Eine 28-jährige Patientin sitzt in Ihrer Sprechstunde. Außer der Bemerkung, es gehe ihr irgendwie immer schlechter, sind ihr keine brauchbaren Informationen zu entlocken. Befindet sich die Frau in einer kritischen Lebenssitation? Ist sie depressiv, traumatisiert oder zeigt sie Zeichen einer Psychose? Jetzt ist Ihr Kommunikationsgeschick gefragt, um diagnostisch voranzukommen.
In der täglichen klinischen Praxis begegnen Ärzte immer wieder mehr oder minder „sprachlosen“ Patienten und stehen vor der schwierigen Aufgabe, medizinisch dienliche Informationen zu erheben oder an die Patienten weiterzugeben.
Der „sprachlose“ Patient im ärztlichen Gespräch
Gerade dem sich nicht spontan mitteilenden Patienten sollten zu Beginn empathisch Sinn und Zweck eines Gespräches wie auch die hierfür realistisch zur Verfügung stehende Zeit mitgeteilt werden, um den Rahmen abzustecken und eventuelle Vorbehalte aufzulösen. Äußerst hilfreich ist die Anwesenheit einer dem Patienten vertrauten Person. Es empfiehlt sich alltagssprachlich und einfach formuliert zu kommunizieren. Fragen sollten eindeutig und konkret gestellt werden und offen gehalten sein. Beispiele aus dem Alltag können helfen, die Fragen weiter zu erläutern, verständlicher zu gestalten und dem Patienten eine Brücke zu bauen.
Gesprächsführung zur Überwindung der Sprachlosigkeit
Der Patient sollte während des Gesprächs beständig ermutigt werden, seine evtl. spärlichen Auskünfte genauer zu erklären und Beispiele zu geben. Dabei darf der Arzt ruhig äußern, dass er gewisse Aspekte nicht verstanden hat oder aufgrund der Zurückhaltung seines Gegenübers nicht verstehen kann. Es ist wichtig, den Patienten die Zusammenhänge von Krankheitssymptomen oder Lebensereignissen aus dessen Sicht heraus und in dessen Logik schildern zu lassen, ohne aufgrund von Fachwissen sofort korrigierend einzugreifen.
Schließlich fasst der Arzt diese gewonnenen Informationen in seinen Worten zusammen, um dies vom Patienten oder anwesenden Angehörigen bestätigen oder durch Einwände genauer spezifizieren zu lassen. Wichtige Aussagen können im Verlauf des Gesprächs durch Wiederaufgreifen noch einmal angesprochen werden. Widerstände oder Blockaden sollten nicht um jeden Preis gebrochen werden. Handelt es sich allerdings um akut wichtige Informationen, wie z. B. eine vermutete Suizidalität, ist eine klare Auskunft des Patienten unbedingt vonnöten. Vage Aussagen zu diesem Thema sollten eine unverzügliche fachärztliche psychiatrische Vorstellung nach sich ziehen – zum Wohle des Patienten auch gegen dessen Willen.
Gestaltung der Atmosphäre
Für das Gelingen ausführlicher Gespräche mit „sprachlosen“ Patienten spielen auch die äußeren Gesprächsbedingungen eine große Rolle. So sollte solch ein Gespräch in möglichst ruhigen Räumlichkeiten innerhalb der Praxis stattfinden. Störungen wie z. B. Telefonate oder ein Betreten des Raumes durch Dritte sind zu vermeiden und ggf. durch Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Praxis vor Beginn eines Gespräches zu verbessern. Oft ist es hilfreich, etwas zum Trinken anzubieten, um die Atmosphäre zwangloser zu gestalten und durch die Aktivierung des Vagus die Anspannung durch den erhöhten Sympathikotonus zu senken. Die Gesprächsteilnehmer sollten auf gleicher Höhe sitzen und einander leicht zugewandte Sitzpositionen, beispielsweise an einem runden Tisch einnehmen. Hierbei kann der Arzt den Patienten auch besser in seinen mitunter feinen Regungen der mimischen Muskulatur oder der Extremitäten wahrnehmen und diese non-verbalen Informationen mit in die Gesprächsführung einfließen lassen.
Sprachlosigkeit hat viele Ursachen
Findet sich ein Arzt in einer „sprachlosen“ Behandlungssituation wieder, so hat er die schwere Aufgabe, in möglichst kurzer Zeit differenzialdiagnostische Überlegungen anzustellen und eine erfolgreiche Therapie einzuleiten.
Ausschluss somatischer Ursachen
Zunächst sind auch bei wachen, bewusstseinsklaren und orientierten „sprachlosen“ Patienten sämtliche organischen Ursachen auszuschließen. Mögliche Intoxikationen durch Medikamente oder illegale Substanzen sind per Schnelltest im Urin feststellbar.
Hinweis: Dieser Artikel stammt aus (
MMW Fortschritte der Medizin, Heft 38, 2010). Er wurde mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
MMW Fortschritte der Medizin hier präsentiert.