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Eingeklagt ins Studium – ein Erfahrungsbericht

Die erkaufte Chance

Michaela I.

 

Manchmal träume ich davon, nach dem erfolgreichen Studium eine Rede halten zu dürfen und diese mit schluchzenden Worten beginne: „Niemals in meinem Leben hätte ich gedacht,
dass ich sofort nach dem Abi zu studieren beginne und dann auch noch als Jahrgangsbeste abschließe!“
„Na ja, und wie soll ich es sagen, so ist es dann ja auch nicht gekommen...“ Bis es soweit ist, gilt es aber noch, einige Hürden zu überwinden. Denn wie ich heute erfahren habe, bin ich ein minderwertiger Student.
Selbst der Begriff „zweite Klasse“ fiel. Das hat zwei Gründe. Erstens: Ich bin alt. Ein ganzes Vierteljahrhundert. Ich habe mit 24 noch mal angefangen, Medizin zu studieren. Zwei Erstis, die wahrscheinlich noch Diddl-Federtaschen benutzen, nahmen sich tatsächlich heraus, abfällig über Studienanfänger zu lästern, deren Alter nicht mit „-zehn“ endet. Reden wir doch in zwanzig Jahren noch mal miteinander, ob bei euch immer alles so glatt lief und so, wie ihr es euch vorgestellt habt. Ich wünsche euch einen Bruch im Lebenslauf. Nicht, weil ich gehässig bin. Sondern weil das euren Tellerrand erweitert. Darf man keine Karriere mehr machen, wenn man ein gewisses Alter überschritten hat?
 

Eingeklagt

Aber Moment, es kommt noch schlimmer. Meine Eltern sind gut betucht. Nix mit BAföG hier. Kein armes Mädchen, dass sich nach oben gearbeitet hat, aus den Slums, ganz unten, die Welt gegen mich. Ich bin kein Slumdog Millionaire. Ich komme aus einem Akademikerhaushalt, so richtig klischeehaft. Und das Schlimmste: Ich habe mich eingeklagt. Jetzt ist alles raus.

Heute in Bio saß einer neben mir und sagte: „Und die Ärztekinder, die sich eingeklagt haben, die fi nde ich richtig sch…“ „Danke schön.“ Sagte ich lächelnd, worauf er den Schwanz einzog und bemerkte: „Oh, das wusste ich nicht, ich meine das natürlich nicht persönlich.“ Ach, nicht persönlich? Wie denn dann? Nur an die Person gebunden? Auf mich bezogen? Mir fällt es sehr schwer, Menschen anzulügen und auch, einfach nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Und ich möchte mich nicht verstecken. Ich möchte mir keine Geschichten ausdenken. Wenn ich Angst habe, durch die Prüfung zu fallen, dann gebe ich das zu. Wenn ich mir in Physik nicht alles von einer Formel ableiten kann, dann ist das eben so. Und wenn ich hier sitze, weil ich einen guten Rechtsanwalt hatte, na dann ist das eben auch so!
 

Vorwürfen entgegnen

Ich kann die Kritik ja nachvollziehen. Menschen mit mehr Geld haben es in unserem System einfacher, eigentlich immer. Das ist nicht schön. Alle Argumente gegen Einkläger sind plausibel und sehr sympathisch. Sympathischer als ich mit meiner Ärzte-Mama. Ich kenne die Vorwürfe, habe mich damit zwangsläufig auseinander setzen müssen. Der Grundgedanke ist, dass ich nichts kann, denn ich habe mir alles erkauft. Wenn es doch so einfach wäre. Ist es aber nicht! Hier die Antworten auf die häufi gsten Vorwürfe:

1. Jedes System hat Vor- und Nachteile.
Ich bin weder unmoralisch noch böse. Ich habe nicht das Gesetz gebrochen. Ich bin in den Regeln des Systems geblieben. Eines Systems, das ich nicht geschaffen habe. Ich habe gesehen, dass ich etwas ändern kann, ich habe es versucht und es hat geklappt.

2. Was ist die Definition von Gerechtigkeit?
Bereits der gute alte Nietzsche hat bezweifelt, dass man einen sinnvollen Gerechtigkeitsbegriff defi nieren kann, denn das echte Leben ist nicht durch praktische Vernunft bestimmt.

3. Wer würde es nicht genauso machen, hätte er die Chance und das Geld?

4. Ich habe mir nicht den Doktortitel erkauft, sondern lediglich eine Chance bekommen, zu studieren. Alles andere muss ich selbst machen, wie alle anderen auch.

5. Ich lasse mir nicht von der ZVS die Chance nehmen, meinen Traum zu verwirklichen. Abgesehen davon, dass wir Ärztemangel haben, stelle ich das Auswahlverfahren in Frage. Das MIT zum Beispiel führt Auswahlgespräche – und es gibt eine Kreativquote.
 

Abweichung von der Norm

Doktor House wählt seine Mitarbeiter nach sehr ungewöhnlichen Kriterien aus. Ein ehemaliger Verbrecher, eine Ärztin, die wahrscheinlich nur noch ein paar Jahre zu leben hat, ein Mann in einer zerrütteten Ehe. Das Bild ist natürlich überzeichnet. Aber der Grundgedanke ist, dass die Abweichung der Norm einen Menschen dazu zwingt, Dinge aus einer neuen Perspektive zu sehen. Wenn man gezwungen ist, die Herde zu verlassen, muss man stärker werden, um zu überleben, mehr nachdenken. Ich werde immer die sein, die sich eingeklagt hat.

Ich muss nachdenken, weil ich gewisse Konventionen nicht beachtet habe. Es ist nicht das erste Mal, dass ich nicht „reinpasse“. Und so einige Male habe ich mich gefragt, was mir das bringt. Die Antwort ist, dass es mich stärker, reifer, klüger macht. Ich versuche nicht nur meine Perspektive zu verstehen, sondern auch die meines Gegenübers. Jetzt habe ich übrigens einen neuen Traum. Einen, der vielleicht etwas früher und mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wahr wird, als der mit der Abschlussrede. In diesem Traum kommt dieser Student, mit dem ich über das Einklagen diskutiert habe, zu mir und sagt: „Hey, ich habe deinen Artikel gelesen!“ Und dann werde ich antworten: Ach, du warst das!

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