Knochenkrach und Schraubenbruch I
Oberschenkelfraktur von A bis Z: Was tun?
Agnieszka Wolf
In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Norbert Südkamp, Ärztlicher Direktor der Klinik für Traumatologie, Department Orthopädie und Traumatologie, Universitätsklinik Freiburg.
Notaufnahme. Erster Tag PJ. Knochenbrüche? Ja klar. „Dislocatio cum distractione“ und so. Der Patient ist schon im Unter- suchungsraum. Es ist dringend.
Wahrscheinlich Oberschenkelfraktur. Der Assistenzarzt ist gerade nicht da. Die Schwester schiebt mich ins Untersuchungszimmer: Nur rein zum Patienten! Kein zurück mehr. Ich schlucke. Hab noch nie `ne Fraktur untersucht. Soll ich Röntgen anfordern? Blut abnehmen? Wäre vielleicht sinnvoll. Die Schwester streckt mir den Labor-Anforderungszettel hin. Ich lächle sie verlegen an: „Welche Parameter schreibe ich denn am besten darauf?...“ frage ich sie flehend. Sie antwortet lächelnd: „Blutgase, Elektrolyte, Blutbild und Gerinnungsparameter.“ Wie peinlich. Ich erröte.
Alle, die wissen wollen, was man bei Knochenbrüchen macht, leitet dieser Artikel durch die Erstversorgung, die Diagnose und die Therapie einer Femurfraktur.
Die Skier von Stefan flitzen im Schnee: „Schnell. Die anderen einholen!“ sagt er sich. Der 28-Jährige PJ-Student genießt gerade die letzte Fahrt des Tages im wunderschönen Schweizer Wallis: Von 3000 Metern Höhe mit ordentlicher Geschwindigkeit zur Hütte runter – ein Traum. Und danach ein heißer Capucc..
... Stefans Skier werden plötzlich selbständig und geraten außer Kontrolle. Der schöne Gedanke an das warme Getränk stockt. Ein Krachen tönt in Stefans Ohren, als ob ein Knochen brechen würde. Im selben Moment hat er die Ferse seines linken Fußes vor Augen und kurz darauf auch die Diagnose im Kopf: „Fraktur.“ Als er nach einem Purzelbaum auf dem Boden aufkommt, schlägt das linke Bein unkontrolliert auf den Schnee. Beim Versuch, die Extremität mit den Händen zu halten, wird Stefan von einem tiefen stechenden Schmerz im linken Oberschenkel eingenommen. Er schreit. Laut.
Der Dortmunder Notarzt Andreas Mönch, der als Saisonretter beim Rettungsunternehmen Air Zermatt arbeitet, eilt vom Hubschrauber zum Patienten, der hilflos im Schnee liegt. Zuerst beurteilt Dr. Mönch den Zustand des Verunglückten: Die Atemfrequenz ist mit 18 pro Minute in Ordnung, der Puls mit 80 pro Minute nur leicht erhöht. Auch der Blutdruck ist einigermaßen OK: 100/60. Als Stefan den Hergang des Unfalls erzählt, ist klar, dass er voll bei Bewusstsein ist. Bevor sich der Notarzt dem Bein zuwendet, fragt er den Patienten, ob er beim Sturz mit dem Schädel aufgeprallt sei und ob er Schmerzen nur im Bein oder auch an anderen Stellen hätte.
Der PJ-ler gibt an, dass ihm nur das Bein weh tue. Dr. Mönch schnallt vorsichtig Stefans linken Skischuh ab. Jetzt geht es flott zum Oberschenkel: Blutflecken auf dem Schnee sind nicht zu finden. Zum Glück. Damit ist die Intubation auf freiem Feld, die nicht ohne Risken ist und deshalb nur mit entsprechender Indikation vorgenommen werden soll, erst einmal nicht erforderlich. Wenn die Fraktur offen wäre und mit erheblichem Blutverlust einherginge, würde Dr. Mönch erwägen, vor Ort eine Narkose einzuleiten und eine Frühintubation durchzuführen. Der Grund: Die Frühintubation senkt das Risiko für tödliche Fettembolien der Lunge, die besonders bei Femurfrakturen auftreten. Nachdem der Notarzt Stefan von kranial nach kaudal untersucht hat, um andere Verletzungen und Frakturen auszuschließen, tastet er die Fußpulse an beiden Beinen. Beidseits sind sie vorhanden. Gleich darauf schließt er Sensibilitätsausfälle aus. Da Stefan sehr starke Schmerzen im linken Oberschenkel hat, das Bein nicht heben kann und eine Crepitatio sowie eine pathologische Beweglichkeit des Oberschenkels festzustellen ist, geht Dr. Andreas Mönch von einer Oberschenkelfraktur aus. Nach Absprache mit dem Patienten legt er ihm einen venösen Zugang und appliziert zur Analgesie Ketanest und Dormicum. Beim Umlagern in die Vakuummatratze wenige Sekunden später kann Stefan die Schmerzen bereits ertragen.