Und? Hast du schon Leichen gesehen?
Ein Erfahrungsbericht aus dem Präparierkurs
Jan Hirche
Durch die Fixation verändert sich natürlich die Konsistenz und Farbe der Haut und der Muskeln. Alles erscheint recht farblos und grau. Nach der genauen Protokollierung der Leichendaten, also Alter, Geschlecht, Auffälligkeiten usw. beginnt nun die Präparation. Meist sucht man sich einen Abschnitt der Leiche aus, den man im Laufe des Kurses beibehält und immer besonders detailliert beherrschen sollte.
In den folgenden Kursstunden wird man erst die Haut, dann die Fascien, schließlich die Muskeln, Gefäße und Nerven freipräparieren. Oftmals ist dies eine ganz schöne Feinarbeit, und es wird euch auch nicht immer gelingen, alles zu finden. Während all dieser Stufen werdet ihr euren Kommilitonen viel über euer Gebiet erzählen und zeigen müssen, was ohne eine entsprechende Vorbereitung nicht möglich ist. Wenn alle wichtigen Muskeln und Nerven gefunden und besprochen wurden, wird im nächsten Schritt der Kopf abpräpariert und durchtrennt, sodass man auch innere Strukturen wie Nasen- und Rachenraum besprechen kann. Das Gehirn wird entnommen und die Hirnhäute sowie Blutgefäße dargestellt.
Nach der Durchtrennung des Schlüsselbeins wird der Thorax eröffnet und der Blick auf Lunge und Herz freigegeben. Diese werden herausgeschnitten und präpariert, sodass man Bronchien, Blutgefäße und Nerven sehen kann. Gleichzeitig wird auch die Aorta freigelegt.
Nach der Eröffnung des Bauchraumes (Abdomen) werden auch hier die Organe freipräpariert. Man schaut sich Leber, Milz, Nieren, Magen, Dünn- und Dickdarm an, stellt Gefäße und Nerven dar. Ist der obere Bauchraum (sog. Peritoneal- und Retro-Peritonealraum) abgearbeitet, wird der Sub-Peritonealraum geöffnet. Damit ist der Raum im Bereich der Blase und Genitalorgane, also z.B. Gebärmutter (w) oder Prostata (m), freigelegt. Auch die äußeren Genitalorgane werden präpariert. Zur besseren Betrachtung kann das Becken medial, also in der Mitte von vorne nach hinten durchtrennt werden.
Schließlich hat man alle Bereiche des Körpers gesehen und auch gelernt. Man bekommt seinen Präpschein natürlich nicht ohne Prüfungen. Im Laufe der Präparation werden die entsprechenden Bereiche in mehreren Testaten abgefragt. Je nach Uni variiert die Zahl und die Kombination der Prüfungen.
In Gießen muss man Testate in den Bereichen Bewegungsapparat (Skelett und Bänder), Muskeln, Kopf/Hals, Situs/Retrositus (Organe) und ZNS (Hirn und Rückenmark, im Semester vor oder nach dem Präpkurs) bestehen. An anderen Unis werden es die selben Themengebiete sein. Auch die Bestehensregelung mag zwischen den Unis variieren. In Gießen darf man eine Prüfung wiederholen, besteht man zwei oder mehrere Testate nicht, muss man in ein sog. Rigorosum. Hier wird man in einer Prüfung zu allen Themen gefragt, was natürlich unheimlich umfangreich ist. Die Prüfungen dauern zwischen 15 und 30 Minuten und werden mit „bestanden“ oder „nicht bestanden“ gewertet.
Hat man aber alle Prüfungen bestanden und war regelmäßig im Kurs anwesend, dann darf man den wohl aufwendigsten Schein der Vorklinik in Empfang nehmen.
Ist dies das Ende?
Sämtliche Gewebsteile und Organe, die man während des Kurses entnimmt, werden in separaten Eimern gesammelt, sodass diese zusammen mit der Leiche verbrannt werden können. Zu Beginn des darauffolgenden Semesters findet eine Beerdigung statt. An ihr nehmen auch Verwandte und Freunde der Körperspender teil. Die Namen, die während des Kurses nicht bekannt gegeben werden, erinnern als Inschrift auf der Gedenktafel daran, dass diese Menschen durch ihre Spende uns Studenten eine äußerst intensive Erfahrung und Einsicht gegeben haben, der man mit Respekt und Ehre begegnen soll. All denen, die vielleicht Angst vor diesem Teil der medizinischen Ausbildung haben, sei gesagt, dass man sich recht schnell an die neue Situation gewöhnt und die Furcht sehr schnell ablegt – vielleicht auch ablegen muss. Offene Gespräche unter Kommilitonen sind sehr hilfreich. Und umgekippt ist bei uns keiner... .
Geschrieben von Jan Hirche, Medizinstudent an der Universität Gießen