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Simone_th
01.12.2006, 18:26
Da ich schon immer meinen Facharzt in Gynäkologie machen wollte (Aussicht auf Praxisübernahme meines Onkels), bin ich nach längeren Querelen in der Frauenklinik des Uniklinikums einer mitteldeutschen Stadt gelandet.

Die Arbeit macht mir eigentlich auch ziemlich Spass, aber Schwierigkeiten gibt es immer, wenn 2mal die Woche wieder eine Reihe von Interruptiones (mein Chef meinte, man sollte innerhalb der Klinik das Wort "Abtreibung" nie in den Mund nehmen) angesagt sind. Meistens handelt es sich dabei jeweils um eine "Reihe" von mehreren Abbrüchen an einem Vormittag, die Zahl schwankt ziemlich stark.

Ich bin mir früh bewusst geworden, dass die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen früher oder später einmal zu meiner Tätigkeit gehören wird, und stehe dem völlig wertneutral gegenüber. Konnte ich Anfangs bei den Abbrüchen assistieren, führe ich sie - jetzt noch unter Aufsicht - selbst durch.

Probleme gibt es aber:

1. bei den Patientinnen: Die Mehrzahl bekommt eine Vollnarkose (meiner Meinung nach überflüssig), ein Teil aber nur Lokalanästhesie. Vor allem bei letzterer Gruppe schmerzt es mich, dass ich die Patientinnen da nur kurz sehe. Gespräche führen andere Ärzte. Schwierigkeiten gibt es, dass manche mit Heulkrämpfen (ist natürlich nur eine Minderheit) reinkommen, ich keine Ahnung habe, wie ich damit Umgehen soll.
Kann jemand -evtl. aus längerer Praxis - einen Rat geben, wie man sich in solchen Situationen am besten verhält? Soll man versuchen, auf die Frauen einzugehen, oder - was mir mein Chef geraten hat - eher als neutraler "Ausführer" in Erscheinung treten?

schwerwiegender sind aber
2. Die Probleme mit dem Personal. Bis auf meinen Chef und mich sind in der Klinik keine Kollegen bereit, an Interruptiones mitzuwirken. D.h. natürlich wurden sie anfangs rangezogen, aber die versuchen sich immer da rauszukommen. Irgendwie heisst es automatisch, sind wieder diese Tage angesagt, muss ich Dienst leisten. Es wird auch schon getuschelt ich sei gefühllos...
Schwieriger sind aber unsere Schwestern. Im Prinzip gibt es dabei Versuche, bei diesen Angriffen nicht dabei zu sein. Eine hat formal ein Gesuch gestellt, nicht herangezogen zu werden, eine andere hat sich mündlich bereit erklärt, nur bei Abbrüchen vor der 9. SSW mitzuwirken. Und die, die dann schlussendlich mitwirken, machen dies sehr ungerne, besonders bei Abbrüchen zwischen der 11. und 14. SSW schweigen sie danach, betrachten bleich die abgesaugten Überreste, was den Arbeitsprozess verzögert und für eine unangenehme Atmosphäre sorgt -und in den Zigarettenpausen wird teils von ihnen getuschelt, "wie kann diese heute nur, sie ist doch im richtigen alter" und ähnliches.

Wurde jetzt lang: aber kann jemand aus eigener Erfahrung sagen, wie diesem Problem zu begegnen ist? Die Atmosphäre ist für uns Ärzte unangenehm, und mehr oder weniger bekommen es auch die Patientinnen mit....

actin
01.12.2006, 20:39
.....

eatpigsbarf
01.12.2006, 20:45
Was ich bisher mitbekomme in meiner Abteilung, kommen definitiv nicht extrem viele, um eine Abruptio als Verhütungsersatz zu nehmen (die kommen nachts im Dienst, um zum x. Mal die Pille danach zu bekommen - vorzugsweise nachts um 4h... und es ist doch erstaunlich, wie oft das "Kondom gerissen" ist...). Das sind tatsächlich meist medizinische Indikationen... Keine Ahnung ob das daran liegt, daß ich an einer Uniklinik tätig bin...

actin
01.12.2006, 20:52
......

eatpigsbarf
01.12.2006, 20:56
Ich auch, komplett!
Wobei ich bei meinen Kollegen auf Station noch nicht mitbekommen habe, daß sich einer weigert, die Einleitung durchzuführen. Ich musste es noch nicht machen, hatte allerdings auch irgendwie noch nie einen Dienst, wo grade eine Patientin eine Interuptio hatte. Ist somit wohl nur eine Frage der Zeit...

actin
01.12.2006, 21:00
.....................

Simone_th
01.12.2006, 21:24
Eine Interruptio ist für die Betroffene kein angenehmer Eingriff. Dass es (viele) Frauen gibt, welche Abtreibung als Verhütungsersatz betrachten, bezweifle ich...
Eine Frau, welche zum Abbruch kommt, hat es sich gut überlegt und die Beratung schon hinter sich. Ob sie selbstverschuldet schwanger geworden ist, spielt für mich keine Rolle (offtopic: meine, anstatt der Pille sollen eher Stäbchen und Spiralen propagiert werden). Und sie verdient es, respektvoll behandelt zu werden.

Ein anderes Thema sind natürlich medizinisch indizierte Abbrüche nach der 16. Woche.

actin
01.12.2006, 21:29
Und sie verdient es, respektvoll behandelt zu werden.
Respektvoll auf jeden Fall. Aber ein ungutes Gefühl darf man dabei trotzdem haben, finde ich.

Ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll, aber: Lieber eine Abtreibung, wenn die Frau keine andere Möglichkeit sieht, als später ein vernachlässigtes oder sogar misshandeltes Kind, weil die Mutter völlig überfordert ist.

Aber nochmal: Man müsste sich um diese Frauen viel mehr kümmern und ihnen Hilfe anbieten.

Simone_th
01.12.2006, 21:32
Natürlich darf man das seine Denken. An sich glaube ich eh, es ist besser, Abbrüche an Zentren, die daür spezialisiert sind (verbunden mit Beratung) durchzuführen, so dass man dort wirklich nur Mitarbeiter hat, die dem gegenüber wertfrei auftreten.

Simone_th
01.12.2006, 21:35
Was ich bisher mitbekomme in meiner Abteilung, kommen definitiv nicht extrem viele, um eine Abruptio als Verhütungsersatz zu nehmen (die kommen nachts im Dienst, um zum x. Mal die Pille danach zu bekommen - vorzugsweise nachts um 4h... und es ist doch erstaunlich, wie oft das "Kondom gerissen" ist...). Das sind tatsächlich meist medizinische Indikationen... Keine Ahnung ob das daran liegt, daß ich an einer Uniklinik tätig bin...

Kommt eben darauf an. In unserer Stadt (gut 100 000 Einwohner) gibt es neben dem Uniklinikum nur zwei Ärzte, die Abbrüche durchführen, während es anderswo darauf spezialisiere - zum Teil private - Institute gibt.

actin
01.12.2006, 21:38
Ich verurteile keine Frau, die keinen anderen Ausweg sieht. Ich weiß von einer Freundin, wie schwer so etwas sein kann. Das liegt jetzt über 30 Jahre zurück: Sie hatte in den ersten Wochen, als sie nicht wusste, dass sie schwanger ist, ein Medikament genommen, das als möglicherweise teratogen gilt. Sie wollte das Kind eigentlich haben, hatte aber Panik wegen möglicher Schäden und ist schließlich nach London in eine Spezialklinik geflogen. Das Erlebnis hat sie sehr lang nicht überwunden.

die chondropathia
01.12.2006, 21:57
Ich halte fachlich richtiges Handeln und das Einstehen dafür für ein Zeichen von Professionalität. Ergo ist es zu begrüßen, wenn man bei gegebener Indikation seine Arbeit lege artis konsequent verrichtet - die ethische Diskussion sollte vorher möglichst abgeschlossen sein.

Und dass Patientinnen den Eingriff nicht unbedingt begrüßen ist menschlich und nachvollziehbar. Eine geeignete Betreuung sollte hier selbstverständlich erfolgen - ggf. konsiliarisch, wenn man sich dem selbst nicht gewachsen fühlt.

Mit "Gefühlskälte" hat das alles nichts, gar nichts zu tun, da eine gewisse Geradlinigkeit gerade das ist, was den Arzt vom medizinischen Laien unterscheiden sollte - denn wenn Behandelter und Behandler gemeinsam die Last des Schicksals beweinen ist der Arzt seiner Rolle klar entrückt.

my 2 cents, DC

Simone_th
01.12.2006, 22:07
Natürlich. Ich sage mir auch immer, ich soll als die Ausführende handeln und mich auf das "Technische" des Eingriffes konzentrieren. Aber so einfach geht die Trennung auch nicht. Denn die Patientinnen - nicht alle, manche wollen Augen zu und durch - erwarten, dass man ihnen erklärt, wie der Eingriff läuft, was als nächstes kommt... selbst die Wortwahl ist dabei schwierig

die chondropathia
01.12.2006, 22:21
Aber ist es nicht gerade das, was die Reproduktionsmedizin so nett macht, diese Arbeit in einem ethischen Grenzbereich, die eben nicht nur das Umsetzen des technisch machbaren verlangt, sondern auch die ärztlichen soft skills fordert?

Als Urologe und reproduktionsmedizinisch Interessierter finde ich u.a. Patienten mit Hodentumoren so herausfordernd, weil es eben nur "auch" um die onkologische Problematik geht (Heilungschance ist ja nun einmal kumulativ 95%) - und zudem um Fragen der Familienplanung, wenn z.B. beide Hoden betroffen sind.

Und dass du mit diesen Patientinnen zu tun hast sollte dich anspornen, nicht nur ein fähiger somatischer Therapeut zu sein, sondern die Gesamtproblematik zu beherrschen. Helfen wird dir dabei kaum jmd, der über weniger Erfahrung verfügt als du... :-stud

Evil
01.12.2006, 22:21
Einfach ist das nicht.
Empathie ist ein entscheidendender Bestandteil des Arztberufes, und das sollte nicht zwar unbedingt das Handeln beeinflussen, aber sehr wohl sichtbar sein.

bei Interruptiones habe ich in unserer Frauenklink noch keine Narkosen gemacht (scheint hier auch eher selten zu sein), aber wenn man "nur" professionnell und kühl seine Arbeit macht, ist das meiner Ansicht nach zuwenig.
Man muß nicht großartig labern, aber man kann auch durch einen Blick schon Anteilnahme ausdrücken.

die chondropathia
01.12.2006, 22:31
Man muß nicht großartig labern, aber man kann auch durch einen Blick schon Anteilnahme ausdrücken.

100% Zustimmung. Ich würde das durchaus als unverzichtbaren Teil der guten ärztlichen Arbeit ansehen. Wir sind eben keine KFZ-Mechatroniker. :-top

Simone_th
01.12.2006, 22:31
Wobei es gerade im Fall von Abbrüchen noch komplizierter wird. Ich sehe das profesionell und empfinde beim Entfernen eines Fötus kein Gefühl dafür, jedoch kann die Frau, an der ich den Eingriff durchführe, stark belastet sein - etwa wenn sie an sich ein Kind wünscht, es aber auf Grund äusserer Umstände nicht bekommen kann.

die chondropathia
01.12.2006, 22:35
Das ist klar, dass man umso geringer tangiert ist, je weniger Bezugspunkte zum Patientenschicksal bestehen.
Das ist aber typisch für ärztliche Aufgaben allgemein, nur dass die Betroffenheit umso größer wird, je existenzieller die Probleme werden.

Simone_th
01.12.2006, 22:39
Typisch für ärztliche Aufgaben allgemein, aber in diesem Fall noch komplexer - denn eine interruptio vor der 16. Woche ist an sich kein schwerwiegender Eingriff, weder für den Arzt noch für den Körper der Patientin. Aber einige Patientinnen empfinden ihn für ihre Psyche als schwerwiegend.

die chondropathia
01.12.2006, 22:49
Wie ich sagte, es geht um den Menschen als Ganzes. So ist jede Krankheit psychosomatisch - mehr oder weniger. Entscheidend ist nur, das man selbst einen klaren Standpunkt hat - und den zu vertreten imstande ist. Denn nichts ist in diesem Kontext schlimmer, als der Verzweiflung der Patientin mit Unschlüssigkeit zu begegnen. Letztlich müssen viele Menschen mit life events fertig werden; einen aufklärenden Beitrag zur Selbsthilfe zu leisten ist insofern schon mehr, als viele andere leisten könnten.