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Persönlicher Gewinn: Praktisches Jahr im Ausland

Gut für die Karriere

Redaktion (MEDI-LEARN)

Ich bin hängen geblieben 

Wie vielen Anderen auch, wurde mir im Studium rasch klar, dass ich in meinem Praktischen Jahr unbedingt ein anderes Land, eine andere Kultur und ein anderes Gesundheitswesen kennenlernen wollte. Bei meinen Überlegungen stieß ich schnell auf die Schweiz. Sie bietet den Vorteil, dass dort Deutsch gesprochen wird, und bietet eindeutig bessere Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zu Deutschland - bereits im PJ.

Ich habe mich damals per Post an vielen Schweizer Spitälern beworben. Heute ist dies sicher per Email möglich und viel komfortabler sowie kostengünstiger. Aufgrund meiner nur marginal vorhandenen Kenntnisse der italienischen und französischen Sprache habe ich darauf geachtet, mich nur an deutschsprachigen Kliniken zu bewerben. Da Schweizer häufig sehr vorausschauend planen, sollte man sich nach Möglichkeit 18 bis 24 Monate vor dem PJ bewerben. Jedoch bieten sich auch oft kurzfristig Möglichkeiten, zum Teil wenige Monate vor PJ-Start.

Mehrere Zusagen erhalten 

Meine Blindbewerbungen waren erfolgreich – ich bekam mehrere Zusagen. Letztendlich habe ich mich für die Spitäler mit den besten Bewertungen, dem höchsten Freizeitpotential und hohem Verdienst entschieden: Kantonsspital Aarau und Kantonsspital Glarus. Diese Häuser sandten mir vorab einen Vertrag und weitere Unterlagen, zum Beispiel zu Wohnheimzimmer, Parkmöglichkeiten und Freizeitangeboten zu. Um meine Arbeitserlaubnis brauchte ich mich nicht zu kümmern – das ist in der Regel Aufgabe des Arbeitgebers und stellt für Angehörige eines EU-Landes kein Problem dar.

Hier heißen die PJler „Unterassistenten“

Die Schweiz gehört zwar nicht zur EU, trotzdem war die Einreise problemlos. Weil es PJler wie in Deutschland in der Schweiz nicht gibt, war mein Status stattdessen „Unterassistent". Als solcher „Uhu“ (böse Zungen behauptet gar, es wäre die Abkürzung für "Unterhund" :-D) wurde ich nett begrüßt und bekam eine systematische Einführung. Die Hierarchien in der Schweiz sind flach und alle, vom Oberarzt bis zum Unterassistenten, duzen sich in der Regel. Typische PJ-Jobs fallen weg: Blutentnahmen, Anhängen von Blutprodukten und Antibiosen, Zugänge legen – all dies sind Aufgaben der Pflege. Auf Wunsch kannst du diese Dinge selbstverständlich trotzdem durchführen und die Pflegekräfte freuen sich immer über Unterstützung und bieten dabei ihre Hilfe und Erfahrung an.

Auch innerhalb der Schweiz große Unterschiede 

Sowohl Assistenz- als auch Oberärzte haben immer ein offenes Ohr, beantworten Fragen jederzeit und gerne und führen je nach Arbeitsaufkommen selbstständig Teachings durch. Selbst während einer OP ist jeder je nach Situation bereit, Dinge zu erklären - selbst leitende Ärzte und Chefarzt. Aber die Erfahrung lehrt auch, dass dies nicht in jedem Haus normal ist. Genau wie in Deutschland gibt es überall schwarze Schafe. Aber die im Internet an verschiedensten Stellen vorhanden Portale zur PJ-Bewertung helfen bei der Entscheidung für die richtige Stelle.

Bezahlung von 800 bis 2.000 Franken pro Monat 

Ich hatte in der Schweiz die Möglichkeit, selbst Patienten zu übernehmen und unter Supervision eines Assistenzarztes zu betreuen; durfte selbst Briefe diktieren und Visiten durchführen. Natürlich gehörten auch Aufnahmen – in der Schweiz „Eintritte“ genannt – zu meinen Aufgaben. Für die Eintritte sind eigentlich immer die Unterassistenten zuständig. Darin liegt viel Lernpotential, denn jeder pathologische Befund wird mit dem Assistenzarzt besprochen und geprüft. In der Regel bekommen Unterassistenten zwischen 800 und 2.000 Franken im Monat. Davon gehen noch der Betrag für die Miete des Wohnheimzimmers und nur ein sehr geringer Teil an Steuern und sozialen Abgaben ab. In beliebten Spitälern, besonders in Städten wie Bern, Zürich oder Basel sind die Verdienstmöglichkeiten meist etwas geringer als in den ländlichen Gebieten. 

Zur Information: Der Wechselkurs der Währung betrug am 09.11.2011
- 1 € = 1,23 CHF
- 1 CHF = 0,81 €

"Eis go zieh" mit anderen Uhus

Die Freizeitmöglichkeiten sind immens. Im Sommer bieten sich Ausflüge zum Wandern in die Berge, Städtebesuche oder Baden in den vielen Seen an. Fahrzeiten nach Italien und Frankreich sowie ans Mittelmeer sind kurz. Im Winter heißt es: Ski, Ski, Ski. Aber auch mit Snowboarden, Schneeschuhwandern oder „Schlitteln“ kann man seine Freizeit verbringen. Und abends gibt es „Fondueplausch“ - gemeinsames Käsefondue-Essen auf einer Berghütte. In der Regel trifft man immer mehrere Unterassistenten aus ganz Deutschland und der Schweiz, sodass man gemeinsam viel unternimmt. Das beschränkt sich nicht nur auf die Wochenenden; auch unter der Woche gibt es häufiges gemeinsames Nachtessen (Abendessen) oder „eis go zieh“ (etwas trinken gehen) mit anderen Uhus.

Der Urin schmeckt komisch 

Bei der Abreise der Uhus gibt es häufig Abschlussparties, die auch von Assistenzärzten, Oberärzten und teilweise den Chefs besucht werden. Dadurch entsteht recht schnell ein persönlicher Kontakt – an kleinen Häusern natürlich mehr als an großen. Das Schweizerdeutsch ist am Anfang, besonders für Menschen aus Norddeutschland, schwierig zu verstehen. Viele Schweizer sind auf Wunsch bereit, Hochdeutsch zu sprechen. Doch man hört sich schnell ein und beherrscht das Schwizerdütsch jeden Tag ein bisschen besser. Ein typisches Missverständnis am Anfang ist z.B. „Der Urin schmeckt komisch“ - Die Schweizer meinen mit „schmecken“ nämlich „riechen". Und wenn Patienten ihre „Finken“ suchen, dann sind das keine Vögel, sondern ihre Hausschuhe.

Konservativ und freundlich 

Mir ist aufgefallen, dass die Schweizer ein eher konservatives, aber offenes Volk sind – das zeigt sich auf der einen Seite durch Volksinitiativen wie Minarettverbot oder Waffeninitiative, auf der anderen Seite aber auch durch einen sehr höflichen und herzlichen Umgang. Begrüßungen und Verabschiedungen gestalten sich häufig sehr ausführlich, auch bei der Kassiererin im Supermarkt um die Ecke. Die Schweizer fragen oft nach, ob man nicht öppis (etwas) bräuchte oder sie behilflich sein können. Man sollte versuchen, etwas von diesem Verhalten zu übernehmen und nicht zu "typisch deutsch" und zu "zackig“ zu sein, sondern es auch mal zu genießen, nicht alles in Eile erledigen zu müssen. Hochdeutsch kann manchmal arrogant auf die Schweizer wirken. Auf Schwizerdütsch umschwenken solltest du trotzdem nur, wenn du es wirklich beherrschst – sonst wirkt es schnell lächerlich.

45 bis 50 Stunden pro Woche  

Die Schweizer Arbeitszeiten sind denen in Deutschland sehr ähnlich. Je nach Gesamtarbeitsvertrag hat man hier eine 45- bis 50-Stunden-Woche. Das ist zwar mehr als bei Arbeitnehmern außerhalb der Kliniken (42 Stunden), dafür ist das Arbeitstempo ein anderes. Häufig liegen auf einer Station weniger Patienten als in Deutschland und es gibt verhältnismäßig mehr Pflegekräfte. Diese sind fachlich mit den Pflegekräften in Deutschland vergleichbar, haben aber mehr Kompetenzen. In vielen Kliniken ist fast täglich gemeinsames Frühstücken angesagt. Mittags ruft man sich gegenseitig an, um gemeinsam zu essen – das soziale Leben scheint mir hier enger und intensiver.  Insgesamt bietet ein PJ-Tertial in der Schweiz einen schönen Einblick in ein ganz anderes Gesundheitssystem mit grundsätzlich anderer Versicherungs-, Organisations- und Lebensstruktur. Für mich hat es sich gelohnt, mich hier zu bewerben: Einblicke in eine andere Kultur, tolle Landschaften, beste Freizeitmöglichkeiten und neue Freundschaften. Ich bin hängengeblieben und lebe nun seit sieben Jahren hier.
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