Klinisch-retrospektive Arbeiten
Für jeden etwas: Wählen Sie!
C. Weiss, A. Bauer
Diese Arbeiten gründen sich – mehr als die bisher erwähnten Themengebiete – auf ein umfassendes Literaturstudium (deshalb spricht man auch von theoretischen Arbeiten). Sie können unabhängig von einem Labor oder einer Klinik durchgeführt werden und eignen sich demzufolge für Kandidaten, die zeitlich und örtlich ungebunden sein möchten sowie gerne und viel lesen. Der Themenkomplex ist sehr vielfältig und heterogen.
Dieser Typus ist vorrangig in Fächern wie Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin oder Medizinischer Informatik angesiedelt. Solche Themen werden naturgemäß eher selten bearbeitet (Beispiele s. Kap. 10, S. 200ff.). Die Einarbeitung in fachfremde Gebiete ist dabei unumgänglich; dafür erfordern diese Themen meist keine oder wenig Statistik.
Es gibt auch Literaturarbeiten, die sich mit klinischen Fragestellungen befassen. Im weiteren Sinne zählen dazu auch Einzelfallbeschreibungen, bei denen ein einzelner, besonders interessanter Fall beschrieben und mit ähnlich gelagerten Fällen aus der Literatur verglichen und analysiert wird (auch dafür ist kaumStatistik vonnöten). Andere Arbeiten haben zum Inhalt, die gesamte verfügbare Literatur zu einem bestimmten Thema zu finden und auszuwerten. Dabei fällt eine enorme Datenmenge an; deshalb ist in diesen Fällen die statistische Analyse ein elementarer Bestandteil der Arbeit! Ein Beispiel finden Sie in Kap. 10, S. 203f.
Die Bewertungsskala reicht von „rite“ (für Arbeiten mit überwiegend deskriptivem Charakter) bis zu „summa cum laude“ (für Arbeiten mit neuen, bahnbrechenden Erkenntnissen).
Es sei noch hinzugefügt, dass nicht jede Arbeit eindeutig einem der genannten Typen zugeordnet werden kann. Es gibt „Mischformen“ – z. B. Arbeiten, in denen zunächst Daten retrospektiv ausgewertet werden, um auf dieser Basis prospektiv weitere Untersuchungen durchzuführen. Ein Beispiel dafür findet man in Kap. 10, S. 186.
Ein gängiges Vorurteil besagt, dass für die Habilitation eine experimentelle Arbeit vorausgesetzt wird. Das stimmt nicht – es gibt genügend Gegenbeispiele! Von einem Kandidaten, der sich habilitieren will, wird eine sehr gute Dissertation erwartet. Dieses Ziel kann jedoch auch mit einer nichtexperimentellen Arbeit erreicht werden.
Ferner sei darauf hingewiesen, dass aufgrund des Arbeitstypus die Bewertungkeineswegs a priori feststeht! Wenn etwa in einer experimentellen Arbeit eine bereits etablierte Methode routinemäßig eingesetzt wird, ohne dass daraus grundlegend neue Erkenntnisse hervorgehen, wird die Bewertung nicht exzellent sein! Andererseits kann ein motivierter Doktorand bei einer retrospektiv-klinischen Studie, wenn geeignetes Datenmaterial gesammelt und effizient analysiert wird, brillante Ideen einfließen lassen und hochinteressante Hypothesen generieren! Der Verfasser einer solchen Arbeit darf dann auch eine angemessene Bewertung seiner Leistungen erwarten.