Der nachfolgende Auszug stammt aus dem Buch "Promotion" (Weiss, Bauer), das im Thieme-Verlag erschienen ist (ISBN: 9783131272133). Das Buch bietet auf über 200 Seiten zu allen Aspekten der Doktorarbeit ausführliche, praxisnahe und profunde Informationen. Ausführliche Musterseiten und zusätzliche Angaben sind
hier einsehbar und stehen zum kostenlosen Download zur Verfügung.
In diesem Abschnittwerden die Arbeitstypen klassifiziert, und zwar hauptsächlich bezüglich des Umfelds, in dem die Arbeit erstellt wird. Dies ermöglicht Ihnen eine erste, grobe Orientierung innerhalb der Themenvielfalt.
Beliebt: klinisch-retrospektive Arbeiten
Eine retrospektive Studie als Basis für eine Doktorarbeit ist außerordentlich beliebt, und zwar aus folgendem Grund: Die Daten, die auszuwerten sind, sind meist bereits dokumentiert (z. B. in Krankenakten). Man braucht nicht auf das Eintreten von Ereignissen zu warten, was bei prospektiven Studien monate- oder gar jahrelang dauern kann. Da einwesentlicher Teil dieser Arbeiten aus statistischer Analyse besteht, werden sie hin und wieder auch als „statistische Arbeiten“ bezeichnet. Diese Bezeichnung finden wir allerdings etwas unpassend, da bei klinischprospektiven oder experimentellen Arbeiten ebenfalls eine statistische Datenanalyse erforderlich ist.
Der Vorteil bei retrospektiven Studien besteht darin, dass sie relativ zügig durchgeführt werden können (wobei jedoch auch hier eine Bearbeitungszeit von zwei Jahren als normal gilt). Nachteilig ist allerdings, dass man als Doktorand so gut wie keinen Einfluss auf die Art, die Qualität und die Vollständigkeit der Daten hat. So passiert es hin und wieder, dass ein Doktorand mit einer Unmenge von schlampig geführten Patientenakten überhäuft wird und dann immense Schwierigkeiten bei deren Auswertung hat.
Ein weiterer Vorteil ist, dass man sich seine Zeit weitgehend selbst einteilen und viel zu Hause erledigen kann. Die Arbeit in der Klinik oder dem Institut beschränkt sich hauptsächlich darauf, relevante Daten zu sammeln. Es ist nicht notwendig, zu bestimmten Zeiten bei Patienten oder im Labor zu erscheinen.
Retrospektive Studien eignen sich für Doktoranden, die weniger auf wissenschaftliche LeistungWert legen als vielmehr darauf, dass sie möglichst schnell ihre Arbeit abhaken können. Die Bewertung liegt meist bei „rite“, seltener bei „cum laude“. Beispiele s. Kap. 10, S. 183ff.
Praxisbezogen: klinisch-prospektive Arbeiten
Bei diesen Arbeitenwerden die Daten prospektiv erhoben; das heißt, sie fallen erst im Laufe der Studie bei der Untersuchung von Patienten an. Ein klassisches Beispiel bilden die klinischen Therapiestudien, bei denen zwei Therapieformen (z. B. eine neu entwickelte Therapie und eine Standardtherapie) an zwei Patientengruppen miteinander verglichen werden (s. Abschn. 4.3, S. 65).
Als Doktorand sind Sie also unmittelbar in den Klinikbetrieb involviert. Eventuell müssen Sie auch zu ungünstigen Zeiten (etwa amWochenende oder nachts) zur Verfügung stehen. Der Knackpunkt bei diesen Studien: Sie müssen abwarten, bis Sie eine hinreichend große Patientenanzahl rekrutiert haben. Aus diesen Gründen dauern solche Arbeiten in der Regel länger als klinisch-retrospektive Studien.
Auch bei diesem Arbeitstypus ist eine statistische Datenanalyse erforderlich. Im Übrigen ist es notwendig, dass Sie sich in die Untersuchungsmethoden einarbeiten. Dafür haben Sie die Qualität und die Vollständigkeit Ihrer Daten in der Hand! Diese Arbeiten sind wissenschaftlich anspruchsvoller als retrospektive Studien. Je nach Qualität schwankt die Bewertung zwischen „cum laude“ bis hin zur Höchstnote „summa cum laude“ (wenn die Ergebnisse sehr bedeutend für die Praxis sind).Wegen Beispielen sei auf Kap. 10, S. 187ff. verwiesen.
Interessant: epidemiologische Arbeiten
Bei epidemiologischen Studien wird ein großer Personenkreis außerhalb einer Klinik untersucht, etwa die Kinder einer Schule oder die Bewohner eines bestimmten Gebietes. Derartige Arbeiten behandeln meist sehr interessante Fragestellungen.
Ein typisches Beispiel für diesen Arbeitstypus stellen Risikostudien dar (s. Abschn. 4.3, S. 64). Deren Ziel ist die Evaluierung eines oder mehrerer ätiologischer Faktoren, die mit einem bestimmten Krankheitsbild assoziiert sind. Im Rahmen einer Doktorarbeitwerden derlei Studien fast immer retrospektiv durchgeführt. Dabei kann man allerdings nicht in jedem Fall auf bereits dokumentiertes Datenmaterial zurückgreifen, sondern muss zusätzlich erkrankte Patienten und nichterkrankte Kontrollen nach zurückliegenden Ereignissen befragen. Zwei Beispiele für diesen Arbeitstypus finden Sie in Kap. 10, S. 192 und S. 205.
Epidemiologische Arbeiten sind sehr zeit- und arbeitsintensiv. Bei prospektiven Arbeiten muss man in der Regel einige Wochen investieren, in denen man täglich mit Untersuchungen befasst ist. Bei retrospektiven Studien muss man mindestens genauso viel Zeit einkalkulieren, um die Studienteilnehmer zu befragen. Andererseits lässt sich der zeitliche Rahmen gut abschätzen, da die Untersuchungen bzw. Befragungen exakt geplant werden müssen.
Wer eine solche Arbeit angeht, sollte keine allzu große Abneigung gegen Statistik hegen, da eine immense Datenmenge anfällt und analysiert werden muss. Außerdem ist damit zu rechnen, dass man Reisen durchführen oder Studienteilnehmer zu Hause aufsuchen muss, um an die Daten heranzukommen. Die Ergebnisse können für die klinische Praxis und die Forschung eine große Bedeutung haben; das heißt, eine gute bis sehr gute Bewertung ist (nicht zuletztwegen des enormen Arbeitsaufwandes) durchaus möglich.