Back 2 Haldol:
Im Chirurgie-Tertial meines PJ hatten wir folgenden Fall:
Patientin Mitte/Ende 60, dialysepflichtig, lag bei uns im Z.n. radikaler Kolektomie + Ileostoma-Anlage bei totaler Kolon-Nekrose. Den Eingriff hat sie körperlich gut überstanden, war aber in der Nachfolgezeit über 2 Wochen in einem andauernden verwirrt-agitierten Zustand. Laut Fremdanamnese vom Ehemann sei sie schon vorher leicht verwirrt gewesen. Wir dachten an ein länger andauerndes Durchgangssyndrom und ordneten psychiatrischen Konsil an. Da hatte ich Zeit, mich mit dem konsiliarisch hinzugezogenen Psychiater zu unterhalten bzw. ihm vor dem Konsil eine Fallvorstellung (inkl. Fragestellung) zu machen. Auf Vorschlag des Psychiaters bekam die Patientin Haldol.
Nachdem er die Patientin gesehen hat (er nahm sich wirklich die Zeit dafür) erklärte mir der Psychiater (ein Hoch auf dem Kollegen, der sich soviel Zeit für die Fragen eines kleinen dummen PJlers nahm), daß unsere Einschätzung im Grunde genommen richtig gewesen ist und die ganze Symptomatik zum größten Teil somatisch (mit)bedingt ist. Dann ging es um die Psychodynamik des Zustandes, da meinte er, es ginge darum, daß die Patientin rein vom organischen Hirnstatus her nicht mehr die kognitiven Ressourcen hätte, ihren aktuellen Zustand zu bewältigen, von der rein psychischen Seite eines solchen Ereignisses ganz abgesehen. So erklärte er mir, daß der aktuelle Zustand der Patientin (grob wiedergegeben, leider erinnere ich mich nicht mehr an die exakten Worte) als eine Art "Kurzschluß im Gehirn" bei extremster Reizüberflutung von allen Seiten. Für mich klang das schlüssig - ein nicht mehr so junges und gewiß vorgeschädigtes Gehirn arbeitet auf vollen Touren und da bricht was auseinander, dennoch setzt es seine Arbeit fort.
Die Begründung für die Haldol-Medikaton lag auch darin (hier erinnere ich mich an dem exakten Wortlaut): "die Behandlungsmöglichkeit ist, diesen Zustand einfach 'herunterzubremsen' und damit der Patientin die Möglichkeit geben, alles zu ordnen". Was zumindest für mich nach wie vor schlüssig klingt. Wie oft hört man schon im normalen Alltag die Worte: "schalt' mal nen Gang runter" oder "eins nach dem anderen", wenn man auf einmal wild am Rotieren und von allen Seiten mit irgendwas konfrontiert wird. Zum Nachdenken an die Neuroleptika-Verteufler - diese Tips sind im Alltag sicherlich oft richtig und gutgemeint, aber wie oft ist es so, daß diese Worte nicht einmal bei "normalen" Menschen nicht immer wirken bzw. befolgt werden? Was für Möglichkeiten hat mann denn sonst, die Aktivitäten eines dementen Patienten zu bremsen?
Persönlich denke ich, daß man Neuroleptika bei dementen Patienten in keinster Weise als "Abschießen" verteufeln kann. Sicherlich tut man nicht immer (oder nicht nur) gutes damit, aber solange wir keine detailierten oder firsthand-Erfahrungen über die Vorgänge in ein dementes Gehirn erhalten, bin ich eher dafür als dagegen.