniet, be-merkt Max nicht einmal.
    In der Luft knattert es. Der Hubschrauber kreist zweimal über ihnen. Ines deutet nach oben. Max nickt. Der Wind wirbelt die Verpackung der Klebeelektroden durch die Luft. Der Pilot setzt zur Landung an. Die Rotoren schneiden noch durch die Luft, als der Notarzt schon aus der Maschine springt. Die Kraft lässt nach. Ines und Max kommt es vor, als würden sie bereits seit Stunden reanimieren. Ein kurzer Blick, der Arzt hat verstanden. Während der Pilot die Maschine abstellt, läuft sein Sanitäter mit Rucksäcken bepackt, auf sie zu. Er übernimmt die Reani-mation. Ein Polizeiwagen kommt mit laufender Sirene um die Kurve. Keiner bemerkt es. Zuerst ein Blick auf das EKG. Nichts. Jetzt nur nicht aufgeben. Viel-leicht gibt es noch eine Chance. Die Chance nicht vergeben. Der Notarzt verlangt ein Medikament. Dann noch eines. Immer noch drückt Ines den Beatmungsbeutel zusammen, in der Hand mit der sie die Maske auf das Gesicht drückt, hat sie ei-nen Krampf. Sie spürt die Schmerzen längst nicht mehr. Max keucht noch immer, während er ein weiteres Medikament in eine Spritze aufzieht. Wieder ein Blick auf den Monitor. Diesmal gibt der Arzt dem Sanitäter ein Zeichen: Aufhören, Nulllinie, Asystolie, Herzstillstand, nichts geht mehr. Die Medikamente haben nichts geholfen. Gemeinsam sammelt die Mannschaft des Hubschraubers ihre Ausrüstung ein. Keiner sagt ein Wort. Zurück bleibt der Notfallkoffer aus Max Auto. Der Arzt blickt Ines und Max an. Max schüttelt den Kopf. Die Crew zieht sich zum Helikopter zurück. Max betrachtet den leblosen Körper. Das blutge-tränkte Top der Kleinen war wohl hellblau und auch ihre dunkelblonden Haare sind jetzt blutgetränkt, besitzen nun eine dunkelrote Farbschattierung.
    Wie zwei Salzsäulen mussten die beiden auf die Polizisten, die inzwischen einge-troffen waren, wirken. Max reagierte erst, als ihn der Polizist m zum dritten Mal ansprach. Den zweiten Beamten, der gerade eine schwarze Plastikfolie über den toten Körper breitete, bemerkte er ebenso wenig wie die immer größer werdende Menge an Schaulustigen. Die Fragen des Polizisten beantwortete er monoton und geistesabwesend.
    „Name?“ Der Beamte blickte nur sehr kurz von seinem Notizblock auf, als er begann Max Fragen zu stellen. Anscheinend war er mit seinen Gedanken auch ganz woanders.
    „Max Partovec.“, Max antwortete so knapp wie möglich. Zum Reden war ihm jetzt gerade nicht zumute.
    „Geburtstag?“
    „28. April 1983.“
    „Beruf?“
    „Zivildiener.“
    „Wissen Sie, was hier passiert ist?“
    „Die Kleine hat sich erschossen!“, sagte Max etwas patzig. Er fühlte sich mies. Und dann diese dummen Fragen. War der Kerl etwa blind?
    „Haben Sie versucht die Tote wiederzubeleben?“
    „Natürlich.“ Er steckte die Hände in die Hosentasche und atmete tief durch. Na-türlich, er trug die Uniform nur zum Spaß und war zufällig vorbeigekommen.
    „Wie lange?“
    „Was weiß ich. Viertel Stunde, halbe Stunde. Eine Zeit lang halt, bis der Hub-schrauber gelandet ist. Für alles weitere fragen Sie bitte den Arzt.“ Er biss die Zähne zusammen. Wie konnte ein einzelner Mensch bloß so dumme Fragen stel-len?
    „Haben Sie hier irgendwas verändert?“
    „Sicher, wir haben reanimiert, du Arschloch.“ Mit der Selbstbeherrschung war es vorbei. Mit einem Mal bahnten sich die Enttäuschung und der Zorn ihren Weg. Max hatte die Beschimpfung nicht einmal bewusst gesagt. Doch der Uniformierte überging es nicht.
    „Wie bitte?“
    „Nichts.“
    In der Zwischenzeit hatte sich Ines in der offenen Schiebetür auf den Boden des Rettungswagens gesetzt. Ihren Kopf hatte sie an den Türrahmen gelegt und ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. Max drehte dem Gendarmen den Rücken zu und setzte sich neben sie. Dann zog er sie langsam zu sich heran und legte vor-sichtig seinen Arm um ihre Schulter. Ihr Körper bebte und sie wurde von Wein-krämpfen geschüttelt. Schüchtern strich ihr Max durch die Haare um sie zumin-dest etwas zu beruhigen. Allerdings war er sich nicht sicher, ob es etwas nutzte. Am Horizont begann die Sonne unterzugehen. In dem Gewirr aus all den Stim-men und Gerüchen kam es Max vor, als sei auch sie blutrot.
    Hinter sich hörte er, wie sich einer der Polizisten und der Pilot unterhielten. Der andere versuchte vergeblich, die Horde der Schaulustigen auseinander zutreiben. Es war kühler geworden. Die Sonne verschwand endgültig hinter dem Horizont und tauchte die ganze Szenerie in ein unheimliches Licht. Direkt am Horizont erschien der Himmel dunkelrot um in großer Höhe in ein helles Blau getaucht zu sein. Max, der in diesem Moment den Kopf hob, kam es vor, als würde er das eben Erlebte am Himmel noch einmal sehen. Das helle Blau des Tops auf dem das Blut dunkelrot geronnen war. Es dämmerte weiter. Bald würde sich der Man-tel der Dunkelheit über das Geschehene breiten. Auf den Mantel des Vergessens würden er und Ines wahrscheinlich vergebens warten. In der Ferne waren die Sirenen weiterer Polizeiwagen zu hören. Vermutlich die Spurensicherung. Der Pilot startete seine Maschine und nachdem der Sanitäter das OK gegeben hatte, zog er seine Maschine langsam in die Höhe. Dabei trug der immer stärker wer-dende Wind der Rotorblätter die schwarze Plastikfolie, mit der die Leiche des Mädchens zugedeckt worden war, davon. Max’ Blick streifte noch einmal das tote Kind. „Warum hast du dir und uns das angetan?“, dachte er und drückte die schluchzende Ines fester an sich. Da fiel sein Blick auf die linke Hand des Mäd-chens. Irgendetwas hielt sie fest. Und sie würde es nicht mehr hergeben. So viel stand fest.

    EDIT am 28.07.2005 um 22:31



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  4. #4
    Zaubertrank-Adsorber Avatar von RS-USER-Obelix
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    Wow, super spannend. Bitte weiterschreiben.



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  5. #5
    back in Vienna Avatar von RS-USER-schmoelzi
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    Hab aus Zeitmangel bis jetzt nur mal den Prolog gelesen.

    Muss aber sagen, nur weiter so!
    ZurNOTbin ichARZT

    CORDOBA! 3:2 statt nur dabei!



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