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Der aggressive Patient

Medizinisches Personal in Lebensgefahr

PD Dr. med. Anja Schneider (Gastartikel MMW)

 

Wir freuen uns, den Besuchern unserer Webseite an dieser Stelle in regelmäßiger Reihenfolge lesenswerte Gastartikel aus der renommierten Zeitschrift MMW Fortschritte der Medizin präsentieren zu können. Am Ende des Artikel findet sich ein Hinweis auf volle 12 Ausgaben eines unverbindlichen und kostenlosen Testabos.


Heutiger Gastbeitrag:
Medizinisches Personal in Lebensgefahr - Der aggressive Patient

Quelle: MMW Fortschritte der Medizin Heft 38, 2010

Der 70-jährige Patient benötigt wegen eines Diabetes täglich Insulin durch einen Pflegedienst. Wenige Wochen nach dem ersten Hausbesuch des Pflegedienstes beginnt sich der Patient als Opfer eines gegen ihn angezettelten Mordkomplotts zu sehen, in dem er mithilfe der verwendeten Tupfer durch die Pflegekräfte vergiftet werden soll. Diesen Verdacht äußert er mehrfach aufgebracht und verbal hochgradig aggressiv gegenüber der Pflegedienstleitung, seiner Hausärztin und dem eingeschalteten Sozialdienst. Der Patient wird daraufhin niedrig dosiert neuroleptisch anbehandelt, die Einnahme des Medikaments aber nicht kontrolliert. Ein Pflegedienstwechsel wird vereinbart. Beim ersten Hausbesuch des neuen Pflegedienstes ersticht der Patient aus der wahnhaften Überzeugung heraus, vergiftet zu werden, in vermeintlicher Notwehr die Pflegekraft und muss anschließend nach § 63 StGB in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden.

Das Fallbeispiel verdeutlicht die Notwendigkeit, aggressive und potenziell gefährliche Patienten bereits im hausärztlichen Bereich zu identifizieren und zu therapieren.
 

Risikogruppen

Insgesamt findet sich über alle psychiatrischen Diagnosegruppen verteilt kein erhöhtes Risiko für aggressiv-gewalttätiges Verhalten, wobei Schizophrene allerdings innerhalb dieser Gruppe ein fünffach erhöhtes Risiko aufweisen und Suchtpatienten nicht erfasst wurden. Patienten mit Substanzmissbrauch, v. a aber alkoholabhängige Patienten, gehören zu der Gruppe mit der höchsten Rate aggressiven Verhaltens. Auch Patienten mit Wahnvorstellungen, v. a. mit Beeinträchtigungswahn, und nicht medikamentös therapierte Patienten neigen vermehrt zu Aggressivität und Gewalttätigkeit. Verbale Aggressivität wird häufig bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen beobachtet.

Differenzialdiagnostische Erwägungen Für Patienten mit akut aufgetretenen psychomotorischen Erregungszuständen sollten die folgenden Ursachen, nach Häufigkeit geordnet, differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden, um potenziell lebensbedrohliche Diagnosen nicht zu übersehen und eine adäquate Therapie einleiten zu können.
  • Häufige Ursachen: Hierzu gehören akute Alkohol- oder Drogenintoxikationen (Kokain, Amphetamine, Halluzinogene), Mischintoxikationen, akute Psychosen (Schizophrenie, gereizte Manie), akute psychosoziale Konflikte/ Belastungssituationen, Persönlichkeitsstörungen.
  • Mittlere Häufigkeit: Delir/Entzug, akutes Schädelhirntrauma, postkonvulsiver Zustand, andere organische Persönlichkeitsstörungen/geistige Behinderung.

  • Seltene Ursachen: Enzephalitis, Vaskulitis, ZNS-Tumor, Hypoglykämie, Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz.

Hieraus ergeben sich die notwendigen diagnostischen Maßnahmen mit
  • Fremdanamnese,

  • Erhebung eines psychopathol. Befundes,

  • Labor, Alkohol-/Drogenscreening und

  • zerebraler Bildgebung.

Akuttherapie

Die Akuttherapie eines aggressiven Erregungszustandes kann eine Zwangsmedikation erfordern, falls eine Eigen- oder Fremdgefährdung vom Patienten ausgeht. Eine Zwangsmedikation i. R. des rechtfertigenden Notstandes ist nach § 34 StGB ohne Einverständnis des Patienten möglich und beinhaltet meist die Gabe von Neuroleptika und/oder Benzodiazepinen. Eine orale Administration ist zu bevorzugen, aber nicht immer möglich.


Neuroleptika

Das am häufigsten eingesetzte typische Neuroleptikum Haloperidol kann oral, intravenös oder intramuskulär appliziert werden. Bei i. m. oder i. v. Gabe tritt eine Wirkung nach 30–60 Minuten ein, die bis zu 24 Stunden anhält. An potenziellen Nebenwirkungen sind extrapyramidale Symptome und selten Herzrhythmusstörungen oder ein malignes neuroleptisches Syndrom zu beachten.

Atypische Neuroleptika haben ein geringeres Risiko für extrapyramidalmotorische Symptome. Risperidon, Olanzapin und Ziprasidon sind intramuskulär applizierbar. Risperidon und Olanzapin existieren als Schmelztabletten, die eine schnelle orale Resorption gewährleisten. Die intramuskuläre Gabe von 2,5–10 mg Olanzapin erwies sich in Studien bei agitierten schizophrenen und bipolaren Patienten als ebenso geeignet wie die Gabe von intramuskulärem Haloperidol. Die Kombination von intramuskulärem Olanzapin mit Benzodiazepinen sollte wegen gehäufter Todesfälle, die nach dieser Kombinationsbehandlung beschrieben wurden, vermieden werden.
 

Benzodiazepine

Benzodiazepine sind den Neuroleptika in der Therapie akuter Agitation und Aggressivität gleichwertig bzw. überlegen. Unter den Benzodiazepinen wird bevorzugt Lorazepam eingesetzt. Es liegt für die intramuskuläre, intravenöse oder orale Gabe und auch als Schmelztablette vor. Die vollständige Resorption nach intramuskulärer Gabe unterscheidet es von den anderen Benzodiazepinen. Ein weiterer Vorteil von Lorazepam liegt in dessen im Gegensatz zu Diazepam oder Clonazepam kurzen Halbwertszeit. Benzodiazepine haben keine signifikanten kardialen Nebenwirkungen, aber die atemdepressive Wirkung und eine gelegentliche paradoxe Reaktion, v. a. bei älteren Patienten, sind zu beachten.

Die Auswahl der Medikation richtet sich nach dem zugrunde liegenden Krankheitsbild. Bei Verdacht auf ein anticholinerges Delir sollten Neuroleptika vermieden und Benzodiazepine bevorzugt werden, während bei unklaren und Alkoholintoxikationen Haloperidol gegeben und auf Benzodiazepine wegen ihres atemdepressiven Effekts verzichtet werden sollte. Bei psychotischen Symptomen sollte nicht auf die Gabe eines Neuroleptikums zur Akuttherapie verzichtet werden. Am häufigsten wird in der Praxis auf eine Kombinationstherapie aus 5–10 mg Haloperidol i. m. und 1–2,5 mg Lorazepam zurückgegriffen. Es ist nicht gesichert, ob diese Kombinationstherapie der hoch dosierten Einzelgabe von Haloperidol und Lorazepam überlegen ist.
 

Dauertherapie

Wegen des Abhängigkeitspotenzials eignen sich Benzodiazepine nicht zur längerfristigen Therapie bei Aggressivität oder Agitiertheit.
 

Stimmungsstabilisatoren

Neben atypischen Neuroleptika kommen hier auch Stimmungsstabilisatoren wie Valproat, Lithium oder Carbamazepin in Betracht. Bei bipolaren Patienten mit aggressiv-gereizter Manie ist Valproat, ggf. in Kombination mit einem atypischen Neuroleptikum, Mittel der Wahl. Eine Effektivität von Valproat wurde ebenfalls belegt bei Störungen der Impulskontrolle mit Aggressivität und für Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens. Ein positiver Effekt wurde für Carbamazepin bei Patientinnen mit emotionalinstabilen Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ nachgewiesen. Lithium wurde insbesondere im Zusammenhang mit Autoaggressivität bei geistig Behinderten beschrieben.
 

Antidepressiva

Fluoxetin, Sertralin, Citalopram, Imipramin und Amitriptylin sollen ebenfalls antiaggressiv wirken, u. a. bei Persönlichkeitsstörungen, Autismus und Schizophrenie.
  Hinweis: Dieser Artikel stammt aus (MMW Fortschritte der Medizin, Heft 38, 2010). Er wurde mit freundlicher Genehmigung der Redaktion MMW Fortschritte der Medizin hier präsentiert.

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