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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gewerkschaften asozial?



Neujahrsrakete
16.01.2003, 00:07
Wie sieht es Eurer Meinung nach mit den Forderungen der Gewerkschaften aus?
Früher waren die Gewerkschaften sicherlich nötig, aber langsam scheint es mir so, als ob sie völlig weltfremde, egoistische und undurchdachte Forderungen stellen.
Mehr Lohn, weniger Arbeit, keine Entlassungen und gleichzeitig am liebsten keine Arbeitslosigkeit. Wie soll das gehen? Das kann ja nicht funktionieren.
Ein Verbot der Gewerkschaften wäre meiner Meinung nach zu überlegen.
Allerdings habe ich mich jetzt nicht lange mit der Geschichte und mit anderen Einzelheiten zu dem Thema beschäftigt. Dieses Gewerkschaftsverbot schwirrt mir einfach seit einigen Tagen im Kopf herum, und ich würde gerne ein paar Meinungen dazu hören.

die Neujahrsrakete

Froschkönig
16.01.2003, 00:40
Willst Du meinen Senf dazu ? Geht auch in aller Kürze !!!

Sie müssen auf jedenfall den ANSCHEIN erwecken, nötig zu sein, weil sich sonst die Funktionäre plötzlich ihre Luxusyachten nimmer leisten könnten und auf produktive Arbeit umschulen müssten !!! :-D

Sebastian1
16.01.2003, 00:52
Abgesehen davon (und das nur als Einzelargument, nicht als differenzierte Argumentation): Sie sind immer noch Lobbyisten. Die Interessen anderer nehmen diese "Anderen" schon ausreichend wahr, die Gewerkschaften kümmern sich um "Ihren" Kram. Extrembeispiel: Ein Waffenexporteur wird kaum Mitglied in einer Friedensbewegung sein....
Was im Übrigen nicht heißen soll, daß jegliche Aktion odr Äußerung von Gewerkschaften unter diesem gesichtspunkt unkritisch zu beurteilen ist....

Gruß,
Sebastian (passives ver.di-Mitglied)

hobbes
16.01.2003, 15:33
Ich stimme Froschkönig zu.

Die Gewerkschaften pochen heute nur auf den kurzfristigen Interessen oder besser Wünschen, die sie den Arbeitern andichten. Dabei haben sie jeden Realitätssinn verloren und sind von jeglichem Ansatz einer Gesamtschau weggekommen. Die Gewerkschaften ruinieren mit ihren Forderungen die Wirtschaft, Arbeitsplätze gehen verloren, Gewerkschaften werden noch aggressiver....Teufelskreis. Wie amerikanische Anwälte stellen sie die absurdesten Forderungen und nehmen den Ruin ihrer zum Erzfeind erklärten Arbeitgeber in Kauf.

Trotzdem, ein Verbot der Gewerkschaften ist falsch. Vielmehr müssten diese klar in die Schranken gewiesen werden, ihren Forderung nicht so leicht nachgegeben werden. Ich würde ein Streikverbot begrüssen.

Sebastian1
16.01.2003, 19:03
Original geschrieben von hobbes
Ich würde ein Streikverbot begrüssen. Meines Erachtens nach völlig indiskutabel. Allerdings geht meine Bildung in diesem Gebiet (Gewerkschaften, Arbeitsmarkt und Wirtschaft etc) nun wieder auch nicht so weit, als daß ich mich in diesem Thema als ultimativer Diskussionspartner erweisen könnte ;-)

Gruß,
Sebastian

Alles wird gut
16.01.2003, 19:55
Au ja, ein Streikverbot!
Dann noch ein wenig mehr die Demonstrationsrechte einschränken und dann muss unbedingt die Meinungsfreiheit neu überdacht werden... :-(

hobbes
16.01.2003, 22:52
Streik hat sich leider als schlechtes Druckmittel innerhalb der Sozialpartnerschaft entwickelt. Die Streiks werden zur Routineübung und verlieren dadurch an erstens an Wirkkraf und zweitens nimmt der Skrupel um zum Mittel des Streikes zu greifen stetig ab. Der volkswirtschaftliche Schaden, welcher durch Streiks erwirkt wird, ist immens. Dies nicht bloss in der direkten Schädigung, sondern auch dahingehend, dass ein Wirtschaftsstandort, wo gestreikt wird, unattraktiv wird. Der Schaden ist somit nachhaltig.
Zudem unterliegen Streikaktionen immer einer ausgeprägten Gruppendynamik, bzw. Gruppenzwanges. Längst nicht alle Streikenden streiken freiwillig.
Leider ist heute Streik nicht das letzte Mittel, sondern ein übliches Instrument der Gewerkschaften.

So sehr sich heute das Management von der Angestelltenschaft entfremdet, sosehr entfremden sich die Arbeiter vom Unternehmertum. Die Partnerschaft wird zur Feindschaft - zum Leidwesen aller.

Froschkönig
16.01.2003, 22:58
Original geschrieben von Alles wird gut
Au ja, ein Streikverbot!
Dann noch ein wenig mehr die Demonstrationsrechte einschränken und dann muss unbedingt die Meinungsfreiheit neu überdacht werden... :-(

Sorry AWG, aber das ist ja wohl pure Polemik :-?

Das Recht auf Streik ist meines Wissens nicht im Grundgesetz verankert :-???

luckyblue
16.01.2003, 23:51
Doch!

"Der Streik als Mittel des Arbeitskampfes wird durch das Grundgesetz gewährleistet. Art. 9 GG gewährleistet verfassungsrechtlich die sogenannte Tarifautonomie. Nach Art. 9 Abs. 3 GG ist die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum Teil den Tarifparteien übertragen. Das Grundgesetz geht hier von dem Gedanken der Sozialpartnerschaft aus. Der Staat überlässt die Regelung der Einzelarbeitsbedingungen den Tarifvertragsparteien, so dass er sich bei Arbeitskämpfen auch zurückzuhalten hat und lediglich Schlichtungen anbieten kann."

Quelle: hier (http://www.arbeitsrecht.de/newsletterarchiv/2002/newsletter58.htm)

cu
luckyblue

Froschkönig
17.01.2003, 00:16
Das zeigt mal wieder : Auch das GG ist nicht perfekt....
Außerdem ist dieser Paragraph nach meinem Verständnis eher ein freibrief für die Regierung, daß das nicht in Ihre zuständigkeit fällt. Im Wort "Tarifautonomie" kann ich jedenfalls nichtmal die zum Wort "Streik" gehörenden Buchstaben finden :-D

Dennoch besteht meiner Meinung nach ein unterschied zwischen den Rechten eines einzelnen (Meinungsfreiheit, etc.) und den rechten von Gruppierungen.

Ganz abgesehen davon hat sich für mich der Gewerkschaftsgedanke insofern erledigt, weil die ja nun wirklich jahr für jahr nichts anderes tun, als eine erneuerung der Tarifverträge mit xy% Lohnerhöhung anzustreben. JEDES JAHR WIEDER. Welcher "normale" angestellte bekommt jedes Jahr eine Lohnerhöhung ? Abgesehen davon ist das doch auf lange sicht nur Preistreiberei, die Arbeitgeber müssen schließlich die Mehrkosten irgendwie umlegen, und da JEDE Gewerkschaft in JEDEM Wirtschaftszweig so handelt, wird halt einfach immer alles teurer. Die Kaufkraft des Einkommens ändert sich unterm Strich also kaum.....

hobbes
18.01.2003, 17:26
Um meine Meinung kundzutun ist es mir völlig egal, ob das nun gesetzlich geregelt ist oder nicht.

DanielOliver
19.01.2003, 19:12
Wenn man sich solche Meinungen ansieht braucht man sich nicht zu wundern, das Ärzte sich jahrzentelang alle Arbeitsbedingungen haben gefallen lassen. Wer nicht bereit ist sich zu organisieren und für seine Interesen einzusstehen braucht sich nciht zu wundern wenn der Arbeitgeber auf eine höfliche Nachfrage nicht reagiert.

die deutsche Sozialpartnerschaft funktioniert im übrigen immer noch recht gut. Wann wird denn in Deutschland mal flächendeckend gestreikt?
Ist bei uns schonmal die Feuerwehr nicht gekommen (Großbritannien)? Oder schau dir mal an wie oft in Paris die Metro bestreikt wird.


Ganz abgesehen davon hat sich für mich der Gewerkschaftsgedanke insofern erledigt, weil die ja nun wirklich jahr für jahr nichts anderes tun, als eine erneuerung der Tarifverträge mit xy% Lohnerhöhung anzustreben. JEDES JAHR WIEDER. Welcher "normale" angestellte bekommt jedes Jahr eine Lohnerhöhung ?

Jeder "normale" angestellte der nach Tarif bezahlt wird. Das sind in Deutschland immer noch die große Mehrheit, zum Beispiel auch fast alle Krankenhausärzte. Wenn du später die Lohnerhöhung die die Gewerkschaft für dich erkämpft hat nich möchtest dann spende sie doch für einen guten Zweck, da wird dich keiner dran hindern.
Im übrigen geht das Tätigkeitsfeld der Gewerkschaften über den Tarifbereich weit hinaus (z.B. Rechtsschutz und Beratung, Betriebsratsarbeit, Bildungsarbeit)


Abgesehen davon ist das doch auf lange sicht nur Preistreiberei, die Arbeitgeber müssen schließlich die Mehrkosten irgendwie umlegen, und da JEDE Gewerkschaft in JEDEM Wirtschaftszweig so handelt, wird halt einfach immer alles teurer. Die Kaufkraft des Einkommens ändert sich unterm Strich also kaum.....

Die Lohnerhöhungen sind zum Teil Inflationsausgleich, zum Teil speisen sie sich aus der Produktivitätssteigerung. Eine mäßige Inflation ist im übrigen der "physiologische" Normalfall einer kapitalistischen Volkswirtschaft, sowohl hohe inflation als auch Deflation sind bedenklich.

Froschkönig
19.01.2003, 19:26
Im übrigen geht das Tätigkeitsfeld der Gewerkschaften über den Tarifbereich weit hinaus (z.B. Rechtsschutz und Beratung, Betriebsratsarbeit, Bildungsarbeit)

Solche nebentariflichen Leistungen bieten dir im übrigen zahllose andere existierende Berufsverbände....

Und das Argument mit den duldsamen Ärzten berücksichtigt mal wieder die Crux am ärztlichen Arbeitskampf nicht :
Ist ein Ärztestreik denn ethisch vertretbat ?

Alles wird gut
19.01.2003, 19:58
Original geschrieben von Froschkönig


Ist ein Ärztestreik denn ethisch vertretbat ?

Ist die Ausbeutung der ärztlichen Arbeitskraft es denn!??!
Ändern tut sich leider immer erst was, wenn's weh tut...

Froschkönig
19.01.2003, 20:05
Original geschrieben von Alles wird gut


Ist die Ausbeutung der ärztlichen Arbeitskraft es denn!??!
Ändern tut sich leider immer erst was, wenn's weh tut...

Da will ich Dir auch überhaupt nicht widersprechen :-notify

hobbes
19.01.2003, 23:28
Ist ein Ärztestreik denn ethisch vertretbat ?

@AWG: willst du denn ernsthaft einen solchen vorschlagen? Wäre das wirklich realistisch und wenn's ums Lebendige auch vertretbar?

Streik ist trotzdem in vielen Fällen kein gutes Mittel und sollte v.a. nicht das erste Mittel zur Durchsetzung von alljährlichen, stinknormalen Forderungen sein. Denn der durch Streik erzeugte Druck nimmt durch die häufige Anwendung dieses Mittels ab, verliert an Drohkraft und Wirksamkeit. Was tun die Arbeiter denn, wenn's wirklich mal nicht mehr geht? Die Fabrik sprengen?

frerehugi
21.01.2003, 13:04
Original geschrieben von hobbes


Streik ist trotzdem in vielen Fällen kein gutes Mittel und sollte v.a. nicht das erste Mittel zur Durchsetzung von alljährlichen, stinknormalen Forderungen sein. Denn der durch Streik erzeugte Druck nimmt durch die häufige Anwendung dieses Mittels ab, verliert an Drohkraft und Wirksamkeit. Was tun die Arbeiter denn, wenn's wirklich mal nicht mehr geht? Die Fabrik sprengen?

Tach erstmal!

1. Womit sollen die Arbeitnehmer denn sonst drohen, ausser mit Streiks?
2. Deutschland ist das Land in der EU, in dem am wenigsten gestreikt wird. Sowohl Streiktage als auch durchschnittliche Krankentage waren in den letzten Jahren nach meinen Infos sogar rückläufig. Also so schlimm kanns ja demnach noch nicht sein.
3. In Deutschland ist kein Inflationsausgleich gesetzlich festgeschrieben, sodaß die Gewerkschaften immer aufs Neue verhandeln müssen. Bei einer jährlichen Inflationsrate von sagen wir 1% muss bei einem erneuten Tarifvertragsabschluß schon minnimum eine 2 vors Komma, wenn er 2 Jahre laufen und zumindest die Inflation abdecken soll.
4. Deutschland hat wirklich eine vergleichsweise harmlose Streikkultur: da kommt es im Regelfall nicht zu Ausschreitungen, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Lehrer und andere Beamte "streiken" in ihrer Freizeit und es werden auch keine Handelswege o.ä. lahmgelegt (wie z.B. bei den in Frankreich beliebte Hafenblockaden).
5. Dieser jetzt laufende Tarifstreit wird mehr und mehr zu einer Entscheidung über die generelle Zukunft des "Tarifparteiensystems". Entweder beide einigen sich mal wieder (und das hieße in der Tat: endlich Angleichung der Ostlöhne, +3,x für die nächsten 24 Monate), oder es wird bundesweit zum ersten Mal zum Versuch kommen, das ganze "regional" (wie z.Zt. in Berlin) zu managen, (was aber meiner Meinung nach die Ost/West-Situation eher verschlechtern und auch die Bereitschaft zu "massiveren Arbeitskämpfen eher erhöhen würde...bleibt aber abzuwarten.) vlg, frerehugi

hobbes
21.01.2003, 20:37
Tach erstmal!

das hört sich jetzt so an, als hätte ich etwas verbotenes geschrieben. Sehr aggressiv.

frerehugi
21.01.2003, 21:09
;-) So aggressiv war das gar nicht gemeint...es ging mir nur darum herauszustellen, dass sich in Deutschland Arbeitnehmer und Arbeitgeber noch relativ zivilisiert verhalten, wenn es darum geht, ihre Interessen durchzusetzen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das tatsächlich auch so bleiben wird; aber bisher haben sich ja immer beide Seiten ein Bischen auf den anderen zubewegt, sodaß von keiner Seite die ultima ratio (längerfristige Aussperrungen über das Volumen der gewerkschaftlichen Streikkassen hinaus vs. komplette Blockade der Infrastruktur, der medizinischen Grundversorgung und der Polizei) auch nur angedeutet wurde. Ein richtiger Arbeitskampf bringt allen nur Nachteile, von daher hoffe ich, dass sie sich auch in Zunkunft einigen werden. Das heisst natürlich, dass beide in die Pflicht genommen sind, wobei meiner Meinung nach die eine Seite einfach versuchen sollte etwas weniger Kapital an der Börse zu vernichten, dann bleibt für alle mehr übrig. In diesem Sinne, "peacefully" frerehugi

Blackeneier
22.01.2003, 12:25
Meiner Meinung nach kann man die Gewerkschaften nicht einfach so verbieten, aber man sollte vielleicht ihre Macht doch etwas beschränken, da wirklich vieles was die so treiben absolut schädlich ist.
Selbst die Dinge, die man vielleicht als Vorteile sehen könnte (Kündigungsschutz), haben auch so ihre Nachteile. Aber was soll man machen, irgendwie läuft ja doch einiges schief in Deutschland zur Zeit. (Sehr qualifizierter Kommentar, ich weiß.)
:-dagegen :-dafür