Come to Canada!
Famulatur in der Neurochirurgie in Toronto
Peter Vomhof
Schon lange hegte ich den Wunsch, wenigstens eine Famulatur im englischsprachigen Ausland zu machen. Mein favorisiertes Ziel waren lange die USA. Doch dann habe ich von einer jungen Ärztin einen begeisterten Bericht über ihre Famulatur in Toronto geliefert bekommen. Außerdem hatte ich mehrfach gehört, dass es einfacher und teilweise billiger sei, an einer kanadischen Klinik zu famulieren. Also Kanada. Zunächst aber musste ich feststellen, dass längst nicht alle kanadischen Provinzen deutsche Studenten akzeptieren.
Somit war die Auswahl schon etwas geringer, schließlich fiel die Wahl auf Toronto, wo ich eine Zusage für die Neurochirurgie erhielt. Um als Famulant in Kanada einreisen zu können, muss man eine medizinische Untersuchung inklusive Röntgen-Thorax bei einem von Kanada offiziell akzeptierten Arzt durchführen lassen.
Nur so bekommt man von der kanadischen Botschaft eine Art Visum, das die Gesundheit bescheinigt und die Einreise genehmigt. Seltsam nur, dass sich für dieses relativ teure und unter hohem Zeitaufwand erhaltene Dokument bei der Einreise niemand wirklich interessierte. Ansonsten muss man natürlich die für die USA und Kanada üblichen Versicherungsnachweise erbringen. In Kanada angekommen, musste ich mich dann an der Uni registrieren und eine extra Krankenversicherung abschließen.
Chinese Food aufs Haus
Leider hatte ich die endgültige Zusage erst vier Wochen vor der geplanten Abreise erhalten und suchte lange nach einer Unterkunft. Über die telefonische Weiterleitung eines bereits ausgebuchten Vermieters gelangte ich schließlich an eine ältere chinesische Dame, deren Haus zwar „downtown“, damit aber relativ weit vom Krankenhaus entfernt lag. Immerhin aber hatte ich eine Adresse und die Zusage, ohne Probleme nach einigen Tagen weiterziehen zu können. Im Nachhinein stellte sich die Unterkunft als absoluter Glücksgriff heraus: Weniger als zehn Minuten Fußweg entfernt startete im 30-Minuten-Takt ein Busshuttle zu „meiner“ Klinik, sodass ich in einer halben Stunde – schneller als mit Bus und U-Bahn und dazu kostenfrei – das Krankenhaus erreichen konnte. Mit mir lebten ein Schweizer Augenarzt, eine jamaikanische Versicherungsangestellte, eine taiwanesische Schülerin und immer wieder internationale „Kurzzeitgäste“ in dem (sehr sauberen) Haus. Laut „Mietvereinbarung“ musste man sich selbst verpflegen, aber vor allem an den Wochenenden wurde man mit hausgemachtem chinesischen Essen verwöhnt!
Die Klinik: Sunnybrook Health Sciences Centre
Schon aus meiner Bestätigungs-Mail wusste ich, dass ich einen direkten Betreuer haben würde: Dr. M. Fazl. Wie sich herausstellte, lehrte Dr. Fazl auch an der Uni und war dort mehrmals für seine Lehre ausgezeichnet worden. Am Montag und Donnerstag startete ich um sieben, entweder mit einer einstündigen interdisziplinären „Wirbelsäulen-Fortbildung“ gemeinsam mit der Orthopädie, bzw. mit der Besprechung einzelner problematischer oder interessanter Fälle. An den restlichen Tagen der Woche ging ich zuerst gemeinsam mit den „Residents“ (Assistenzärzte) auf Visite. Nach acht Uhr richtete sich mein Plan nach dem von Dr. Fazl. So begleitete ich ihn entweder in sein Büro zu seiner Sprechstunde oder in den OP. Meine Arbeitstage endeten zwischen 14 und 18 Uhr, je nachdem, wie viele Patienten in der Sprechstunde bzw. wie viele OP-Punkte geplant waren. Andere Lehrveranstaltungen oder spezielle Seminare gab es nicht.
Deutsche Praxismängel sind bekannt
In der Sprechstunde lernte ich sehr viel neue Theorie, die mir in der kurzen Zeit der Neurochirurgie-Vorlesung noch nicht begegnet war. Bei Untersuchungen legte Dr. Fazl viel Wert darauf, dass auch ich gewisse Techniken lernte. Er wusste aus Erfahrung, dass es bei der praktischen Ausbildung deutscher Studenten etwas haperte. Regelmäßig bekam ich kleine Hausaufgaben, die darin bestanden, über gewisse Krankheitsbilder zu lesen und in den nächsten Tagen darüber zu diskutieren. Im OP stand ich zwar mit am Tisch, aber mit Hakenhalten und Zusehen war es hier nicht anders als in Deutschland. Nach den ersten drei Wochen verabschiedete sich Dr. Fazl in den Urlaub, so dass ich einen neuen, noch relativ jungen Betreuer bekam: Dr. Phan. Dieser legte noch mehr Wert auf praktische Ausbildung. So bekam ich in seiner Sprechstunde „eigene“ Patienten zugeteilt, die ich in einem anderen Zimmer untersuchen und befragen musste. Nachher wurde dann alles zusammen besprochen. Im OP durfte ich nähen, Schrauben-Löcher in den Schädel bohren und einmal sogar die Kopfhaut abpräparieren. Solches Entgegenkommen war ich aus Deutschland nicht gewohnt. So haben sich die ersten drei Wochen mit mehr theoretischer Lehre und die letzten beiden Wochen mit mehr Praxisausbildung sehr gut ergänzt. In allen fünf Wochen sollte ich darüber hinaus einmal pro Woche den jeweils diensthabenden Resident im Nachtdienst begleiten. Dafür wurde mir sogar ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt. Meine ersten vier Dienste waren sehr ruhig, erst beim letzten gab es etwas zu tun. Dieser wurde dann mit einer Notfall-OP von 23 Uhr bis fünf Uhr morgens und dem sehr traurigen Fall einer nach einem Autounfall querschnittsgelähmten 19-jährigen Frau zu einer ganz neuen Erfahrung. Ansonsten sei noch erwähnt, dass ich der einzige Famulant in der Abteilung war. Es gab noch einen zweiten Famulanten in der Klinik, der genauso eingespannt war wie ich. Im OP und der Sprechstunde war ich so verplant, dass viel zu selten und unregelmäßig Zeit war, dem First-Year-Resident (der jeweils für 4 Wochen aus der HNO kam) auf den Stationen über die Schulter zu schauen. Aus diesem Grund habe ich beispielsweise nur sehr wenige Aufnahmen gemacht.