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Knochenkrach und Schraubenbruch II

Oberschenkelfraktur von A bis Z: Was tun?

Agnieszka Wolf

Wie unsinnig die starke Deckenbeleuchtung der Klinik ist, stellt man erst fest, wenn man selbst als Patient in Rückenlage durch die Korridore fährt. Genau diese Erfahrung macht Stefan, als er auf einer Liege Richtung Schockraum geschoben wird. „Wenn ich mal eine Klinik entwerfen sollte, bringe ich die Beleuchtung nur an den Seitenwänden an....“, meditiert der PJler, als helle Lampen ihm von oben in die Augen strahlen.
Das Ketanest hält, was es im Pharmakologie-Unterricht versprach: die dissoziative Anästhesie. Obwohl viele Leute um ihn herum sind, fühlt sich Stefan ganz allein. Er spürt, dass er keine Fixpunkte mehr hat. Sein Schmerz, sein Körper und die Menschen um ihn herum befinden sich in drei verschiedenen Ebenen.



Abb.: Verbildliche Darstellung der Empfindungen von Stefan

Die Fünfte...“, denkt die diensthabende Unfallchirurgin Beatrice Noll, als Dr. Mönch ihr über den Unfall Bericht erstattet. Sie hat heute schon vier Frakturen aufgenommen. Zwei von ihnen gingen in den OP. Als erfahrene Assistenzärztin weiß sie, was zu tun ist: Brüche des Femurs gehen mit einem erheblichen Blutverlust von etwa 0,8 bis 1,2 Litern einher, was Hypovolämie und Schock nach sich ziehen kann. Das Risiko für eine Fettembolie der Lunge, die zur Atemnot und schließlich zum Tode führen kann, ist bei Femurfrakturen größer als z. B. bei Unterschenkelfrakturen. Eine Weichteilschädigung, die zu spät erkannt wird, kann zu O2-Unterversorgung und Nekrosen im Gewebe führen.
Aus diesen Gründen ist schnelles Handeln angesagt: Dr. Noll überprüft erneut den Bewusstseinszustand, die Atmung und den Kreislauf des Patienten. Sie bittet die Schwester, den Patienten an ein Monitoring mit Erfassung von Blutdruck, Herzfrequenz, O2-Sättigung und EKG anzuschließen. Gleich darauf untersucht sie Stefan von Kopf bis Fuß. Um Hirnblutungen auszuschließen, prüft sie die Pupillenreflexe. Weiterhin checkt sie, ob der Patient zu Ort, Zeit und Situation orientiert ist. Sie fragt noch einmal nach Schmerzen und tastet den gesamten Körper von kranial nach kaudal auf Verletzungen ab. Dabei achtet sie auf Veränderungen der drei Qualitäten: Durchblutung, Motorik und Sensibilität. Weiterhin prüft sie die aktive und passive Funktion aller Gelenke, um eventuelle Bänder- oder Sehnenschäden zu entdecken. Dr. Noll findet bei Stefan im distalen Femurdrittel links eine Schwellung und eine Rotationsstellung des Beines. An der Stelle der Schwellung ertastet sie ein Knochenfragment. Der Patient kann die Extremität weder im Knie- noch im Hüftgelenk beugen und hält sie in gestreckter Schonhaltung. Die Untersuchung der Bänder des Kniegelenks links ist wegen Schmerzen, Schwellung und des bestehenden Oberschenkelbruches nicht möglich. Da sich die Unfallchirurgin bereits fast sicher ist, dass die Fraktur operativ stabilisiert werden muss, nimmt sie Blut ab, um die Narkosefähigkeit von Stefan abzuklären: Blutgase, Elektrolyte, Blutbild und Gerinnungsparameter gehören zur Routinediagnostik.
Gleich danach füllt sie die Röntgenanforderung aus. Da Oberschenkelfrakturen oft mit Schenkelhalsfrakturen oder Kondylenfrakturen einhergehen, schreibt sie:

1. Oberschenkel in 2 Ebenen mit Knie- u. Hüftgelenk

Weiterhin möchte Dr. Noll weitere Frakturen ausschließen und ordnet an: 

2. Schädel in 2 Ebenen
3. Thorax-Übersicht
4. Beckenübersicht

Gelauscht (Foren)

Trainingscenter
Als sie auf die Röntgen-Ergebnisse wartet, führt sie bei Stefan eine Abdomen-Sonographie durch, um Verletzungen der Bauchorgane nicht zu übersehen. Sie findet aber keine Auffälligkeiten. Das Blutbild und die Röntgenbilder sind jetzt da. Nach dem ersten Blick auf die Bilder ist Dr. Noll klar, dass sie Stefan operieren wird. Sie ruft den Oberarzt hinzu, um das OP-Verfahren abzuklären. 


 
Abb.: Präpoperativ I   Abb.: Präpoperativ II

Der Hb von Stefan ist mit 11 g/dl erniedrigt.
Deshalb bestellt die Unfallchirurgin gleich zwei Erythrozytenkonzentrate in den Operationssaal – für den Notfall. Das restliche Blutbild zeigt Normwerte.

Stefan hat enorme Schwierigkeiten, sich unter der immer noch anhaltenden Ketanest-Einwirkung auf die Worte des Oberarztes Dr. Ottsen zu konzentrieren. Vage kommen bei ihm die Aussagen an: „Brüche der langen Röhrenknochen der unteren Extremität operieren wir fast immer. Das ist am besten für die Heilung. Auch vermeiden wir so Frakturkrankheiten wie die Fettembolie der Lunge und die darauffolgende Lungenentzündung. Ein Marknagel wäre bei der Art von Fraktur am besten...“ sagt der Chirurg. Da Stefan sich durch die vielen Checks und Gespräche überfordert fühlt, stimmt er dem Marknagel sofort zu. Als der Anästhesist ihn vor die Wahl stellt, ob er in Spinalanästhesie oder unter Vollnarkose operiert werden möchte, entscheidet er sich pragmatisch für Spinalanästhesie. Der Grund ist einfach: Bei Vollnarkose würde er kurze Zeit nach dem Aufwachen Schmerzen spüren. Mit Spinalanästhesie hält die analgetische Wirkung länger an. Nachdem der Anästhesist die spinale Betäubung durchgeführt hat, bekommt Stefan Cefuroxim i.v. (ein Cephalosporin) zur intraoperativen Infektionsprophylaxe.