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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Überfordert mit zeitgleichen Notfällen



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ehem-user-31-01-2020-1555
18.01.2020, 05:49
Hallo zusammen, ich habe vor kurzem im Spiegel einen Erfahrungsbericht einer Ärztin im Bereitschaftsdienst gefunden. Ihr Name ist geändert und Sie berichtet wie folgt:

Eine Wespe hat den Mann in die Zunge gestochen, er bekommt keine Luft mehr. Kathrin Hansen* ist die einzige Ärztin auf Station. Sie muss blitzschnell entscheiden, wie der Patient behandelt werden soll. Hansen legt dem Mann einen venösen Zugang, gibt ihm Medikamente, lässt ihn beatmen. "Wenn in diesem Moment ein zweiter Patient in einer ähnlichen Notlage eingeliefert worden wäre, der hätte das nicht überlebt."

Ist es oft so, dass quasi zeitgleich wirkliche Notfälle in die Notaufnahme kommen und man als einzige Person dann entscheiden muss, wen ob man den einen Notfall weiterbehandelt, oder den genau so ernsten 2. Notfall behandelt? Im Extremfall kann ja der Diensthabende auch noch eilig auf die Intensivstation gerufen werden, die ja immer vorrang hat.
Muss man sich-bewusst etwas heftig formuliert-entscheiden, wem der 3 Patienten man das Leben rettet, und wer evtl. verstirbt?

Solche Situationen müssen doch der Horror schlechthin sein. Und als absoluter Anfänger, kann man doch leicht in so einer Situation überfordert sein. In der Uni wird man darauf ja eher weniger vorbereitet

Kackbratze
18.01.2020, 12:02
Es ist SpOn, es ist im realen Leben nicht so. Und man ist nicht alleine im Krankenhaus. Es gibt noch mehr Personal mit Fähigkeiten wie Zugang legen, Medikamente geben oder Reanimation.
Mach ein Praktikum in einer Notaufnahme, da lernst Du mehr als in einem Spiegelartikel.
Und die Entscheidung "wer lebt und wer stirbt"... ALTER. Schau weniger Hollywoodfilme.

WackenDoc
18.01.2020, 12:09
Spannend wird es erst, wenn man mehrere ACS zeitgleich in der Notaufnahme hat, ein EKG-Programm was nicht richtig funktioniert, EKGs mit so vielen Artefakten, dass man es nicht richtig auswerten kann, Pflegepersonal, was einem nicht den Rücken frei hält, dann noch ne Station die alle 2 min wegen irgendwelchem Bullsh** anruft.... Und dann der Hintergrund verweigert, reinzukommen.

freak1
18.01.2020, 12:16
Das würde ich dann aber namentlich mit Zeit und Zeugen so in der Akte notieren. Im Kunstfehlerprozess wird es dann sehr ungemütlich für den OA.

davo
18.01.2020, 12:16
Ich habe bisher naturgemäß erst sehr wenig Arbeitserfahrung als Arzt, aber trotzdem ein paar Anmerkungen:

Einen Zugang kann jede Pflegekraft legen. Auch wenn in Deutschland oft so getan wird, als wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. War bei uns an der Uni in der ZNA auch Standard.

Und die ZNA sollte normalerweise ohnehin separat besetzt sein.

Außerdem gibt es selbst in kleinen Krankenhäusern mehrere Ärzte. Man kann also immer einen Kollegen anrufen falls einmal eine außergewöhnliche Häufung von Notfällen auftritt.

Als Anfänger hat man in der ZNA (oder auch auf der Intensivstation) IMHO sowieso nichts zu suchen. Wenn das so ist, zeugt das IMHO von Organisationsversagen. Ich bin zur Zeit weder für die ZNA noch für die Intensivstationen zuständig, und das ist auch gut so.

Ich hab im Rahmen des Innere-PJ vier Dienste in der ZNA absolviert - da gab es keinen einzigen Notfall, der der im Artikel beschriebenen Situation geähnelt hätte. Geschweige denn zwei zur selben Zeit. Außerdem waren da immer mindestens zwei Ärzte in der Innere-ZNA, plus mindestens ein PJler. Und im Fall des Falles hat man halt die Kollegen um Hilfe gebeten - ist z.B. einmal passiert als ein Patient mit Magenruptur eingeliefert wurde und die Chirurgen alle im OP oder sonstwo waren. War auch kein Problem. Haben wir halt mal Anamnese gemacht, Zugänge gelegt, Labor abgenommen. Die STEMIs kamen dort direkt auf die CPU, d.h. mit denen hatte man sowieso nichts zu tun. Und alle zwei Minuten hat da zum Glück auch nie wer angerufen.

Auch in meinen ersten 2,5 Arbeitswochen als Arzt gab es noch nie einen Notfall im engeren Sinn auf der Station. Und falls man mal das Gefühl hat, mit der Situation nicht zurecht zu kommen, dann ruft mal halt wen anderen an.

In der Nacht kann das natürlich anders sein, und davor habe ich auch Respekt. Aber dadurch, dass ich einem sehr großen Haus arbeite, gibt es auch in der Nacht viele Kollegen im Haus, die im Fall des Falles bereit wären, zu helfen. Und das finde ich durchaus beruhigend.

Ein ZNA-Praktikum wäre wahrscheinlich wirklich nicht schlecht... die Realität ist meist deutlich weniger spektakulär als Spiegel Online ;-)

Fr.Pelz
18.01.2020, 12:21
Nein. Man hat schon öfter viel gleichzeitig zu tun, aber das allermeiste kann man priorisieren und wenn es wirklich um Leben und Tod geht, gibts immer noch andere Kollegen. Alle Ärzte und das Pflegepersonal können reanimieren, es gibt meist ein extra "Rea-Team", was innert 3 Minuten da ist, und bei einem MANV= Massenanfall von Verletzten gibt es koordinierte Algorithmen der Rettungsdienste.

Wenn ein Krankenhaus so strukturiert wäre, dass sich ein Arzt im Ernstfall entscheiden müsste, wem er das Leben rettet, sähe das Gesundheitssystem in D WIRKLICH schlecht aus.

freak1
18.01.2020, 12:27
Manchmal musst du schon priotisieren. 85 jähriger mit Basilaristhrombose seit 4h oder 25jährige mit embolischem M1-Verschluss seit 60min. Wen thrombektomierst du?

davo
18.01.2020, 12:33
Man kann halt nicht auf jede mögliche Situation vorbereitet sein. Das muss man glaub ich akzeptieren. Sonst müssten wir 15 Dienste pro Monat machen. Solange solche Situationen die Ausnahme bleiben, ist denke ich alles ok.

WackenDoc
18.01.2020, 12:39
"Alle Ärzte und das Pflegepersonal können reanimieren, es gibt meist ein extra "Rea-Team", was innert 3 Minuten da ist, und bei einem MANV= Massenanfall von Verletzten gibt es koordinierte Algorithmen der Rettungsdienste. "
Ähm- nein.

ekw77
18.01.2020, 13:00
Man ha immer OÄ, Pflege und vor allem im absoluten Notfall das Rea-Team vom Krankenhaus im Hintergrund. Ganz alleine ist man nicht. Auch in der ZNA. Du bist vielleicht der einzige Arzt aus deinem Bereich, aber in den meisten ZNAs hast du einen Mix aus Internisten, AVC und OUC. Wenn bei uns ein Schockraum gemeldet ist, wird die ZNA für die Dauer gesperrt und der Rettungsdienst fährt in der Zeit andere Klinken an.
Wenn du gerne solche Artikel liest, es gibt auch einen Beitrag im Stern der besagt, dass nur knapp 1% aller Fälle, die sich in der Notaufnahme ansammeln wirklich akut behandelt werden müssen...Solche Sachen wie "wer lebt wer stirbt" sind doch aber absolutes Grey's Anatomy Material. Was einem viel mehr tägliche Probleme bereitet ist schon von WackenDoc geschrieben worden. Mach am besten erstmal eine Famulatur in der ZNA, da kann man sich ein sehr viel besseres Bild davon machen als mit reißerischen Journalismus.

WackenDoc
18.01.2020, 13:06
"Wenn bei uns ein Schockraum gemeldet ist, wird die ZNA für die Dauer gesperrt und der Rettungsdienst fährt in der Zeit andere Klinken an. " Wo ist DAS denn? DA wo ich NEF fahre ist das völlig undenkbar. So viele Kliniken gibt es gar nciht, die man anfahren könnte und teilweise wird fein säuberlich nach Zuständigkeit sortiert.

Achso- die besagten ACS-Patienten sterben natürlich auch nicht sofort. Ist nur ein wenig doof, wenn du den einen STEMI dadrunter etwas spät findest.

ekw77
18.01.2020, 13:47
"Wenn bei uns ein Schockraum gemeldet ist, wird die ZNA für die Dauer gesperrt und der Rettungsdienst fährt in der Zeit andere Klinken an. " Wo ist DAS denn? DA wo ich NEF fahre ist das völlig undenkbar. So viele Kliniken gibt es gar nciht, die man anfahren könnte und teilweise wird fein säuberlich nach Zuständigkeit sortiert.

Großraum Stuttgart. "Sperrung" gilt für UCH Patienten, der Rest der ZNA läuft natürlich weiter.

WackenDoc
18.01.2020, 14:07
Achso- ne bei uns gäbe das höchstens eine Sperre für weitere Schockräume. Im Zweifel würde aber mit der Leitstelle abgesprochen, was am sinnvollsten ist.

ananassaft
18.01.2020, 14:35
Nein, das kommt nicht oft vor. Der bei weitem Großteil aller NotaufnahmepatientInnen sind kein Notfall.
Ich mach Gyn und hab mich am Anfang auch gegruselt, was wohl passiert, wenn mir mehrere CTGs gleichzeitig abschmieren und gleichzeitig noch ne rupturierte EU in der Notaufnahme sitzt. Ist mir aber in 3 Jahren mit durchschnittlich 9 24h-Diensten im Monat noch nicht passiert, dass ich ernsthaft die Entscheidung treffen musste wer/welcher Fetus lebt und wer stirbt. Natürlich muss man priorisieren und natürlich hat man ständig nicht genug Hände, aber im Notfall ruf ich eben den Oberarzt von zuhause rein und/oder die Hebamme entbindet alleine und/oder der Chirurgie-Assistent assistiert meinem Oberarzt die EU und/oder ich behandel die allergische Reaktion nicht selbst sondern ruf die Anästhesie und sprinte zurück in den Kreißsaal und renn dort dann von einer MBU zur anderen um Sectios zu vermeiden und damit festzustehen. Intensivstation ist bei uns z.B. ohnehin völlig separat besetzt durch zwei Ärzte, die mit Notaufnahme und OP nix zu tun haben.
Dass ich so moralisch schwere Entscheidungen über Leben und Tod treffen muss ist wirklich mein allergeringstes Problem im Dienst und ich hab genug Freunde jeglicher Fachrichtungen um zu wissen dass es da ähnlich ist.

Docdoc84
18.01.2020, 14:42
Kann mich nur anschließen...was für ein Quatsch....die meisten Pat sind keine Notfälle und wenn mehrere instabile gleichzeitig kommen wollen die meist nach Stabilisierung auch nicht gleichzeitig sterben.
Was hin und wieder vorkommt ist dass viel gleichzeitig kommt und man gefordert ist richtig zu priesorisieren was aber meist Spass macht wenn man am Ende dann alles geschafft hat was auf den ersten Moment unmöglich schien...dass man dabei einen wegsterben lassen muss passiert nicht....

1 Beispiel fällt mir z.B. ein....als in der Unterbesetzten Notaufnahme mit 15 Patient im Stand (alle stabil, keiner am sterben) 1 Schockraum angekündigt wird...mein Oberarzt und ich gehen rüber...der unerfahrene Kollege bleibt zurück (kein Problem...alle stabil nur Wartezeit wird mehr)...Wir reanimieren...bekommen Kreislauf...in dem Moment wird uns ein 2. nicht angekündigter Schockraum unter reanimation rein gerollt...dann hat halt der Oberarzt den neuen genommen und mich erst mal den 1. weiter versorgen lassen war aber quasi nur 1 Raum weiter...nachdem ich fertig war und wir nur noch auf Herzkatheter warten mussten...hab ich den Monitor so gedreht dass wir vom 2. Raum den 1. Pat sehen konnten und die Pflege gebeten daneben zu stehen und mich zu holen wenns was gibt...dann haben wir im 2. Raum zusammen weiter gemacht....keiner der nicht sowieso gestorben wäre ist gestorben...und es war zwar stressiger aber am Ende befriedigend auch das geschafft zu haben....mehr Stress war dann wie immer das nötige Intensivbett zu finden....

ehem-user-31-01-2020-1555
18.01.2020, 14:44
Spannend wird es erst, wenn man mehrere ACS zeitgleich in der Notaufnahme hat, ein EKG-Programm was nicht richtig funktioniert, EKGs mit so vielen Artefakten, dass man es nicht richtig auswerten kann, Pflegepersonal, was einem nicht den Rücken frei hält, dann noch ne Station die alle 2 min wegen irgendwelchem Bullsh** anruft.... Und dann der Hintergrund verweigert, reinzukommen.

Das „wen lasse ich leben bzw. sterben“ habe ich wie gesagt bewusst so überspitzt formuliert. Die zitierte Ärztin in dem Spiegel-Artikel hat sich aber quasi so ähnlich ausgedrückt. Der mögliche zweite Patient wäre ja wahrscheinlich verstorben.

Die oben von WackenDoc beschriebene Situation stelle ich mir extrem schwierig vor. Vor allem, wenn der Hintergrund nicht rein kommt. Laut der einschlägigen Presse kommen ja zuhauf Patienten zu schaden oder versterben sogar, weil wirklich gefährliche Situationen nicht oder zu spät erkannt werden. In der o.g. Situation wäre ich als Anfänger völlig überfordert. Vor allem wenn das EKG nicht richtig funktioniert und man ständig durch das Telefon gestört wird. Hier schreiben ja viele, dass sie quasi in den ersten Wochen Dienst inkl. Intensivstation maxhen müssen. Ist vielleicht nicht die Regel, aber es kommt vor. Da kann ein kleiner Anfängerfehler ernsthafte Konsequenzen für Patient und die eigene berufliche Karriere haben. Viele trauen sich ja anscheinend nicht, den Dienst zu verweigern.

WackenDoc
18.01.2020, 15:01
Nö- der zweite Patient wäre nicht gestorben. Mittel der Wahl, wenn es bei einer allerg. Reaktion pressiert, ist Adrenalin i.m. Das kann eine Schwester sowohl aufziehen als auch verabreichen. Beatmen ist jetzt nicht soo einfach und viele Pflegekräfte werden es nicht können. Aber dann werden sie es einfach versuchen müssen oder eben noch einen anderen Arzt oder sonstwen, der es kann, organisieren.

So schnell stirbt es sich dann meist doch nicht.
Ich komme aber auch noch aus einer Zeit, in der im Studium die Basics nicht besonders gut gelehrt wurden. Algorithmen waren noch nicht das Thema. Und meinen ACLS-Kurs habe ich erst viel später gemacht. Gut war das nicht. Ernsthaft zu Schaden gekommen ist aber meines Wissens nach keiner. Das beschriebene Beispiel war aber einer der Gründe, warum ich meinen letzten Dienst im Krankenhaus regelrecht gefeiert habe.
Und in beiden Kliniken war immer noch jemand für Intensiv zuständig.

Reflex
18.01.2020, 16:26
Manchmal musst du schon priotisieren. 85 jähriger mit Basilaristhrombose seit 4h oder 25jährige mit embolischem M1-Verschluss seit 60min. Wen thrombektomierst du?

In meiner Neurologiezeit ist das noch nie zeitgleich vorgekommen trotz das wir die einzige Neurologie in einer 260000 Einwohner Großstadt waren. Wäre auch doof gewesen, weil wir alle Thrombektomien in die drei ca 17km entfernten Neuroradiologien verlegen und begleiten mussten, weil die Bestellung des Intensivtransportes in der Regel zu lange brauchte und der Oberarzt dann rein kam und den Vordergrund übernommen oder den Transport begleitet hat. Das ging kurioserweise schneller.

WackenDoc
18.01.2020, 16:38
Selbst im Notarztdient hatte ich die Entscheidung noch nicht wirklich bzw. nicht so akut wie es im Artikel dargestellt wurde.

FirebirdUSA
18.01.2020, 21:42
In meiner Neurologiezeit ist das noch nie zeitgleich vorgekommen trotz das wir die einzige Neurologie in einer 260000 Einwohner Großstadt waren. Wäre auch doof gewesen, weil wir alle Thrombektomien in die drei ca 17km entfernten Neuroradiologien verlegen und begleiten mussten, weil die Bestellung des Intensivtransportes in der Regel zu lange brauchte und der Oberarzt dann rein kam und den Vordergrund übernommen oder den Transport begleitet hat. Das ging kurioserweise schneller.

Hab der letzt 3 M1 Verschlüsse fast parallel gehabt. Chef war zufällig da und hat die 2. Angio aufgemacht und der 3. ist halt schon intubiert worden während 1 fertig gemacht wurde. Extubation dann halt im Aufwachraum... aber alle Anästhesieteams waren bei uns. Geht alles....