Famulatur in Nigeria
Leben und Arbeiten in Zentralafrika
Lars Homagk
Als ich aus Nigeria wiederkam wurde ich von meinen Eltern, Freunden und Kommilitonen natürlich gleich gefragt. „Na Lars, wie war´s?“ und ich wusste auf diese Frage so schnell keine Antwort. Meine Zeit in Nigeria war freilich sehr schön und interessant, aber ich fühlte mich auch in den 6 Wochen wie in eine andere Welt versetzt und erlebte ständig ein Wechselbad der Gefühle.
Sehr schnell fällt einem auch auf, dass die sogenannten Deutschen Tugenden Ordnung, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit im Grunde hier kaum ausgebildet sind und somit viele kleine Sachen schnell zu großen Problemen werden. Außerdem sollte man seine Hoffnungen besser daheim lassen, die man vielleicht mit dem Spruch von Omas oder Tanten „Afrika ist sooo schön.“ verbindet. Was hier schön ist, wird für Touristen schön gemacht. Ich erlaube mir nach meinem dritten Afrikaaufenthalt zu sagen, dass sich diese Orte leider auch auf wenige Gebiete in Afrika beschränken, wie Nationalparks, Strände, Hotelanlagen und Touristenhochburgen auf Sansibar, in Südafrika oder Marokko. Doch hier in Nigeria gibt es praktisch keine Touristen und die Menschen legen auch nicht gerade viel Wert darauf, Nigeria touristenfreundlicher zu gestalten. Das Land ist größtenteils gefährlich, laut und dreckig und es erfordert von seinen Besuchern ein gehöriges Maß an Toleranz, Anpassungsvermögen und Gutmütigkeit.
Ich habe diese zugegebenermaßen etwas drastische Einleitung für meinen Famulaturbericht gewählt, damit sich jeder Kommilitonen, der mit dem Gedanken eine Famulatur im nicht Touristen - Afrika zu absolvieren, auch bewusst sein sollte, dass er speziell in Nigeria auf eine Mentalität trifft, die man sich vorher nicht hätte träumen lassen. Ich getraue mir das so zu schreiben, weil ich bereits im Vorfeld schon in Tansania und Äthiopien sowie in Nepal war, aber dort nicht auf solche unerwarteten Schwierigkeiten gestoßen bin, wie hier in Nigeria.
Land, Leute, Kultur, Politik und Wirtschaft
Nigeria ist insgesamt gesehen eines der reichsten Länder Afrikas und zudem der zweitgrößte Erdölexporteur des Kontinents. Leider ist dieses Geld nur in den Händen weniger Leute. So ist es verständlich, dass hier die Schere zwischen arm und reich besonders weit auseinander klafft. Das ist auch ein Grund dafür, dass es hier eine sehr hohe Kriminalitätsrate gibt und man sich in Lagos speziell nachts nicht auf der Straße bewegen sollte. Es gibt zwar auch sehr viele Soldaten oder Polizisten und Leute, die so aussehen, aber sie tragen alle ein Gewehr bei sich, so dass man sich auch in deren Gegenwart nicht unbedingt sicher gefühlt hat. Zu oft habe ich gesehen, wie die Gewehre zum schlagen oder schießen eingesetzt wurden. Das ist auch ein Punkt an den ich mich erst gewöhnen musste, denn die Nigerianer sind ausgesprochen emotional, so das eine kleine verbale Auseinandersetzung schnell in einem Handgemenge endet. Zudem muss man ständig Kontrollen durch Armee oder Polizei über sich ergehen lassen und kommt dabei nicht um ein „Trinkgeld“ herum. Beim Thema Geld sollte man auch ein gesundes Misstrauen bewahren, sonst ist es sehr schnell alle. Nigeria ist nicht unbedingt ein teures Land, aber Weiße werden dort grundsätzlich als Reiche angesehen, die für jeden Nigerianer mal ein paar Dollar übrig haben sollten. So wird zum einen ständig versucht das Vier- bis Fünffache des normalen Preises zu verlangen oder man muss immer wieder für Dienstleistungen oder Hilfen aller Art Geld bezahlen. Das führte dann zwangsweise dazu, dass ich bei jeder Bitte oder jedem Geschäft das Gefühl hatte übers Ohr gehauen worden zu sein. Außerdem habe ich zumindest in Lagos nur sehr wenig Herzlichkeit empfunden, was sich aber dann bei meiner zweiwöchigen Reise durch den Norden des Landes etwas geändert hat.
Sehr eigenartig ist auch das Verhältnis der Nigerianer zu Gott. Es gibt in Nigeria 45% Muslime (v.a. im Norden), 26% Protestanten, 12% Katholiken und 11% afrikanische Christen (v.a. im Süden), die allesamt einen sehr starken, tief verwurzelten Glauben haben und ihr gesamtes Leben als „von Gott gelenkt“ ansehen. Selbst im Krankenhaus und unter den Ärzten ist die Meinung vorherrschend, dass nicht sie, sondern Gott die Krankheiten heilt und wenn dies bei einem Patienten nicht gut funktioniert, war er eben kein guter Gläubiger – ärztliche Fehler sind somit ausgeschlossen.Emotionen und Co.
Genauso emotional, wie die Menschen auf der Straße sind, geht es auch in den Kirchen zu, wo viele in richtige Extase beim Beten geratenNigeria, mit der Hauptstadt Abuja, hat eine Fläche von 910 770 km² und es gab nach der Volkszählung 1991 88 514 501 Nigerianer mit insgesamt 434 Ethnien: 21% Hausa-Fulani im Norden, 18% Ibo, 6% Ibibio, usw. im Südosten, 21% Yoruba, im Südwesten sowie Nomaden (Fulani). In dieser Mischung verschiedenster Religionen und Stammesgeschichten liegt auch Nigerias größtes Problem, so dass es kaum Einigkeit, Vertrauen und Frieden gibt und des öfteren kleinere Streiterein schnell eskalieren. Aufgrund dieser immer wieder aufflammenden Stammesfehden gibt es im Land cirka 5000–50000 Binnenflüchtlinge.Die Amtssprache ist Englisch, was die Kommunikation sehr einfach macht. Allerdings werden insbesondere im Norden die Stammessprache Hausa gesprochen.Die Bevölkerungsdichte ist mit 132 Menschen/ km² für Afrika sehr hoch, so dass inzwischen jeder 5. Afrikaner ein Nigerianer ist. Dieser Umstand bringt ebenfalls viele Probleme mit sich und auch der Anteil der Menschen unter der Armutsgrenze beträgt rund 70%. Negativ trägt dazu auch die Analphabetenrate der Erwachsenen von 38,90 % bei.
Die Staatsform in Nigeria ist eine Präsidiale Bundesrepublik mit einem Repräsentantenhaus und zur Zeit 4 mitregierenden Parteien. Nigeria erlangte als ehemalige britische Kolonie 1960 die Unabhängigkeit und besteht seit dem aus 36 Bundesstaaten mit dem Regierungschef Olusegun Obasanjo, seit dem 29.5.1999.Die wirtschaftliche Lage Nigerias ist desolat und wird bestimmt durch ein geringes Wirtschaftswachstum, Monostruktur (Öl und Gas), geringe ausländische Direktinvestitionen, mangelnde Infrastruktur, hohe Arbeitslosigkeit (geschätzt auf 50 %), ein Pro-Kopf-Einkommen unter 300 USD p.a. (75 % der Bevölkerung leben von weniger als 1 USD/Tag) und die ausufernde Korruption. Die Wirtschaftsstruktur befindet sich jedoch im Umbruch. Ein umfangreiches Privatisierungsprogramm kommt allerdings nur schleppend voran und sozialstaatliche Elemente werden nur zögerlich eingeführt bzw. wiederbelebt.Wirtschaftlich hängt Nigeria an seinen Reserven an Erdöl, deren Erträge jedoch jährlich sinken. Wichtigste Wirtschaftszweige sind der Öl- und Gassektor trägt mit ca. 10,4 % Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, der Agrarsektor 36,4 %, der Handel 11,6 %.Dagegen gibt es hier kaum Touristenreiseverkehr. Es verlaufen sich gerade einmal 800000 Urlauber hierher, wogegen rund 8 Millionen nach Südafrika reisen. Studenten haben zwar eine fast kostenfreie Ausbildung bis zum Studienabschluss, aber ein Grossteil der intellektuellen Elite des Landes geht danach ins Ausland kommt selten wieder zurück. Ich hatte jedoch das Glück zwei Ärzte kennengelernt zu haben, die beide ihr Studium und die Facharztausbildung in Deutschland absolvierten.
Arbeiten und zwischendurch
Zwar hatte ich die Famulatur über den DFA organisiert, doch ist das nigerianische Pendant dazu nicht so gut organisiert, wie in Deutschland. Zudem war die Universität gerade bestreikt, was ungefähr alle zwei Monate passiert und so gab es keine Patienten. Meine erste Woche ging somit mit Organisations- und Erkundungstouren los, um hier wenigstens ein bisschen ärztlich tätig werden zu können. Durch diese Zeit habe ich auch schnell gemerkt, wie man in Nigeria zu etwas kommen kann – nämlich nur, wenn man die richtigen Leute kennt. Zum Glück war einer der Ärzte an der Uni Professor für Gynäkologie, wodurch ich es in der Universität relativ einfach hatte, die nötigen Unterschriften und Anschreiben für meine Tätigkeit in einem anderen Krankenhaus zu bekommen. Trotzdem brauchte es eine ganze Woche, um durch alle Instanzen hindurch die nötigen Briefe und Unterzeichnungen für ein Praktikum zu erlangen. Die Mühe hat sich aber gelohnt, denn endlich durfte ich den weißen Kittel neben dem in der Universität üblichen Outfit: Krawatte und Hemd tragen.
Die erste Woche habe ich mich für die Notaufnahme eintragen lassen, die am General Hospital, Lagos Ikeja unterteilt ist in internistische mit den „nicht ganz so schlimmen Sachen“ sowie Emergency & Accidents, wo alles Akute aufgenommen wurde. Die hier eingelieferten Patienten wurden meistens mit der Ambulanz angefahren und bei schwereren Unfällen waren dies schon mal vier Patienten pro Auto.
Impressionen aus einem einzigartigen Land
Im Süden erstreckt sich nach dem Strand zum Atlantik ein fast unendlicher Regenwald, der dann gen Norden in Feucht-, Trockensavanne und Wüste übergeht. Eine Fahrt durchs Land in Public Cars ist somit landschaftlich reizvoll und vor allem lernt man das Völkchen der Nigerianer so richtig gut kennen, denn man ist allein unter den Schwarzen.